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Die Zukunft, 16. August, Bd. 40.

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Berlin, den 16.August,1902.

. J -1s ff-

Kulturkampf.

WoreinundvierzigJahren erschienimzweitenBandeder«Demokra- tifchenStudien«Lasfalles AufsatzüberGotthold Ephraim Lessing.

ErwardreiJahre vorherunter demfrischenEindruckvonStahrsLessing- bUchgeschriebenworden, priesdasBuchunddenAutorundklangin den Rufaus: »Die Katharsis,diediesesWerk injedemeinesgeistigenEin- druckesnur einigermaßenfähigenGemüth hinterlassen wird, ist die,es zu erhebenüber die Qualen undKonflikte,dieihm selbst zustoßenkönnen.

Einesedlen,einesnur irgend wahrhaft bescheidenenGemütheswirdsich eine edleGleichgiltigkeitbemächtigengegenAlles,wasunsselbstwiderfahren kann in einemKulturkampf,in demdieGrößtenundBestenlangsamund qualvollverblutetsind«. Zwölf Jahre später Lasfalles populäreSchrif- tenwaren denPolitikern,dienichtmitstolzemBewußtseinaufdemStand- punktdesAnalphabeten verharrten, inzwischenbekannt geworden trug einWahlaufrufderDeutschenFortschrittsparteiindievonFalks Maigesetzen erregtenMassendenSatz: »Die Fortschrittspartei hatesalseineNoth- wendigkeiterkannt,im Vereinmitden anderen liberalen Parteiendie Re- girungin einemKampfzuunterstützen,dermitjedemTagemehrdenCha- raktereines großenKulturkampfesderMenschheitannimmt«.Undim Ok- tober1876 sagteHerrProfessor VirchowinMagdeburg:Bei dervorigen Wahl hatdieFortschrittsparteieinWahlmanifest erlassen,in demzuerst das Wort,Kulturkampf«gebrauchtwordenist. VielleichtwissenSienicht,daß ichderErfinder diesesWortesbin.Jch habeeszuerstindiesesManifest,das iEhverfaßthatte, hineingeschrieben,und zwar mit vollemBewußtsein;dennich

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wolltedamals denWählerngegenüberkonstatiren, daßessichnichtumeinen religiösenKampf handle, nichtumeinenkonfessionellenKampf, sondern daß hiereinhöherer,die ganze Kultur betreffender Kampf vorliege,einKampf, dervon diesemStandpunktaus weiterzuführen sei.« Derpathologische Anatom hat hier,wieauch sonstnicht seltenauf seinenStreifzügeninsFlach- land"derPolitik, geirrt:erwar nichtderErfinderdesWortesKulturkampf.

