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Die Zukunft, 9. Januar, Bd. 46.

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Berlin, den 9.Januar x904(.

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Krimmitschau.

AnderTertiawarCoppåesGrieledesforgeronsunsdasliebsteGe- J dicht. Französischunddeutschkonnten wir diesteilenTiradenherunter- donnern,herunterwimmernundkamen uns,wennwirsthaten,wieberwegene

Rebellen gegenstaatlicheSatzungvor. VaterJean,derHeld, gabesden Reichen,denSaiten,allenTyrannen gut. Jedes jungeHerzmußtefürden Greisschlagen,der,alsVertrauensmannderKameraden,vordenFabrik- herrn hintrittundmitbescheidenerWürdefürdie darbendenSchmiede höheren Lohnerbittet. DerHerr knacktsichNüsseauf damit sollte,vorvierzig Jahren, dieeisigeHärtedesAusbeutcrsangedeutet werden; heute müßten mindestens Sektpfropsenknallen-—,lehnt dieForderungab unddroht,den UnbotmäßigenmorgendieFabrikthürzusperren.Dashattenurnochge- fehlt.DieSchmiede schwören,dieWerkstattnichtzubetreten,bisihr gerechtes Verlangenerfülltist. Jean leistetdenEidmit;underlebt nun alles Leid eineslangwierigen Winterstrikes.Keinwarmer Ofen,keinBrot;dasletzte verpsändbareStück imLeihhaus;«dieEnkel mitblossen, spitzenGesichtern undim Blick derzerarbeitetenHausfrau jedenAbend derselbeVorwurf,die .«

selbeFrage. Endlichträgtersnicht mehr.Gehtin dieStrikeversammlungund sagt offen, alsredlicherMann,erkönne zuHausdasElendnicht längeran- sehenundwolle,umWeib undBrutnicht verhungernzulassen,dieArbeit zUmfrüherenLohnwiederaufnehmen.BänglichesSchweigen ringsum.

Dannbrüllt einBengel: »FeigerSchufti«DerGreisbäumt sichund starrt;wierotherNebelliegtsvordemAuge.AlteRomanerinnerungen zuckenihmdurchsHirn.Schust!Das darfman nichthinnehmen;nurBlut

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wäschtsolchenSchimpfvonderEhre.EinDuell,nachderHerrenfitte.

Unsere WaffederSchmiedhammer.Mitgewaltigem Streich zerschmettert derAlte denSchädeldesjungen KneipenschwätzersAlsMörder stehter vordenGeschworenenundfleht:DenTod, nichtdasZuchthauslHeld undMärtyrer schienerdenKnaben,dieknirschtemSoist dieseWelt! Den Gerechten,derPflichtGetreuen treibtsieinsVerbrechen.Aberwenn wir erstgroßfind Wirerwachsen.UndeinesAbends hörte ichbei einem Proletarierfestden»StrikederSchmiede«deilamiren. Das, dachteich, giebteinenSturm; wiemußdasGedicht,dasschon Bourgeoissöhnchen entflammte, erst aufArbeiterwirken! Es wirktenicht.DieHörerschauten mürrischdreinundam Schlußwurdegezischt.EinErfahrener löstedas Räthsel.»Wie konnten«, spracher,»unsereGenossennur diesesZeug aufs Programm setzen!EinBlinder mußte doch voraussehen, daßbeiorganisir- ten Arbeitern kein Mitleid miteinemStrikcbrecherzufinden ist.« Davon hatteunserSchülersinnnichts geträumt.WaswissenTertianer vonsozialer Moral? Kinderfindstetandividualisten.EinMustcrbild tapfererTugend dünktenns derMann,denseineKlassengenoffenwieeinenLumpenbespeien.

VaterJeanlebte instillerer Zeit.HeutehätteervondenKameraden mehr zufürchten,von denRichtern mehrzuhoffen.Sein alterLeib wärevor

Hiebennicht sicher.DemTotschlägerwürde einebourgeoiseJurhaberdie Rechtswohlthatdes§213gewährenunderkämesichermiteinjährigerGe- fängnißstrafedavonsVielleichtnochglimpflicher; dennergehörtzu denvon JuristenundLaienzärtlichgeliebten,,Arbeitwilligen«undderZornüberunver- schuldeteschwereBeleidigunghatte ihn »aufderStellezur That hingerissen«.

