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Die Weiblichkeit Mariens in den lyrischen Texten

3.4 Bedürfnis nach dem Identifi kationsangebot: Maria als Frau – Maria und

3.4.2 Die Weiblichkeit Mariens in den lyrischen Texten

Gertrud von Le Fort (1876–1971), eine zum Katholizismus konvertierte deutsche Romanautorin und Lyrikerin, bietet in Drei Festhymnen415 die Gestalt von Maria als eine Identifi kationsfi gur an. Das Leid sei nötig, um die Muttergottes nachzuahmen, auf diese Weise erfolge eine mögliche Sinngebung für das weibliche Leben:

[...] Selig sind die Mütter der Erschlagenen, denn sie wurden Töchter der Schmerzensreichen,

Und selig sind die Schwestern der Toten, denn sie wurden Sterne des Morgensterns!

Selig sind die Bräute in den Schleiern ihrer Tränen, denn sie wurden Trösterinnen der Betrübten! [...]

Bemerkenswert ist, dass es ein Identifi kationsangebot für jede Frau ist, für eine Mutter, so wie auch für eine Braut, weil Maria „Frau aller Frauen“ ist, wie es wei-ter im Text heißt. Es ist im gewissen Sinne ein Beispiel der Gelegenheitsdichtung.

Der Anlass zur Entstehung des Textes wird im Untertitel erklärt: Zur Einweihung der Frauen-Friedenskirche in Frankfurt am Main, was hier nicht ohne Bedeutung ist, weil die Entstehungsgeschichte der Kirche selbst mit den Frauen eng verbunden ist:

Hedwig Dransfeld, die Vorsitzende des Katholischen Deutschen Frauenbundes, hat die Idee zum Bau der Frauenfriedenskirche während des Ersten Weltkrieges entwickelt. Sie sollte eine zentrale Kirche zum Gedenken an die Gefallenen des Krieges und zum Gebet um den Frieden sein. Frauen aus ganz Deutschland haben den Bau der Kirche ideell und fi nanziell unterstützt. Mehrere große Sammelaktionen sollten das Grundkapital sichern.416 Es ist also eine Frauenkirche in zweifachem Sinne: Maria, einer Frau geweiht und von Frauen gestiftet. Das Gedicht von Le Fort liefert eine enge Verbindung zwischen Maria und ihren Verehrerinnen. Im Schaffen dieser Autorin ist die Figur Mariens eine wichtige Bezugsperson, was noch im Weiteren untersucht wird.

414 Ebd., S. 31.

415 Gertrud von LE FORT: Drei Festhymnen, in: Gedichte von Hildegard von Bingen bis Ingeborg Bachmann, hg. von Elisabeth BORCHERS, Frankfurt am Main 1988, S. 157–161.

416 http://www.frauenfrieden.de/unsere-kirche.html (Zugriff: 12.02.2011).

Beim österreichischen Expressionisten Albert Ehrenstein (1886–1950), der jüdischer Abstammung war, wird im Gedicht Flucht nach Ägypten417 Entmythologisierung erstrebt. Zuerst beruft sich das lyrische Ich auf das traditionelle Bild der Heiligen Familie und dann versucht es mit den wahrscheinlicheren Familienverhältnissen zu vergleichen:

[...] Wer Ostens Menschen weiß Und riecht, wie sich Kamelmist

In Wunderweihrauch der Legenden wandelt, Sieht Staubgestalten anders walten.

Denn der schwere Jussuf ritt den wunden Esel, Die Ehesklavin Mirjam folgt

Im Wüstensande wankend, Den andern Wandermännern Schwarzverschleiert [...]

Die grobe Bezeichnung „Ehesklavin“ soll die Situation Mariens in ihrer Ehe ab-bilden. Sie muss mit dem kleinen Kind zu Fuß gehen, während ihr Ehemann den Esel reitet. Ehrenstein versucht sich vorzustellen, wie diese Familie aussehen würde, wenn man sie der späteren von der Tradition aufgebauten Projektionen beraubte.

