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Unser Bund: Älterenblatt des Bundes deutscher Jugendvereine, Jg. 19. August 1930, Nr 8.

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UNSER BUND

ALTERENBLATT DES BLINDE-s DEUTSCHER JUGENDVEREINE

Ast-A

19·JAHR AUGUST 1930ERNTING NR-8

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UnserBund

herausgegebenvom Bund DeutscherJugendvereinee.V.

Bundesleiter: Pros.D. Dr.Wilhelm Stählin, Münsteri.W., Paul- straße15(Fernrus 26397).

BundeskanzleiundBundesgeschästsstelle:Göttingen,Weender Land- straße8l(Postsach;204), FernrusGöttingen2851.

Bundeswart AugustdeHaas,- BundesgeschästssiihrerkGeorgBrust,

-Göttingen,Postsach204.

PostscheckkontodesBundes: Berlin Nr. 22226.

Schristleitnng:

ZörgErb, Hauptlehrer, Gersbach,AmtSchopsheim (Baden).

Bestellung-

BeiderPostoderbeiderKanzleidesBDJ., Göttingen,Postsach204.

Preis: Vierteljährlich1.50RMk.

Bezahlung-

Bei derPostoderbeimBund DeutscherJugendvereine,Göttingen, PostscheckkontmBerlin Nr.22226.

Inhalt dieses Heftesx

ErwerbslosigkeitundWohlsahrtspslege-ArbeitslosigkeitundWoh- nungsnot - JungeGeneration undihre Führungsausgabe- Aus- sprach: Reichstagswahl. Verantwortung. Sachlichkeit. Bindung- Umschau-DieBlockslöte- BuchundBild-DieEcke-Anzeigen.

AnschristenderMitarbeiter:

Reg.-NatD1-. Marx, Hamburg39,Heilholtkamp19-DBS. Darm- stadt-Jng Erb,Gersbach-AmtSchopfheim- Heinrich Arneth, ZimmernbeiPappenheim,Mittelfr.- Gustav Rauterberg, Wohlau inSchlesien.

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Erwerbslosigkeitund Wohlfahrtspslege.

Angesichtsderwachsenden Zahl erwerbsloser Bundesgeschwister sahenwir unsveranlaßt,unsamAlterentaginHamburgmit einemsozialpolitischenThema zubeschäftigen.Herr Reg.-RatDr.Marx hieltuns einReferatüberUmfangund Auswirkungen derArbeitslosigkeitimReichunddieMaßnahmender Arbeits- fürsorge besondersinHamburg.Wennnunversucht wird,denuns wichtigge- wordenen Vortragberichtweise wiederzugeben, so istdieFüllederEinzelfragen, die in derAussprache angeschnitten wurden,dabeiunberücksichtigtgeblieben.Da- gegen besteht jadieMöglichkeiteinerAusspracheindiesenBlättern.

DasbedrückendeGesamtbild,dasheutedieinnenpolitischeLageDeutsch-s lands bietet,wirdwesentlichbestimmt durchdiekatastrophaleEntwicklung derArbeitslosigkeit Zwarsind auchandere Länderkeineswegsvon der Arbeitslosigkeitverschont geblieben;aberderGrad derErwerbslosigkeit hatseitdemJahre 1929inDeutschlandeineunvorhersehbareSteigerung erfahren,währenddieErwerbslosenziffernimAusland imgroßenund ganzen ziemlichkonstantgeblieben sind.