Zwei Welten, zweiSprachen;undjede hatnatürlichauch fürdasUr- theilübersittlicheWertheihren eigenenJargon.»Arbeitwilliger«und,,Strile- brecher«sind gute Beispiele. ZurArbeitwillig zuschlechtbezahlter istderArme,den dergeringe Lohnaus tiefstemElendreißt,derso lange hungerndimFrost saß,daßersichnichtalsebenbürtigenGenossender Männer fühlt,dieumdieMöglichkeithöhererLebenshaltungkämpfen.Er willar- beiten, umihnen gleichzuwerden,undwird,wennersoweitist,keinenAugen- blickzögern, nach ihren Waffenzugreifen.Dasweißjeder Durchschnitts- fabrikant, jederausdumpfemTriebleben erwachte Arbeiter;Undwenn sie gerechtwären, müßtensie sagen:Den Mann warbbittersteNoth; eristnicht derbessereMensch,nichteinerbärmlicherKerl,verdientweder LiebenochHTßI sonder-nist,ganz wiewir, durchseinWirthschastbedürfnißdeterminirt. Doch siekönnennicht gerechtsein;wollensauch nicht. IhremDenkenöffnetund

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Krimmitfchaw 49 schließtdasKlassenbewußtfeindieWeiche.DieArbeiter wollenfürgeringere Anstrengung mehr Lohn,wollenzeigen,daß sie starkgenugsind,denstör- rigen KapitalistenzurAnnahme ihrer Bedingungenzuzwingen,undhaben fast schondenStillstanddesganzenBetriebes erreicht.DakommtHilfe.

Schlecht genähite, schlechtvorgebildete Leute;aberfüreinWeilchengehts undinzwischenwirdderalteStamm mürb. Kehrtgarvonden Striken·

den EinerzurArbeit zurück,dannempfangen ihn offeneArme.EinVraver, der denHetzernnicht nachderPfeifetanzt!EinWicht,der diegemeinsame Sacheverräth! Tausend Flüche gellenihm nach.Wirhabengedarbtund gefroren, standen beinahe schonamZiel:unddieses Gesindel,Arbeiterwie wir,raubtuns denKampfpreislDerBravemagfroh sein,wenn ernicht geprügeltwird. SoeingemeinerStrikebrecherl...Das ists eben,sagtder Bourgeois, auchdersehrliberale. Gegen Ausstande habenwirnichts,gar nichtsgegenLohnkämpfe,die dasGesetzerlaubt;weraber arbeiten will, darf nicht gehindert, gescholten,zumKrüppelgeschlagenwerden. DieserTerroris- musist nichtzu dulden.Terrorisrnus: drittesJargonbeispiel. effreilichhemmt Furcht undSchrecken denZuzug fremder Arbeiter.Jst dieErregungvonFu rcht undSchreckenabernichtein unbestreitbaresKriegsrechtPHalbe Compagnien liefenaus derFeldschlacht,wenn sie nichtmitflacherKlinge zurückgejagt würden.TausendeentflöhendemStrikegelübde,wenndieAngstvorSchmach undMißhandlungsie nicht hielte. OhnedieschreckendeStrafandrohung würdenAbertausendestehlen,rauben, sälschen,unterschlagen,Meineideschwö- renundmorden.SittlichenWerthwägtJhr?Terrorismus ist gut,wenner uns nützt,schlecht,wennerunsschadet.DieseganzePhrafeologiekönnteauch ein Tertianer leisten.WoErwachseneso kindischreden, brauchtKeiner sichdes Knabenwahneszuschämen,derin VaterJean,demArbeitwilligen,dem Strilebrecher,demOpferdesTerrorismus, einenHeldenundMärtyrer sah.

Als imReichstagüber den StrikederkrimmitschauerTextilarbeiter gesprochenwurde, erzähltedervonSachsenzumBundesrathbevollmächtigte Herr,einerArbeitwilligensei auf offener Straße zugerufenworden: »Du alte SauwillstdenStrikebrecher machen?Dichwollenwirschonkriegenl«

AndereArbeitwilligeseieneingeschüchtert,bedrohtund durchBewilligungdes FahrgeldeszurRückreisebestimmtworden.SolchenTerrorismusdürfedieRei girungnichtdulden...JnKrimmitschau,wohauptsächlichBuckskin,Shoddy, ngsogneund Wollesabrizirt wird, strikenseitdemAugust ungefährsieben- tOUfendArbeiter;steilenodersindausgesperrt.Die Frage,obStrikeoder Lockout vorliegt, ist nicht sehrwichtig.Jnsüanabrilenwurde, stattderelf-

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stündigen,diezehnstündigeArbeitzeit gefordertund dieAblehnungdesVer- langensmit derStrikeproklamationbeantwortet. SelbstHerrBebelhatge- sagt,er,,machedenArbeitgebeknkeinenVorwurf daraus, daßsieindiesem FalldieWaffederAussperrung gebrauchten«.Daswarvernünftig; denn die krimmitschauer Fabrikanten folgtendemselbenGefühlderSolidarität,das dieArbeitertreibt, ihre ausständigenGenossenzuunterstützen.Sie erklären:

Erstenskönnenwir,umkonkurrenzfähigzubleiben, diezehnstündigeArbeit- zeitnurgewähren,wenn siefürdie ganzedeutscheTextilindustrie gesetzlich vorgeschriebenwird,undzweitens lassenwir unsnichts abtrotzenzwirsind HerrenimeigenenHausundkennenEuch Pappenheimer:waswirjetzter-

»leben, istja dochnur dieProbemobilmachungfürdenkommendenKampfum denachtstündigenMaximalarbeitstag Jhrwolltsoschnellwiemöglichinacht Arbeitstunden mindestensebensoviel verdienen wiebisherinelf; gebenwir heute nach,dannkommtIhrmorgenmitneuer Zumuthung: deshalb weh- ren wiruns liebergleichjetzt.(Hintergedanke:Selbstwenn wirnachvier oder sechsMonaten schließlichnachgebenmüssen,findEureOrganisationen soge- fchmächt,dieMittel EurerBundesgenossensoerschöpft,daßwirfüreineWeile Ruhehaben.)Daraufantworten dieArbeiteerir werdenschlechterbezahltals unsereGenossenamRhein unthrkönntohnejedeSchädigungunsere gerechten Wünscheerfüllen;dennVerkürzungderArbeitzeitbedeutetnichtMinderung derProduktion.Bis 1881 habenwirzwölfStunden gearbeitet; jetztliefern wir inelfStundendasselbeOuantum. Unseremodernen Maschinenmachen in der MinutefünfundzwanzigbisdreißigSchußmehrals diealten, strengen unsaberauch mehran: also istsnurbillig, daßdieArbeitzeitverkürztwird.

Wirwerdenschnellerundbesserarbeitenunthr werdetanLicht,Heizung, MaschinenabnutzungKrankengeldernBeträchtlichessparen.WolltJhraber nicht: gut,dannmußmanEuch zwingen;wirhaltensaus. (Hintergedanke:

Selbstwenn wirnachvier odersechsMonaten dochnachgeben müssen,ist EuerProfit so geschmälert,EureBundeskafse so leer, daßJhr unserenächste Forderung nicht wiederhochmüthigablehnen werdet.)Die Arbeitersind tapfer geblieben.Siewerdenvondeutschenundfremden Gewerkschastenunterstützt, aberesistkeineKleinigkeit,daßsie diesen strengenWinterdurchdarbenund nichtinSchaarenderrothen Fahne entlaufen.Siefind auchruhig geblieben;

wasvon»Ausschreitungen«berichtetwird, istkaumderRedewerth.Auch vonAufsehernsolleinFabrikmädchenmanchmal schon»alteSau«genannt worden sein.UnddaßdenArbeitlosen, dieGalizierundCzechenalsErsatz- reserveanrückensehen,derZornin dieSchläfe steigtundSchimpfredenaus

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dieLippedrängt,istamEndenichtunverzeihlicherFrevel.DasstilleRingen hat GrößeundepischenStil. DervonSachsenzumBundesrathbevoll- mächtigteHerraberfühltdavonnichtsundglaubtdieAmtspflicht lobesam erfüllt,wenn erdie alteWeisevomTerrorismus derHetzerangestimmt hat.

DasistdieoffiziellePhraseologie.Esgiebt aucheineliberale,diesich besonderswildgegendiesächsischeRegirungaustobt. DieseRegirung ist wedersehr erleuchtetnochsehr modern; folls, nachdemWillen der inDres- denversammeltenVolksvertretung, auchgarnichtsein.Und einMinisterium, das den Willen derParlamentsmehrheit vollstreckt,dürfteeinLiberalereigent- lich nichttadeln. UebrigensvermagesinKrimrnitschaunichtvielBöseszu wirken.DieüblichenkleinenTracasserien. Versammlungenwerdenunter allerleiBorwänden verboten, Strikepoftenketten durchbrochen,diegebene- deitenArbeitwilligenvon Gendarmen in dieFabrik begleitet.DasAlles nütztderArbeitersachenur, schürtdieverglimmendeLeidenschaftundliefert denSozialdemokraten brauchbaren StoffzurAgitation.SiewärenTröpfe, wenn sie ihn nicht benutzten.Werabernicht parteilich interessirt ift, solltean solcheWinzigkeitnichtdieZeit vergeudenHatdenn je eineRegirung,diemitH of undHeer fortleben wollte,nichtdieGeschäftederreichftenKlassebesorgt? Ihre UnparteilichkeitbethenertjedezundjedeprägtderherrschendenMachtdasRecht.