AbererhatteimmerGlück· Wie er, deraufdenvonBichat, Müller,Schlei- den,Schwann gefügtenGrundmauern einLehrgebäudeerrichtete,denRuhm allerBorgänger,selbstdenReinhardts, seinesbegabtestenMitarbeiters,über- strahlteundheute allgemeinalsderErfinderderEellularpathologie gilt, dieerzwarbegründet,abernichterfunden hat, so taucht,wenn irgendwodas Wort Kulturkampf gesprochenwird, gewißgleich danachdieBehauptung auf,essei»bekanntlich«vonVirchow erfundenworden. Dochsicheristnur, daßderFortschrittsmanndemWort einenanderen Sinn gabalsderSo- zialdemokrat. Für Lassallewar Lessingder»größereLuther«,einBefreier derMenschheit;undderKampf,in demerfiel,wurdefüreinekommende, vondenstärkstenGeisterninlangwieriger, aufreibenderArbeiterstvorzu- bereitendeKultur geführt,die denmündigenMenschenaus altenBanden anthropocentrischenundanthropolatrischenWahnes erlösensollte. FürVir- chowwar derköstlicheBesitzsolcherKultur schonerworben, durchdie liberale WeltanschauungallenErdensöhnen,diegutenWillens sind, längstgesichert underwollteihnnur gegen denAnsturmderOrthodoxieschützen, natür- lich durchdieStärkungderFortschrittspartei,die denBethörten,wie Vol- taire,dieBindevomAuge reißt.LassalledachteandenKampfumeineneue Kultur,derenMorgenrötheerst leuchten sollte; Virchowwollteeineseinem Bedürfnißgenügende,von denPfaffenallerKirchen bedrohteKultur un- geschmälerterhalten.Und da dieMenschen stetsgernglauben, sie hätten schonGroßes,Ungeheureserrungen, dasjetztnur nochsorglichzubewahren sei,so drangdiePrägungdespolitisirendenAnatomen tiefinsVolk. Eine Kultur habenwirallein,dieWesteuropäer,dieRationalisten,dieJeden nach seinerFasson seligwerdenlassenundinjedemVersuch, durchDruckdas Gewissenzuzwingen,Sünde sehen;allesAndereistUnkultur. Dasistzum Bürgerdogmageworden.Wervonrussischer,indischer,chinesischerKultur spricht,wird ausgelacht.Weretwagarfragt,obSavonarola undLuthergegen dasPapstthum wirklichdiehöhereKulturihrerZeitvertraten,wirdsüreinen Narren oderBarbaren gehalten,dernicht weiß,ausderGeschichteallerTheo- kratien,derGothikunddesCinquecentonicht gelernt hat, daßKultur mit

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Kulturkampf. 259

Priesterherrschaftunvereinbar ist.Undwer voneinemKulturkampfredet, meint denKampfwiderpsäsfischenDrang,deneinzigenFeind,derdiesege- sicherte,jeden vernünftigenAnspruch befriedigendeKultur gefährdet.Das Worthat auchinfremdenSprachgebieten, hat selbstimMundedervonihm GezüchtigtendenSinn behalten,den dieGraueJnternationaledesLiberalis- mus ihmgab.Der belgischeCentrumsführerWoeste,derSohneinespreußi- schenProtestanten, schriebdieHistoire duKulturkampf ensuisse; und inFrankreich rief neulichein Redner: Heureuse Allemagne, oÜ le cauchemar duKulturkampf estdeslongtempsoubliel Dennunser Kulturkampfistja seit Jahrzehntenbeendet undnur darüber wirdmanch- malnoch gestritten,ob die Kultur gesiegthatodereinneuer Kraftaufwand nöthigist,um sievordemUebermuthihrer frommen Feindezuschützen.

DerFetischist jetztungefährhundertundzehn Jahrealt. DasWort Kultur,dasursprünglichjaeineThätigkeit,nichteinenZustand bezeichnet, ist im modernen Sinn vielleichtniemals imKonventgesprochenworden;der BegriffaberstammtausderVorstellungweltdesjakobinischenAnimismus.

Als dieJakobinerdasKnechtsjochabgeschütteltundderträgen Mehrheit ihreHerrschaftaufgezwungenhatten,konntensiehöhereHerrennichtbrauchen.

AufdenvonunreinenErdenresten göttlichenundmonarchischenRegimentes gesäubertenStuhl setztensieein neues,sie ungefährlichdünkendesGespenst:

denStaat. DieserStaat sollte ihremHöchstenWesen,derVernunft,den Körper schaffenunddienatürlichenMenschenrechteverbürgen.Der Staat wa- rensie; derVernunftund dennatürlichenMenschenrechtenbestimmten sieUm- fangundGrenze.WassieStaat nannten,war imGrundedie Summe des einemstatus,nämlichihrem,demDrittenStanchützendenz abersiegaben esfür UlpiansStatus reipublicae ausundgewährtenihmeineAllmacht, die keinLilienkönigzuheischengewagt hattte.VonRousseau,demsiedenCon- tratsocial entlehnten,hatten siegelernt,derStaat habeüber dieihm Ange- hörenden dieselbeunbeschränkteGewaltwie derMenschüber allseineGlieder.

