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Das literarische Bild des christlichen Kultus im 20. und 21. Jahrhundert

3.5 Bedürfnis nach dem Marienkultus?

3.5.1 Das literarische Bild des christlichen Kultus im 20. und 21. Jahrhundert

Es sei zuerst eine der Defi nitionen des Kultus als solchen angeführt:

Unter Kult (v. lat. colere = pfl egen) versteht man festgesetzte u. geordnete Formen des Umgangs mit dem Göttlichen. Ihnen liegt das Streben nach Antwort auf das personhaft erlebte Heilige zugrunde. Als Reaktion auf rel. Erfahrung setzt der K. mithin die Existenz

von Religion voraus. [...] Irdischer Träger des Kultus ist eine Gemeinschaft [...]. In de-ren Auftrag vollziehen der König, der Priester oder Schamane als kultische Vertreter die rituellen Akte. Die religiöse Offenbarung wird im Kult institutionell. Sein Vollzug ist im allgemeinen an heilige Orte gebunden und erfordert die Beachtung bestimmter Zeiten an denen entweder ein Naturgeschehen, wie besonders die Neujahrswende, gefeiert oder ein Ereignis der heiligen Geschichte kultisch wiederholt wird. Die spezifi sche Existenzwe-ise der religiösen Menschen äußert sich in der kultischen Begehung einschneidender Übergänge des natürlichen Lebens (Geburt, Eintritt in die Gemeinschaft, Eheschließung und Tod). Der Kult gehört zu den konservativsten Elementen der Religion u. tradiert oft Züge früherer Glaubensformen. Aus kultischen Handlungen sind alle Kunstäußerungen des Menschen hervorgegangen.570

Was uns im Folgenden interessieren wird, ist aber eine ganz bestimmte Form des Kultus – die Marienverehrung, die eigentlich meistens als kein Kultus im engen Sinne des Wortes begriffen wird. Es sei angemerkt, dass der Lehre der evangelischen Kirchen nach jegliche Marienverehrung nur dem Lob der göttlichen Gnade dienen darf, in der katholischen Theologie werden drei Arten des Kultus ausgesondert: cul-tus latriae also Adoration, die nur Gott gilt; culcul-tus duliae also die Heiligenverehrung und cultus hyperduliae – Verehrung der Mutter Gottes, wobei sich cultus duliae und cultus hyperduliae auch an Gott richten.Manchmal wird aber den Katholiken vor-geworfen, dass sie in der Praxis in ihrer Frömmigkeit Maria allzu sehr ins Zentrum rücken.571 Als Hyperdulie versteht man:

Artbezeichnung für die in der katholischen und orthodoxen Kirche der Jungfrau Ma-ria wegen ihrer einmaligen heilsgeschichtlichen Stellung erwiesene Verehrung. [...] Man sollte besser statt von Überverehrung von Vorzugsverehrung bzw. außergewöhnlicher Ve-rehrung reden [...] Denn Hyperdulie besagt gerade, daß Maria als Kreatur die Anbetung versagt bleiben muss, ihr aber auf Grund 1. ihrer Gottesmutterwürde, 2. ihrer persönli-chen Gnadenfülle und Heiligkeit und 3. ihrer heilsgeschichtlicher Bedeutung eine beson-dere Verehrung zukommt [...]572

Ein dem Kultus verwandtes Wort ist auch die Frömmigkeit, die man meistens als den Ausdruck des Kultus versteht, bei ihrer Defi nition begegnen wir aber einigen Problemen:

„Frömmigkeit“ stammt aus dem Wortschatz der Alltagssprache. [...] „[F]romm sein“ oder

„religiös sein“ bedeutet, einer Religion gemäß leben, tun und lassen, was sie lehrt. „Fröm-migkeit“ bezeichnet demnach eher religiöse Handlungen, physische wie psychische, als religiöse Zustände, wie es z.B. die „Heiligkeit“ ist, welche als länger dauerndes Ergebnis vollendeter frommer Taten gilt. So gesehen umschreibt das Wort die schier unzähligen Formen religiösen Tuns, denen Religionsgeschichtler begegnen.573

570 Kult, in: Josef HÖFER, Karl RAHNER (Hg.): Lexikon für Theologie und Kirche, Freiburg 1961, Bd. 6, S. 659.

571 Vgl. ebd., S. 666; vgl. auch Adamiak: Traktat o Maryi, a.a.O., S. 131.

572 Hyperdulie, in: HÖFER, RAHNER (Hg.): Lexikon für Theologie und Kirche, a.a.O., Bd. 5, S. 574–575.

573 Frömmigkeit, in: Gerhard KRAUSE, Gerhard MÜLLER: Theologische Realenzyklopädie, Berlin u. New York 1983, Bd. 11, S. 671.

