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Die Zukunft, 9. August, Bd. 40.

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Academic year: 2022

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Berlin, den 9.August i902.

f J -:Y Is-

LöhningsLeiden.

Blutroth

war dieHerbstsonneimWesten untergegangenundwie eine

s Warnungvornahendem Unheil leuchtetederletzteScheindesschei- dendenTagesgestirnes nochvomHimmelherabRüstigenFußesaberschritt, ohne Sorgenfurcheim reinen, tapferen Herzen,einehoheMännergestaltdurch dieStraßen derProvinzialhauptstadtPofen.EinkräftigerHerr,dersichun- gebeugt anschickt,inssechsteLebensjahrzehntzutreten. SeineMitbürger liebenihn;dennoft mußerauf seinem GangedenHut lüften,um freund- lichem,ehrerbietigemGruß Begegnenderzu danken.Offiziere sinds,Beamte undwürdigeJsraeliten,dieinernstem GesprächHalt machenund mithef- tigerGebet-de des WortesWirksamkeit steigern.Und Allegrüßendenstatt- lichenHerrnundJedemdanktaus treuem AugeeinleutsäligerBlick.Auch die Kinder kennenihnundpolnischeKnaben sogarziehendieMütze,wenn derGeheimeOberfinanzrathundProvinzialsteuerdirektorLöhning-vorüber- geht. Sonst sindSteuerbeamtenichtgerngesehen;eraberhat ringsum soviel Liebegesät,daßderFluchdesAmtesvonihmgenommenist. Frohbedenkters imSchreiten; docheinSeufzerstiehltfichausderBrust:DersovielLiebegab, isteineinsamerMannundkeines WeibesZärtlichkeitschmücktihmdasLeben.

ZweiFrauenhaterbegraben,dieKindersindlängstherangewachfenundnoch immerwilldesHerzens,derSinneTrieb nichtentschlummern, nochimmer sehntderGreisende sichnachWeibes WonneundWerth.-Nichtganzso heiter mehrtrittdergläubigeKatholikin denSaal,woseineGlaubensgenossenein Fest feiern.Datrifft ihnderLiebeheiliger Götterstrahl,derin dieHerzen schlägtundzündet.Ersieht Fräulein Coccius;undklaraufeinmal fühlt

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ersinsichwerden: Dieistesoderkeinesonst aufErden. Der Vaterdes MädchensistRegirungsekretär,alsonurSubalternbeamter;wann aberhätte einentflammtesHerzje nach RangundStand derLiebstengefragt?Re- girende FürstenundFürstensöhnehaben Kleinbürgertöchtergefreit;und ein Rath zweiterKlassesollte nichtumdashübsche,tugendhafte, wohlerzogene KindeinesSubalternen werben? DerGeheime Oberfinanzrath suchtdie ehrenwerthe Familie öfter auf, geht,um mitdemFräuleinzuplaudern, sogar aufdieEisbahnundverlobtsichimHornungderErwählten.Vier Tage danachverkündet ers,»statt besonderer Anzeige«,in denZeitungen.

AußerdemOberpräsidentenund demPolizeichefgratulirenallehohenCivil- beamtenzdie Generalitätbleibtstumm.Als dieSteuerbeamten vereintihren Glückwunschabstatten, erzähltderVorgesetzteihnen ausführlichundzärtlich dieGeschichteseiner spätenLiebe.Inzwischen hatererfahren, daßderVater seinerBraut früherFeldwebelwar unddaßdie ältereTochterdemSohn einesSteuerrendanten vermähltist,derunter üblenUmständenausdem Dienst gejagtwerdenmußte.DieEnthüllung ist unerfreulich; fürdenhöch- stenLeiter derProvinzialsteuerverwaltung besondersdieallzu naheVer- wandtschaftmit einem bemakeltenSteuerbeamten. Dasgroße,nach langem Sehnen endlich erreichteGlück aberläßtkein Verliebter sich durch solche.