Von Natur-wegen ; dennohneBerufung aufdenWillenderNatur gehtsbei RousseauundseinenErbennichtab.Die Natur kennensieganz genau. Sie istgütigundweiseund der»natiirlicheMensch«dieWohnstätteallerersinn- lichenTugenden. Diesen natürlichenMenschenhaben PriesterundKönige anzweiKettengelegt:diepositiveReligion hat seinen Geist,dieUngleich- heitdesBesitzesund derdaraufberuhendensozialenGeltung seinenWillen gelähmt.Werdie beidenKettenbricht,wirdbewundernd vor dem natür- lichenMenschen stehen;unddie Natur fordert, daß sie gebrochenwerden.

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DieNatur,sagt Robespierre, lehrtuns,daßderMensch,derJahrhunderte langSklavederTyrannenwar,zurFreiheit geboren ist. ZuderFreiheit wenigstens,die der ami de lavertu meint,diewohlnichtJedemabergenügen würde.Der Staat übernimmt dieSorge,denEinzelnen glücklichzumachen

,,Bald«,rief Saint-Just, »wirdEuropa sehen, daßesauf Frankreichs BodenkeinenUnglücklichenmehr giebt!—, undmuß ihn, denein Seiten- sprung leichtausder engenGlücksbahnwerfen könnte,festamLeitseilhalten.

AllesgehörtdemStaat: Land,Geld, Gedanken, gemünzteundabstrahirte Werthe;wennereineneueMoralmode fürnöthighält,mußsieangenommen, wenn ervondenBürgerndie blauenundgrünenMäntelverlangt, müssen sie ohneMurren abgeliefertwerden. Der Staat istGrundbesitzer,Erzieher, Richter, Arbeitgeber,Sittenlehrer, Censor, Wegweiser,Heirathvermittler, Familienhaupt, Herrüber Gut undLeben;nur dieWahrheit,die inseinen Münzen geprägt ward, darfinUmlauf gebracht,nur,waserschlechtheißt, alsschlechtverabscheutwerden.·DerStaat straft nichtnur denFeindund Verräther,sondern auchdenLauen,dersich ihm nichtmitHautundHaar zuschwor;damiterfüllterdieWünschederNatur unddieBerheißungen allerglaubwürdigenPhilosophen.Dennwasererrang undzuschützensich rüstet,istder Menschheitwichtigster,unvermehrbarer Besitz,ist, nachneuerem Sprachgebrauch, »dieKultur«.UndeinKulturkampf ist jederKampfgegen denKonkurrenten,derstattdiesesGutes ein anderes derMenge anpreist, stattderJakobinerbibelihramEnde gar dieEvangelien empfiehlt.

ZweiKettenhatten RousseausNachfahrenzusprengenversprochen.

Daßandereinennicht leicht auchnur zu rütteln war, merktensiebald;die UngleichheitdesBesitzes,diesichunter verschiedenenFormen seit fernen My- thentagen forterbt, hat schon stärkererundredlichererWillensanstrengung gespottet.Daman denMenschenabereinmalungeahnteHerrlichkeitverheißen hat, mußmanvonZeitzuZeit mindestensmitderanderenKetterasseln;

vielleichtübertöntsdasAechzenderArmen,denenman die bröckelndeHütte nichtzumParadiesumwandeln kann.Wohinwir dasAugeschicken:überall sehenwir, daßdieJakobiner,die in einemGemeinwesendieHcrrschaftanlsich gerissenhaben,mit wildemSchlachtgeschreigegen den Klerikalismus inFeld ziehen.Solange siein derOppositionwaren, bestritten sie jedes Rechtder Regirung, jedeAutorität,nannten dasVolk deneinzigenSouverain,dieBe-

,amtenseineDienstboten,denStaat die demDruckseines Fingers gehorchcnde Maschine;jetztsolldieRegirung,dersienundieMannschaft stellen,alleRechte haben,derStaatGottzdas VolkwillenloserSklavesein.Solchechgensatz

