XVI. Jahrg. Berlin,den19.gemeint-er1908. zir.51.
Herausgehen
Maximilian Hart-m
Inhalt:
Seite
Reichskaanxrefvrm ...........................421
Hchkppvnstrdb EinBriefVon Matthias Erzbergec ...........429
Musik imVolkskauølxalt VonHaus zumutet .............431
DerVerein gegen Iärm VonTheodor zesfiuq ......... ..437
Branim lVongitzibafkyew .........·.. .........443
Knieigem VonCassirer,gsaguet,Esthgsocdbed .... . ...450
Münchener Geschäfte VonJuden. .... ...-.........451 Unchdruck verboten.
v Erscheint jedenSonnabend.
Preis vierteljährlich5Mark,dieeinzelneNummer 50Pf.
Berlin.
Verlag der Zukunft
WilhelmstraßeZa.
1908.
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Inimit von Herr-NO 38(v.18.-9. 08.)
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woCHENscHRIFT FOR M.Erzberger: Beiträge zur Geschichte
DEUTSCHE KULTUR des 18.Dezember 1906.
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Geizka BRANDESROHH , « ,
DieStimme des Bluts.
unter Mitwirkung von Rene Schlcheles Der Fremde-
HUGO v«HOFMANNSTHAL
Adolf Hess: Briefe Tolstois.
Bruno Buchwald: Börse.
PROBENUMMER KOSTENL08.
Hermann Bahr:
VERLAO: BERLlN W9.
Polsdarnerstrasse 4 Heft50Pf. lluartel 6 M.
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Berlim den 19.Hepkember 1908.
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Reichsfinanzreform
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errSydow isteinMann,derin dieparlamentarischeWeltpaßt.Kein ,- Fachmenschxinlalle Sättelgerecht.UnterstaatssekretärimReichspoft- amt;dannfürdenSorgenstuhldespreußischenKultusministers vorgemerkt (an denderUndenkbarftegesetztwurde,weileinneuer Verkehrsminifterdie Streckefreihabenwollte); jetztslieichsfchatzsekretärDerKaiserhat ihnmerk- würdigfrühundmerkwürdiglautgelobt;weilderKanzlerimTonhoherAn- erkennungvondemVertreter fürsFinanziellegeredethatte. FürstBülowist Wirthschaftaufgabenfremd(stehtihnen,wiePodbielskizusagenpflegte,»als einNovumgegenüber-Mwitterteaberschnell,daßderneueMann dieschwie- rige Sache besserdeichfelnwerde,als dieVorgängervermocht hatten.Das spürtEiner,demsoviele Sorten undKonsortenuntergehenwaren. Freiherr vonThielmann:einmoderner,gebildeterHerr (vondemschonBucherdurch dieSchnüsfelnasegeflüfterthatte: »Derwird maleinFinanzminister!«);zu ernsthaft vielleichtfür unser heiteresRegime; zuraschverekeltvondem Tan- zen,Fiedeln,Kegelschiebenim Wallotbräu.AusihmundmitihmwarEtwas zumachen;nuralsFinderdeshäßlichenWortungethümes»qutimmigkeit«
wirderabernoch erwähnt. FreiherrvonStengel:wurdedemsüddeutschen Centrum in Gnaden bewilligt;einbraver, doch,alserins Amtkam,schon völligverbrauchter Greis,der in Reden-von fchreckenderLängebewies, daß Regen dieStraße nässe,undnun vorJnterviewernstöhnt,ersei eigentlichein Haupt-undStaatskerl gewesen,VornehmerPatriot: sonenntmanseit Chlod- wigs Spalierzeitdie als NietenerwiesenenWürdenträger-.Wer konntenun kommen? HerrWiegand,Seiner Majestät ewigerKandidat, wollte,trotzder Schiffahrtkrisis,nichtso dichtandenKaiserhof. HerrWaldemarMüller,Ge- heimerFinanzrathunddochgescheitundflinkzumAssoziiren,fanddie Ar-