Es gibt hier keine Spur der vollständigen Harmonie, keinen Ehemann, der nur im Schatten seiner Frau und vor allem des Kindes steht und sich um diese Familie küm-mert, worauf das kulturelle Bild des Heiligen Josephs („das fromme Lied/ Vom Zim-mermann, der Palästina mied“) zurückgeführt wurde. Es ist aber auch sichtbar, dass Ehrenstein die benachteiligte Situation Mariens zuspitzt („Ehesklavin“, „Säugling auf ihrem müdgebeugten Buckel“, das prägnante Bild des schweren Jussufs auf dem wunden Esel). Die Dominanz des Mannes und die Unterwerfung der Frau fallen hier auf den ersten Blick auf. Es muss natürlich nicht vollkommen korrekt der wirklichen Situation der Frau im Judentum entsprechen. Josy Eisenberg versucht z.B. im Bezug auf die Situation der Frau in der Bibel zu beweisen:

Die hintergründige Rolle, die den Frauen zugeschrieben wird, ist eine Konsequenz einer konkreten sozio-wirtschaftlichen Situation und keine Beurteilung ihres Wertes.

Die Frauen sind schwächer als die Männer, eignen sich weder zu schweren Arbeiten noch zur Jagd. […] Aber keiner von den die Frauen betreffenden Texten enthält etwas von ihrer geistigen, moralischen oder intellektuellen Minderwertigkeit.418

Die Entmythologisierung der Situation der vorbildlichen Frau soll die Wahrheit vom Leben mancher anderen Frauen enthüllen. Wenn man das Bild der Heiligen Fami-lie in der Tradition mit dem angeblich wahrscheinlicheren im Text von Ehrenstein vergleicht, wird ein großer Traum und Wunsch der Menschheit nach glücklichen Eheverhältnissen aufgedeckt.

417 Albert EHRENSTEIN: Flucht nach Ägypten, in: Christliche Dichtung vom Barock bis zur Gegenwart, hrsg. von Jürgen P. WALLMANN, Gütersloh 1981, S. 240.

418 EISENBERG: Kobiety w czasach Biblii, a.a.O., S. 38.

Dieses Relationsschema wird in zahlreichen lyrischen Variationen wiederholt. Maria wird im Gedicht Berufung der Frau419 der bereits erwähnten Paula Grogger als Vor-bild für jede Frau präsentiert. Den größten Teil des Textes Vor-bildet die Beschreibung der schrecklichen Verhältnisse in der Welt, unter den Menschen, die einander weh tun: „Es ist der Krieg der Kriege, der nicht endet,/ Wo Gut und Böse sich die Waage hält“. Die Situation ist aber nicht ganz auswegslos, nach der Schilderung der Ge-walttätigkeiten kommt die Erinnerung an Jesus und seine Mutter, die ihre Kraft noch vermehren kann, da sie ein Vorbild für alle Frauen ist. Dem Titel nach ist es auch das wichtigste Problem des Textes:

[...] An seinem Kreuze steht zuletzt das Weib.

Die Heiligste und Reinste ward berufen Und nahm der Liebe frommes Erbteil an, Und viele Frauen folgten ihr die Stufen Zum kahlen Berge Golgatha hinan. [...]

[J]ede kann der Welt das Heiltum geben:

Den Frieden Unsrer Lieben Frau.

Maria wird auf diese Weise von allen Frauen multipliziert und potenziert. Es sind die Frauen, die bei der Erlösung der Welt mitwirken dürfen, sie sollen aber Maria nach-ahmen, so werden sie zu ihrem „Heer“. Sie stehen im engsten Zusammenhang mit den Ursprüngen des Lebens. Der Frau wird hier also eine besondere Berufung, bzw.