Soschweresist,wirksame MaßregelnzurBekämpfungderArbeitslosig- keitzuerdenkenunddurchzuführen,so wenigsinduns

dieUrsachender Arbeitslosigkeit verborgen. Unter diesenUrsachenmüssenan ersterStelle diejenigener- wähnt werden,diesichüberwiegendalsFolgen des Weltkrieges dar- stellen.Dadieser Kriegwegen seinerDauer notwendigerweise nichtnur einKampf militärischerEinheiten gegeneinander bleibenkonnte, sondern inseinem VerlaufstärkerundstärkerdiegesamtewirtschaftlicheGütererzeu- gunginseinenDienststellte,haben hochentwickelteIndustrienihr ursprüng- licheswirtschaftliches Zielbeiseite lassenundsichindieKriegsführungein- gliedern müssen. NachdemFriedensschlußwiederholte sich dieser Vorgang mitentgegengesetzter Zielrichtung:dieIndustrienwandten sichihrerein- stigenErzeugungsaufgabewieder zu.Ineinem so fein gegliederten und empfindlichenTriebwerk,wieesschondieVorkriegswirtschaftwar, ließen sichselbstverständlichsolchedurchgreifendenUmordnungen nicht ohne schwere Erschütterungen durchführen,zumalesdabeidurchausan einerwirklich sinnvollenundinderNatur derDinge begründeten Entwicklung fehlte.

DieschaotischeDurcheinander,in dasderKriegdieWirtschaftgestürzthatte, wirktesich naturgemäß auch aufdieGestaltungdesArbeitsmarktes er-

heblichaus. Außerdemsind durchdiegroßekriegerischeAuseinandersetzung aufeuropäischemBodenunabsehbare wirtschaftlicheWerteplanmäßig,aber zwecklosvernichtetworden,-diesewerte sindzum großenTeilunwieder- bringlich verloren, so daßeineVerminderung desVolksvermögens einge- treten ist.VerminderungdesVolksvermögens bedeutet regelmäßig auch Kapitalmangel. Der Kapitalmangel erschwertees derWirtschaft,die Gütererzeugung soweiter fortzuführen,wie dasan sichnachdemStande derVorkriegsjahre denkbar gewesenwäre. Ohne Kapitalund ohnedie

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Sicherungeinergewissen natürlichenKapitalbildungistesunmöglich,eine daniederliegende Wirtschaftwieder anzukurbeln. DerEinsatzderMänner imHeeresdiensthatteüberdies ingroßem UmfangdieEinordnung von Frauenindenwirtschaftlichen Herstellungsvorgang erforderlichgemacht.

Mit demZurückströmenderKriegsteilnehmer mußteeszwangsläufigzu eineruferlosenAberschwemmungdesArbeitsmarktes kommen.

Abernebendenunmittelbaren odermittelbaren Kriegsfolgen muß noch aufeineweitere LlrsachederArbeitslosigkeithingewiesen werden,dievon kaumzuüberschätzenderTragweite ist:dieNationalisierung Die Ra- tionalisierung trittuns inverschiedenen Formen entgegen. Einmal zeigt sie sichindemVordringen maschinellerBetriebsweise,diebei demHoch- stande unsereTechnikdiemenschlicheArbeitskraftinständig zunehmendem Maße freisetzt.Wenn man bedenkt, daßesMaschinengibt,die in einer Minute 40000 Glühbirnenoder die(inderZigarettenindustrie)in einer Stunde 72000 Jigaretten herstellen,so läßt sichandiesenbeidenBeispielen bereits ermessen,wie engRationalisierungundArbeitslosigkeitmiteinander verknüpftsind.ZudemAberhandnehmenderMaschinetrittdasBestreben, in denherstellenden Betrieben alles abzustoßen,was nicht völliglebens- fähigundlebenskräftigist.Einsolcher Bereinigungsvorgang trägtim rein ökonomischenSinne regelmäßigzurGesundungbei,-doch handeltessich um eineKur,diedenWirtschaftskörperhart angreift. Voraussetzungfür denBereinigungsvorgang ist, daßdieVielheitderEinzelbetriebeunter einem einheitlichenWillen zusammengefaßtwird. DieZusammenfassung vollzieht sichaufdemWegedersenkrechtenoder derwagerechtenZusammen- fassung;dergesamte Bearbeitungsvorgang vom Rohstofsbiszur Fertig-