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Knlturkamps. 261 zwischenWortundThatkönnte dieMassenausihrem Lagerscheuchen;deshalb mußihnengesagtwerden:WirbrauchendiestarkeStaatsgewalt,müfsen,wider eigenen Wunsch,dieGeister noch fester binden,weiluns derPfaffe bedroht undwirdiesengefährlichstenallerFreiheitfeindenurmitdiktatorischerMacht niederzuringenvermögen;isterbezwungen,dannbrichtderWonnetagdes TausendjährigenReiches Euch endlichan.Das hilftimmerfüreineWeile;

undehedasVolk denTrug wittert, graut schonderThermidormorgenund diegestürztenSchreckensmännerkönnenstöhnen,desSchicksalsTücke Und derHierodulenList habe sieanderVollendung ihres Erlöserwerkesgehindert.

Frankreicherneut eben wieder die alteErfahrung.EinMinisterium,in dem nebendem derKutteentlaufenenGecken Combes dergewissenlosemiles gloriosus Andre-»derTrinkgeldempfüngerRouvier,derKneipenjournalist PelletanundähnlicheGrößensitzen,suchtsichüber dieUnsähigkeitzuirgend einerförderndenLeistungmit demRufhinwegzufristeu:DieKirchebedrohtdas freie Leben,dieZukunftderRepublik! DieseRegirung,dievondemAnhangder zufchwatzendenStrebern herabgesunkenenGenossenJauråsundMillerand gestütztwird,vermag wederFrankreichsWeltstellungzubessernnoch soziale Schädenzuheilen;nurEins kannsie, muß sie,umnichtvordemBlickihrer Wähler selbstlächerlichzu werden: den Klerikalismus befehden. Nachdem Gesetzvom dreißigftenOktober1886 kannjederFranzose, Geistlicheroder Laie,derunbescholtenundfürdenBerufvorgebildetist,eineElementarschule eröffnen. Dieses Recht ist durchdas1901 vonWaldeck-Rousfeaugegen die Kongregationen erlasseneGesetznichtmitrückwirkenderKrafteingeschränkt.

WaldecksGesetzfordert:jedeneuzugründendeKongregationbraucht diestaat- licheGenehmigungunddarf TochterhäusernurmitErlaubnißdesStaats- rathes eröffnen; Kongregationen und-Tochterhäuser,diesichdieser Bestim- mungnicht fügen,könnendurchBeschlußdesStaatsministeriums aufgelöst undgeschlossenwerden; SchulleiterundLehrerdürfenGeistlichenur sein, wennsievomStaat genehmigtenKongregationen angehören.AlldieseBe- stimmungengelten,nachWaldecksausdrücklicherErklärun g,nur fürdienach demerstenJuli1901, demTage,wodasneueGesetzin Kraft trat,gegründeten KongregationenundTochteranstalten.WannaberhättenJakobinerim Besitz derMacht je nachdemRechtstitel gefragt? Auchwennsietyrannischscheinen, fechtensie fürdieFreiheit.HerrEombeswilldemStaat die obsådienee monacale erzwingen.Erverlangt plötzlich,auchdievonlängstbestehenden Kongregationengegründetenodergeleiteten Elementarschulen müßtenvom Staat eineKonzessionerbitten,undsperrt ihnen,ehesiedas im Vertrauen auf