Ruskinsagtirgendwo,alleStaatsreligionpredige einschläferndeWahrheiten (oderUnwahrheiten),derenZweckfei,denPöbelruhigbei derArbeitzu halten, währendwiruns aInusiren. Ungefährists auchderZweckallerstaatlichen SozialpolitikNochniehatein Volkaus fremder Geschichtegelernt;also müssenwir-sechzigJahre späterdieErfahrunginachen,diedenBritendieChar- tiftenepochebrachte.thD’Jsraelis»Sybil« ganzvergefsenPWeißNiemand mehr,wieoftinDurhamBlutfloß,inLaneashireArtillerie mitschwerem GefchiitzvordieFabrikthore fuhr?Etwas weitersindwirdochschon.Sogar imzwickauerAmtsbezirkwirdman Strikende nicht leichtenHerzensnieder- kartätschen.Wir werden diesächsischenExcellenzennicht ändern,können die letztenWurzelnderFeudalzeit nichtmit bleibendemErfolg ausjäten,ehesie demBewußtseinabgestorbensind,undsolltenimmerbedeixken,daßSentis mentalitäten undMoralgeboteimKrieg unnützlichnurdenTrain belasten.

Nicht so hartwie diegrünweißeRegirung, doch hartgenugwerden dieFabrikanten gescholten,derenUnverstanddenStrike oder Lockoutver- schUldethabe.NurumdieErhaltung ihrer Tyrannenmacht ists ihnenzu thun.SieschädigengewissenlosdasBolksvermögenunddieBolksgesundheit Undschämensichnicht,mitSlavenhilfeüberdeutscheLandsleutezusiegen.

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Ganz so schlimm,wieesklingt,meinens selbstdieSozialdemokratennicht;

vorzehnJahren, währenddesberliner Bierkrieges,war auchderBrauer Richard RoesickealsScheusalundKapitalistenbestieverschrienund wurdenach seinemTodedennochin dieGemeinschaftderheiligReinen erhöht.A la guerre comme ä la- guerre; undeinNarr,weraufdemSchlachtfeld überrauheWortedas Näschenrümpft. Doch nichtnur die Arbeiter: auchdie Unternehmer sindindrangvollerKriegsnothundhandelnimNothwehrrecht.

SeitMonaten haben sienurVerluste, stehensievorderGesahr,dieAbsatzmärkte sichsürimmergesperrt, dieKundschaftmorgen vielleichtin die konkurrirende SpinnerstadtVerviersabbiegenzusehen.NurinKinderbüchernundAgitato- renredenist jederFabrikbesitzereinsteinieicherMann; Erwachsenewissen,wie -ofthinterRenaissancemöbelndieSorge nistet. Diekritnmitschauer Buckjkin- königewerdennichthungern, vielleichtaber,mitlächelndemAntlitz, manche Hoffnungeingesargt haben.IhnenvonderKatheder herabinsGewissenzu reden,ist recht bequem; ob diegestrengenHerrenProfessorenundLiteratensich selbstabergar soleichtentschlö.ssen,freiwilligaufProfitundHerrenrechtzuver- zichten?DerFrage,werinLohnkämpsenRecht,werUnrecht hat, findet stets nur dieKlassenmoraldiebündigeAntwort. DieFabrikanten handeln nicht unsittlicheralsdie Arbeiter. DerProletarier willsich,feineeinzigeWaare, so theuerwiemöglichverkaufen,derKapitalist sie, so langeesirgend geht, nicht mithöheremPreis bezahlenalsdernachdemselbenKundenkreis auslugende Konkurrent. BeidenistdasWohl ihrer Klasse wichtigerals dasGedeihen derNation (die sich,denkensie, schonihrer-Hautwehrenwird),Beiden färbt dasgesellschaftlicheSein, nachMarxensWort,dasBewußtsein.Jcn Krieg werdenbeschwerlicheSchleierraschabgeworfen. Vorherhießes:Fortmit den fremdenStammsplittern aus deutschemLand! Dann,wenns anHänden fehlt, ruftderLandwirth Rassen,derFabrikantBöhmenundPolen herbei.