ware wird ineinem einzigen Riesenbetriebzusammengedrängt,oder Unternehmungen dergleichenBranchenwerden zu einer umfassenden Organisationvereinigt. AberdieAusmerzungunrentabler Einzelbetriebe führtmeistzu einerVerengungdesArbeitsmarktes, so daßeinertechnisch hochentwickeltenIndustrieeineunabsehbareMassevon Erwerbslosengegen- übersteht. Endlich erweist sichderGeistderRationalisierung in derheute vorherrschenden Serienherstellung, wo infolge genauester Arbeitsteilung dereinzelne Arbeitnehmernur mehrmit einerwinzigenund unbedeuten- denHandreichungbetraut wird,ohne daßergelernter Arbeiter imeigent- lichenSinne zusein braucht.DadurchwirdesderIndustriemöglich,die ArbeiterzahlinZeitenderKonjunkturvonheuteaufmorgen ohne Schwierig- keitzuvervielfachen, während bei Eintritt rückläufigerBewegungamMarkt dieseArbeitnehmerunverzüglichgekündigtwerden können,- esbestehtkeine Notwendigkeitmehr, auchüberZwischenräumekrisenhafter Marktgestaltung hinauseinenStamm von Arbeitern inErwartung einergünstigerenWirt- schaftslageimBetriebe zuerhalten,weilderfürdieHandreichungbefähigte Arbeitnehmeraus demüberwältigendenAngebotvon Arbeitskräftenjeder- zeit reibungslos entnommen Undindas Werkeingetellt werden kann.

Wahrscheinlicherklärt sichdaraus,daßdieBeschäftigungsurve inDeutschland gegenüberdenVorkriegsjahren gewissermaßenwildhinund herzuckt,je nachderMarktlageimeinzelnen.DieRationalisierung istunterbestimmten

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VoraussetzungenalsoineigentümlicherWeisederFeinddesArbeitnehmers Und einwesentlicher Umstandin derEntwicklungderArbeitslosigkeit.Da- mit wirdinimmer erheblicheremUmfangtechnischerFortschrittundAus- gliederungmenschlicherArbeitskraftmiteinander verbunden,solange nicht dertechnischeFortschrittvon einerAusweitung derAbsatzmöglichkeitfür dieGütererzeugung begleitet ist.Undgeradedaran fehltesfürdiedeutschen Industrien, dienachdemKriege aufdenWeltmärkten überall mitjungen ausländischenIndustrien zusammengestoßensind.Soisteserklärlich,wenn esbeispielsweiseinSachsen verhältnismäßig kleineBezirke gibt,indenen infolgederRationalisierung 12000 Arbeitsplätzeverloren gegangen sind.

LetztlichveranlaßtdieanflutendeNot immer mehrMenschen,alsArbeit- nehmer ihrBrot zusuchen,-so sindindenletztenvierJahren balddrei Millionen Menschenals ArbeitnehmerindenKampfum dieArbeit neu eingetreten.

MaßregelnzurBekämpfung derArbeitslosigkeit.

KeinStaat, dersichalsGemeinschaftallerVolksgenossenfühlt, kann sichmitdieserEntwicklungabfinden, ohne wirksame Abhilfe mit allen Kräften anzustreben. Die Mitverantwortlichkeit des Staates fürdeneinzelnenVolksgenossenist geradeinDeutschlandvon jeherals einederGrundlagen desöffentlichenLebens lebhaftempfunden worden.

Auf diesem LeitgedankenberuhtdiedeutscheSozialversicherung,diemittler- weile von vielen anderen Staaten übernommen worden ist.Wenn der Staat von derNotwendigkeit durchdrungenwar, MaßnahmenzurBe- kämpfungderArbeitslosigkeit ergreifenzumüssen, soboten sich für ihn inDeutschland zwei Wege. Aufder einenSeite mußte derV ersuchunter-

nommen werden, durch planvolleAusgleichungvon Arbeitsangebot und

Arbeitsnachfrage Erwerbslose inArbeit zuvermitteln-« aufderan- deren Seite erschienes unabweisbar,deneinzelnen Arbeitslosen durch Sicherung eines äußerstenExistenzminimumsvor dervölligen Verelen- dungzubewahren,alsoeineErwerbslosenfürsorge durchzuführen.