Widrigkeit zerstören.Aergernißwirdsgeben,aberderMuthige zagt nicht;

undimschlimmstenFallkann derMinister ihn janur in eine anderePro- vinz schicken,wosichsbesserlebtals im dürrenOsten. Zwarwill dieSitte, daßman denVorsatzzu einerAenderungdesPersonenstandesvorderAus- führungderCentralbehördemeldet.Nicht jedeSitte aberistbindendesGe- setz.DieCentralbehördewürdewahrscheinlichabmahnen;derMinistermag, wenn ervordervollendetenThatsache steht, seinen Entschlußfassen:ent- lassen,zurDispositionstellenkannerdenBräutigam nicht.Derstehtmit ungebrochenemRückgrataufdemBodendesRechtsundsiehtgeruhigdem WaltendesSchicksals entgegen. AuchhatdieFraudesOberlandesgerichts- präsidentenihmundseinerBraut gesellschaftlichenSchutz zugesagt.

DieFraueinesOberlandesgerichtspräsidentenvermagviel; dochihre Machtendet in derMinute,woeineExcellenzdie Stimme erhebt.Zehnglück- licheTagewaren seitdemMorgen verstrichen,derdieVerlöbnißkundeindie erwachendeStadt trug:dalag aufdemSchreibtischdesProvinzialsteuer- direktors einDienstschreiben,dasihm meldete,derPersonaldezernenteines königlichenMinisteriiderFinanzenwerdeihmamnächstenTageeineamtliche Mittheilung bringen.Erkam.ZweiGeheimeOberfinanzräthesaheneinander

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LöhningsLeiden. 219 insMännerauge.DerausBerlinhuban: »Der Minister zürnt Ihnen;

erstenswegenIhrer Verlobung,die Sieihm nichtvorderPublikationan- gezeigthaben; zweitens,weil SieihmvorIhnen untergebenenBeamten keckdasRecht bestritten haben,SiezurDispositionzustellen; drittens,weil SievordenselbenHörern häufigdiePolenpolitikderStaatsregirung ge- tadelthaben.ErempfiehltIhnen, ohneSäumen diePensionirungzuer- bitten. Der Generaldirektor derdirekten Steuern undichkönnendiesenRath Seiner Excellenz,denwirfüreinenerster Klassehalten,nur unterstützen;

SiehabenVermögen,sinddanneinfreierMannund wirhoffen, Ihnenden RothenAdlerZweitermitgebenzukönnen.«EinSchlagausheiteremHimmel.

DerProvinzialsteuerdirektorerklärte,erbehaltesichdie Antwortnochvor.Am nächstenMittagwurdeerzumOberpräsidentengerufen.Derwar nicht feierlichbureaukratisch, sondern rückhaltlosoffen;jeder Zolleinkerndeutscher Mann.,,Jhre Aeußerungenüber diePolenpolitik«,spracher,,,könnenIhnen nichtdenHals brechen.Aber dieVerlobung machtSieunmöglich. Gegen diePersönlichkeitJhrerBraut istnichts einzuwenden; dochsieistdieTochter einesfrüherenUnteroffiziersvon denhier garnisonirendenSechsern.Der ChefeinerProvinzialverwaltungundeineUnteroffizierstochter:Dasgeht nicht.DerselbenMeinung ist auchderKommandirende General. Diein unseren Kreisen herrschendenAnschauungenwaren Ihnen bekannt;wollten Sieihnen nichtRechnung tragen,dannmüssenSieebendieFolgen aufsich nehmen« Jetzt ists also heraus: dieVerlobung,dieErkürungeinesschlichten KindesausdemVolkegiltinBerlin alsVerbrechen.Undsolchemmittel- alterlichenVorurtheil solltederMann mit demsteifenRückgratweichen?