Warum nicht?DasKapital hatte langevordemProletariatseineInter- nationale. Noch sindwiramAnfang.Strikende Arbeiterwerdenschonjetzt vonausländischenGewerkvereinen unterstützt.JnternationaleStrikever- sicherungenderUnternehmerwerdenfolgen. Oberschlesienwird mitWest- falen,Verviers mitKrimmitschaudieBeutetheilen,die derStrikeins Land gebrachthat,unddie nationale Phrasewirdlustig weiterrasseln... Und wenn imzwickauerBezirknurTextiltyrannenundLeuteschinderwohnten:

werift so naiv,zuglauben,mitVernunftgründenundMoralpredigt seiihr Sinnzuwandeln? DieschönsteLogikvermagnichtwegzuschneiden,wasaus einemInteresse wuchs.AlleReden,diebeweisensolltenundbewiesen haben,

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Krimmitschau. 53 daßeinekommunistischeGesellschaftunmöglichwäre,sind ohneNachwirkung ins Leereverhallt(unddieRedenunseres neusten Reichssozialistentöterswer- den keinbesseresSchicksalhaben).AlleVersuche,mithumanen Sprüchlein denMächtigenBesitzrechteabzuschmeicheln,sind ohnedauerbares Ergebniß geblieben. AuchdieBedrohungmitkünftigerGefahr hatniegeholfen.Stärker nochals derstärksteAppellandieZukunftiststetsdasBedürfnißderGe- genwart. Keinervonuns,sagte Mallock, verzichtet,wenn ihn fröstelt,auch nur aufeineneinzigenKorbKohlen,umdenSchatzderBergwerke für seine Kindeskinder zuschonen.Und derSachse soll jetztvordenSlaven zittern?

UnsereSentiments beweisen,entscheidennichts.WennRußland sich starkgenugfühlt,wirdesJapan denKrieg erklären;undgenausowirdJa- panhandeln·BleibtderKrieg,den dasWeltheerderFabrikarbeitergegen dieBesitzerder zurProduktionnöthigenWerkzeugesührt,abernichteinKrieg, trotzdemerohneLanzengcklirrundKanonendvnnerausgefochtenwird?Wer heute Menschenleben vernichtet,bewirktnicht viel;dasZieldesmodernen Strategen ist: durch ZerstörungvonEigenthumdenGegnerzuschwächen.

Das willauchdasArbeiterheer,dassichimletztenJahrhundert langsam zusammengesundenundinkurzer Zeitvielschonerreicht hat.Es wirdnoch mehr erreichen. ElfStunden Arbeit, fürMänner undFrauen,fürein morsches Webergeschlecht:keineBeredsamkeitwirdso Geplagteüberzeugen, daßsolchesregnum hominis in derciviias deibeschlossenward. Wann dieseQualendenwird?An demTag,derdieAngreiser stärkerfindetals die Belagertenznichteine Stunde früher.KarlMarxhat sichundseinerGe- meindenieeingeredet,dieZukunftderMaschinenmenschheithängevondem gutenWillenund der Mildethronender Kapitalistenab;erwarnichtsenti- mental undwußte,daßsein Heer erst siegenkönne,wenn dieReservearmee verschwundenist,dasGewimmelderPaupers,diehintenaus Brosamenlauern undgern insFrohnjochkriechen.SolangeesinDeutschlanddichteSchanren Armergiebt,dieumjedenPreis fürdieMaschinenbedienungzuhabensind, können dieFabrikanten offizielleundoffiziöseVermittler vonderSchwelle weisen.DasGesetz,das diesozialeAuslese regelt, ist grausam, dochim Be- reichallesLebenden,dassichzufeinerenFormenentwickelnsoll, nichtzuent- behren;wie dasAugederim DunkellebendenThiere verblindet,verküm- mert, weil eswerthlos gewordenistunddurchSelektion nicht mehr aufder HöhederLeistungsähigkeitgehalten wird, so, sagtWeismann,müßteauchdie MenschlicheGesellschaftversiechen,dienichtimWettstreit mehr täglichdie Kraftzuerprobenhätte.UnddieseLehrederDarwinistenistnochnichtwiderlegt.