Zi-
422 DieZukunft.
beitfürdie DresdenerBank interessanterundwollte dieHoffnung,einst,mit oderohneGutmannjunior,nebenderKatholischenKirchezuthronen,nichtder Sorge fürs nochimmerRömischeReichDeutscherNationopfern.EinBank- mann, meintederklügsteMeister derZunft, taugt überhauptnicht fürEuren Kram;verstaubt, auchwenn erwasimHirn hat, zwischendenAktenwie ge-
,füllte EhokoladeimSchaufenster herbstlicherBadeorte. UeberHerrnDern-
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burg (der, seitdiePosederUnmanierlichkeitnicht mehr Genieruhm sichert, denwürdigenaltenBeamten mimt) istman obenso ziemlicheinig;möchte ihn nicht,wiedieDarmstädtererlebten,aufein neuesFeld rufen, ehe aufdem altenseineSaat aufgegangenist, noch demReich schonjetztdieFirnißglorie vonDifferdingenundHeldburgbereiten.Blieb Herr Twele,derUnterstaats- sekretär.Sehrtüchtig;dochimVerdacht,Centrnmsleuten dasVorschußge- schåftErnis,desUnvergeßlichen,ausgeplaudertuud auchsonstmit denSchwar- zenfraternisirtzuhaben(freilichinderpraeblockischen,nunschonfern scheinen- denZeit, daHerrSpahn nochunsereschöneWeltregirte,Heerernburgdas An- ticentrumsplänchenseinesVorgängersnochnicht,nachalterGewohnheit,mit anderenPapieren»zusammengelegt«hatteundderKanzlerHerrn Roerenfür schätzenswertheKolonialanregungeninnigdankenließ).Jetztmußteohnedas CentrumGeldgeschafftwerden; vielleichtgegen denWiderstandderfrüheren Freunde.Dabrauchteman Einen,dernie imTechtelmechtelwar. Twele ade (baldwohl auch:a.D.)..HerrSydow standaufderLiftederMinistrablen;in desKanzlersNotizbuch,aufdasdieAbgeordneten,wieKinder vorderWeih- nachtaufheimgebrachtePackete,inhoffender,zitternderAndachtschielen.Sy- dowherbei!(GounodsFaust; ersterA·kt.)DieVorträgedrückensichhübschins Gehör.EinlangedirektUntergebener,dersich,,empfangen«läßt,nichtdas (aus. derModegekommene)VerhältnisssderKollegialitätheischtund,als aus anderem RessortBeförderter,nicht,mithöflichdieUeberlegenheitverlarer- demLächeln,vonseiner Erfahrung undSachkenntnißsprechenkann.Einer, derweiß,woraufesankommt. Daßman fürden(ausMiquels Masseüber- nommenen)pomphaftenNamen ,,Reichsfinanzreform«schließlichauchEt- wasbraucht, daswieeinInhalt aussiehtunddieGemütherfesttäglichstimmt, daß siedieLastneuer Steuern leichter tragen.Der imReichstagssaaljeden Winkelkennt,dieBedürfnisseundWünschejederFraktion,und,weilersichdie minores gentes nichtsoweitvomHals hieltwieeinrichtiggehenderStaats- sekretär,diescheneEhrfurchtvordemDiätarientroßlängstverlernthat.Schöp- fergedanken?Noch nichtsichtbar;auch nichtnöthig;könnten zumonus wer- den.AberMitgliedeinesAlpenvereins(DasifteinbesondererTypus);wenn dasGerüchtnicht trügt,sogar VorsitzendenSehtJhrihn,hörtihnnun? Der
Reichssinanzresornr 423
bringtAllesinOrdnung; hat stets,,großeGesichtspunkte«undbleibtdennoch gemüthlich.»UnserSport drängtsichnichthervor,istaberwahrlichkeinun- wesentlicherTheil vaterländischerArbeit-«(Ungefährso; jedenfalls: ,,wahr- lich.«)Immer sidelundaufallgemeineHeiterkeitbedacht-;sagt,wenn die Geistermal zuhart aufeinander prallen: »Herrschaften«(odergar:»Kin- nings«), ,,seidfriedlich!«Undhatdrum auchbei denborstigstenVereins- anarchisteneinen dicken Steinim Brett. AlsPostmann mußteerdie(gegen PodbielskisVersprechenbeschlossene)ErhöhungdesOrtsportosvertheidigen.