Aufgabe zugetraut: „der Welt das Heiltum geben“, sie werden zu Vermittlerinnen zwischen Maria und der Menschheit. Diese Wirkung fungiert hier auch in die Ge-genrichtung und Maria wird hier emblematisch betrachtet. Sie wird zu einem fassba-ren Zeichen, in dem Vorzüge aller Frauen zusammengefasst werden, was gepriesen wird, ist eben die Weiblichkeit als solche und die Berufung auf das Metaphysische soll hier nur der Bekräftigung dienen.

Im Gedicht Gott hat sich zur Mutter420 von Paula Grogger unterstreicht das lyrische Ich die Bedeutung der Frau für die biblische Heilsgeschichte. Jede von drei Strophen beruft sich auf ein anderes Ereignis, das einen Beweis bilden soll: In der ersten ist es die Geburt Christi aus einer Frau: „Gott hat sich zur Mutter die Jungfrau erkoren [...]

Seit jener gesegneten Weihnachtszeit/ Sind alle Mägde im schneeweißen Kleid/ Zu Müttern berufen, zu Müttern geweiht“; in der zweiten Strophe wird es daran erinnert, dass sich Jesus nach seiner Auferstehung den Frauen gezeigt hat: „Zu Ostern tat Er durch Engelmund/ Zuerst den barmherzigen Frauen kund,/ Daß Er von Grabesgrund auferstund“; in der letzten Strophe wird die Anwesenheit Mariens bei der Ausgie-ßung des Heiligen Geistes gepriesen. Paula Grogger ist hier nicht besonders erfi nde-risch, diese aufgelisteten Bibelstellen sind typische Szenen, die zitiert werden, wenn es um die Aufwertung der Frau im Evangelium geht. Das Ziel der Berufung auf diese Exempla ist, die Frau auf ihre Würde und Auserwählung hinzuweisen und direkt: sie dadurch zur Akzeptanz ihrer Stellung in der Welt zu bewegen und sie zu ermutigen.

419 Paula GROGGER: Berufung der Frau, in: Dies.: Gedichte, Graz 1982, S. 28–29.

420 Dies.: Gott hat sich zur Mutter, in: ebd., S. 30.

Die weibliche Marienfrömmigkeit will Erika Mitterer, in ihrem Gedicht Hoffnung421 explizieren, indem sie auf die im Allgemeinen stärkere Religiosität der Frauen hin-weist: „Werden zuletzt nur Frauen/ vor dem Allerheiligsten knien?/ [...] die Männer/

bleiben nach und nach aus“. Die Dichterin glaubt auch eine Erläuterung dieses Zu-stands bieten zu können, nämlich unter Berufung auf die Mutter Gottes, wenn sie schlussfolgert: „Frauen erkennen das Heil/ anders als Männer: sie spüren’s!/ Und sie wissen und danken,/ brauchen nicht zu verstehn“. Die stereotype Einteilung der Art und Weise zu denken bei Mann und Frau wird hier auf die Religion bezogen. Die den Frauen zugeschriebene stärkere Emotionalität korrespondiert mit der besonders stark ausgeprägten Emotionalität des Marienkultus. Laut Mitterer verbirgt die Gestalt Ma-riens eine mögliche Erklärung: „klein, in Windeln verpackt,/ schlief er [Jesus], im Arm einer Frau –// Waren die Frauen einander/ in staunendem Jubel begegnet./ Fühl-ten und lobpriesen Gott im Schoße der einen versteckt...“ In der Gestalt Mariens bekommen die Frauen eine Identifi kationsfi gur, die die Vorstellung einer besonders zärtlichen Nähe von Jesus evoziert. Die Schwangerschaft und Niederkunft der Einen können von jeder Frau nachempfunden werden, darum wird die Sonderstellung der Einen als eine besondere Gnade für das ganze Geschlecht angesehen. Zugleich liegt hier ein Versuch vor, dem männlichen Logozentrismus Hohn zu sprechen, worin man mit Vorsicht postmoderne Züge erkennen könnte.

