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Literaturgeschichtlicher Hintergrund

2.2.1 Auseinandersetzung mit dem Problemfeld „religiöse Literatur“

Es ist sinnvoll sich an dieser Stelle dem Problemfeld der religiösen Literatur hinzu-wenden, obwohl die Marienmotivik auch in vielen Texten erscheint, die keinesfalls

„religiöse Literatur“ genannt werden dürfen:

Wenn alle Literatur, die sich in ein Verhältnis zur Sinnfrage setzt, und sei es in der Form, daß sie sie verneint oder der Thematisierung nicht für nötig erachtet, als religiös zu gelten hat, entzieht sich der Gegenstand dem notwendigen selektiven Zugriff jeder wissens-schaftlichen Fragestellung. Es ist dann nicht mehr möglich, ein Korpus von Texten zu

57 Ebd., S. 12–13.

58 Ebd., S. 121.

59 Ebd., S. 183.

bilden, das sich von anderen dadurch abhebt, Religiöses zu enthalten oder Religion zum Thema zu erheben.60

Die Abgrenzung der religiösen Literatur ist eine äußerst heikle Aufgabe und kann nicht mit der erwünschten Trennschärfe erfolgen und hundertprozentig gelingen. Auf die dabei entstehenden Schwierigkeiten versucht Georg Langenhorst hinzuweisen:

Heinz Linnerz führte 1960 eine Umfrage zu der Frage durch ‚Gibt es heute christliche Dichtung?‘ Die bis heute höchst lesenswerten Antworten von Böll, Andersch und Jens, aber auch von le Fort, Bergengruen, Schaper und weiterern ergeben ein komplexes, he-terogenes Bild. Einige Grundlinien werden dennoch deutlich: Erstes Ergebnis schon 1960: „Unsere bekanntesten ‚christlichen Dichter‘ empfi nden die Bezeichnung als zu eng und lehnen sie deshalb ab“ (H. Linnerz 1960, S. 87). Der Begriff ist also eher eine Sekundärzuschreibung von Literaturkritikern als eine von SchriftstellerInnen selbst als tauglich empfundene Kategorie. Zweitens: Wenn der Begriff ‚christliche Literatur‘ über-haupt als hilfreich empfunden wird, dann nicht in dem Sinne, dass damit harmlos-naive Bestätigungen kirchlicher Lehren verbunden wären, vielmehr die Unbedingtheit einer Welterfahrung in der Spannung von Heilszusage und brutaler Gegenwartserfahrung von Heillosigkeit. Gerade in diesem Sinne könne auch „der nichtchristliche Dichter [...] zum Zeugen für die christliche Heilswahrheit werden“ (ebd. S. 89). Angesichts der Unschärfe und Missverständlichkeit dieses Begriffs, angesichts der in ihm latent angelegten Tendenz einer „Amalgamierung von Literatur und Theologie“ (J. Bauke-Rüegg 2004, S. 119), wird drittens eher für dessen Ablösung plädiert, denn erstaunlich sei, „wie ahnungslos und verschwommen alle Welt einen literarischen Begriff handhabt, der sich bei näherem Zusehen in zahlreichen neue Fragen und Ungewissheiten aufl öst“ (H. Linnerz 1960, S.

91). Selbst Gisbert Kranz räumt ein, dass dieser Begriff „unscharf ist“ (G. Kranz 1978, S.

14), um ihn seinerseits dennoch als weiterhin nützlich und unaufgebbar zu verteidigen.

Dennoch bleibt zu fragen: ‚Christliche Literatur‘ – ein für heutige Diskurse als untauglich durchschauter, überholter, lediglich rückblickend eingrenzender Epochenbegriff?61 Die Gefährlichkeit dieser Bezeichnung hängt mit den abwertenden Assoziationen zu-sammen, die sie umgeben. Sie wird mit einer minderwertigen Randerscheinung der Literatur gleichgesetzt. Die Bekennung zu ihr scheint etwas Diskreditierendes an sich zu haben. Dieser ungute Hintergrund, vor dem sie betrachtet wird, geht auf die große Menge von tatsächlich literarisch gesehen schlechten Texten zurück, die gerade auf diesem Gebiet zahlreich entstehen. Dieser erste Eindruck im Massenbewusstsein legt seinen Schatten auf andere Texte, die diesem Bereich zugeordnet werden könnten, und beeinfl usst zum Teil ihre Stellung in einer eventuellen Literaturhierarchie.

In jedem großen Text wird es nach universeller Geltung gestrebt, eine enge konfe-ssionelle Zuschreibung mag daher manchmal als eine Art Begrenzung empfunden werden, die man überschreiten möchte. Die Kriterien für die „religiöse Literatur“

lassen sich nicht eindeutig bestimmen und diese Kategorie ist ziemlich verschwom-men. Es scheint aber, dass es ein ungeschriebenes Tabu gibt, das es manchmal ver-bietet, diese Literatur als vollwertige Literatur zu betrachten.

60 HARTMANN: Religiosität als Intertextualität..., a.a.O., S. 23.

61 LANGENHORST: Theologie und Literatur..., a.a.O., S. 43.

Wichtig scheint hier die Unterscheidung zu sein: ein literarischer Text, z.B. ein Ge-dicht (mit einem primär ästhetischen Ziel) – Gebet (wo die „Ziele“ im Bereiche des Religiösen bleiben).