Die Ausdehnung der Marienfrömmigkeit, die auch nicht selten zu ihren Entartun-gen führt, wurde auch von der Katholischen Kirche selbst refl ektiert, ein markantes Beispiel ist hier das Apostolische Schreiben des Papstes Paul VI. unter dem Titel Marialis cultus (1974), wo ein ganzes Kapitel eine Warnung vor dem falschen Ver-ständnis der Marienverehrung bildet. Die richtige Verehrung der Mutter Gottes solle immer christozentrisch sein.574 Es sei mir erlaubt jetzt eine entsprechende Passage aus diesem Dokument anzuführen:

38 Nachdem Wir diese Hinweise gegeben haben, die darauf abzielen, die harmonische Entwicklung des Kultes der Mutter des Herrn zu fördern, halten Wir es für nützlich, die Aufmerksamkeit auf einige irrige kultische Ausdrucksformen zu lenken. Das Zweite Va-tikanische Konzil hat bereits die Übertreibung im Inhalt oder in der Form, die zu einer Verfälschung der Lehre führen, als auch jene Engherzigkeit des Geistes, die die Gestalt und die Sendung Mariens verdunkelt, autoritativ aufgezeigt. Sodann auch einige kultis-che Abweichungen: so die eitle Leichtgläubigkeit, die das ernsthafte Bemühen durch ein leichtfertiges Vertrauen auf rein äußerliche Praktiken ersetzt; die unnützen und fl üchtigen Gefühlsbewegungen, die dem Charakter des Evangeliums so fremd sind, das beharrliche und tätige Werke verlangt. Wir beklagen dies erneut: sie stehen nicht im Einklang mit dem katholischen Glauben und dürfen deshalb auch nicht im katholischen Kult fortbeste-hen. Der wachsame Schutz vor diesen Irrtümern und Fehlentwicklungen wird den Ma-rienkult kraftvoller und echter machen [...].

39 Schließlich wollen Wir [...] betonen, daß das letzte Ziel des Kultes der Seligen Jung-frau darin besteht, Gott zu verherrlichen und die Christen zu einem Leben anzuhalten, das seinem Willen völlig entspricht. [...]575

Die im Apostolischen Schreiben enthaltene Warnung ist ein deutliches Zeichen, dass diese Praktika tatsächlich beobachtet werden, wobei die größte Gefahr darin besteht, dass Maria als ein göttliches Wesen verehrt wird. Die Aufl istung und detaillierte Be-schreibung aller Elemente, die zur Marienfrömmigkeit angerechnet werden könnten, würde den Rahmen dieser Arbeit sprengen, einige davon seien jetzt nur aufgelistet:

Marienanrufung, -gebet, -gesang, -predigt, -erzählung, -dichtung, -darstellung in der bildenden Kunst.576 Markant ist hier die Aussage zur Marienfrömmigkeit, die er-staunlicherweise in so einem ernsten und anspruchsvollen Werk wie Theologische Realenzyklopädie zu fi nden ist:

Die Sehnsucht des menschlichen Herzens kann sich verselbständigen und Grunddaten der Offenbarung übersehen. Magisches Denken und Aberglaube sind dann die notwen-dige Folge. Wer wüßte nicht um die Auswüchse in den „Niederungen“ marianischer Volksfrömmigkeit?577

574 Vgl. PAWEŁ VI: Adhortacja Apostolska Marialis Cultus Ojca Świętego Pawła VI, kommentiert von Stanisław Celestyn Napiórkowski, Wrocław 2004, S. 65–67.

575 Paul VI.: Marialis cultus, zit. nach: http://www.stjosef.at/dokumente/marialis_cultus.htm (Zugriff:

10.09.12)

576 Vgl. Maria/Marienfrömmigkeit, in: Gerhard MÜLLER, Horst BALZ u.a. (Hg.): Theologische Realenzy-klopädie, Berlin u. New York 1992, Bd. 22, S. 115–161, hier: S. 120.

577 Ebd., S. 151.

Bevor ich mich mit den literarischen Bildern der Marienfrömmigkeit auseinander-setze, sei es mir erlaubt, den Facetten des in der Literatur des 20. und 21. themati-sierten religiösen Kultus überhaupt kurz nachzugehen. Auf diese Weise wird eine Perspektive aufgebaut und erst vor diesem Hintergrund kann man sehen, inwieweit die Marienfrömmigkeit eine Ausnahme bildet oder sich in ein vorhandenes Schema einschreibt.

