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Unser Bund: Älterenblatt des Bundes deutscher Jugendvereine, Jg. 21. März 1932, Nr 3.

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UNSER BUND

ÄLTERENBLATTDEs BUNDES DEUTSCHER lUGENDVEREINE

Aft-

21.JAl-IR MÄRZ 1932 LENZlNG HEFTJ

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Unser Bund

herausgegebenvom Bund DeutscherJugendvereinee.V.

Bundesleiter: Pros.D. Dr.Wilhelm Stählin, Münsteri.Westf., Paul- straßeis(sernruf20397).

Bundeskanzleiund Bandes-Geschäftsstelle: Göttingen,lVeeuder Straße 56,1 (Postfach zo4), sernruf GöttingenUN.

Bundeswart AugustdeHaas, BundesgeschäftsfiihrerGeorg Brust,Göt- tingen,Postfachzo4. PostscheckkontodesBundes: Berlin Nr. 223ed

Schristleitung :

»UnserBund «wird iiiständigerVerbindungmitPastorKarlPeterAdams- iZamburgundPastorKurt Vangerow-Liegnitz herausgegebenvon

«Jörg Erb, Sauptlel)rer, Gersbarb Amt Schopfheim (Baden).

Bestellung-

BeiderPostoderbei derKanzleidesBDJ., Göttingen, Postfachzo4.

Preis:

Vierteliährlichx.soRM.

Bezahlung:

BeiderPostoderbeimBund Deutscher Jugendvereine, Göttingen, Post- schecklonto:Berlin Nr.222zo.

Inhalt dieses Hestes:

Was dieBibel überdenLeibsagt. Praktische Menschenkenntnis. Dieunverheiratcte srauunddieEhe. Volkund Raum. Umschau:

DeutschlandundFrankreich. Vorschläge fiirdieBesprechungderAlkohol- frage für Mädchenund Jungen. Vom Tage. Buchund Bild. DieEcke. Anzeigen.

AnschristenderMitarbeiter:

Prof. D. Dr.Wilhelm Stählin,Münsteri.W., Paulstr. Hö. Dr.

Wilhelm Stölten, Berlin-Schlachtensee. Heidi Denzel, Stuttgart. HansPreusch,Weil a.Rh. Jörg Erb, Gersbach,Amt Schopfheim (Baden).

Beilagem

,,Kundundzuwissen«(wird regelmäßig beigelegt).

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Was dieBibel über den Leib sagt.

EineHilfe fürOstern.)

DerAussatzmeintwirklich nichts anderes alsdas,was dieUeberschrift sagt.

Wenn wir als Christenmenschen,diewir sein wollen, überdenLeibreden, solltenwirzunächsteinmal hinhorchen,was denneigentlichdieBibelsagtüber unsernLeib. Man muß nicht gleicheineTheorieoder eineWeltanschauung

daraus machenund dieeinzelnenSprüchleindann alskräftige Beweisege-

brauchen, sondern ersteinmal hinhorchenunddarüber nachdenken.srühereGe- schlechter,derengeistigeArbeitdarinsich erschöpfte,daß sienachdachten überdas, was siein derBibelgehörtundgelesen hatten,hattengewiß weniger Wissen, abermehr Weisheit alswir. Eslohntsich alsowohl.

Was dieBibelüber den Leibsagt?

»GottderHerrmachte denMenschenaus einemErdenkloß«(x. Mos.z,7).

DerLeib desMenschen istaus denStoffendieserErdeaufgebautunderunter- scheidet sichinseinem stofflichen Ausbau nichtvon demganzenNatur-reichmit seinen organischenund anorganischenElementen. Undzwar hatGott der HerrdenMenschen so gemacht. DaßderMenscheinen irdischen,aus Erden- stoff aufgebauten Körper hat, istnicht einAbfallvon einerreineren Geistigkeit, istauch nicht das schlimmeWerk einesbösen Gottes, sondernGott hat den MenschenalsleibhaftesWesenindieseWelt hineingeschafsen.