Niemals!HochhebterdasHauptund erklärt demPersonaldezernenten,er werdenichtseinePensionirungerbitten· DerziehtnunandereSaiten auf. Zwei Zeugen,derenAussage schonprotokolirt ist,einGeheimerund eineinfacher RathausdemSteuerressort, bekunden,derVorgesetztehabedurchherbenTadel derministeriellen PolitikoftihreGefühleverletztundsichgeweigert,inseinem MachtbereichdiesePolitikzufördern; auch habeerdadurch Anstoßerregt,daß erdergesammten BeamtenschaftdieGenesis seinerHerzensneigungerzählte undhinzusetzte,derMinisterkönneihn höchstensversetzen.DemAngeschul- digten taucht nahvordesGeistes AugedieKlippeeinesDisziplinarver- fahrens auf;undin derBrustschwindetdesMuthes Spannkraft.DerRath zweiter Klasse geht nach HauseundschreibtandenMinisterFreiherrnvon Rheinbaben.Erbittet,dieUnterlassungderAnzeigezuverzeihen,danur

Vergeßlichkeitsieverschuldethabe.SeineBrautseieinhochgebildetesMäd- 16«l

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chenvonvornehmemAeußeren,erselbsteinloyalerBeamter.Erstelleseine Versetzungin eineWestprovinzanheimundwerdedankbar sein,wenn der Minister ihmeineAudienz gewähre.Die Antwort bringteinandenOber- präsidenten gerichteter Ministerialerlaß.DerMinister läßtdenEntschul- digungversuch nicht gelten. Schon durchdieAeußerung,erkönnenur ver- setzt,nichtentamtet werden, habederProvinzialsteuerdirektorbewiesen,daßer dieFolgen seinesThunsklarvoraussah NichtausVergeßlichkeit,sondern inbestimmter AbsichtseidieVerlobunganzeigeunterlassenworden. Damit aberhabe LöhningsicheinerVerletzungderAmtspflicht schuldig gemacht.

Auchkönne dieCentralinstanz ihm, nach seinem hartenTadeldervonder RegirungSeinerMajestätvertretenen Politik,kein Vertrauen mehr schenken, ihn also auch nicht füreine andereseinem Rang entsprechendeStelle vor- schlagen, sondern ihnnur aussordern, seine Pensionirungzubeantragen.

Bitterer Grollstiegin dembraven, mißhandeltenMannaus.AberdieHand zitterte nicht,alserseinenNamen unter denprotokolirten Antrag schrieb, ihnamersten Julizupensioniren.Dannschritter, mit demRingamFinger, heimwärts...Nunwußteer,warum andemAbend,derihm sein Herbst- glückbescherte,die SonnesoUnheilkündend genWesten verschwunden"war.

Dasist derneueRoman,deranallenStammtischen,in allenBürger- wohnstuben achtTage lang deutscheHerzeninzornigemSchmerzbebenließ.

Herr Löhninghat ihn selbsterzählt:in einernur für seineFreunde bestimm- tenSchrift,die aber derProvinzialsteuerdirektora.D.mußrechtunzu- verlässigeFreunde haben zweidemokratischenZeitungenderReichshaupt- stadtzugeschicktwordenist.Darin hatderPensionirte sichselbst bescheinigt, daßersich »allgemeinenAnsehensundderVerehrungund Liebe derihm unterstellten Beamtenschafterfreute«,freilichaberauch, daßer»durchJn- trigueundverächtlicheAngeberei«-—mindestenseines derihm unterstellten Beamten aus demDienst gebrachtwordensei.Dieumständlicheundbe- weislose Schilderung dieserJntrigue brauchte hier nicht wiederholtzuwer- den; auchohne dentraitre, derseit derZeitSnesundder Mühlbachnachge- radedochansderMode kam, istAlles vorhanden,wasdieEinfaltvoneinem spannendenRomanbegehrt:Liebe undKabale,ein edlesHerzundeinstarres Standesvorurtheil, eintreuer, aufrechter Bürgerundeinharter,Bösessin- nenderMinister;undimHintergrundgarein wackererFeldwebelundzwei hochmüthigeJunker-:derOberpräsidentund derKommandirende Gene- ral. Dennoch hättedieGeschichtealsRomankeinenErfolg gehabt.Ein pfiffigerVerlegerhättesieabgelehntundgesagt: »Ganzschön;aberJhr Held

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LöhningsLeiden. 221 ist nicht sympathisch. Erstens macht unser Publikum sichnichtsaus alten Herren,die einjunges Mädchenälteren Kindern als dritteMutter ins-Haus bringen. Zweitenswirdeinso hoher Beamterkomisch,wenn erseinerTrau- tenaufsEisnachklettertundUntergebenen von feinerLiebevorplaudert.