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denWortlautdes GesetzesVersäumtenachholenkönnen,dieThür.Er nimmt den ElterndasRecht, nach freiem Ermessen ihrenKinderndieLehrerzuwäh- len, jagt hunderttausendKnabenundMädchen,fürdie in denLaienschulen desStaates keinPlatz ist,aus demgewohntenKlassenzimmerund läßt ganzeSchaaren stiller KlosterschwesternvonGendarmenundSoldaten auf dieStraßetreiben. Gegen so frecheUngebühr,diesich,weil dieJustizdie Verwaltungnicht meistern dars, sicherdünkt,erhebt sichdasLand.Berühmte Akademiker,FührerderFortschrittspartei, protestantischedreyfusards, Ra- dikale,SozialistenundAtheistentadeln laut denschmählichenRechtsbruchDie StaatssiegelwerdenvondenThorenderKlosterschulen gerissen. Ofsiziere weigern sich,ihreTruppegegenwehrloseNonnenzuführen.JnderBretagne lassendieBauern dieFrucht ihrerArbeitaufdemFelde faulenundweh- renden BüttelndenEintritt in dievervehmtenSchulen. Frauencorpsaller Stände bildensichunddieMitgliederlistedes»BundeszumSchutzder Unterrichtsfreiheit«füllt sichmit denbestenNamen. DieZeitderHeiligen Liga scheintwiedergekehrt.HerrCombes aberundseineSippeverkünden denArmen,die denSchwindel noch jetzt nicht durchschauen:Wir retten die RepublikiDie altenJakobinerwaren dreister; sie wußten,daßdie Orden durcheinevomStaat zugewährendeKonzessionnicht ungesährlichenwurden, undschlepptenJeden,derbeimPredigenoderbeimKirchenbesuch,alsSpender oderEmpfängereines Sakramentes betroffen wurde,insGefängnißoder unters Fallbeil.Heutzutagehatmans bequemer.ManbrauchtdenPriester nur wie einenVerbrecherzubehandeln,dem dasbürgerlicheEhrenrechtab- erkannt ist,von derSchulschwesternur, wievon derProstituirten,einen polizeilichabgestempeltenGewerbescheinzufordern:dannistman eintapferer Held,kämpftmangegen dieMächtederFinsternißfürdieKultur.

Jn FrankreichwirddieHatz enden,wiesiebei unsgeendet hat:mit einerungeheuren StärkungdesKatholizismus. Nichtnur, weil imLande desHeiligen LudwigundderJungfrauvon Orleans, desKonkordates und derRestauration noch wenigerals improtestantischenPreußen nach Bismarcks Wort ,,ehrliche,aber ungeschickteGendarmen,diemit SporenundSchleppsäbelhinter gewandtenundundleichtfüßigenPriestern durchHinterthüenundSchlaszimmer nachsetzen«,ansZielkommenkönnen;

ondern, weil dieKultur,diegeschütztwerdensoll,erstnochzuschaffenist undeinstweilenwederFrankreich noch Deutschland nochirgendein anderer Staat dasKulturideal derkatholischenKirchezu itbcrbictenvermag. Diese Kirche sprichtzu deinihr Lauschenden:UeberDirwaltet derWilleeines

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Kulturkamps 263

Gottes,derHimmelundErde,MannundWeibgeschaffenhatundderDich, wenn DuDichzuihm bekennst,vonderErdenach kurzerLäuterungzeitin denHimmelerhöhenwird; seinGebotlehrt,wasgut,wasböseist;seinsieben- sachgeweihterDiener kannentsühnenundschuldigsprechen;sein Vaterauge blicktauf jedenDeinerSchritteherab,hataufDeinemHaupt jedes Haarge- zählt; seine-HandgreiftnurnachderZuchtruthe,umDichfürdasewigeLeben imGlanz seiner Gnadennähevorzubereiten.WerDas glaubt,kannselig werden,kennt denZweck,dasEndziel seines DaseinsUndducktsich,wenn desSchicksals PfeileundHagelschauerniederprasseln, ungeschrecktunter denSchirm seinesGottes. Nur findet Mancher, solcheBotschaftseinicht leichterzuglaubenalsdieWunderwirkungdesWeihwassers,dieMutter- schaftjeinerJungfrau,dieZauberkrafteinerdurchlöchertenWindel,einesvon Staub undMotten zerfressenenRockes,alsHexenkünsteundTeufelsspuk.