DiesebeidenAufgaben sindinDeutschlanddenn auchfrühalsdringlich erkannt worden. Ursprünglichentstand sowohldieöffentlicheArbeitsver- mittlung wieauchdieErwerbslosenfürsorgeinnerhalbderdeutschen Ge- meinden. BeidiesemZustandlagderVorteildarin, daßdie mit der Ar- beitsvermittlung betrauten Gemeindeorgane sämtlicheiner einheitlichen Leitung unterstandenund aufsolche Weiseeingutes Hand-in-Hand- arbeiten zwischenFürsorgeundArbeitsvermittlung gesichertwar. Diesem Vorteil standeinNachteil gegenüber,indem einegroßzügigeArbeitsver- mittlung,diesich nichtbloßaufdieErfüllungörtlicherAufgabenbe- schränkte,infolge allzuenger Zuständigkeitsgrenzennur schwerindie Wege geleitetwerden konnte. JemehrdasProblemderBekämpfungder Arbeitslosigkeitalseinallgemeines nationales Problem aufgefaßt wurde- destostärkerwurde derWunsch,dieLösungdergroßenAufgabeeinerum-

spannenden Organisation zuübertragen,dieunschwer überkleinliche Hemmnisseund örtliche SonderwünschehinwegzuschreiteninderLage

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war. Gleichzeitigerschieneserstrebenswertundrichtig,aus derErwerbs- losenfürsorgeeinen neuen Zweigder deutschenSozialversicherungzu machen. Jahrelang hatman indenzuständigenNeichsministerienEr- wägungen dieserArtangestelltund EntwürsezueinemGesetzausgear- beitet-,das dieArbeitsvermittlung vereinheitlichenund dieArbeitslosen- versicherungeinführensollte.

Das GesetzüberArbeitsvermittlung undArbeitslosenversicherung dasalsErgebnis dieser Erwägungenunter dem 16.Juli1927 nachunge- wöhnlichkurzerBeratung vom Parlament verabschiedetwurde, erschien trotzdemnicht durchdie Dauer derVorarbeiten zumGuten beeinflußtzu sein:bereits am 12.Oktober 1929 mußteesinentscheidender Weiseum- gestaltetwerden. DasGesetzvon 1927übertrugdieArbeitsvermittlung wieauchdieVersicherunggegen ArbeitslosigkeiteinerbesonderenReichs- anstalt, derenOrganedieLandesarbeitsämter und dieArbeitsämter sind.

IndenOrganen istderGrundsatzderSelbstverwaltung der Wirt- schaftverwirklicht:sie sind kollegial gegliedert,-dieKollegiensetzensich zusammenaus Vertretern derArbeitnehmer,aus Vertretern derArbeit- geberund aus Vertretern der beteiligten Gemeinden. Im Falleder ArbeitslosigkeitistderArbeitnehmernachdemGesetzzumBezugevon Versicherungsleistungen berechtigt,sofernerdurcheineversicherungspflich- tigeBeschäftigungvon bestimmterDauer dieAnwartschaftaufdieVer- sicherungsleistung,nämlichdieArbeitslosenunterstützung, erworben hat und den AnspruchaufArbeitslosenunterstützungaußerdem noch nicht durcheineimGesetz festgelegte Bezugsdauererschöpfthat.DieMit- tel derReichsanstalt werden durchBeiträge der Arbeitnehmer und derArbeitgeber jezurHälfteaufgebracht.InZeitenandauernd besonders ungünstigerArbeitsmarktlagemuß außerdemderReichsarbeitsministerdie GewährungderArbeitslosenunterstützungalsKrisenunterstiitzung zu- gunsten solcherArbeitsloser zulassen,dieentweder dieAnwartschaftszeit noch nicht erfülltoder denAnspruch aufArbeitslosenunterstützungerschöpft habenunddeshalbaus derArbeitslosenunterstützungausgesteuertworden sind.Vondemnotwendigen Aufwand,derdurchdieKrisenunterstützung entsteht,trägtvier Fünfteldas Reich, währenddas restlicheFünftelaus denHaushaltsplänenderbeteiligtenGemeinden aufgebrachtwird. Unter besonderenVoraussetzungenkannaußerdemdasReichandieReichsanstalt für ArbeitsvermittlungundArbeitslosenversicherungDarlehen gewähren.