SchwierigeAngelegenheit.DieAbschaffungderblauenKarte und desFünf- psennigbriefesärgerteJeden;undmancherVereinsgenossehatte wohlge- spottet: »IhrseidschöneKerls!Erst,alsJhrdiePrivatpost verbietet,heißts, dieErhöhungdesNahverkehrsportosseiausgeschlossen,undnun erhöhtJhrs doch.«Ausgeschlossen,sprichtderUnterstaatssekretär(auchimReichstag), solltenur dieErhöhungohneZustimmungdesHohenHauses sein.Dasver- steht sich«dochimmervonselbst,denkendiezumBundesrathBevollmächtigten unddie in der Runde assistirendenGeheimen Räthe. »OhneZustimmung desReichstagesist nichtszumachen.Läßtersichsbieten? Donnerwetter: der Mann kenntseineLeute!« Kenntsie wirklich·Hatsievorher durcheinenWitz zu Mildegestimmt.»Die Post ist nochimmerdieHenne,die unsgoldene Eierlegt,undichglaube,daßunsdurchrationelleFütterunggelingenwird, dieseEiernochzuvergrößern.«HeiterkeitaufallenSeitendesHauses.Dann einunverbindlicherAusdruck derHoffnung auf späterePortoverringerung.
Alles inOrdnung. So gehts. Boetticherredivivus?
Vielleichtmehrals derallbeliebteBanalredner;vielleichtweniger.Un- handlicheGedankenbarreningangbareMünze ausprägen: dazubrauchtman heuteKeinen.(Nichtandenfür solchePrägerarbeittauglichenMännernfehlts;«
andemAnderen.) GesuchtwarEiner,derGeldschafft,dieOldenburgund Pachnicke,HeylundNaumann nocheinmal untereinenHutbringt,fürfünf JahredieReichsbilanzhalbwegserträglichmachtunddasDingso dreht, daßesim(nnwahrscheinlichen)NothsallalsWahlparolezubenutzenistDenn derKanzlerhat aus halberundganzerHöhe,inderHeimathunddraußensoviele Feinde,daßselbsteinesonsthinnehmbareNiederlageseinestrategischeStellung argschwächen,denGlanz seiner annäherndviceköniglichenExistenzbleichen müßte.Vaevie-lis?Dasgiltnur vonDenen,dieihr SchicksalanPraestigia gehängthaben.Weh Dem,dersiegenmuß,umauf seinemPlatzweiterleben zu timnenl Nochist,in unseremFall,derSieg beinahegewiß.Sydow ist Favorit undgehtglattdurchsZiel;mögenanfangs auchdie-Hindernisseunüberwindlich scheinen:·geradesohatersundhatesderKanzlergewünscht.Wenneine Vereins-
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-424 -DieZukunft.
kasseleeristundderSchatzmeisterdieHänderingt,rückt einklugerPräsident dieSachezunächstunterden»großenGesichtspunkt-«(hohekennternicht;nur
große).,,KurzsichtigesUebelwollenhatvonGeldnothgesprochen.Nicht hier imSaalnatürlich,wosolchesMißgefühlkeineStättefindet.Handelt sichsdenn umGeld?Nein,meineHerren; Ordnungbrauchenwir undstetigeMehrung unsererMachtmittel,diewahrlichnurbestimmt sind,dieEntwickelungdes ge- meinenWesenszufördern.«Vorher haterdieWunschzettelausdenletztenJah- ren durchgelesenunddenHauptpostulaten Erfüllung verheißen.Ob die zu sichernist?JhnplagtkeinZweifel·»Woein Willeist, daist aucheinWeg.So kannsnichtweitergehen.WirmüssenunsandiebestenUeberlieferungenaus großerZeithaltenund denBlick wiederaufsGanzerichten.«So wirdsgemacht.
UeberabgeweideteGemeinplätzegalopirtderLieblingdesVolkes ansZiel.