Drittens mußerwissen, daßeinRath zweiter KlassenichtdieTochtereines UnteroffiziersausderselbenStadt heirathenkann. Viertens mußteer, wennerstrotzdemthat,wenigstens standhaftbleibenundsichnichtdurch die AndrohungeinesDisziplinarverfahrensinsBockshorn jagenlassen.Und fünftensistderStoffüberhauptschonzuabgetragen.« AuchvondenZei- tungen,denendieSensation jetztkostenlosüberkalte-Hundstagehinweghalf, hättekeinedenRomanangenommen. »Zu alt; nicht interessantundmo- dern genugsür unseren verwöhntenAbonnentenkreis.« Wenn dieselben Redakteure,diesichersozu dem Autorgesprochenhätten,nun Lärmschlagen, alssei Ungeheures, Unerhörtes geschehen,undwenn dieserLärmwirklich Widerhallzu weckenvermochte, so ist damitznnäehftnurdie nralteErfahrung bestätigt,daßwirzwei völlig verschiedeneMoralenhaben,einefürLiteratur undTheater,eine anderefürs Alltagsleben,unddaßim liebenDeutschland derNachbar nochimmer nicht weiß,was derNachbardenkt undthut,der imErdgefrhoßWohnende nicht,wiezwei Treppenhöher,beimHerrnGe- heimrathoderMinisterialdirektor, gestrebt, getrachtet, geurtheiltwird.

Werderhier versuchtenDarstellung,dienichtganzausdem zurSache gehörendenMclodramentonfallendurfte,zugehörthat,wirdüberdasHandeln desHerrn LöhningschonimJnnerndasUrtheil gesprochenhaben. Jm Alter, meinteGoethe, erstauntman nicht mehr.Derfast sechzigjährigeProvinzial- steuerdirektorfälltauseinem Staunen ins andere. Er kennt denErlaß seines Königs,dersagt,dieimDiensteid beschworenePflichtdisziplinarifchabsetz- barerBeamtenfordere dieVert-.«etungderköniglichenPolitikzabererwnndert sich,wennihm,demVerwaltungchefin einer national gefährdetenProvinz, verdacht wird, daßerdiePolitikderRegirungvor ihmUntergebenen falsch undunheilvollnennt. EristimAktenstaubpreußischerDienstpragmatik

ergrautnndsteht,alseineSpitzederGesellschaft,mit denhohenMilitär- behördeninengstemVerkehr;abererstaunt,dadieExeellenzenüberseine VerlobungdieKöpfeschüttelnunddieLieutenants über dieNöthigungspotten, dasHauptvoreinerGeheimenOber-finanzräthinzuneigen,derenVaterin ihrem Regiment UnteroffizierwarundderenollerSchwiegeronkelals Sub- alterner fauleSachen gemacht hat.UndHerr Löhningisteinschwächer Mann,keinheldischcrKämpferums Recht.Erfühlt,daßerinseinerStell-