DasKatastrophenjahr1929,in dem zumersten Mal nacheinembesonders langanhaltendenundstrengen WinterdieerhoffteAuflockerungdesArbeits- marktes währendder Sommermonate ausblieb unddadurchderJahres- durchschnittderArbeitslosenzahlfür DeutschlandeineschwindelndeHöhe erreichte, brachtenotwendigerweisediejungeReichsanstaltinschwerstefinan- zielle Bedrängnis. Wenn auchdieArbeitslosigkeit sichalsversicherbarer- wiesen hat, soweit sieim normalen VerlaufderDinge eintrittundalsnor- maleArbeitslosigkeiteiner rechnerischenKalkulation unterzogen werden kann, so reicht dochkeineaufBeitragsleistung aufgebauteVersicherungaus,

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Um Dauer-krisen gewachsenzusein. Schon am 6.Mai 1929sah sich dieReichsregierung derbitteren Notwendigkeit gegenüber,eine durch- greifende ReformdesGesetzesüberArbeitsvermittlung und Arbeits- losenversicherung zwecks Erzielung finanzieller Ersparnisse durch- zuführen.Die Notwar so groß,daß nichteinmal abgewartetwerden konnte, inwieweit gewissenMißständenundMißbräuchenaufdemGebietder Ar- beitslosenversicherungimWegevon Verwaltungsvorschriftenentgegenzu- treten war. Nachharten Kämpfen zwischendengroßen Parteien erging imHerbst1929 diebereits erwähnteGesetzesnovelle,durchdie die Anwartschaftszeiterheblichverlängert wurde, gewisse Gruppen vom Be- zugederArbeitslosenunterstützungausgeschlossenwurden und eineein- schränkendeUmschreibungdesBegriffesderArbeitslosigkeitin demGesetz vorgenommen wurde. Mitdieser,,Verschlechterung«desGesetzesging der Abbau derKrisenfürsorgeHandinHand. ObersteParole fürdie Reichsanstalt wurde jetztdas harte Wort: sparen, während aufder anderen Seite dieBeiträgeerhöhtwurden. DieNotwendigkeit,dieAus- gabenmit denEinnahmeninEinklangbringenzumüssen,wurde durch dasGesetzvom 28.April 1930 noch unterstrichen. Das Sparsamkeits- strebenlöstejedochnichtinvollemUmfangdieerwünschtenWirkungen aus. Von einer Sanierung derReichsanstalt kann selbstheute noch nichtdieRede sein.Aufderanderen Seite mußtedieReichsanstalt, wenn siesichdemZwangesparsamsterWirtschaftsführungvölligfügen wollte, in die Gefahr geraten, einen Teil ihrer eigentlichen Auf- gabenaus denAugenzuverlieren. Hierzeigte sich,daßdieVerkoppelung von Sozialversicherungsträgerund Arbeitsvermittlungs-Instanz auch verhängnisvollwirkenkonnte. WährenddasGesetzeineArbeitsvermitt- lung auchunter Berücksichtigungder persönlichenVerhältnissedes Ar- beitsuchendenund derDauer derArbeitslosigkeitdesBewerbers gebietet, währendnachdiesen BestimmungengeradederlangsristigErwerbsloseam ehestenAnspruch aus Arbeitsbeschaffunghat,begannen Arbeitsämter diejenigen Arbeitslosenzubevorzugen,dieihren Anspruch auf Arbeits- losen-oderKrisenunterstützungnoch nicht erschöpfthatten,weil man sich dadurch lästige Gläubigervon derTasche halten konnte. Inzwischen wuchs dieZahlderArbeitslosen,dienoch nichtodernicht mehrVersicherungslei- stungenzubeziehenberechtigtwaren unddie,um nichtdemvölligenElend zuverfallen,umWohlfahrtsunterstützungnachsuchenmußten,-diesevon der kommunalen