Das Gedicht Ein Paar Jahre später422 der bereits erwähnten Jeannie Ebner liefert ein weiteres Bild Mariens als einer Identifi zierungsfi gur für jede Mutter. Die titelhaften

„ein Paar Jahre“ sollen unter anderem die Zeitspanne zwischen den Zeiten Mariens und der lyrischen Zeit des Textes decken. Zugleich geht es hier auch um einige Jah-re, die seit dem Krieg vergangen sind, (es weisen darauf noch die „Bombentrichter“

hin). Der überall herrschende Frühling ist hier ein Zeichen der Hoffnung, dass sich die Welt vielleicht doch bessern wird. Der Text ist auf der Idee aufgebaut, dass ei-gentlich jede Frau, die ihr Kind gebärt und erzieht, die Geste Mariens wiederholt, die bereit war, das ihr von Gott geschickte Kind anzunehmen: „Immer fragt der Engel:

»Leben, willst du? Gern?«/ Eine spricht für dich: »Ich bin die Magd des Herrn«“.

Jede Mutter ist eine Person, die diese Entscheidung trifft, dass sie ihr Kind gebären und großziehen wird, es gibt also einen Teil von Maria in jeder Frau:

[...] Maria [schwebt] hinter nagelneuen Kinderwagen.

Mag sie heuer rote Schuh und enge Kleider tragen, dennoch, Licht und Glück der Auferstehungsfeier blaun wie wehende Madonnenschleier

um die Wangen all der jungen Frauen,

die der Unvergänglichkeit des Lebens sanft vertrauen [...]

Das neue Leben, das von den Frauen angenommen wurde, ist eine neue Chance für die Welt. Es herrscht Einklang unter den Frauen, die alle an der Seite des Lebens

421 Erika MITTERER, Hoffnung, in: Dies., Das verhüllte Kreuz, a.a.O., S. 51.

422 Jeannie EBNER: Ein Paar Jahre später, in: Dies.: Sämtliche Gedichte 1940–1993, Wiener Neustadt 1993, S. 41.

stehen. Der Vergleich mit Maria heiligt die Berufung der Frau und vergrößert die Hoffnung.

Im Gedicht Gebet für tote und lebende Freundinnen423 von Jeannie Ebner gibt es eine genaue Angabe „Mariazell im Februar 1987“ und so wie es der Ortsname ver-spricht, wendet sich das lyrische Ich an Maria „bitt’ ich dich, Madonna“. Mariazell in Österreich ist mit einer Million Pilger pro Jahr neben Altötting das meistbesuchte Pilgerziel im deutschsprachigen Raum.424 Es kommt sicherlich nicht von ungefähr, dass ein Gebet für die Frauen vor einer Frau erfolgt. Die Gebete nehmen Rücksicht auf die irdischen Vorlieben der Frauen und klingen ein wenig irrational, weil sie höchst irdisch sind und zum Himmel auf den ersten Blick nicht passen: „Verzeih mir, Madonna, du hohes geistiges Wesen,/ daß ich keine anderen Seligkeiten/ für meine Freundinnen von dir erbitten kann:/ Ich bin selbst noch nicht von der irdi-schen Schönheit genesen“. Das auf den Himmel projizierte irdische Glück zeugt von der starken Verbundenheit, die der Mensch mit dem Menschlichen fühlt, da-rin besteht seine Solidarität mit dem ganzen Menschengeschlecht. Maria hat hier eine ambivalente Stellung, einerseits ist sie eine Frau unter Frauen, die Vertrauen erweckt, andererseits aber als „hohes geistiges Wesen“ gehört sie in eine entschie-den andere Dimension, außerhalb der menschlichen Gemeinschaft. Sie ist also kei-ne Identifi kationsfi gur im vollen Sinkei-ne des Wortes. In der zweiten Hälfte des 20.

Jh. wird diese Pendelbewegung zwischen der Möglichkeit und Unmöglichkeit der Identifi kation immer stärker, wobei es auf die Unmöglichkeit immer nachdrückli-cher hingewiesen wird.