Das Gedicht Die Heiligen578 von Hilde Domin (1909–2006) erwähnt die Mutter Gottes an keiner Stelle direkt. Es setzt sich aber mit dem Thema der Anbetung der Heiligen von den Gläubigen auseinander. Die Heiligen sind vom Kultus bedrängt, weil sie wissen, dass sie nicht helfen können, obwohl sie sich das wünschten: „Doch sie sind müde, auf den Podesten zu stehn/ und uns anzuhören./ Sie sind wund vom Willen zu helfen“.579 Sie sind sich dessen bewusst, dass Viele ihnen vertrauen, sie können aber nichts leisten:

[...] Sie sind müde,

Vikare des Unmöglichen auf Erden zu sein, des gestern Möglichen [...]580

Die Zeit, wann es möglich war, dass die Heiligen die Bitten der Betenden erfüllten, sei schon vorbei. Das Vertrauen der Gläubigen entspricht den Möglichkeiten der Heiligen nicht, die den Kultus lieber einschränken würden:

Die Heiligen in den Kapellen wollen begraben werden, ganz nackt, in Särgen aus Kistenholz

und wo niemand sie fi ndet [...]

Die reichen Gewänder, das Gold und die Perlen, alle Geschenke der fordernden Geber,

lassen sie in den Sakristeien [...]581

Der wirklich heilige Mensch bleibt bescheiden und brüstet sich mit seinem Erfolg (Heiligtum) nicht. Den Heiligen ist es gelungen, die eigentliche menschliche Kon-dition zu bekämpfen: „Sie haben für einen Augenblick/ ihr eigenes Schwergewicht überwunden“.582 Diese Defi nition des Heiligtums bringt es zum Ausdruck, dass ein Heiliger ein normaler Mensch ist, der den Gesetzen der Welt unterworfen ist, aber im Stande ist diese zu überwinden und sich darüber zu erheben. Der Ausgangspunkt soll hier also das Menschenleben sein und nicht ein abstrakter übermenschlicher Zustand.

Nichtsdestoweniger werden hier noch die Kinder erwähnt und solche Verehrer, die als Kinder bezeichnet werden könnten, ihretwegen darf der Kultus nicht verschwinden:

578 Hilde DOMIN: Die Heiligen, in: Mein Wort. Mein Glück. Mein Weinen. Religiöse Fragen – Erfahrungen – Zeugnisse in Gedichten unseres Jahrhunderts ausgewählt und zusammengestellt von Elisabeth Antkowiak, Leipzig 1985, S. 171–174.

579 Ebd. 172.

580 Ebd., S. 173.

581 Ebd., S. 171.

582 Ebd., S. 172.

[...] Sie sind müde, aber sie bleiben, der Kinder wegen. [...]

Denn wir essen Brot,

aber wir leben von Glanz. [...]

Und darum gehen sie nicht:

damit es eine Tür gibt, eine schwere Tür für Kinderhände

hinter der das Wunder angefaßt werden kann.583

Der Mensch braucht eine Hoffnung wie Nahrung, deshalb kann er sich nach einem Glauben sehnen. Die Heiligen seien im Stande empathisch zu begreifen, warum der noch im Diesseits lebende Mensch sie so stark braucht und jemandem wie ein Kind vertrauen will, und sie wollen ihm diese Überzeugung nicht wegnehmen. Das Ge-dicht diagnostiziert die psychischen Bedürfnisse und zeigt die Mechanismen ihrer Befriedigung auf.

Obwohl hier die Gestalt der Mutter Gottes nicht direkt angesprochen wird, scheint es, dass sich diese Merkmale auch auf ihre Anwesenheit im kulturellen Gedächtnis als einer der Heiligen beziehen, vielleicht sogar noch stärker als auf die anderen, weil sie oft als „die Heiligste“ bezeichnet wird und ihre Schutzfunktion noch mit dem archetypischen Bild der Mutter verschmilzt.

Das Gedicht von Christine Busta mit dem Inzipit [An den Wänden meiner heimlichen Kirche]584 ist für die Religionsvorstellungen des 20. Jahrhunderts charakteristisch:

An den Wänden meiner heimlichen Kirche, die ich mir selber mit Bildern ausmale, sind sie alle erlöst beisammen:

Der gute Hirte neben dem zottigen Pan,

[...] der verlorene Sohn im Gespräch mit Odysseus, Petrus, der auf dem Wasser geht,

und Arion auf dem treuen Delphin, Sankt Franziskus, singend mit Orpheus, Magdalena, Leda umarmend. [...]

Zu diesem Vorstellungsgut gehören Elemente sowohl der christlichen als auch der antiken Kultur. Es wird hier unter anderen Figuren auch die Mutter Gottes erwähnt.