»IchdankeDir, daß ichwunderbar gemachtbin«(Ps.z39,x4).DerZu- sammenhangmachtdeutlich, daßderPsalmdichterüberseinleiblichesDasein erstauntist. Dieses freudige Erstaunen schafft sicheinenAusdruck imDank.

»IchdankeDir, daßDumichgeschaffen hast,«betetedieheiligeKlara.

»Es istkeinReichtumzuvergleicheneinem gesundenLeib«(Jes.Sir. so, 36). DiesehausbackeneSpruchweisheit istviel frommeralsdasfrommeGe- schwätz,eskommejanur aufdieSeelean,undalso dürfeman dasgarnicht so wichtignehmen,wieesdemLeibergeht.Esist freilichauch nichtdasselbe wiederspießbürgerlicheMaterialismus: »Wennman nur gesund istl«

»Das Dichtenund Trachtendesmenschlichen Herzens ist bösevon Jugend aus« (x. Mos.s,zx).Es ist wahr, dieBibel machtnichtviele Umstände mitdemMenschenundistnicht verliebt inseineVortrefflichkeit.Aberesfällt ihrgeradenicht einzusagen,derinwendige Mensch seireinund gut,und nur derLeib,dieTriebe,dieSinnlichkeit ziehe ihnimmer wieder herab.DerLeibist nicht derSündenbock,deran aller Verkehrtheit schuld ist. »AusdemHerzen gehendie argen Gedanken«(Matth. Hö,x9).

»MeinLeib undmeineSeelefreuen sichin demlebendigenGott«(Ps.84,3).

Wenn einMensch »in Ordnung« ist,dann giltdasfürLeib undSeele. Wenn esinwendig nicht stimmt,wenn die»Seele«keinenFrieden hatmitGott,dann

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wird derLeib»nervös«odererwird wirklich krank;wenn derganzeMensch seine Heimat gefundenhat(liesdas wundervolle Bild imfolgenden Vers!), dann hat auchderLeibseineFreude.

Mose »wußte nicht, daßdieHaut seinesAngesichts glänzte, davon,daß Gott mitihmgeredethatte« (3.Mos.34,39).Wie wenighandeltessichin derReligionum einebloße»Jnnerlichkeit«lDas Ungeheure,das einem Men- schenin demlebendigenGott begegnet, zeigt sichinseinemleiblichenAngesicht.

DerLeibist dabei,wenn einMenschmitGottzutunbekommt.

»Der Herr sprachzumir: Du Menschenkind mußt diesen Brief,denichdir gebe,in deinenLeibessen« Ges.Z, Z;vgl.dazuOffb.Joh.Yo,8—«). Das ist eineseltsame Lehre sürTheologen, Predigerund Lehrer:Wenn man diegött- liche Wahrheit, dieBotschaft,dieuns aufgetragenist,nur alseinenGedanken aufnimmt undweitersagt,dann kann man sieebennichtwirklichweitergehen und»mitteilen«; siewill inunsereleiblicheExistenz eingehenunddurchunseren Leibhindurchwirken wie das Wasser,das durch die Erde hindurchgehtz eheesalsQuelle hervorbrechen darf. Darüber sollenalledienachdenken,die überdenGedanken unddenhohenWorten denLeibvergessen: »GottesBrief indenLeibhineinessenl«

»DerTodistderSünde Sold« (Röm. d, zZ).Damit ist nichtetwa nur der geistliche Tod,dasAbsterbendesinneren Lebens gemeint; sondernderleibliche Tod,demwiralleunterworfen sind, istderletzteunderschütterndsteAusdruck dafür, daßeineböseZerstörungsmachtinGottes Schöpfung eingebrochen ist.

Welken undSiechen,Vergehenund VerwesendesLeibesistnichteinfach feier- lich tragische »Naturordnung··, sondernindemzähen Widerstand desLeibes gegendas Sterben, in allem AufbäumendesLebenswillens drücktsichdertiefe Protestgegen das Sterben-müssenaus. Wir erfahrenanunseremLeib, daß wirindergefallenenWelt leben.

