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Bedürfnis nach der Markierung der leeren Stelle

3.1 Bedürfnis nach der Geborgenheit – Maria in der Erinnerung

3.1.1 Lyrik

3.1.1.3 Bedürfnis nach der Markierung der leeren Stelle

Es ist markant, dass die Marienmotivik in den sich auf sie berufenden Texten so oft als überwunden bezeichnet wird. Bilder sind nicht selten nur Zeichen des Abwe-sendseins. Paradoxerweise erfolgt diese Vergessenheit eben in Form einer Erwäh-nung. Man will es unterstreichen, dass man sich auf Maria nicht beziehen will. Nata-lie Beer (1903–1987), eine österreichische Dichterin, formuNata-liert es im Gedicht Notre Dame in Paris: „nicht, daß ich bete zu dir“.108 Der geringste Verdacht eines Gebets darf nicht zugelassen werden. „Du bist ein Vergessenes [...]“ Die geschlechtslose Form vergegenständlicht Maria. Sie wird zur Ausstattung des Doms, des „zeitlosen Raumes“. Ihre Präsenz wird wahrgenommen, bleibt aber fremd: „Einmal sah ich dein Bild im Traume,/ doch es sprach nicht zu mir“. Ein Bild im Traume hat keinen

107 Kurt KLINGER: Lied aus der Campagna, in: Ders.: Das Kirschenfest. Gedichte, Baden bei Wien 1984, S. 44–45.

108 Natalie BEER: Notre Dame in Paris, in: Dies.: Funde am Lebensweg. Erzählungen, Skizzen, Gedichte, mit Vorwort und Bibliographie von Eberhard Tiefenthaler, Bregenz 1983, S. 55.

bestimmten ontischen Status, es ist nicht vollständig wirklich. Wenn es sogar zur Re-alität gerechnet werden sollte, wird es trotzdem erschwächt: „doch es sprach nicht zu mir“. Also ein zweifacher „Verfremdungseffekt“. Die künstlerische und die mentale Vorstellung der Mutter Gottes fungiert noch und wird als solche (eben als ein Bild) erkannt. Sie besitzt aber keine Kraft mehr anzusprechen. Das lyrische Ich scheint eine eventuelle Lösung gefunden zu haben. Maria sollte sich in das blühende Leben mischen, aus der Kunst in die Natur treten: „durch knospende Gärten gehen,/ nach spielenden Kindern sehen“. Sie soll also ihr Bild verlassen. Das Subjekt ist skeptisch Maria gegenüber und erteilt ihr einen Ratschlag, als ob sie selbst Schuld daran trüge, dass sie nur als ein Kulturzeichen empfunden wird.

In die Gruppe der Texte, welche nur die Abwesenheit des Glaubens markieren, ge-hört auch Nichts geschieht109 der deutsch-jüdischen Autorin, Hilde Domin (1912–

2006). „Die Kerze die du entzündest/ ohne das Bild der Maria/ um etwas zu bitten/

– nichts geschieht – / hilft dir zu leben“. Das Betrachten von einem Bild während des Gebetes wurde schon zu einer stereotypen Darstellung, es könnte jedes sog. „heilige Bild“ sein, wenn es aber Maria ist, dann ist der vergangene Charakter der Religion noch stärker unterstrichen. Diese Tätigkeit wird aber trotzdem vollzogen und besitzt irgendwie auch ihren beruhigenden Sinn, obwohl „nichts geschieht“. Die Konst-ruktion „ohne das Bild der Maria um etwas zu bitten“ statt „ohne Maria um etwas/

um Fürbitte zu bitten“ weist darauf hin, wie wenig von einer echten Beziehung hier übriggeblieben ist. Die Frömmigkeit ist hier nur zum Kerzeanzünden verschrumpft.

Es sind nur beruhigende Rituale, die nur einen pragmatischen Sinn erreichen wollen.