Die egalitäre Aufeinanderreihung lässt keine Hierarchisierung zu. Die zu verschiede-nen Vorstellungskreisen gehörenden Figuren sind alle gleich, einerseits: gleich wich-tig, andererseits aber: gleich unwichtig. Sie gehören zwar zur Tradition und sind eine Gedankenstütze des Menschen, aber alle sind schon vergangen. So wie keiner ernst-haft behaupten würde, dass Orpheus eine Figur ist, die auf das menschliche Leben von heute noch Einfl uss haben könnte, so ist es auch mit anderen Gestalten, deren Status

583 Ebd., S. 173–174.

584 Christie BUSTA: [An den Inden meiner heimlichen Kirche], in: Dies.: Wenn du das Wappen der Liebe malst. Gedichte, Salzburg 1981, S. 96.

dem Status der mythologischen Figuren angeglichen wird. Die im Gedicht dargestellte Versöhnung der Traditionen und Versöhnung zwischen verschiedenen Parteien inner-halb einer Tradition: „Auf dem Altarbild reicht/ Veronika dem Judas das Schweißtuch/

gegen den Strick der Verzweifl ung“ ist einerseits ökumenisch, es wird hier ein kosmi-sches „happy end“ ausgemalt, andererseits aber ist es auch ein Resultat der Gleich-gültigkeit, das besagt, dass keiner bereit ist, eine Partei den anderen gegenüber aufzu-spielen, alles wird akzeptiert, weil keine Verfechter der einzelnen Traditionen bereit sind, sich tatsächlich zu engagieren. Obwohl der Altar hier auch eine Anspielung auf die biblische Prophezeiung ist, wonach am Ende der Welt alle Gegensätze aufgehoben werden (vgl. Jes 11), lässt sich auch der optimistische Unterton hinterfragen.

Das private Pantheon verfügt über keine außermenschliche Legitimation, was ein wichtiger Zug im literarischen Bild des Kultus im 20. und 21. Jahrhundert zu sein scheint. Die Tatsache, dass das Christentum im Unterschied zu den Gestalten aus der griechischen Mythologie im 20. Jahrhundert immer noch eine Religion ist und Anhän-ger hat, verhindert es nicht, sie in einer Reihe zu nennen. Eine Mythologie scheint eine abgestorbene Religion zu sein, die sich von einer Religion dadurch unterscheidet, dass sie nicht mehr ernst geglaubt wird. Ihre Konstruktionen sind aber dermaßen innerlich kohärent, interessant oder schön, dass man sie immer noch im kulturellen Gedächtnis bewahren will und sich auf sie immer wieder bezieht. Ihr Potenzial reicht nicht mehr aus, die ihr fremden Inhalte zu desavouieren, sie steht zu ihnen in keinem Konkur-renzverhältnis, sie lässt sie daneben existieren. In diesem Sinne wäre die im Gedicht dargestellte Szene ein Zeugnis der Mythologisierung der christlichen Religion.

Das Gedicht Kirche585 von Kay Hoff (geb. 1924), einem deutschen Dichter, diagnos-tiziert denselben Umstand sehr prägnant:

Verweht die Weihe. Auch die Glocken schweigen. Der Höllenbrand

zerfraß das Schiff. [...]

Die Türme blieben. Doch sie rufen nicht. Sie halten keinen Raum. [...]

Verlassenheit. Vergessen. Schlafen.

Nur Fremde kommen noch einmal und suchen Altmaterial

zwischen zerbrochenen Epitaphen.

Der Text hebt vor allem hervor, dass dieses Kirchengebäude, gemeint ist aber wahr-scheinlich auch die Kirche im übertragenen Sinne, schon vollständig der Vergangen-heit angehört. Das Bild der stillen, verlassenen Ruine veranschaulicht, dass sie zwar noch da steht, aber ganz in Vergessenheit geraten ist. Die Mutter Gottes erscheint hier zwar nicht, die Totalität dieses Textes („Verweht die Weihe“) zeigt aber eindeu-tig, dass es keine Hoffnung mehr gibt.

585 Kay HOFF: Kirche, in: Ders.: Gedichte, hg. und mit einem Nachwort von Hans Dieter ZIMMERMANN, in:

Gesammelte Werke in Einzelausgaben, Bd. 9, Siegen 2004, S. 59.

An den oben angeführten Texten zeigt sich, was für ein Klima die Marientexte des 20./21. Jahrhunderts umgibt und vor was für einem Hintergrund sie auch betrachtet werden müssen. Natürlich ist es nur eine der Facetten des geistigen Lebens dieser Zeit. Die Dichtung bringt aber oft auf einen Punkt Ansichten, die latent in vielen Lebensbereichen festzustellen sind. Es will hiermit nicht gesagt werden, dass eine verlassene Kirche sofort den Schwund der spirituellen Dimension des Menschen zu bedeuten hat, es wird aber damit angedeutet, dass sich die bisherigen Ausdrucks-formen des Kultus zum Teil erschöpft haben, wogegen es auch nicht an Beispielen fehlt, die zeigen, dass die alten Formen wieder belebt werden können und über ein großes ästhethisches Potenzial verfügen.

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