Wohlfahrtspftege

nachdem Rechtder öffentlichenFürsorge unterstützten Arbeitslosen pflegtman als Wohlfahrtserwerbslose zubezeichnen.In Hamburg istdieZahlder WohlfahrtserwerbslosenseitdemJuli 1929 auf mehr als das Dreifacheangestiegen, währenddievom Arbeitsamt unter- stütztenArbeitslosen längstnichtindem gleichen Maßezugenommen habenjAnfang Mai 1930 gabesinHamburgetwa 12000 Wohlfahrts- erwerbslosesDiefinanzielle EntlastungderReichsanstaltführte also ledig- lichzu einerLaste nverschiebungandieWohlfahrtspflegederGemeinden.

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Es wärefalschgewesen,wenn dieWohlfahrtspflegederGemeinden ihre Aufgabegegenüber diesen sowohl arbeitsfähigenwieauch arbeitswilligen Erwerbslosendarin erblickthätte,an dieErwerbslosen nur Geldbeträge alsUnterstützungauszuzahlen. Viel wichtigererwies sichdieArbeitsbe- schaffung, um denverheerenden SchädeneinerlangfristigenArbeitsent- wöhnungentgegenzuwirken.Manhatbeobachtet,wiefürchterlichsichdie EnttäuschungUnd dieVerbitterungin derSeeledeseinzelnenWohlfahrts- erwerbslosenauswirken,wenn erMonateundMonate in allenseinen eifri- genBemühungenumArbeit täglicherneut gescheitert ist; dieursprünglich aktiveHaltungmachteinersichständigverstärkendenTeilnahmslosigkeit Platz,diehöchstensnoch durch gelegentlicheAuflehnunggegen diegesamte Ordnung derDingeund gegen den Staat unterbrochenwird. Deshalb

PatdieWohlfahrtspflegeesalsoberstesZielbetrachtet, Arbeitsmöglich- eiten fürdieWohlfahrtserwerbslosen zu erschließen. Das ist denn auchvor allem inHamburgin denletztenMonaten mitbesonders gutem Erfolge gelungen. DieZahlderjenigenWohlfahrtserwerbslosen, dieaufvon derWohlfahrtspflegefinanziertenArbeitsplätzeneinauf für- sorgerischerGrundlage beruhendesentlohntes Arbeitsverhältnisnachge- wiesen erhalten haben,istseit Anfang1930 aufdasSechsfache gestiegen.

DieserErfolg darf nichtzuTrugschlüssenverleiten. Aufdie Dauer kann esohne finanzielle HilfedesReichs nicht AufgabederWohlfahrtspflege sein, fürdieständigin ganz DeutschlandanschwellendeMassederWohl- fahrtserwerbslosen Arbeitsgelegenheitzuermitteln. Wiesoll auchden Gemeinden möglichsein,was derReichsanstaltnicht gelingt. Außer- dembestehtbei demAnsturmderWohlfahrtserwerbslosenaufdieWohl- fahrtsämterdiedringende Gefahr, daßohnePersonalvermehrung die WohlfahrtspflegeunddieVertiefungin demfürsorgerischzubetreuenden EinzelfallinfolgederMassenabfertigung ernstlichen Schaden leiden werden. Amsomehrmußverlangt werden, daßdasReich seinerHilfspflicht nachkommt.