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»DasWort ward Fleisch«(Joh. z,x4).Was Gott von allerEwigkeit her derMenschheitzusagenhat undsagen will,wird Gestaltin einemMenschen mitFleischundBlut;esistalsleibhafte Wirklichkeitunter uns (vgl.z.Joh.

z,x).Christus istnicht eineIdee, sondern leibhafte Geschichte;eshandelt sich nichtum seine Lehre, sondernum seine leibhafte Wirklichkeit.

»Gebenedeitistdiesruchtdeines Leibes«(Luk.J,42).Gerade die volleLeib- lichkeit wollte diealteKirche betonen,wenn siedas »geborenaus Maria der Jungfrau«insGlaubensbekenntnis aufnahm. Leibhafte Fruchteines gebene- deitenMenschenleibes,das istdas Geheimnis derJnkarnation, derLeibwer- dungGottes.

»Daßerbeide(Gottund Mensch) versöhnteinEinem Leibe«(Eph.z,x6).

Dieeineungeteilte, leibhafte WirklichkeitJesu Christi istder Ort,wo Gott zu denMenschenkommt unddie Welt mitsich versöhnt.VersöhnungundEr- lösung sindnicht hoheIdeen, sonderneineleibhafte Wirklichkeitin demleib- haften Menschen JesusChristus.

»Siehat ein gutesWerk anmir getan« (Matth. 26, Yo).Siehatnichts getan,alsdaß sieüber das Haupt JesueinGlasmit»köstlicherNarde«aus-

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gegossenhat. Es wird uns nichterzählt,daßsievon denGedanken Jesuviel verstandenhat,aber siehatJesusan seinemLeibLiebeund Verehrungbe- wiesen,unddafürlobtsiederHerrundverteidigt siegegenseineJünger.So ernstnimmt erselbst seineLeiblichkeit.

»Erredete von demTempel seinesLeibes« (Joh. z,ex). Christi leibhafte Wirklichkeitin derWelt istderneue Tempel,daswahre Heiligtum,derOrt, wo Gott zufinden ist.

»Nehmet, esset,das istmeinLeib«(Matth. zo,26).Seine leibhafteWirk- lichkeitistdieGabean dieWelt,das wahreWort, das dentiefsten Hunger stillt; diesesWort wird hingeopfertund ausgeteilt. JndemleiblichenOpfer Christiam Kreuz vollendet sichdieSelbsthingabeGottes an dieWelt:

Nehmet, esset!

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,,GleichwieEinLeibistundhat dochvieleGlieder ...,alsoauchChristus«

(x.Kor. Iz,xz).Derleibliche Organismus mitseinenGliedern undderMan- nigfaltigkeitihrerFunktionenwird so ernstgenommen, daßerdasentscheidende Bild sein darf fürdasGeheimnisderKirche: einOrganismus, dersein Haupt hat(Kol.s,Js)und dessenGlieder gänzlich aufeinander angewiesen sindin Kraft undSchwachheit (x.Kot-.se,26).

,,...dadurchderLeibChristierbauet werde«(Eph.4.Iz). Durchmannig- fachenund wechselseitigen DienstderLiebewird der LeibChristi ,,erbaut«:

welcheVerwandlunggegenüberderselbstsüchtigenSorgeum deneigenenLeib und demStreben nach leiblicherSchönheitundKraftalsSelbstzweckl Denn esistnicht eineIdee,nicht eine rein,,geistige« Liebesgemeinschaft, sondern sie ziehtdasleiblicheLeben insich hineinundgibtihm einenneuen Sinn!

»Auf daßdersündlicheLeibaufhöre« (Röm.o,o;vgl.Vs. x3,x6).Was bekämpftund »gekreuzigt«und überwunden werden soll,ist nichtderLeib, sondernder,,LeibderSünde«,das heißtdieKnechtschaftdesLeibesunter dem Zwangeines widergöttlichen LebenswillenszderLeibwird nicht entwertet.

sondern erbekommt einenneuen Sinn, eineneue Aufgabe,eineneue Ver- heißung:

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»PreisetGott an eurem Leibe!«(x.Kor. o, zo).