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ungnichtbleibenkann; dochstattdenvonderAmtssitte gewiesenenWegzu gehen und,wiegerade sein besonderer Fall heischte,offenzureden,schweigt erundhofft,dervor dievollbrachteThat gestellte Ministerwerdeihmin behaglichereLebensverhältnissehelfen.Als dieHoffnungtrügt, stammelter Worte,dieihn entschulden sollen,abernicht können,underbittet schließlich selbstdenAbschied,stattdieDingeansichkommenunddaszuständigeGe- richtentscheidenzulassen.Dasist menschlich, gewiß;aber volenti non jitinjuriaz undwerso schwach,so innerlich haltlos ist, soll nichtvom ge- bahnten PfadderKorrektenabbiegen.Undnachdemerin dieMaßregelge- willigt, sie selbsterbetenhat,dieihm dochdieschwersteVerletzung seiner Rechte schien,gehterhinundverbreitet imgünstigstenFall durchFahr- lässigkeit die-JnternaderBehörde,derergestern noch vorstand,suchtder RegirungundinsbesondereseinemRessortchefdasVertrauen,dieAchtungder Bürgerzuentziehen,bereitet,alsdeutscherBeamter,denPoleneinunerhoff- tesVergnügenundbringtsogarPrivatgesprächeinderLeuteMund. Erhatte dieWahl: rücksichtloser,mit allenehrlichenWaffen kämpfenderWiderstand gegen denEingriff,der ihnUnrecht dünkt,oderstumme Ergebungins Un- vermeidliche. IndemAugenblick,woer,umeinemDisziplinai verfahren auszuweichen,denAbschiederbat, hatteerseinenRechtsanspruchverwirkt

undwar ansie AmtspflichtzurVerschwietheit gebunden·

Jstnun,wasdieRegirung gethan hat, wirklich so unerhört? Auch ihre Freunde müsseneinräumen, daßsie unklug gehandelt hat, ungeschickt, ohne KenntnißderPerson, ohnedenMuthdesStarken, dereinenihm Lästigenvon vorn packtundaus demWege wirft.Denn lästigwar ihrder Provinzialsteuerdirektor wohl schonlange.EinMann,dernicht auf strasfe Disziplin hältunddieUntergebenengegen die berlinerPolitik aufreizt.Aber erist Katholikundstreng kirchlichgesinnt;wirderabgesägt,dannzetertdas Centrum: Unter demVorwande derGermanisirungtreibtIhr,wie wir längstsagten,dieGeschäftedesProtestantismus!Dasmußvermieden werden.

Jetztaber willderunbequeme Herr sichaus einerseinemStand nichtge- mäßenFamiliedie dritteFrau holenund meldetdieseAbsichtnichtdemMi- nister: jetztistderpsych"ologischeMoment,ihnerstmürb zumachenunddann abzuschütteln,ohnedaßdieschwarzeSchaarrufenkanmDiedeutschenKatha- liken,dieJhrzustärkenverspracht,werden nichtminderals diepolnischenvon Euch bedrängt.LeiderwardiePsychologieder-HerrenvonRheinbabenundvon Bitterrecht dürftig,rechtim StileinesKegelklubvorstandes,dereinstörriges

·Mitglied geräuschlosausschließenmöchte,undeinBismarck würdesiehöflich

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erfuchemeinstweilen auf wenigersichtbaremPosten dieunentbehrlichenBor- bedingungenpolitischenHandelnserkennenzu lernen. Unerhört, unerschaut soll nachdemUrtheilderEmpörten jaabernicht dieMißwahlderMittel sein,derMangelanAugenmaß,sonderndieRückstandigkeiteinerKaste,die demRath zweiter Klasseverbietenwill,alsGattindieTochtereinesFeld- webelsheimzuführen.Das istdasNeue,dasnie ErlebteandiesemFall;

unddeshalb mußteerdasGemüthjedes Bürgersbisin dieTiefe bewegen.