Mit Maria, die nicht so wie andere Frauen ist, woraus man auf die Unfähigkeit schlussfolgert, die Frauen zu verstehen, hat man im Gedicht Marienlegende425 des österreichischen Dichters jüdischer Sozialisation Erich Fried (1921–1988) zu tun.

Es wird hier an die Bibelstelle (vgl. Joh 8,1–11) erinnert: „Wer ohne Sünde ist/ werfe den ersten Stein/ hatte Jesus gesagt/ und alles blickte zu Boden“. Die zweite Stro-phe lässt aber eine Person erscheinen, die ohne Sünde ist – Maria: „Nur eine kleine zähe/ Frau in den besten Jahren/ bückte sich wütend/ und nahm einen Stein und warf ihn“, die Steinigung wird also nicht wie in der Bibel – verhindert sondern vollzogen.

Das Gedicht endet mit den Worten des enervierten Jesus: „Mutter du kotzt mich an“.

Die Szene zeigt deutlich, wie sehr die von der Tradition bekräftigte Auserwählung der Muttergottes zu ihrer Verfremdung führt. Dem Dogma der katholischen Kirche nach ist sie wirklich eine Person ohne Sünde, also es kann ihr nicht vorgeworfen werden, dass sie sich gemeldet hat, als sich Jesus an die Unschuldigen wandte. Ihre Heiligkeit wird aber schon wieder als etwas Unmenschliches gesehen, etwas Men-schenfremdes, wenn nicht Menschenfeindliches. Mit ihrer Reinheit ist sie eine Art Gegenfi gur zu der bekehrten Sünderin und befi ndet sich auf dem anderen Pol. Sie ist zwar ein Vorbild, aber ex defi nitione ein unerreichbares und deswegen entsteht

423 Jeannie EBNER: Gebet für tote und lebende Freundinnen, in: ebd., S. 151–152.

424 Vgl. Antoni JACKOWSKI: Święta przestrzeń świata. Podstawy geografi i religii, Kraków 2003, S. 164.

425 Erich FRIED: Marienlegende, in: Ders.: Fabeln und Ungeheuer, in: Ders.: Die Freiheit den Mund auf-zumachen. Achtundvierzig Gedichte, Berlin 1988, S. 46.

hier eine Feindlichkeit, weil ihre Figur die Frauen nur zur Feststellung ihrer Un-zulänglichkeit führen kann. Schon wieder erscheint hier auch ein Zug des Spotts, Maria ist diese, die die Absichten Christi nicht verstanden hat, sie hat Ihn gestört bei dem, was er die Menge lehren wollte. In der Bibel ist es eine Szene, die warnen soll, die Nächsten zu richten, weil jeder Mensch sündig ist. Im Gedicht von Erich Fried ist diese Komponente verschwunden und die sündige Frau wird gesteinigt. Maria hat also die Lehre Christi verdorben und scheint davon nichts verstanden zu haben.

Erich Fried verarbeitet nicht die biblische Figur Mariens sondern ihr von der Tradi-tion aufgestelltes Bild. Josy Eisenberg bezeichnet die neutestamentlichen Schriften von Paulus als eine Bombe mit verzögerter Explosion, die dazu geführt hat das An-timodell von Eva und das Supermodell von Maria aufzustellen.426 Die existierenden Frauen plazieren sich eher auf dem Pol von Eva und das Bild von Maria wird ihnen als ein unereichbares Ziel aufgestellt.

Deutlich ist die Unmöglichkeit der Identifi zierung im ziemlich hermetischen Ge-dicht bethlehem427 vom österreichischen Autor zahlreicher experimenteller Gedich-te, Ernst Jandl428 (1925–2000), das sich vor einer allzu schnellen Deutung wehrt.