»Wisset ihrnicht,daßeuer Leib einTempeldesheiligen Geistes ist...und seidnichteuer selbst?« (x.Kor. o,39).Wie kannjemand,derdiesenSatzein- malwirklichgehört hat,von derLeibfeindschaftdesChristentumsreden? Aber auchwie kann er indenNiederungeneiner reindiesseitigen,reinmateria- listischen Körperkultur,in derAnbetungdessleisches steckenbleiben?

»DerGott desFriedens heiligeeuch durch unddurch,daßeuer Geistganz samtSeele und Leib müssebewahrt werden unsträflich aufdieZukunftun- seres Herrn Jesu Christi!« (x.Thess.s,33).

»DerLeib demHerrnundderHerrdemLeibe!«(x.Kor.ö,33).Einseltsamer und überraschender Ausdruck,aberdoch ganz unmißverständlichdas Entschei- dende,was derchristlicheGlaube über den Leibzusagenhat:UnserLeibistnicht Selbstzweck,erstehtauch nichteinfachzuUnsererVerfügung (»MeinLeib istmeinLeibl«), sonderninunseremLeibsollessich auswirken, daßwireinen

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Herrn haben, dessenWerk undWillen wiraufErden zuerfüllenhaben.Und andererseits:DerHerrChristus ist nichtnur fürdieSeeleda,sondernauch der Leib hat Anteil anderVerheißung,dieuns gegeben ist.

»Soermahneicheuch nun, daßihreure Leiberbegebetzum Opfer,das da lebendig, heiligundGottwohlgefällig sei« (Röm.xz,x).Dasist ebensogegen denGottesdienstderreinen Jnnerlichkeitwiegegen denselbstherrlichenKultus desLeibes gesagt.Das Lebendes LeibesalssormdesGehorsamsund der Liebe. JnderHingabe erfülltderLeibseineBestimmung. Sowohl derVer- brauchderleiblichenKraftinschwerer Arbeit,dasVerblühenweiblicherSchön- heit imDienstder-Mutterschaft, wiederKriegstoddesMannes könnenvon hieraus einen·ganzneuen Sinn gewinnen.

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»Undward verkläretvor ihnen« (Matth. U,2).Jn derGeschichtederVer- klärung Jesu ausdemBergeahnenwirvon ferne,was dasist:ein verklärter Leib. AnderSchwelleseinesLeidenswegeserlebtJesus gleichsameineVor- wegnahme seiner Auferstehung.Sein Leib wirdganz lichtund»sein Angesicht leuchtet wiedieSonne«; nichtmehr die trübeundvergängliche Stofflichkeit, sondern sichganz verzehrendundleuchtend inderslammedes Geistesund darum ganzdurchscheinend fürdieHerrlichkeitGottes.

,,...welcherunserennichtigenLeibverklären wird, daßerähnlichwerde seinemverklärten Leibe«(Phil. Z,zx).DasistdieVollendungdesWeges, auf demderLeib demHerrn gehörtundderHerr sichandemLeib auswirkt. Nicht Erlösungvom Leib,nichtBefreiungaus demGefängnisdesLeibes, sondern VerwandlungdesLeibes, Erlösungaus seiner irdischen Gebundenheit.

»Eswird gesäeteinnatürlicher Leib undwird aufersteheneingeistlicher Leib«(x.Kor. zö, 44).Das,was Lutherausdrückt »einnatürlicherLeib«, heißt eigentlichein»seelischer«Leib,das heißteinLeib,dernichtsanderes ist alsAusdruck unserer menschlichenSeele. Weil aberebendiese unsere,,Seele«, unsere Jnnerlichkeitselbst zwiespältigund derSünde unterworfen ist,darum ist dieser ,,seelische«Leib(derLeib derAusdruckskultur) zugleichderLeibder Sünde und desTodes. Hierwird deutlich,warum dieBibel nichtvon der UnsterblichkeitderSeele, sondernvon derAuferweekungdesLeibesredet;das heißtvon einerHoffnung, diesich aufdenganzen Menschen bezieht,undeiner neuen Leiblichkeit,dienicht mehrvon dieser menschlichen Seele, sondernvom heiligen GottesdienstihreFormundihrenBerufempfängt.