LastJhrinderNorddeutschendieReformanzeige? FamosHalbEvan- gelium, halb Gründerprospekt.Neue Steuern? Nebensache.,,UmfassendeRe- organisationdergesammtenFinanzgebahrung«:dahabtIhrs;habtden ge- suchten,,großenGesichtspunkt«.Himmlischgroß.DerselbeMann,dervor ein paarMonaten,weilerauch aufdenvonDezernentengeliefertenKrücken noch nicht durchsein Ressort humpeln könne,vom ReichstagUrlaub erbat, reorganisirtheute schondiegesammteFinanzgebahrung·Einstweilenauf ge- duldigemPapier;abergründlich.Hört!Wenn dieAusgaben(»systematisch«) auf dasunbedingtNothwendigebeschränktunddieEinnahmen(»planmäßig«) erhöhtwerden,kommtAlles inOrdnung.Und wenns regnet,wirdesnaß.Re- organisation,meineHerren!Wirmüssen,erstens,dieReichsschulden(,,stetig«) tilgen.DaswirdaufeineUmbuchunghinauslaufen. Kind, sprichtderGe- bieter zurEhegefährtin,»wasDu imvorigenQuartal mehr verbrauchthast, werdeichinRaten vomWirthschaftgeldabziehen«.Erthuts;undsie läßtdie Schlächterrechnungunbezahlt.Wirmüssen,zweitens, »aufdiebewährten GrundsätzealtpreuszischerSparsamkeit zurückgehen«.Diese Rückkehrwird seit zwanzigJahren stetig empfohlen,planmäßigversprochen,systematisch vorbereitet. Wattenur: baldeerlöstderProspektmessiasunsvondemUebel schmählicherVerschwendungDennverschwendethaben wir,wieHansLü- derlich.Dastehts;zutheuergebaut,zu viele Beamte gehalten,dieSorg- faltdesordentlichenKaufmannesversäumt,das»bureaukratischeSchwerge- wicht«(reitendeArtilleriekaserne;lichtvollerHistoriograph) mitgeschleppt undzwischenWünschenswerthemundNothwendigem nichtstrenggenugun- terschieden.Dastehts;in eineroffiziellenBotschaftanDeutschlandsBür- ger.Wenn eineneue Regirungso spräche,wäreeszubegreifen.Aber die alte?Ja,liebeLeute, ists so,wieJhrindieserSelbstanzeigesagt,habt Jhr
Reichssinanzresotn1. 425
wirklichso lüdrianischgewirthschaftet,dannsoll Euch,mit allerschuldigen Ehrfurcht,derTeufelholen.Jhrbereut undwolltEuchbessern?Nurinschlech- tenTheaterstiickenändertsichderCharakteralterMenschen;undverliehen kannEuchein neuer,daJhrdieExcellenzschonerlangt habt, auch nichtmehr werden.WennEuerBankier, Jnspektor, Küchenchefgestehenmüßte,daßer
JahrzehntelangEuerGeld, sauer erspartes, vergeudethabe:würdetJhrden Schä·dling,weilerBesserungverspricht,imDienstbehalten?Wirsollens;
obwohl Jhr Euchwimmernd derSchädigungöffentlicherInteressen schul- digbekennt.Aber das ganze GeredeistamEndenichtgarso ernstgemeint;
nur wieTolstois, nichtwieRaskolnikowsSelbstbezichtigungDerBauprunk war nirgends größerals imPostbereich:undHerrSydowhat (leisewein- end?)die Modemitgemacht.JnmanchemBureau mag Einerentbehrlich sein;dochbei demVersuch,ihn abzusägen,werdetJhrmitjeder Behörde bisaufsMesserzukämpfenhaben.WenndiePersonalknaufereidenJahres- haushalt auchnur voneinereinzigenMillion entlastet, istsschonungeheu-
er. DasdünktEuchderErwähnungwerth?Darum wolltJhrpflichttreue Männer aufdieStraße setzenunddemStaat Todfeinde züchten?Selbst- täuschungoderTrug:mithöflicherEntschiedenheitverbittenwirs.Die win- zigsteAenderungderSchiffbautechnikverschlingtUnfummen.Vor derrothen KantevonHelgolandwird einTorpedoschutzhafengeschaffen,dessenKostenauf fünfunddreißigMillionen veranschlagtsindundwahrscheinlichhöherwerden.