Literatur ist gegenüber der Theologie, gegenüber kirchlicher Lehre und Verkündigung freier. Sie kann, was der Theologie oft versagt bleiben muß: Gegen-Modelle entwerfen, Alternativen aufzeigen, utopische Entwürfe anfertigen. Sie kann dort weitergehen, wo die Theologie einhalten muß, an Schrift und Tradition gebunden. Sie kann das „so könnte es gewesen sein“ ausformulieren, wo Theologie sagen muß, „so steht es geschrieben“.62 Die Marienmotive haben noch eine Sonderstellung innerhalb der religiösen Litera-tur, es scheint, dass die Marienfrömmigkeit schneller als die anderen Komponenten der religiösen Tradition altert und diese Literatur, die sich darauf bezieht, viel stärker dem ganz konservativen Bereich zugeschrieben wird.

2.2.2 Marienmotivik in den früheren Epochen

In einer Arbeit zu den Marienmotiven in der Literatur des Mittelalters, des Barock, oder in der Romantik und Neuromantik, also in den sog. Nicht-Klassischen Epochen, würde man von einem zentralen, oder mindestens sehr wichtigen Motiv sprechen. In der folgenden Arbeit wird die Lage eines eher peripheren Motivs untersucht.

Von allgemeinsten Motiven wie Liebe, Natur, Tod abgesehen, gibt es nur wenige Motive der deutschen Literatur, die mit so imponierender Konstanz – sei der Weg auch schmal – durch fast alle Jahrhunderte deutscher Dichtung gewandert sind wie gerade das Ma-rienmotiv. Das hat seinen Grund nicht allein in der entsprechenden Konstanz des katho-lischen Glaubens und damit in der dogmatischen Figuration Mariä, sondern vor allem auch im außerordentlich poetischen Charakter ihrer Gestalt. Nirgends sonst konnte die Dichtung das Inbild der Frau mit zugleich so innig-menschlichen wie erhaben-göttlichen Zügen vorgebildet sehen wie hier.63

Die Marienmotive haben sich unterschiedlicher Beliebtheit in der Literaturgeschich-te erfreut. Zu ZeiLiteraturgeschich-ten ihrer besonderen Popularität gehört das ZeitalLiteraturgeschich-ter des Barocks, wo sie als Auszeichnung der konfesionellen Zugehörigkeit als eine Art Kompen-sation zur Reformation fungierten, in der Aufklärung nahmen sie ab und erfreuten sich eines erneuten Interesses mit der romantischen Wiederentdeckung der Religion und des Katholizismus. Die zahlreichen Konvertiten gaben es nicht selten zu, dass sie sich von der besonderen Bedeutung des Gefühls und der Zärtlichkeit angezogen fühlten, die mit der katholischen Relation zur Mutter Gottes in Verbindung stehen.

Bewegte sich die mittelalterliche Mariendichtung noch ganz im Rahmen des von Schrift, Tradition, Verkündigung, Liturgie und Volksfrömmigkeit Vorgegebenen, bestand also die Leistung des mittelalterlichen Dichters primär in der Beherrschung der Form, in der

va-62 KUSCHEL: Maria in der deutschen Literatur des 20. Jahrhunderts, a.a.O., S. 215.

63 HAUFE (Hg.): Deutsche Mariendichtung aus neun Jahrhunderten, a.a.O., S. 353.

riantenreichen Anwendung meist schon zu Topoi geronnener Bilder und Symbole, ohne daß der Dichter selber als gestaltendes Subjekt in Erscheinung trat, so ist die Mariendi-chtung um die Wende zum 19. Jahrhundert gerade durch die Akzentuierung dichterischer Subjektivität gekennzeichnet.64

Maria erscheint in den Hymnen an die Nacht von Novalis, in den Romanzen vom Rosenkranz von Clemens Brentano, in Geistlichen Gemälden von August Wilhelm Schlegel und in vielen Gedichten Eichendorffs, um nur die wichtigsten Beispiele zu nennen. Wo sich die barocke Marienlyrik vor allem der Verehrung Marias widmet, wagen schon die Romantiker nicht selten eine Reinterpretation ihrer Gestalt. Bei No-valis scheint sie z.B. mit der Geliebten zu verschmelzen. „[...] Marienkult vieler Ro-mantiker überschreitet zwar den Rahmen der römisch-katholischen Marienlehre ins Mythologische und Kosmische. Doch der romantische Dichter mit seinem subjekti-ven Wahrheitsanspruch fragt nicht danach, ob seine Poesie konfesionell rechtgläubig ist [...]“.65 In den Texten der Jahrhundertwende z.B. bei Stefan George und bei Rilke ist die ästhetische Dimension der Gestalt Mariens immer wichtiger. Es häufen sich auch die Beschreibungen der Gemälde und der Wirkung der Marienbilder auf das sie betrachtende Subjekt.

Nachdem die literarische Auseinandersetzung mit der Gestalt Marias in der deutschen Romantik ihren ersten literarischen Höhepunkt gefunden hatte (Novalis, Eichendorff), erlangte die Marienthematik erstmals wieder literarische Bedeutung um die Wende zum 20. Jahrhundert bei Dichtern wie Stefan George und Rainer Maria Rilke.66

Nach der Jahrhundertwende ist die Anwesenheit der Marienmotivik in der Literatur wieder geschrumpft; es lässt sich auch bemerken, dass sich die Autoren der Texte mit den Marienmotiven eher darauf konzentrieren, die Frage nach dem Sinn der Religion und des religiösen Glaubens im Allgemeinen zu stellen.

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