»Ein jeglicher,dersolche Hoffnunghat,derreinigt sich« (x. Joh. Z, Z). Rei- nigung, Zuchtdesleiblichen Lebens, »Askese«,dasheißt Uebung,nichtaus dem mißtrauischen,feindseligenNeinzudemLeibheraus, sondernaus demfrommen Ja,aus demGlauben, daßderLeibGottes Schöpfung istunddaßum Christi willen eineneue Verheißung aufdas leiblicheLebengelegt ist: Diese christ- licheAskese istdasletzteundganzpraktischeWort von dem,was die Bibel sagt über denLeib.Unddieses letzteWort von derAskese istganz »evangelis «, weil esaus derfrohen Botschaftkommt. Wilh elm Stühlin.

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PraktifcheMenschenkenntnis.

Praktische Menschenkenntnisistdas Stück Menschenknentnis,das einjeder ohneeigentlichesStudium sich aneignen kann,wenn ernur mitoffenenAugen durchdasLebengeht,unddaseinjeder besitzenmuß,wenn ernichtschwereEnt- täuschungenerlebenwill imVerkehrmitdemMitmenschen. Sie ist zugleich einewesentlicheBereicherung unseresLebensundSeins,dennwelchesWunder inderWelt glichedemderMenschenseele,welchesGeheimnisdemihrer dunklen und lichtenGängeund Gründe? Praktische Menschenkenntnisendlich nennen wirsieimGegensatzzurwissenschaftlichen,die mitdenmannigfachsten wissenschaftlichenMethoden versucht,demRätsel Mensch näherzukommen,und die indenWerken einesAdler, Künkel,Klagesundvor allem Ktetzschmerund JungnachJahrzehnten desTastensundvorschnellen SchließensundVerallge- meinerns heutezusehr wesentlichundeindeutig bewiesenenErgebnisse gekom- men ist.DieErgebnisse dieserArbeit werden natürlich auchunserNachdenken befruchten, sie erfordernabereinso umfassendesStudium, daß sie fürdieprak- tischeMenschenkenntnis,wiewir sieimAuge haben,nichteigentlichinstage kommen können.Zuwarnen istvor derFüllederLiteratur,diedas großeJn- teresse,dasdiesem Gegenstand naturgemäß entgegenkommt,nutzt,umaus ein- zelnen Resultaten verfrühteundfalsche Schlüssezuziehen.

Diebesonderen Schwierigkeiten einerjedenBeschäftigungmitdem geistig- seelifchenSein desMenschen liegt darin, daßman denMenschen,denmaner- kennenmöchte,nicht wieeinentoten Gegenstand behandeln,nichtsezierenkann.

Dennimmer istereinLebendiges,das man nichtberechnen,nichtwillkürlich undeindeutig beeinflussenkann. Wir würden uns energischgegeneinenjeden solchen Versuchwehren. AberMenschenkenntnis istdochmöglich,swenigstens biszueinem gewissenGrade möglich,weil auch imseelischenund geistigen LebendesMenschen sich gewisse Gesetzmäßigkeitenauswirken. So hatdie Wissenschaft versucht,dieGesamtheitderMenschen aufdreischonimKörper- bauverschiedeneGrundtypen zurückzuführen (Kretzschmer).

DieSchwierigkeit fürdieWissenschaft,anLebendiges heranzukommen,macht aberuns unsereAufgabe leicht.DenndieTürzuallerMenschenkenntnis ist Beobachtungundimmer wieder Beobachtung.