Kiautschouhatunsnur eineneueReibungflächegebrachtundist imkleinsten Konfliktstll nichtzuhalten;rechnetnach,wievielRetchsgelddrinsteckt.Jn denWüstenvonSüdwestafrikasind sechshundertMillionenverscharrt.Bleibt uns mitLäppereienalsovom Leib.Der,,Beamtenapparat«(da Jhrdas scheusäligeWortnuneinmalliebt)wirdnichtwenigerGeldfressen,sondern mehr.Vielmehr;denn ceterum censem derBeamtensoldwird den Be- dürfnisseneinerZeitangepaßtwerden,in dereinfähigerjungerPraktikeroder ProfessorJahreseinnahmenvonfünfzehntausend,zwanzigtausendMarker- reicht,oder dem Staat wirdnurderBodensatzbleiben· Mit demHeer dieser UntauglichenoderHalbinvaliden,dieimEinzelkampfumsDascin nichtszu erstreiten vermöchten,wolltJhrdanndieReichsverwaltung modernisiren?
Hundertmal habenwirdieVerheißunggehört;zuletztausdemKolonialamt, woderBureaukratismus nunweiterreichtalsje vorher. (DaßderChefden DezernentendieAktenabfordert, siebeisichliegen läßt und, währenderfür seinRuhmgeschäftreist,zuHausdie ganzeMaschine stillsteht, ist nochkein ZeichenmodernenBetriebes.)AuswelcherErfahrung wuchsHerrn Sydow dieKraftzusolcherOrganisatorenleistung?WelcherRechtstitelgiebtihmdie
426 DieZukunft.
Vollmacht?EristdemKanzlerunterstellt,demKollegenderbundesstaat- lichenMinister (diealsoaucheinem mitdemMinistertitelgeschmücktenStaats- sekretärstetsüberlegensind),undhatin kein anderesRessort hineinzureden.
WerfürdenReichsschatzsekretärdasheutedempreußischenFinanzminister zustehendeEinspruchsrechtfordert,willdieReichsverfassungumstülpen.Die GewaltdesHerrnSydow langtnichtbisüber dieStraße. Dochwenn siezehn- malgrößerundihrJnhaberinorganisatorischerArbeitso erfahrenwäre wie HerrWallichvonderDeutschenBankoderHeereutfchvon derAllgemeinen Elektrizität-Gesellschaft:dieWurzelnderBureaukratie würdensoleichtnicht gelockert.DuldetkeinAktenstück,nur Geschäftsbriefevon erträglichemUm- fang; mehrt dieKompetenz,dieVerantwortlichkeitundBeförderungmöglich-
keit desEinzelnenundentsagtdemAberglaubenandieHeilwirkungdesJn- stanzenzuges;laßt mündlichverhandeln, telephoniren, stenographirenund diebestenMännersovielreisenwieBankdirektoren inderZeitderAbschluß- sitzungen;sorgt,daßeineFensterrahmenslickereinichtmehr Zeit, Papier, Hirn- schmalzkostealsinderJndustriewelteinMillionengeschäftunddaßein unge- wöhnlichBegabter nichtinderHeerde aufdasAussterbender Vordermänner zuharrenundseineJugendkraftzuvertrödelnbraucht.Danngehtsvielleicht;
einMenschenalter emsiger,voneinem(imSinnGoethes)baumeisterlichen Kopf geleiteterArbeitwirdimmerhin nöthig sein.Weisso nebenbei,mit schönenReden,zumachenwähnt,ahntnicht,waserzu wollenwagte.
Thut nichts:dieReformanzeigehatgefallen.Stoff fürdieSchreiber.