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...KrimmitschauisteinKriegsschauplatz.Als diesächsischeRegirungdes HohnesundSchimpfesmüde war, dervonallen Seitenauf sieniederregnete, schicktesieeinenParlamentärin dieWeberstadt.Die Arbeiterhörtenihnan, dieFabrikanten wiesen ihnab. Undwiederhießes: Seht diese schlechten Kerle!Bewiesenwar aber nur,daßsichdieUnternehmer noch kräftigerfüh- len als die Arbeiter.NurderSchwache parlamentirt auf offenemSchlacht- feld... Jstesdenn garnicht möglich,uns vonderbetäubenden,lähmenden politischen Phrasezubefreien? Müssenwirimmer,wenn zweiHeerhausen gegen einanderrücken,sragen,aufwelcherSeitediebesserenMenschenfechten, statt unsandasFritzenwortzuhalten«nachdemselbstderHerrgottmitden stärkstenSchwadronen ist?Niemand kauft theurer, verkauft seineWaare billiger,alsermuß.Warum sollenUnternehmermehr zahlen, Arbeitersich billiger anbieten,alssiemüssen?WeilsieanCareysHarmonie,anSpencers VersöhnungderInteressen glauben? SolcherGlaubemachtsie nichtsatt, heizt ihnen nichtdenOfen· Gymn asiastenmögendarüberstreiten,obVaterJean, ob derstolzeFabrikantzum edlerenMenschentypusgehörtundobKamerad- schaftoderFamilienbanddenSittsamenindiewichtigerePflichtzwingt.Dem Knabenalter EntwachsenehabenAndereszuthun; habenzufragen,auswel- chemLagerderhöhereKulturwerthalsKampspreiswinkt. UnddieserFrage ist die Antwort schnellgefunden.DerSiegderArbeiterbliebenicht aufKrim- mitschau beschränkt;Tausende deutscherMännerkönnten dannreichlicher essen,Tausende deutscher-Frauenbesserfür dieKinder,denHaushaltsorgen.

Nur natürlichalso, daßdiesenSiegAllewünschen,denenerkeineKosten aus- bürden würde. Alle? DieRegirungen wünschenihn nicht. Erstens,weiljede

»Unbotmäßigkeit«ihneneinGtäuelist. Zweitens, weilsienichtahnen, daßdie Jndustriekapitänemorgen, spätestensübermorgennicht mehrdiesouverain herrschendeKlasseseinwerden.RückständigkeitwarvonjeherdasschönsteBor- rechtallerRegirungen.SiewollengesundeSoldaten undlassenin ganzen ProvinzendasVolkverlrüppeln.SiebrauchenSteuern undärgern sich-, wenn derMassenlohnsteigt.SiesuchenMärkte undjubeln,wenneinStrike- brecherheerihnendeneinzig sicherenMarkt,denheimischen,sperrt,dieKaus- kraftderMillionen nichtwachsenläßt,die denStaat ernähren,erhalten.

MansollteSekundaner zurRegirung berufen.DieTertiakanndasLied nicht blasen.Und wirKinderhattengehofft:Wenn wirerst großsind...i

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Berliner Sezession 55

Berliner Sezession.

Wird

esjeeineZeit geben,woRodinsoallgemeinderBewunderung würdig erscheintwiejetztMichelangelo?Wo derJugend, stattder Medicäer- grabmale,Abgüsseder»Bürgervon Calais« unddes»Balzac«alsIdeal- werkederPlastik gezeigtwerden unddieZeichnungendesModernen sover- ständlichgeworden sindwiediedesgroßen Renaissancekünstlers?Esist schwer, sicheinesolcheZukunftundihren Geistvorzustellen.Rodins Kunst giebt machtvollenAntrieb,bereitet demKunstverstand Entzücken,regtbis zurschmerzhaftenSpannungan; Glück undBegeisterungabererlebtman ihrgegenübernicht;oderdochnicht ungetrübt.Jhrfehltdie läuterndeKraft, dasAbsolute, ihr mangelndieEigenschaften,dieKunstwerkeaus einerZeit indie andere hinüberretten. Entscheidend fürdiekndgiltigeWerthungder KunstsindschließlichallgemeineJustinite.Können abergerade sieanRodin herankommen?Kann diesesGeniemitdemfeiner selbstunbewußtenLebens- gefühl begriffenwerden? Vielleicht doch:aberwelch seltsamer Zustand muß essein,wenn JünglingeundMädchenindemfreudlosen Tiefsinn,derweh- müthigen Schönheitundleidvollen Erhabenheit dieser zwischen Extremeu schwebendenKunst sich selbst wiedersinden,wenn dasrascheEntzückender Jugendsoaussiehtwieunsere wahrhafte,aber seltenlächelnde,etwaser-

grübelteundauch aggressiveBewunderung!

Jegrößerdic.PersönlichkeitdesKünstlers ist, destoreinerproduzirt sie dasAllgemeine.DarinliegtdasGkheimnißihrer UnsterblichkeitLebenden Künstlern gegenüberistesaberschwer,zuunterscheiden,obihre Originalität eitler EigenwilligkeitentspringtodernothwendigeFormderGründlichkeit ist. Wassolluns leiten? Das spontane Gefühl?Vor Michelangelos architektonischgethürmtenWerken laufenEinem kalteSchauerüberden Rücken;vorRodins Werkenbleibtdiese stärksteErschütterungaus. Hierin liegtabernichts Entscheidendes,dennThränenkannauchdasSpieleiner Drehorgelhervorrufen.DieWerkederVildendenKunst lösen selten solche Affekteauswie die derPoesieundMusik; geschiehtesaber,so istesfast immerdasAtchitektonische,dasRhythmifch-Symmetrische,waserschütternd wirkt. Und wie vielehöchsteKunstwertheliegendochin Malerei undSkulptur abseitsvomArchitektonischenlVielleichtmißtdieSeele miteinemMaß,das- derVerstand nichtkennt,nachdenGesetzeneinerSittlichkeit,dienichtvon Prophetenund Priesternstammt, sondernvom Weltgeist,miteiner Ethik, dieallahnendesErhaltungsgefühlist. VielleichtgiebteskeinsicheresUrtheil alsdasdurchdieTheilnahmeAltergebildete,keineWahrheitalsdiedurch dieZeit ausgesprochene.