Man könnteeinwerfen, solcheBeobachtung sei überflüssig,man wüßterein gefühlsmäßig,reininstinktmäßig,was man von einemMenschenzuhalten hätte undwas anihm sei. Gewiß,wirallekennendiefeErscheinungder Stellungnahme zueinemMenschen aufdenerstenBlick,diesichdarin äußert, daßmireinMensch sympathischoderunsympathisch, anziehendoderabstoßend erscheint. Ohnestagehaben wir hierauch dieAeußerungeinerunbewußten sormderMenschenkenntnisvor uns, undwirwollen sie nicht scheltenundge- ring achten.Geradestauen verblüffen oftdurch dieFähigkeit,beimerstenKen- nenlernen einesMenschenmituntrüglicherSicherheit aufihnzureagieren,ihn gefühlsmäßigzuverstehenund zuerkennen, sichinihneinzufühlenund aus dieser Einfühlungheraus Stellungzuihm zunehmen,dieoft fürdasganze weitere VerhältniszudiesemMenschenvon entscheidender Bedeutung ist.Wer

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diese Jnstinktgabe hat, sollte sie pflegen.Das kannman, indem man sich fragt,

warum einem einMensch sympathisch istoder nicht. Man wird dann bald

merken, daßesgewisse äußere Zeichen sind,diedenEindruck am stärkstenbe- stimmt haben,etwa dieStimme oder dasAussehen,derBlickoder das Auf- treten u.a.m.,unddieseBeobachtungenkönnenwichtigeMittel zueinerwei- tergehenden,denerstenBlickbestätigendenodergelegentlichauchwiderlegenden Beobachtungwerden. Denn das wissenwir alle: Es gibtimmer Fälle,wo einem einMensch,deranfänglich wenig sympathisch wirkte,beinäherem Ken- nenlernen besondersliebund sympathischwerden kann. Diereininstinkthafte Reaktion kann sichnur allzuoft täuschenundhat daherleichtetwas Gefähr- liches,wenn sienicht durchfragende PrüfungdesEindruckes geklärtunddurch weitere Beobachtunggesichertwird.

Wir müssenaber für unsere Beobachtung von vorneherein zweiDinge merken: JederMensch istirgendwieeinGanzes. Wohl gibtesgelegentlich Menschen,inderen Brustwirklichzwei Menschenwohnen und nichtnur zu wohnen s chein en. MeistaberistderMensch irgendwievon einem einheit- lichenPunktaus zuerfassen,undman hat dasRätsel dieses Menschenim We- sentlichen gelöst,wenn man diesen seinenLeitpunktoderdiese seineLeitlinie ge- fundenhat.Jchkommedarauf noch zurück.Daszweite,was man auch bei be- wußter Menschenbeobachtungnievergessen sollte, istdies:NiedarfunsereBe- obachtung soweitgehen,daß wiralswandelnde Beobachtungspunkteanderen aufdie Nerven fallen. EsgibtnichtsScheußlicheres,alswenn in einemgrö- ßerenKreiseeinersitztund mitgefurchterStirne undgespannten Augeneinen

nachdem anderen aufdas Korn nimmt. Das kann eineganze Gesellschaft

lähmen und istimmer eineTaktlosigkeit, jaeineLieblosigkeit.Es gibt sonst genugMöglichkeiten,Menschenbeobachtungzutreiben.

Eine wahresundgrube tiefer Menschenkenntnis sinddieWerke derDichter, soweit diesedenMenscheninseinemwirklichen Sein erfaßtundnichtSchein- bilderdenMenschen auf ihreBlätter gezauberthaben.Diese Darstellungen sind, dasiebereits geistig vorgeformt sind,viel leichterzugänglichundbieten die beste Möglichkeit,dieBeobachtungsgabezuschulen.Besondersreichsindunter denWerken Lebender dieSchriftenThomasManns ansolchen feingeschauten Menschentypem NehmenwiralsBeispieldie wundervolle Erzählungaus den Buddenbrocks,wiederHerr Grünlich, HutundStock in derHand,mitkurzen Schritten zumerstenmaleintritt indensamilienkreisderBuddenbrorks, modisch gekleidet,dengoldgelbenBackenbart nachder herrschenden englischenMode langherabhängenlassend:

Schon von weitem vollführteermitseinem großen hellgrauen Huteine Gebärde derErgebenheit...

Mit einemletzten, sehr langen Schritt trat erheran,indem ermitdem OberköcpereinenHalbkreis beschriebund sich auf diese Weisevor allen ver- beugte.