Fürdie blockirtenRedner die»großenationale Aufgabe«,ohnedieselbstdas vonTaggeldgefristeteLebenverarmen müßte.EndederSchuldenwirthschaft, Sparsamkeit, Merkantilsyftemin derVerwaltung:dasHerzdesLiberalen hiipstbeimHall solcherWorte.AusdenevangelischenProspektfolgtdieVer- kündung-,daßdieFahrkartensteuerabgeschafft,dasNahverkehrsportoherab- gesetztwird, alsodie taubenBlüthenvom Stengelfallen.Dasist (in jedem Sinn)billigundfreutauchdieReichen.WelcherZustand aber,wenn das 1906 auslangwierigenKämpfenErbeutete1908wiedeiherausgegebenwerdenmuß! SolcheBedenkentrüben dieguteLaune nicht.Auch dieBetheuerung, daßnicht dasGewerbe, sondernderKonsumbesteuertwerdensolle,reiztdie Gallekaum.
(Alsobnichtauchdie demGewerbeaufgebürdeteSteuer derKonsum tragen müßtezalsobHerrMossedieAnnoncensteuer,HerrSchöllerdieTantiemesteuer, wenns dazu käme,bezahlenwürde.Plectuntur Achivi.) Daßnunauchdas Licht besteuertwerdensoll,könnteschoneherärgern.Vereinsbrüder,diehöheren Beitrag leisten sollen,ködert derschlauePräsidentmit derVerheißungnie noch erlebterFestfreude.Hier?DieElektrifizirungderEisenbahnenwird ge- radejetztinNahsichtgerückt,derKursderElektrizitätaktiensteigtinSprün-
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Reichsfinanzreform 427
gen,derBesitzerverlerntdasScheltenundderZuschauerdenkt,eineJndustrie, diesolcheGoldbergevorsichhat,könnefiirsVaterlandeinBischenblutenFällt ihr natürlichnichtein. Wirmüssen,ArmundReich,dasLichtausdem Gas- rohrundderElektrizitätleitungversteuern,dasunsin achtvonzehnFällenAr- beitermöglicht.DerFabrikant,Gastwirth,Händler,Schauhausbesitzerschlägts aufdenVerkaufspreis seiner Waare;inderPrioatwohnungknickertman am Lichtoderknirscht,weil dasunersättlicheReichdiezurArbeit nöthigstenMit- tel anknabbert.Eineunklug erdachte,unzeitgemäßeSteuer.Dienichteinmal Beträchtlichesbringen wird;denndieBayernhoffnung aufdieerwachsende Wasserkraftindustriemußgeschontwerdenund dasLichtalleinkann,beileid- licherAbgabepflicht,dieKassennichtfüllen.UnddieAnnoncensteuer?Diegalt imReichsschatzamtbisheralsunergiebigund wardjetztwohlnur fürs Par- teiengeschäftausersehen.Sind dieAgrarierfürden,,weiterenAusbau der InstitutionderNachlaßbesteuerung«einzufangen,danntröstetman siemit derAnnoncensteuerundähnlichemLutschbeuteltand;bleibensiestörrig(wie zu erwarten ist:denn derGutserbe,derVerwandte abfinden muß,kann die SchmälerungdesihmvondenElternHinterlasfenenfastnieertragen),dann istderVerzichtaufdieBelastungdesReklameverkehrsdaseinzigeWürzmit- tel,dasdenFreisinnigen (ohnedie im Blocknichtszumachen ist) ermöglicht, die anderenSteuerbrocken,trotzderProgrammvorschrift,herunterzuwiirgen.