Sodenkt die kleineSchaar derGottlosen,denenderHimmelleeristunddie lieberanTyndallsoderHartleys Hypothesenalsanein imBlauschweben- desjüdisch-christlichesEmpyreumglauben; sie lächelnkühl,wenn religiöse Fragen gestelltwerden,diesürsiekeinesind,loben diegroßartigeSymbolikder altenLegendenund könnenduldsam sein,weilhitzigeFanatismen nieihre Ruhe störten·Größer,vielgrößeristdieZahl Derer,diesagen: Jch weißnicht, ob einGott lebt ;wohlaberweißich, daßich aus SchrittundTrittanstoße, wenn ichderWeisungdesChristengottes folge,unddaßichinstiefsteElend sänkeoderin den Kerkergepferchtwürde,wenn ich thäte,wieJesuszuthun befahl; ich sehedennauch, daß ringsumKeiner so thut,keinEinzigerden steilenPfaddesBergpredigers wandelt,undhabe michdeshalb entschlossen, in dasgroßeHeuchlerheereinzutreten undanderLippeeineLehrezutragen, nachderichimAlltagsgetriebeniehandeln will, niemals, so wahrMam monmirhelfe. Zu diesemHausengehörenauchdieJakobinerallerZeiten.

Siesindnicht gottlos, Gottbewahre!Sie wollennur einegereinigteRe- ligionundwürdigerePriester.Dasersehnte schonderDichterdesEmjle.

Robespierrerief: »WiehochstehtderGottderNaturüber demderPfaffen!«

UndHerrCombeswürdesicher sehr böse,wenn man ihnzu denAtheisten würse. SeitJahrhunderten, mindestens schonseitdemZank zwischenArius undAthanasiuswirdandenDogmen,anderChristologie herumgeputzt, hiereinlästigesWort wegradirt,daeinSätzchenangeflickt,dorteineRa- tionalisirung versucht;undebensoaltfast istderZorngegendiePriester, die demgerechtwägendenUrtheil dochnicht sündiger,vielleichtsogarvonEnt- artungmerkmalen heute nochfreier scheinenalsirgendeineandereKlassenach

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lange unangefochtenerHerrschaft.Erreicht hatder großeAufwandnichtviel.

AuchLuthers mächtigerAthem hatdenrömischenFelsen Petri nichtumge- weht.Undwas ernicht vermochte,wirddenkleinenLeutenerst recht nicht gelingen, die,wieLessingnachLavaters BekehrungversuchanMendelssohn schrieb,»denUmsturzdesabscheulichstenGebäudesvonUnsinnnichtanders als unter demVorwande,es neuzuunterbauen, befördernkönnen.«

»Er-at crux, dumvolvitur orbis. WenndieZeichennicht trügen, wirdesdem Weltenwirbel noch lange trotzen.Die Mauern derKirchesind so fest, daßkeineRegirung,wie derProtestantismuseineist, daßnureine Position imWortsinndesLogikers sieinsWanken bringenkann- Werglaubt,magselig werden,wereineNationalreligion,ein der Mode- wissenschaftangepaßtesChristentum,einen Privatgott fürdenHausgebrauch, einenMusterklerikersucht,magsiefinden.Nursollmanunsnicht längermehr vorschwatzen,GassenbalgereienseienderKampf,den dieMenschheitführt, umihresLebens und LeidensZweckzuerkennen, nichtlängereinrückständiges ReffentimentgegendasfrühereVorrecht derPriesterkaste fürdenBeweismo- dernsten Bewußtseinsausgeben.DieNutzlosigkeitdervonRegirungen,denen derMuthunddieKraftzusozialemWirkenfehlt, veranstalteten Pfaffen- hetzenhatderpariserArbeiterklarempfunden, der,alsereineKongregatio- nistenschuleschließensah, stöhnte:Davonwerdenunsere hungerndenKinder nichtsatt!Schwindelkünstekönnen aberauchdenDurst nachErkenntnißnicht stillen.UndSchwindelists,dummeroderschamloserBetrug,wennderEuro- päerheute sagt, erhabe eineKultur,dieergegen RomsschwarzeRotteschützen müsse.NochistKulturderdenMassenunzugänglicheSonderbesitzderfreisten Geister.Kultur hatteGoethe,daerderNatur dendröhnendenHymnus sang,derin das WortstolzerBescheidungausklingt: »Alles ist ihre Schuld, Allesist ihr Verdienst-«Kulturkannnur einer inneren Einheit entkeimen, einemgrade gewachsenenStamm,dessenWurzeln immerhininmystische Tiefehinabreichenmögen, dessenWipfelaufeineenträthseltscheinendeWelt herabschauenmüssen.Die Völker deschristlichenAbendlandes,denen ein Ab- grundGlaubenundThun,RedenundHandeln,KirchenlehreundStaats- bedürfnißtrennt unddieihrenHeilandverhüllenmüssen,ehesieindenKriegfür dieMachtoderfürdenGeldbeutelziehen,können keinenernsten Kulturkampf wagen.Ihnenkann die Sonne desSieges erst leuchten,wenn dieneuePo- sitiongewonnenist:dieauchdenMassengeistbindendeSittlichkeit,diedenKönig Anthropos entkrönt,ehrwürdigeMythologienindieMuseenbanntundohne HeuchlergrimassedemBedürfnißirdischbegrenzterArtentwickelunggenügt.