»Ich störe, ichtrete in einensamilienkreis,« sprachermitweicherStimme undfeinerZurückhaltung.»Manhat guteBücherzurHandgenommen, man plaudert...Jchmußum Verzeihungbitten!«

»Sie sind willkommen,meinwerter Herr Grünlich.«

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EsfolgtdieVorstellungdereinzelnenGliederderFamilieundHerr Grünlich

antwortet wiederum auf jedenNamen miteinerVerbeugung.

Es istwundervoll zulesenund unerhörtlebensecht,wieHerr Grünliches versteht,sichindieSympathiederFamilie hineinzuredenundhineinzuschmei- cheln,indemeralleslobt,was ersieht,von denZigarrendesKonsulsBudden- brocks anbiszudervornehmen AnlagedesHausesundderStadt,wieersein Urteil fastunmerklich dem derFamilie anzupassen weiß,ganzgleich,obessich um dieFrömmigkeithandeltoderumdie"Lektüre,wieerumTonis schöneHaare zuschmeicheln weiß:

»Ichhabe niemals schöneres Haar gesehen!«spracher,plötzlichernstvor Entzücken,in dieLuft hinein,alsoberzuGott oderseinem Herzenredete.

Esist meisterlich,wiehier eineerstaunlicheLiebenswürdigkeitinWort und Gebärde zumAusdruckgebracht wird, sozumAusdruck gebracht, daß sieuns natürlichstärker ausfallen muß,als dasimwirklichenVerkehrderFall sein würde. Abergeradedasist für unsere Zweckewertvoll.

Warum istman liebenswürdig?EsgibtdieverschiedenstenGründederLie- benswürdigkeitund ihreverschiedenstenFormen. An sich ist liebenswürdig wert, geliebtzuwerden,unddamit eineköstlicheEigenschaft Aehnlichdeman

sich so schönenWort »verbindlich«,das denWillen kundtut zurVerbindung mitdemanderen.

So istLiebenswürdigkeit,wo sieganz reineinemreichen Herzen entströmt, einenatürliche Zugetanheit,eineselbstverständlicheMenschenliebe,einfrohes Getragenseinvom Strom desLebensunddamit Zeichen einerlebensbejahenden Einstellung,das ist jene strahlende Liebenswürdigkeit,welche dieHerzender MenschenimFlugeerobert.

OderLiebenswürdigkeitkannsein AusflußeinerSchwäche,eineMaske,die aufgesetzt wird,um Unbequemlichkeitenaus demWegezugehen. DieseLie- benswürdigkeitwill esmitniemand verderben, sieredet darum einem jeden nach demMund,weilsie nicht sicher istinsich selber.SieistdanneinAusdruck jenesberühmtenMangelsanZivilcourage,von demBismarck alsvon einer SchwächederDeutschen gesprochenhat.

OderLiebenswürdigkeitwird zueinerbewußten FormderMenschenbehand- lung,wird ein StückBerechnung,um Menschenin denSchlingenihrer Eitel- keit,ihrervorgefaßten Meinungen, ihrer Liebhabereienoder anderer kleiner Schwächen fürdie Zwecke deseigenen Jchumfo sicherer einzufangen.Siewird damit zueinem bevorzugten Mittel,andere Menschenzubeherrschen,dieman durch die Stärke dereigenen Persönlichkeitsonst nicht beherrschen kann,andenen esdem»Liebenswürdigen«,derhierso wenigdesLiebens wert erscheint,aber liegen muß.

DassinddieGrundformenderLiebenswürdigkeitneben einerharmlos gut- meinenden,wohlwollenden Liebenswürdigkeit,diedochnur einschwächerer Ausdruck dererstenArtist.

Esliegt aufderHand,welcheFormderHerr Grünlichverkörpert.Beiihm istallesauf Berechnungeingestellt.Esistnicht dienatürliche, glücklicheLie- benswürdigkeit.Diese strahlt mehrmitdemAuge. Hieraberistallesgesteigerte, äußereGebärde,bewußtes Sich-anschmiegenundEindruck-machen-wollen. Herr

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