Daß solcheFragen sichvordenZeichnungenRodins einstellen,könnte-

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uns überreden,diesen seltenenKünstler denGrößten zuzurechnen. Besser

·nochalsmitMichelangelo,wieesjetzt vielfachgeschieht,kannman ihnmit Donatello vergleichen;unddasSchicksaldieses Künstlers-,dererst nach Jahr- hunderten,voneinemspätenGeschlecht,wiederentdecktwerdenmußte,scheint auchdembesonderen WesenRodins angemessenen Dochmagesimmerhin lohnen,einenAugenblickbeidemerstenVergleichzuweilen,dervonAnderen angestelltworden ist. ZuentscheidendenResultatenkannman janichtge- langen; dochdaVergleichedaseinzigeMittel sind,um Empfindungenzu wägen, darfman sichdieser Begriffs-stützenschonbedienen.

MichelangeloundRodinunterscheidensichwieihre Epochen.-Jener war eingeniales Ich,in dem dieWeltist;erüberwältigte,waserdarstellte.

Dieserist mehr InstrumentalsSpielerundstehtdemStoffleidendgegen- über.Jener machteinsichgerundcte Dinge, gabeineSynthesedesplastischen· Lebens. Dieser giebt Theile; seineWerke sindErläuterungeneinerano- nhmen Synthese.Wennman jedeArbeit desRenaissancekünftlerseinem Kreis vergleichenkann, in dem alles Verwandte eingeschlossenistundzum Mittelpunkt gravitirt, so bewegt sichderGeistRodins inParabeln:ausdem Unergründlichenemporsteigend,sinktdieKurve,inprachtvollernBogen,ins Unergründlichezurück.WoderEine dasSummarische will,einBildner desSeins ist,suchtderAnderedieReduktionundisteinBildner derMeta- morphose;woJenerPhantasienübervieleAnschauungen gestaltet,bildet DieserdiePhantasie innerhalbeinerAnschauung.BeiRodin istdie Idee stetsaußerhalbundruft ihmzu,siezugestalten;Michelangeloaberistdie Idee selbst.Erhatdas Monumentale, derModerne dasPsychologische.

DeralteMeister hatim Blickdesvom ungeheurenRingen durchmodellirten GesichtesdiegroßeGüte. Rodin sieht hart, drohendundauchwiederein- geschüchtertinsLeben, blicktgleichEinem, der denSiegeinerstärkerenMacht ablistetundmitdemKnnststoff kämpft,wie derLandmann mitderNatur- Manchmal scheintes,alsbestündedasGenie desFranzosendarin, mit höchsterAnspannungzuerstreben,was jene titanischeNatur vorihmvor- aus hatte.Wenn erserreichte, aufdenüber das tiefererschlosseneLeben derGegenwart sührendenWegeneserreichte!... Erwirdnicht-

DieinderSezession ausgestellten Zeichnungen vervollständigendas Bildseiner Kunst,wiedieHandschrifteinenCharakter kennzeichnenhilft.

Essind.ZeichnnngeneinesBildhauers,Studien desPlastikers,dieAbge- schlossenheitim Sinn derGraphik nicht beanspruchen.Das Studium richtet sich nicht auf anatomischeDetails,dientnichtderUebung;essuchtvielmehr dieIdeenderRealität, befragtdieErscheinungenntn Geheimnisse,denen keinePhantasie gewachsenist,die aberdochdiePhantasie entscheidendbe- -fruchten. ZweiArten von Zeichnungensindzuunterscheiden:diekräftig

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»inSchwarzundWeiß hergestelltenSkizzenfürplastischeEntwürfeUnddie nur konturirten undleichtgetuschtenModellstudien.Die Arbeiten derersten Artsind offenbaraus dem Kopf gemacht;darum sind siemalerisch mehr fertigundbildhast vollständigSiesindes, dieamMeistenandieHand- schriftMichelangelos erinnern;nur kommtzugleichnocheine ArtderLicht- behandlunghinzu,dieauchanRembrandt denkenläßt.Es sind Produkte eineraus reichen Erinnerungbildern schöpfenden,komponirendenPhantasie-