Gerhard Fritsch häuft in Ein Schaukasten Aberglauben im Museum von Schärding am Inn110 die Beispiele verschiedener abergläubischer Heilungsmittel. Das Gedicht handelt vom menschlichen Bedürfnis, an eine außermenschliche Hilfe glauben zu können. „Wer da fragt [...] ob der Papierstreifen,/ so lange wie das Gnadenbild/ unse-rer lieben Frau von Alt-Öting/ ein einziges Leben um eine Minute/ verlängert hat,/ der kennt nicht das menschliche Alleinsein,/ wie es von Anbeginn sich selbst überredet, / daß dorten Hilfe und Fürsprach ist,/ wo man keine Antwort mehr hört...“. Von Anfang an wird es unterstrichen, dass es kein echter Glaube ist, dass es ein Glaube mit der Er-laubnis einer non-seriösen Betrachtung ist, trotzdem ist es eines der Grundbedürfnisse des Menschen: „Seine Götter/ schuf sich der Mensch/ stets wankelmütig, bestechlich/

und mit Kinderspielzeug/ versöhnbar“. In dieser Hinsicht wird Maria zu einem be-stechlichen Götzen reduziert. Einerseits beschreibt man solche Gewohnheiten, die schon lange der Vergangenheit angehören, andererseits aber entdeckt man dieses Be-dürfnis als etwas dem Menschen immer gleich wichtiges. Das BeBe-dürfnis nach der Möglichkeit eines religionsähnlichen Glaubens ist immer gleich stark.

Die Kultstätten werden oft nur als Kulturdenkmäler empfunden, die wie alle ande-ren besichtigt werden können. Sta Maria Maggiore, die Gerhard Fritsch in seinem Gedicht unter demselben Titel beschreibt, ist nur einer der Punkte, die auf dem Plan

109 Hilde DOMIN: Nichts geschieht, in: Dies.: Gesammelte Gedichte, Frankfurt am Main 1991, S. 134.

110 Gerhard FRITSCH: Ein Schaukasten Aberglauben im Museum von Schärding am Inn, in: Ders.: Gesam-melte Gedichte, a.a.O., S. 90–91.

des Ausfl uges stehen: „neugierig kommen wir von überall her,/ Kaugummi und Lan-geweile im Maul“. Die Religion wird hier als etwas längst Totes dargestellt: „und wissen [...] nur einen Augenblick lang, wenn/ die Sonne besonders kitschig/ im Meer ertrinkt,/ daß wir die Pest haben und keinen Glauben“. Der Glaube des modernen Menschen lässt sich nur auf die Hoffnung zurückführen: „daß du hilfst,/ wenn der-einst unsere Dampfersirenen/ vor dem Hafen/ um Hilfe heulen werden“. Erst an die-ser Stelle zeigt es sich, dass sich diedie-ser Text an eine transzendente Instanz wendet.

Der Versuch, diese Wendung mit den ersten Zeilen: „Santa Maria Maggiore/ auf den Ansichtskarten: strenge Kuppel/ vor dem Abendhimmel der Lagune“ zu verbinden, scheint ein bisschen riskant zu sein. Die Figur Mariens wird hier eher nur auf die Bezeichnung der Kirche beschränkt.

Eine höchst interessante Erscheinung, die auch als Markierung der leeren Stelle auf-gefasst werden kann, ist das Verfahren mancher Lyriker, die Marienfeste nur als Zeitangabe anzuführen, obwohl sie sich in ihren Texten auf die Religion gar nicht beziehen wollen. Es taucht die Frage auf, warum solche Bezeichnungen überhaupt noch in Texten erscheinen? Um dies mindestens teilweise zu erörtern, wäre es ange-bracht, einige von solchen Texten zu erwägen.

Bei dem österreichischen Dichter Friedrich Sacher (1899–1982) im Gedicht Um Lichtmess111 bekommt die Erwähnung des Marienfestes keine Ergänzung religiö-sen Charakters im weiteren Verlaufe des Textes. Es werden die Veränderungen in der Natur und die vergehenden Monate auf eine ziemlich banale Weise thematisiert.

Nach so einem Titel wird man ein bisschen verwirrt in beiden ersten Zeilen: „Eben in nachtdunkler Welt/ warst du kindsjung, neues Jahr!“. Mariä Lichtmess wird mit der Kindheit Jesu assoziiert und im Text von Sacher ist es nur die Kindheit des Neuen Jahres. Man kann eine Vermutung wagen, dass es ein bewusstes Verfahren seitens des Verfassers ist. Diese Angabe kann aber auch nur als eine metonymische Erset-zung des Zeitpunktes am Anfang eines Neuen Jahres sein.