Herr Sydow paßtinunsere Parlamentarierwelt.Oberwirklichan SparsamkeitundModernisirungglaubt,wirklichentschlossenist,eineReichs-
geldvergeudungnichtim Amtzuüberleben,muß sicherst zeigen..Sicher ist, daßerdieForderungdesTagesvernommen hat:Von einemParteienpool, demkeinpositiverGedankegemeinsamist,sollstDuGeldschaffenzsonstsinkst Du insNichts. DeshalbdiekünstlicheGehäusfügungund derLockrufzur ,,ReorganisationdergesammtenFinanzgebahrung«(diederEntposteteeigent- lichdocherst durchausstudiren müßte,bevorerdenUmsturzverspricht).Sonst wäre dieGeschichtesolangerRede garnichtwerth.WeilDeutschlandfünf- hundertMillionenbraucht,wird einJahr verschwatzt?Diegietheutschlands Volk imVerlaufvonsechsWochenja fürBieraus. Werbei uns aufdie Suche nachSteuerobjekten ginge,wärenachein paar StundenamZiel.Bier undBranntwein könnten denReichsschmerzschnellstillen;einePfennigsteuer nochvomLiter:undallesWeh weicht.Der kleineMannmit denschwachen Schultern?Wahlflansen.Dasöde,leidenschaftlose(Sankt Sydow dürfte, diesmalmitRecht,sagen:dassystematische,planmäßige,stetige)Sauer verdirbtdieRasse.Der kleine MannsollseinenWochenverbrauchum drei FlaschenBier undsechsSchnäpseverringern:dannbleibtnochgenug; noch zu viel.NachdenRauschtränkenderTabak. DerUnverstanddermit briti-
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428 DieZukunft.
scherExportmilchgenährten,,Volkswirthe«(dieihrVolk niebewirthet noch
.je gemerkt haben,warum EnglanddasjungeReichnicht quohlstandkom- menlassenwollte) hatBismarcksMonopolplänevereitelt. Daswarinun- sererWirthlchaftgeschichtederschlimmsteFehler;ein nie zutilgender:die zur AblösungderPrivatbetriebenöthigeSumme wäre kaumnocherschwinglich.
AlsodieMasseneinJahrlangmitruhigerEindringlichkeitvorbereiten;
dannBrauer, Brenner, Tabakleute, Händler,Wirthefiir vierzehnTagezur
Jnteressenvertretungberufen: »Wir brauchen fünfhundertMillionen;über- legt,wiesie aufdemEuchbequemstenWegindieReichskassezuholen sind, undbeschließtamvier-zehntenTagmitStimmenmehrheit; nicht,ob undwo- herwirsbrauchen(Das istbeschlossen),sondern, welcheArt derBesteuerung Ihr,wenns sein muß,empfehlt.«Caesaren, Demagogen, schwacheRegir- ungenaller Sorten scheuensolchenSchritt; schonweil derWirthundderCi- garrenhändlerderbeste Agitator ist.Bei unswäre dieSache ohnedasCen- trum, dieeinzigeReichspartei,diein Nord undSüd, OstundWest Massen- anhang hat, nichtzumachen;und dasCentrumistfroh,wennesnichtmitsol- cherZumuthunginseineWahlkreisezukommenbrauchtWas bleibt?Direkte ReichssteuernlehnendieBundesstaatsregirungenab;unddasReich isthinter denpreußischenGrenzpsählenheute nicht so beliebt, daßesnach der undank- barenRolledesSteuereintreiberslangendarf.Nothstandszuschläge,nachbri- tischemMuster?DasEinfachstewäreesschließlichnochDemBlockabernicht abzuschmeichelnDerFreisinnsphilistervermagviel.Diesgingeüberseine Kraft. Schade.Der,,beweglicheFaktor«,derfürdieReichsrechnungersehnt wird,wäredaohnebesondereMühegesichert.NunsollausdembreitenPhra- senbach,dem dasBettgehöhltward,dasNothwendigesachtzusammensickern.
DasheuteNothwendige.Uebermorgenwirds vielmehr sein:und das Spiel fängtvonvorn an. Wirrüsten,als wolltenwirnächstenDonnerstag dieWelt erobern,undsagen morgens, mittags, abends, daßwirdesFriedens friedlichsteWächtersind.»Reorganisirung«;»RegenerirungderFinanzen« (heißtsaneiner anderenStelle);pomphasteWorte.DiehellerinsHorcher- ohrklingenalsFaustensSeufzer:»Ichhabemichzuhochgebläht!«EinHaus- halt,öffentlicheroderprivater, ist nurgesund,wenn dieAusgabenzudenEin- nahmen stimmen.WennderHaushaltersagt: »Dashabeichübrig,kannsalso ausgeben«; nicht: »Das braucheich,mußesalsoeinnehmen-c Sydow herbei! DerOelzweigwehrtdenbösenNachbarnichtab;winktihneheranunsereGrenze.