WodieLeute,dieSolchesdenHundstagsschreiernnachschwatzen,wohl ausgewachsenseinmögen? FrauvonStaälwar inPreußenkaumwarm ge- worden,alssieschonschrieb:On sentenPrussetoujout-sles deuxnations quiencomposent malune seule: l’armee et Petateivil.Lesprejuges nobiliaires subsistent å cdte desprincjpesliberaux lespluspro- nonces DaswarumsJahr 1810;undso istsbisheutegeblieben.Der RechtsbegriffderEbenbürtigkeitistreingermanischenUrsprungsundstammt ausdererstenZeit schärfererStändescheidungVon demhohenAdel,der dem disparagium,derMesalliance bestimmte Wirkungen auf BesitzundTitel der insolcherEhe gezeugtenKinderzuerkannte,isteraufdenOfsizierstand, denErbhüteralterRitterehre, übergegangen; undjederSchuljungeweißin BerlinundinPosen jetzt, daßderSoldat,dergemeinewie der imRang höchste,zurHeiratheineErlaubniß braucht,einenKonsens,dernurgewährt wird,wenn Person,Familie, VermögenderBraut demAnspruchderBe- hörde genügen. Jn Preußen gehörendiemeistenBeamten demHeeresver- bandan;unddieihm nichtangehörendensinddochzuihmin einVerhältniß getreten, dasdieBiologie Symbiosenennt. Wie derEinsiedlerkrebsdieauf seinem Schalenhaus angesiedelten Seerosen,derenNesselorgane ihnvor Verfolgern schützen,mitNahrungversorgtundauf seinen Umzügenmit- nimmt, so gönntinPreußenderKriegeradelAllen,diesichinseinSchnecken- haus drängen,dasprivilegirendeEhrenrecht seiner besonderenStandessitte underwartet alsEntgeltvon denGästen Schutzgegendievon unten her TintespritzendenSepien.UnddieMengederNachdrängendenwirdnicht etwakleiner, nein:größervonJahr quahr. Jn einermorschenZeit,die nichtdenMuthzu einerihremTelosangepaßtenMoral hatundsichnicht entschließenkann,denRückenvonalterLeichenlastzubesreien«,mußdieeinzige Kaste,dienochdasEisenbandfester Grundsätzezusammenschmiedet,schwäch- liche Geisteranlocken. AuchderSohndesjüdischenWuchererswillüber einer Duellnarbe denHelmdesReferveosfizierstragen; auchderParvenu rümpftüberDisparagien dieNase.Keiner willwenigerwählerischsein,Keiner

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geringer geachtetwerdenalsdie»EdelstenundBesten«,als derOffizier,der nur einenseinemStand gemäßenEhebund knüpfendarf. Vorurtheil? Mag sein; trotzdemmit demältesten Ritterbürtigendermodernste Hygieniker derja auchdenBegriffderErbsündeaus dentheologischenMoralhüllen geschälthat—- in derHoffnung übereinstimint, aufguteAhnenwerde ein gutesEnkelgeschlechtfolgen. Doch richtige Schätzungvererbbarer Werthe oderthörichterDünkel: die dünneSchicht,diesichselbst stolzdieGesellschaft heißt,beherrschtsmitderKrafteinesSittengesetzeszundsienichtallein.

WennderSohndesVorstadtbäckcrmeisterseinemDienstmädchendenRing andenschwieligenFinger steckt,stößtderVaterihnausdemHaus.Wenn dasKind einesfrommen JudeneinemChristenin dieEhe folgt, schlepptsie denFluchderElternmitfich.Undwenn der liberaleDirektoreinergroßen Bankhört, seinProkurist habe sichderTochterdesimselbenHausdienenden Portiers verlobt,wirderihmsagen:Ihre Wahl istnatürlichfrei,Jhre Leistung genügt mir,aberichmußSieineineFiliale schicken.Undda wagt man,von einemungeheuren Ereignißzureden,weilinPosen,wojederTitelträgersich fürdenNabel derWelthält,dieGeheimenundWirklichenGeheimenOber- mandarinen dieZöpfezuschüttelnbegannen,als dasHaupteinerProvinzial- verwaltungdieAbsicht kündete,derSchwiegersohneinesFeldwebelszu werden? Das Gerede,derFeldwebel seiderKamerad desOsfiziers, klingt ja gut,.wirdvonunbestreitbaren Thatsachenaberüberschrien.DerFeldwebel istUnter-offizier,hatvordemjüngstenLieutenant dieHackenzusammenzu- nehmenundnichtmit derWimperzuzucken,wenn erimrüdestenStalltou gerüffeltwird.SeinKameradsitztin derletztenSchreibstubedesProvinzial- steuerdireltors,dernun seinEidamistundandessenTafelimSchmuckder GoldlitzenundOrdenssterne die-Herrenschmausen,die den VaterderHaus- frauaufdemKasernenhofangeschnauzthaben, daßihmdieSchläfebrannte ...