Alfred Gesswein (1911–1983), ein österreichischer Autor, verwendet die Bezeich-nung des Marienfestes auch nur im Titel seines Gedichts: stadtpark zu maria licht-meß112, aus dem man eventuell das Datum erlesen kann, wenn man es riskieren will zu behaupten, dass es für das breitere Publikum noch zu entziffern ist. Im weiteren Verlauf des Textes haben wir es mit keinem Bezug auf Religion mehr zu tun.

Bei dem Österreicher Erwin Einzinger (geb. 1953) in Dispersion113 wird der Name Mariens nur als eine Zeitangabe benutzt: „am Tag der Murmeltiere (Mariä Reini-gung)/ Malte ich einen Pavian...“. Nichts im Inhalt des ganzen Textes weist darauf hin, dass irgendwelche religiöse Konnotationen gefunden werden sollten. Die Angabe des Marienfestes erscheint in Klammern, als eine zusätzliche Ergänzung zum ame-rikanischen Tag der Murmeltiere, der eine deutlichere Information vermitteln soll, beide fallen auf den 2. Februar. Die Tätigkeiten des Malers werden hier als die des Schöpfers beschrieben, diese Schöpfung ist aber chaotisch und vom Leiden erfüllt.

111 Friedrich SACHER: Um Lichtmess, in: Ders.: Ährenlese. Gedichte – Sprüche – Glossen, Steyr 1979, S. 20.

112 Alfred GESSWEIN: stadtpark zu maria lichtmeß, in: Ders.: Kartenhäuser. Gedichte, Wien 1981, S. 29.

113 Erwin EINZINGER: Dispersion, in: Ders.: Tiere, Wolken, Rache. Gedichte, Salzburg 1986, S. 96.

Es ist markant, dass sich diese drei Beispiele auf das selbe Marienfest beziehen. Es könnte hier „am zweiten Februar“ stehen. Die religiöse Tradition wird hier wieder angeschnitten, um gleich abgelehnt zu werden, als ob man sagen würde: „es ist für uns kein religiöses Ereignis mehr“. Dies Verfahren ist auch eine Art Markierung der leeren Stelle. Nicht nur der Raum, sondern auch die Zeit verliert ihre Sakralisierung.

Es wäre angebracht, sich an dieser Stelle an Mircea Eliade zu berufen, der die Aus-sonderung des sakralen und des sakralen Raumes, der sakralen und der nicht-sakralen Zeit, als die wichtigsten Eigeschaften der Denkweise eines religiös denken-den Menschen beschreibt.114 Mit den erwähnten Texten kommen wir zur Festhaltung eines entgegenwirkenden Prozesses, man will diese Einteilungen rückgängig ma-chen. Es gibt keinen liturgischen Kalender mehr, die ganze Zeit ist die profane Zeit.

Die in diesem Kapitel angeführten Textbeispiele der Marienfrömmigkeit in der Er-innerung beweisen eine unverkennbare Tendenz, sie der Vergangenheit zuzuschrei-ben. Die Bilder der zerstörten und vergessenen Kultstätten scheinen eindeutig darauf hinzuweisen, dass sie (mindestens in der Form) nicht mehr zu retten ist, was sich in diesen Texten auf die Kondition der Religion im Allgemeinen übertragen lässt.

Nichtsdestoweniger dauert das Bedürfnis nach der Erwähnung dieser Gestalt länger als die Bereitschaft, sie in der religiösen Hinsicht zu deuten. Es erscheinen auch Textbeispiele, in welchen es bezeugt wird, dass nach der Phase der Ablehnung, eine Phase des vorsichtigen Interesses und der Faszination erfolgen kann. Der Marienver-ehrer ist nämlich mindestens teilweise von den harten Verhältnissen der logozentri-schen Wirklichkeit befreit. Es wäre verkehrt, die Frömmigkeit mit einer Emotiona-lität gleichzusetzen. Zu leugnen aber, dass es diesen Bereich auch gibt, würde auch den wahren Sachverhalt verkennen heißen.

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