KrieggegeneineKoalition,dieunslangenichtzueinemHauptschlagkommen, WirthschastundKreditdesReiches versiechenläßt« Jst fürdieReichsfinanzk mobilmachungsicherervorgesorgtalsmitpompösvettönenden Worten?
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Schöppenstedt. 429
Schöppenstedt.
Ed- geehrter Herr Harden,imVertrauen auf Jhremirbekanntetoletante ZE- Gesinnungkomme ich mitderBitte,den Lesernder»Zukunft«das Nachstehendeunterbreiten zuwollen.
Das guteStädtchenSchöppenstedtinBraunschweig mußleiderwieder dafür herhalten, daßdiedrolligen schöppenstedterFälle nicht aussterben;dies- malhandeltessichaberumeinernstesGebiet: um dieFragederFreiheit derReligion.Doch dieguten Schöppenstedtersind nicht schuld,wenn ihrOrt indenRufdergrassestenJntoleranzkommt,sonderndieSchuld trifftdas braunschweigischeStaatsministerium JnderStadt unddemAmtsgerichts- bezirkSchöppenstedtwohnen nachderletztenVoltszählung880Katholiken,zu denen imSommerviele katholischeErntearbeiter kommen.Jm Jahr1892er-
suchtediekirchlicheBehördezumerstenMalum dieGestattung katholischen GottesdienstesinSchöppenstedt.DasGesuchwurde abgelehnt. Unerträglich istscho«n,daßesüberhauptnocheinesGesuchesbedarf,davomStaat keinerlei Leistungen beanspruchtwerden. DieZahlderKatholikennahmimmer mehr zu,so daßdiekirchlichenOrganeinihrem Gewissen verpflichtetwaren, die Gesuchezu erneuern; soauch1905. DiebraunschweigischeRegirungrichtete daraufandenprotestantischenStadtmagistratzuSchöppenstedtdieAnfrage, obfürdieAbhaltungdeskatholischenGottesdiensteseinBedürfnißvorhanden sei;die Antwort fielverneinend aus. SelbstzahlreicheProtestantenwaren daroberbittert;46protestantischeBewohnerderStadt sprachen öffentlichihr Bedauern über die Antwort aus. Das Gesuchwurde wieder abgelehntund imLandtaggarmitfalschenZahlendieseHaltungzurechtfertigengesucht. Jm Frühjahr1907hatdaszuständigePfarramtinWolfenbütteldasGesucher- neuert;erstimHerbsterhieltes(alsomitbemerkensweither Schnelligkeit)die Antwort, daßdas Psarramt,demheute dieSeelsorgeobliegt,zurStellung eines solchen Antragesgarnicht zuständigsei.Amdreizehnten März1908 stellte deshalbdiebischöflicheBehördedenselben Antrag; allgemeinrechneteman damit,daßam OsterfestderersteGottesdienstinSchöppenstedtstattfinden könne. Aberman hattedieLangsamkeitderbraunschweigischenBureaukratie dochgewaltig unterschätztzdennerstamfünsundzwanzigstenAugust1908gab dasStaatsministerium derbischöslichenBehördediefolgendeAntwort: ,,Nach- demHöchstenOrtesgenehmigtworden ist,daßfürdie inBetrachtkommenden
-Angehörigenderdortigen Tiözese alljährlichanvierdortseitszuBeginneines jeden Jahres vorzuschlagendenSonn- undFesttagen durcheinenwolfenbütteler GeistlicheninSchöppenstedtodereinembenachbartenOrteinGottesdienstab- gehaltenwird,setzenwir EureBischöflicheHochwürdenhiervon aufdasgefällige Schreibenvom dreizehnten März diesesJahresergebenstinKenntnißundsehen Vorschlägenhinsichtlichder(zunächstfür1908)auszuwählendenTage sowiedes