VorallemerscheintdieForderung begründet,daß, nachdemdieArbeits- losigkeitzu einemVolksverhängnisgeworden ist,dasschicksalsmäßiggroße Gruppenvon deutschenVolksgenossenerfaßt,dasReichalsumfassendster Lastenträger ArbeitsbeschaffungingrößtemStil betreibt. Aufgabenzuer- füllen, durchdieErwerbslose Arbeit finden, gibtesinDeutschland noch immer dieHülleunddieFülle.Esläßt sichabernichtverkennen, daßalle großenBodenverbesserungs-oderStraßenbauarbeiten notwendigerweise Geldkosten.DasReich verfügt über keinenVermögensbestand,aus demes

dieseGelder entnehmenkönnte; dasReich istvielmehr selbst Schuldner- undzwar Schuldnerderjenigen Mächte,dienachdemVertragevon Ver- sailles Reparationsforderungen gegen uns geltend machen.Mittel zur Arbeitsbeschaffung kanndasReich sich also lediglichimWegederBe- steuerung verschaffen:aufdieseWeisewirddemguten Willen allerdings eineletzte Grenzegezogen.

Esistgelegentlichvorgeschlagenworden, durchkünstlicheMittel die Gesamtlage derArbeitslosigkeit zubeeinflussen.Anwelche Mittel man

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imeinzelnenauchimmerdenkenmag, man wirdimmer zuberücksichtigen haben, daßDeutschlandnur einTeilderWirtschaftsordnungderWeltist, unddaß, solangedie Staaten inderWelt nebeneinander stehen,dieOrga- nisationdesEinzelftaatsunvermeidlichvon derpolitischenundwirtschaft- lichen Organisation derübrigenStaaten·beeinflußtsein wird,umso stärker beeinflußt sein wird,wenn essichum einmitteleuropäischesStaatswesen wieDeutschlandhandelt,dassichniemals grundlegendaus derkontinen- talenBedingtheitseiner Lage völlig loslösen kann.Man wirdferner nicht dieTatsacheaus denAugenverlieren dürfen,daßrein formale System- änderungen niemals etwas daran umgestaltenkönnen,daßVolkszahl, Gebietsgrenzen, Bodenschätze,Kapitalkraftund rationelle Wirtschaft.allen Heilbestrebungeneinegewisse endgültige Schranke setzen. Wichtiger alssolcheformalen Systemänderungen isteine geistige Haltung des Ein- zelnen, diesichauf ausgeprägtesVerantwortungsgefühl,Opferbereitschast undWillenzurHilfegründet.Eskommt dabei nicht so sehr daraufan,daß man einspruchreifesProgramm fürdieUmgestaltung der-Wirtschaftslage inderTaschemitsichführt,sondern daßman dieArbeitslosigkeitalseine Angelegenheitbetrachtet,die alleangehtundfür diealle verantwort- lichsind.Esistschonviel gewonnen, wenn jederEinzelneanseinemPlatz sichzurtatkräftigenMithilfeimKampfegegen dieArbeitslosigkeitbereit hält. Heutefehltesnochvielam Opferwillem istderWilleallgemein vorhanden,wirdman sichüberdenWegschoneinigen können.

Arbeitslosigkeitund Wohnungsnot.

MitdasBetrüblichstefürdieMehrzahldertätigen,strebsamenMen- scheninunserenTagenistdieses:daßsie nichtvoran kommen,nichtser- iibrigem daßsieam Ende desJahres vor einerunbefriedigendenBilanz stehen.DieEinnahmenwollenmit denAusgaben nicht mehr Schritt halten.

DerLebensstandard sinktindemgleichenMaße,wie dasMißverhältnis zwischen Einnahmenund Ausgaben zunimmt.Sehenwiruns nachden Besserungsversuchenum, so stoßenwirzunächstaufeindickesBündel Ge- setzesbestimmungen,diealle in dasKapitelWohlfahrtgehören. Auf keinem anderen GebieteistinderNachkriegszeitdieGesetzgebungsoinsKrautge- schossenwiehier.Je länger, je mehr hat sichdieWohlfahrtspflegein der RichtungderFürsorgeundWohltätigkeitentwickelt.AberWohlfahrtspflege darf nichtWohltätigkeitsein.DieErfahrung lehrt,daßmitWohltätigkeit keineNotständebeseitigtwerden. Wir wollen hier nichtaufzählen,welche Ursachenunserem wirtschaftlichenundsozialenElend zugrunde liegenund welcheVersuchevon Berufenen undUnberufenenunternommen worden sind, Abbilezuschaffen. Wir wissen alle, daßesVersuchemitunzuläng- lichen Mitteln waren.