Für so verschiedeneShmbionten istin demengen Muschelhäuscheneiner Provinzialhauptstadtkein Raum. UndwerdenSchutzderMuschelschale- genießenwill, mußsichin derEnge einrichten;werfürLebenszeiteinePfründe begehrt, hat sichderSatzungdesPräbendenpatroneszufügen.

UnddennochderLärm,dennochnebengeheucheltemundkindifchem Grimm ehrlichtobenderManneszorn. Kracht auch da,woesfestaufFelsstein zuruhen schien,das altePreußen schonin denFugen?..LehrtderWiderhall des posenerRonians, daßPreußens Staatseinrichtungen nichtmehrdem BedürfnißentwurzelterBorussen entsprechen,dann istdasUnheil nah, dessen blutrothesWarnzeichenLöhningvomnachtendenHimmelherableuchtensah.

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DeutschlandunddieSchweiz. 225

Deutschlandund die Schweiz.

. :nDeutschland hateseiniges Aufsehen gemacht,daßeine inNürnberg IJ gehalteneRede, worin ichdiedeutscheSchweizeine»deutscheProvinz ingeistigerBeziehung,aberfreilichmit sehrbedeutenden Reservatrechten«

nannte, beanstandetundangegriffenwerden konnte. DerHerausgeberder

»Zukunft« hat mich aufgefordert,denGegenstanddieserRedehier eingehender zubehandeln. Jch folge dieserEinladunggern, weilichhoffe,damit zur BeseitigungvonMißverständnissenbeitragenzu können, denenmeineRede bei meinenLandsleuten unddieHaltungmeinerLandsleute wiederum beiden reichsdeutschenNachbarn ausgesetztwar.-i·)

Esmag sein,daßzunächstdiewelschenSchweizer,von denen der Sturm gegenmeineRedeausging,denAusdruck province inseinerbild- lichen Bedeutung nicht verstanden,imSinn einerpolitischenAbhängigkeit undkulturellen Minderwerthigkeitmißverstandenhaben.Auchwar inden erstenZeitungberichten schlechthinvonderSchweiz, stattvon derdeutschen SchweizdieRede. BeiallenSchweizernaber,diesichüber meineWorte aufgehaltenhaben, hatessicherander genauenUnterscheidungzwischendem GeisteslebeneinersprachlichenGemeinschaftunddempolitischenLebeneines Staates undVolkesgefehlt.

DiesprachlicheGemeinschaft ist nach deutschemSprachgebrauch auch nationale Gemeinschaft;denneineNation istindeutschemMunde —— hier haltenwir,nichtdieFranzosen,dieursprünglicheBedeutungdesWortes natio fest—— eineGeschlechts-oderStammesgemeinschaft,eineGesammt- heitvon VölkerschaftengleicherAbstammungund,was ja fastimmer damit zusammenfällt,gleicherSprache. WirsprechenalsoimDeutschennichtnur, zumBeispiel,von einer französischenNation undNationalität, denen der geographischeunsdpolitischeBegriff »Frankreich«imWesentlichenentspricht, sondernauchvoneinerpolnischenundlitauischen,einerjüdischenundkeltischen NationundNationalität,obwohleseineentsprechendestaatlicheGemeinschaft, etwa eineinheitlichespolnischesoderkeltischesVolk,längst nicht mehr giebt oderniegegeben hat.Anders imfranzösischenSprachgebrauch,woinFolge desfrühen politischen ZusammenschlussesallerFranzosenderBegriffder Nationmitdem desVolkes als desStaatsganzen zusammenfällt.Wir Schweizernun sind Das habe ich schonvorJahren öffentlichgesagt