·Lehrreichernoch sinddieModellstudien· Hier istwieinathemloserEile ieinKörpermiteiner einzigenLinieumschrieben, ohne Rücksichtaufdas Einzelne. Welche seltsame Art,zusehen, welche wunderliche Ausleseaus denunendlichenMöglichkeiten!Undwiewahr dochundschön!Wenndie Künstler früher,nachLessingsWort,dasJdealdaiinsahen,zu malen, »wie sich dieplastischeNatur das Bild dachte, ohnedenAbfall,welchender widerstrebende Stoffunvermeidlich macht«, so hältRodin sich geradean Das, was derwiderstrebendeStoff unvermeidlich macht.Deshalberinnert man sichvor seinen Arbeiten auchandiemerkwürdigeZwischenbemerkung Contis inBezugaus »dieplastischeNatur«: »w(nniseinegiebt.«Die Alten undihre Epigonen suchtendieHarmoniedesdynamischen Gesetzes;

Rodin suchtdieDissonanz auf harmonischer Grundlage. Erbelauert das Modell inAugenblickendesSelbstvergesfens,giebtvoneinerStellung nicht Das, um desssnwillenAkademikrr demModell Posenersinnen,sondern dasUnbewußte,dasunter derOberflächederäußerenGeste liegt,dieWahr- heit,dieunter der theatralischen Lüge athmet,diePsychologiedes Unwill- kürlichen,die inWortenicht faßbar ist.

Diese Zeichnungenstellennur weiblicheModelledar;deragileMänner- körperkönnte indieser Weise nicht gezeichnetwerden. DieArbeitweise denkt man sichso: zuerst folgtderStiftdenschlaffenGeberdendesFleisches,ein Geist schautan,fürden dieGrenzendesLebensnichtmitdenGrenzlinien derKörper zusammenfallen,derseine artistischen Schlüssezuziehen weiß, wenn zwei Frauenkörpersicherotischineinander schmiegen,sich suchenund sichmitallenFlächendesLeibeszuküssenstreben;dann vervollständigtder KünstlerdieSkizzemitwenigen, rafsinirt angewandten Tuschtönen,manch- malauch mitleisen Schatten,die, trotz derschüchternstenDelikatesse,den ScheinvollenplastischenLebenserzeugen, undendlich siehterdannzu,was aus dersonotirten Anschauungzugewinnen ist. Manchmal drehterein Blatt um,machtaus LiegendenFallende,deutethinterdreineinFlügelpaar an oderbenutzt einenZufall,um daraus einenLandschafthintergrundzu machen.DieAnschauungund derZufall organisiren ihmdieIdee;den ofsiziellenGeistderKunstgewinnteraus demanonymen GeistderNatur.

AusdemNichts erheben sichgroße,reine, immer etwas müde Geberden,die

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Diese Hoffnung sei natürlich das Resultat bestimmter ·.Wahrneh1nungen, die er von der hohen Warte seiner exponirten Stellung aus zu machen in der Lage war. Aber diese Wahrnehmungen

wichtigenStreitfrage gründlich zu informiren, wenn es ohne großenZeit- aufwand möglichist; und die Lecture der beiden Kritiken (5l und 41 Seiten) erfordert nicht mehr als eine

zwischen liegt, ist Unwahrhaftigkeit und Heucheleif Hier sind wieder zunächst einige Unklarheiten zu beseitigen. Nicht aus Gewissensdrang glaubt man, sondern, weil man als Kind

erfordern weit mehr Geduld und Beharren als die Einführung eines neuen, die Abschaffung eines veralteten Gesetzes. Und doch wird die Entwickelung in dicfet Richtung vorwärts

Höher hinauf konnte ihn nur die Hand einer Frau führen. Er konnte der insguin einer Nana werden, die ihre Freunde für ihn alarmirte, ihn Von ihrem Deputirten für die

Deighton kam vom Artillerielager herüber und machte ein trauriges Mittags- mahl in der Messe mit; zur allgemeinen Niedergeschlagenheitsteuerte er dadurch bei, daß er fast über

se beantragt. Die Agrarier drohen mit Obstruktion Doch sie werden sich eines Tages indas Unabänderliche fügenmüssen und vielleichtnicht einmal Gelegenheit haben, zum Ausgleich

Der Neudruck dieserSchrift, die lange gänzlichausdem Buchhandel ver- schwunden war, ist längst nothwendig geworden. Wegen äußerer und zum Theil innerer Hindernisse aber konnte er