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Situation undSprache. 265

Situation und Sprache-II

ÆsisteinerderwichtigstenPunktein derSprachkritik, daßwirdenZu- sammenhangodervielmehrdieZusammenhanglosigkeitzwischender Wirklichkeitweltund denSprachlantenerkennen. Nie und nimmer hat ursprünglichimSprachlauteEtwas gelegen,daszueinem Dinginder Wirklichkeitweltdirekteoder indirekteBeziehung hatte. AlleBemühungen, dieSpracheaus einerNachahmungderWirklichkeitzu erklären,müssendaran scheitern.Wirhabenerkannt,daßauchdiescheinbar handgreiflichstenKlang- nach.1hmungennur metaphorische AnwendungendesKlanges sind;undwir haben vermuthet,daßselbst diesemetaphorischen Klangnachahmungenerst nachträglich,durcheineArtvon Volksetymologie,indenKlang hineinge- tragenworden sind. Dieser Auffassungvon derOnomalopöie widerspricht esalsonicht,wenn wirjede BezeichnungfürDingeoderErscheinungender Außenwelt fürdieZeitderSprachentstehung leugnen,wenn wirdenSprach- lautenineinerUrzeitnur hinweisendeKraftzugestehen,wie wirjaübrigens auchderentwickeltenSprachenur einehinweisende, deiktischeBedeutungbei- messen. Wegener(»Untersuchungenüber dieGrundfragendesSprachlebens«) nennt Das gerndenJmperativdesSprechenden.Das heißt:dieAuf- forderungandenHörenden,seine AufmerksamkeiteinembestimmtenPunkt dergegenwärtigenSituation zuzuwenden·Erweist darauf hin(unwillkürlich

nennen wir eineBelehrunggerneine»Hinweisung«),daßimfranzösischen

DemonstrativpronomendieseAufforderung nochzu entdeckensei.Ce(1ivre

u. s. w.) ist entstandenaus eoce oderecoe id. Sehrhübschist.dieBe- merkung,daß das »s«, mit dem in denindoeuropäischenSprachenso unendlich häufigderNominativ singularis,also die weitaus größteZahlderDinge inderWirklichkeitwelt,bezeichnetwird, ein altes Demonstrativum sei,unser ,,da«.Dieses»da« mag in einerUrzeitderallgemeinsteBegriff,dasewige psychologischePrädikat jeder Sprache gewesensein«Wir können mit aller Phantasie nicht mehrdieWegedesLaut: unddesBedeutungwandelsrekon- struiren, auf welchendanndieses»da« zuhundertsältigcnpsychologischenSub- jektenwurde, die danndem»da« oder »s«vorangestelltwurden. Verwandte Vorgängeaberlassen sichanderSprachbildungderKinder nochbeobachten-

Wenn kleineKindersprechenlernen, kommtesebensooftvor, daß die KinderdieSprachlautevonAmmeoderMutter nachplappern,wiedaß die AmmeoderMutter dasLallendesKindes zurVerständigungartiku- lirendnachahmt. DaßdasKinddoch schließlichdieSprachederErwachsenen lernt,rührtnur daher,daßessichineinererschreckendenMinorität gegen-

s)EinFragmentaus demdritten Band vonMauthners »Beiträgenzu einerKritikderSprache«,derimHerbstbeiCottaerscheinenwird.