-9:)·AusführlicherundmitBelegengeschiehtDasinmeinerSchrift »Die SchweizeinedeutscheProvinz. MeinenürnbergerRedeundihre Folgen.Ein BekenntnißundeineAbrechnung«,dieHerinann WalthersVerlagsbuchhandlung indiesen Tagenausgebenwird-

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226 DieZukunft.

zwarune nation, aberkeineNation;wirsindein Volk,gebildetaus min:

destensdreiNationalitäten: ausDeutschenunddrei- oderviererleiRomanen:

Franzosen,undzwar Nord: undSüdfranzosen,Jtalienern,Rätoromanen, derenSürseleischund Ladinwiederum zwei verschiedeneSchriftsprachensind.

Esistdaher nichtnur sprachlich,sondern auch begrifslich undeutsch undlediglicheineKonzessionandenwelschenSprachgebrauch,wenn wir seit 1848 nebendemStänderath,demRathderzweiundzwanzigStände, einen

»Nationalrath«alsVertreter desSchweizervolkesnachderSeelenzahl haben.

Aucheinechristkatholische»Nationalkirche«undihr »Nationalbischof«sindin derSchweizvon sehrzweifelhaftenBerechtigung;undwas man unter einer

»Nationalliteratur«derdeutschenSchweizzuverstehen hat, habe ichniezu ergründenvermocht,obgleichichseitbalddreißigJahrendarinfigurire.Diese Benennungenwürdenwohl ungefährso begründetseinwie das,,Großenatio- naleVelorennen Romanshorn-Genf«,von demman jetztbeiuns liest.

Der»Nation« nach sind alsowirSchweizerzumTheil undzwar zum überwiegenden Deutsche,zum TheilRomanen und wiederum vorwiegendFranzosen—;undwenigstensunsDeutsch-Schweizcrnkanndas Recht,uns zurdeutschenNation zurechnen,nur UnverstandundUnbildung streitig machen.DasRechtunddiePflichteneinesVolkes,das verschiedene Nationalitäten vereinigt, sollenebensounbestritten bleiben;der»Nation«

nach istDeutscher,werinGoethes Sprachedenktundschreibt,ebensowie Romane,FranzoseoderJtalienerDerist,derbeiVictor Hugo,bei Dante seineMuttersprache, seineDenkartwiederfinden Unsere welschenMitschweizer greifen ja doch,wenn sieeinen geprägtenAusdruck suchenodereineallge- meineWahrheit eindrücklichaussprechenwollen, ganz wie wir, in denSprich- wörter-undCitatenschatzdergroßenSprachgemeinschaft,dersieangehören;

undje höher gebildetsie sind, desto mehrunddesto Eigenthümlicheresund Entlegeneres steht ihnendavonzu Gebote. Dochauchwer nur sagt:,,-Je sujs« oder: ,J0son0«,vertrittdamitdie Kultur undDenkart derRasse, dieinRom einst »egosum«c sagteundspäter dieseWortenach unterschied- lichenLautbildung-undAnalogiegesetzenumformte, währendunser»ichbin«

eineganzabweichendelautlicheundformale EntwickelungzumTheilanderer

-indogermanischenWurzeln vorführt.Denaber, der»ichbin«sagt,werden wir, magunsere Kenntniß fremder Sprachen noch so großundunsere eigene mundartlicheAussprache noch so sehrvonderseinenverschiedensein,immer besser verstehenalsEinen, dersein Daseinmit»jesuis« kundgiebt; Goethes FaustundeinLiedvonMörike wirduns immer verständlicherseinals entsprechendeGeisteswerke französischerunditalienischerZunge. Diese seelische Verwandtschaft,wiesie sichindergemeinsamenSpracheundLiteratur zeigt unddurch sie gebildet hat, istein vielstärkeresRassenmerkmalalsdiedurch

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