Im Folgenden will ich mich nur auf eine Formulierung konzentrieren, die sich auf die Muttergottes zu beziehen scheint: „du/ dame ohne unterleib/ gefangen im stall zu bethlehem“. Auf eine knappe und beinahe derbe Weise wurde es hier auf die Merkwürdigkeit der Mutterschaft Mariens hingewiesen. Eine Jungfrau, die ein Kind gebärt und dann immer noch Jungfrau bleibt, die keine Begierden des Körpers zu verspüren scheint, ist so seltsam und „un-menschlich“, als ob sie wirklich keinen Leib (und vor allem keinen Unterleib) hätte. Auf diese Weise wird eine scharfe Gren-ze zwischen ihr und dem Rest der Menschheit gezogen. Als „dame ohne unterleib“

kann sie nicht vollständig die menschliche Kondition verstehen. Die Verkrüppelung, die infolge des Sprachbilds „ohne unterleib“ entsteht, führt hier ein Element des Grotesken ein. Die gestelzte Bezeichnung „dame“ fungiert hier auch als Mittel der Verspottung Mariens. Ihre Weiblichkeit wird hier auf eine gewisse Weise bestritten.

Diese Einstellung negiert die Möglichkeit, Maria als Repräsentantin der Frauen auf-zustellen. Mehr noch, als ein un-menschliches Wesen wird sie auf einen Gegenpol zum Menschen verschoben, sie wird zu einer Anderen, zu einer Repräsentantin der den Menschen belastenden Macht.

Elga Sorge (geb. 1940) ist eine feministische Theologin, die dafür bekannt ist, dass sie dazu ermuntert Gott in einer weiblichen Form anzurufen, und hat Gott Vater mit einer Erdgöttin ersetzt. Beinert beruft sich auf ihr Gebet Mutterunsere, das aus einer extatischen Anrufung besteht und eigentlich eine Gegeposition zum Gebet Vaterun-ser einnehmen soll:

426 Vgl. EISENBERG: Kobieta w czasach Biblii, a.a.O., S. 303.

427 Ernst JANDL: bethlehem, in: Ders.: Sprechblasen. Stuttgart 1979, S. 22.

428 Das Familienhaus von Jandl war christlich gesinnt, von der Mutter schreibt Klaus Siblewski „Ihr Katholizismus nimmt in den acht Jahren, die sie diese Krankheit erdulden muß, immer strengere Züge an“

(Klaus SIBLEWSKI: Ernst Jandl: 15 Stationen aus Leben und Werk, in: Klaus SIBLEWSKI (Hg.): Ernst Jandl. Texte, Daten, Bilder, Frankfurt am Main 1990, S. 46).

Heilige Mutter MATER-ia, Du bist Himmel und Erde, Feuer, Wasser, Luft und Geist, die EINE mit vielen Namen, Inanna, Ishtar, Lilith, Eva, Maria,

die ekstatische Verschmelzung von Göttin und Gott, die alles gebiert. [...]429

Es fällt in dieser Aufl istung auf, dass erst Maria in der Kulturtradition als ein mit der Sexualität nicht verbundenes Wesen gilt. Die sumerische Göttin Inanna, die mesopo-tamische Göttin Ischtar und die in der jüdischen Tradition eingebettete Dämonin Li-lith sind stark mit der Sexualität konnotiert und wenn man jetzt auch Eva in der Nähe des Namens Mariens stellt, dann wird sie ebenfalls eher den drei erstgenannten zuge-rechnet und wird Maria entgegengestellt. In einem gewissen Sinne werden sie aber als Verwirklichungen derselben Idee angesehen, sie werden hier alle als ursprüng-lich, als mächtig empfunden. Andererseits gehört zum Lilithmythos das Element der Rebellion gegen den Mann, sie steht für eine starke Frau, die Adam (im Gegensatz zu seiner späteren Frau Eva) nicht gehorsam bleiben will.430 Dies würde erlauben eine Grenze zwischen Inanna, Ishtar, Lilith einerseits und Eva und Maria anderer-seits zu sehen, wobei der Grad der Selbstherrlichkeit den größten Unterschied bildet.

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