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266 DieZukunft.

über seinemVolkebefindetundebeneiner fertigen Sprache gegenübersteht.

In beidenFällen obnun dasKind oder dieerwachsene Personden Sprachlaut zuerst hervorbringt—- bestehtdasSprechenlernen jedochdarin, daß derSprachlautodervielmehrdasBewegungsgefühldieses Sprachlautes sichmiteinerSeelensituationdesKindesassoziirt.DerSprachlaut weist aufdie Situation desHungers,derNässe,desLichtesu. s.w.hinund prägt sichnach einigenWiederholungen so festein,daßerandieseSituation erinnert. Wirwissen,daß das Wort »Milch«oderderentsprechendekind- licheSprachlaut wirklichnurandieallgemeineSituation erinnertunddarum inderSprachederErwachsenenbaldmitHunger,baldmitBefriedigung, mitBrustoderFlasche,mitBitte oderFröhlichkeitübersetztwerdenmüßte.

Daraus istesauchzubegreifen,weshalbMutter undKind einander ver- stehen,trotzdem dasKindanfangsniemals Sätze spricht, sondernnur ein- zelne Sprachlaute. Dieseerinnern an diegesammteSituation (unklar freilich)undmehr leistetimGrundeauchdieentwickelteSprache nicht.Ein größererUnterschied zwischenderSprachedeskleinenKindes undderder Erwachsenenbestehtaberdarin,daß dasaußerordentlicheGedächtnißderEr- wachsenenjedevergangeneSituation wachrufenkann,währendderSprach- laut deskleinen Kindes immer nur aufdiegegenwärtigeSituation hinweist.

Diesehinweisende, deiktischeSprache istnur insofern ebenfallseineThat desGedächtnisses,alsdasBewegungsgesühldesbestimmten Sprachlautes sich sehr frühmitderbestimmtenSituation assoziirthat. Das kleine Kind verbindet, zumBeispiel,mit seinemSprachlaut »Milch«oder dem ent- sprechendenhöchstensdieVorstellungder unmittelbar folgenden Zukunft (weinerlicher,bittender Ton)oderderunmittelbar vorausgegangenenVer- gangenheit (fröhlicher,dankenderTon).

Diese BeziehungaufdienächstenLust-undUnlustgefühleistcharakteristisch fürdieSprachedeskleinen Kindes;diegegenwärtigeSituation wirdja

nur dannwahrgenommenundnurinsoweit wahrgenommen,als sieinteressirt.

Dieses Interesse istbeimkleinen Kindeeinrein animalisches..Eshat nicht diegeringste Veranlassung,mit seinemDenken oderSprechenüberdiese Situation undüber dieGegenwart, nebstdenMomenten vorherundnach-- her,hinauszugehenDas InteressedeserwachsenenMenschenodergardas des»uneigennützigen«GelehrtenoderPhilosophen istfreilich ungleichaus- gedehnterundindirekter alsdieses animalische InteressedesKindes. Aber auchderVater, und wenn ereinPhilosophwäre, nimmt schließlichnur wahr,wasdurcheinnoch soindirektesInteresse seine Aufmerksamkeiterregt, und hatinseinemGehirnnur dieErinnerungenansolcheSituationen, die einmal seine Aufmerksamkeiterregthaben. Soweist auchjedesWortund jeder Worttheilderentwickelten Spracheschließlichimmerauf Situationen hin,dieirgendeinmal gegenwärtigewaren·

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