DieWohnungsnot: Sieistvorhanden,undfieläßt sichmitderAuf- 175

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zählungihrer grauenhaftenFolgeerscheinungen ebensowenigaus derWelt schaffen,wie etwamit denMitteln derHauszinsfteuer,die zu einem großen Teilfürganz abseits liegendeZweckeverwendet wird. DerWohnungsnot istnur durchBauen abzuhelfen.Bauen kannnur, wer Geldhat. Geld ist einseltener Artikel geworden. Von100Bauluftigensind 99 aufgeliehenes Geld angewiesen.Leihkapitalfordert aber untragbar hoheZinsen.8, 10 und mehrProzent ZinsenkanndieBauwirtschaftnichterschwingen.Sie wird davon erdrückt.Sie ist erdrückt.DerBaumarkt ist blutleer. Llnd weil das BaugewerbedasSchlüsselgewerbeist, fehltesdergesamtenWirtschaftan dernötigenBlutzufuhr.Wir können also sagen:imletztenGrunde istunsere WohnungsnoteineZinsnot.

DieArbeitslosigkeit: MitWohltätigkeitistihrnichtbeizukommen.

Nurwenn derHilfsbedürftigemitarbeitet,mitarbeiten muß,sammelterdie Kräfte,die wirzumAufbaunötighaben.Unddassinddiegleichen Kräfte- die dieFürsorgeerlahmenläßt.Esist doch so:in denVolksmaffenstecktein gewaltigerAktivposten,denman nichtinMarkundPfennigenausdrücken kann. EsistdashandwerklicheKönnen,dasnun dieFürsorgeeinfachver- rotten läßt.

PolitikistHandelauf langeSichtundmußfreiseinvon jenerKurz- atmigkeit,die in denMaßnahmenunsererVerantwortlichenvielfachsoer- schreckendzutagetritt. Handeln auf lange Sicht-imfolgenden seiinaller Kürzeaufgezeigt,wiewir esmeinen. Voruns liegtderGeschäftsbericht der indiesen Blätternschonmehrfach erwähntenDeutschen Bau-und Sied- lungsgemeinfchafte.G.m.b.H.(DBS.)inDarmstadt. GanzimStillen hat diese Gemeinschaft gegenseitigerSelbsthilfe innerhalbwenigerJahre1856 Häusererstellt.Dasisteine ganzeStadt. EineStadt,die keineZinsen schluckt undkeineRente wirft,dieaberin 20Jahrenein reines Volksvermögenvon Millionen Reichsmark darstellenwird. DieAufgabederD.B. S.ist: Spar- gelderzusammeln,umDarlehenaus diesem Spargeld zuvergeben.Dar- lehenzumBau von Eigenheimen,zurAblösungvon Zinshypothekemzum Kan von Häusernund zurAblösungaus Erbschaftsauseinanderfetzungem Werzumersten Male von demGedankenderZinsfreiheithört, kannein Lächelnschwerlichunterdrücken. Und doch gibteskaum etwas Natür- licheres. Wenn dieD.B.S. fürdieSpargelder, dieihre Mitgliederein- zahlen,keinenZinszuzahlen braucht,dannkann siedieSpargelderals Darlehenauchohne Zinswieder an dieMitglieder hinausgehen. Aller- dingsbrauchtfie anftelledesZinses,anftelledesWertmaßesfürdie emp- fangenenSpargelder und dievergebenen DarleheneinenErsatz. Diesenhat fie.Erdrückt sichaus in einem Kennziffersyftem,soeinfach gehaltenund fo praktisch,daß jedes D.B.S.- Mitglied dieseBerechnungsartohneviele Mühe verstehenunddaraus feineAnnäherungandieDarlehensvergebung felbfterfehenundverfolgen kann.DasMitgliedspartmonatlich1.50RM.

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