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Philosophie und Leben. Jg. 3, H. 2 (1927)

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Academic year: 2022

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(1)

^tlofop^te unb Heben

3. JAHRGANG + 2. HEFT + FEBRUAR 192?

„3tn Btenße öet Oolhßein^ett erßrebt untere 3ettf$rift eine fa$>

lt$e 2tuöfpra$e ber berfdjtebenen toeltanftbauüdjen Et^tungen.“

SMe Xragif in *PcJ!aloggls SSeJen un£> £eben

(Sin 33eitrag jur 'THpcfroIogie ber genialen 33egabung):

93on 31 uguft S R e H e r

2Ran [teile fid) oor, bafj in einer ber jablreidjen geftperfammlungen, bie in biejen SBocben 3um ©ebäd)tms “’Peftalogais abgebalten tourben — er { e l b ft, ir>ie er auf (£rben ju roanbeln pflegte — unerfannt l)inein=

getreten märe unb fid) ein ^ lä ^ e n gefugt fjätte, roas märe rooljl ge=

fd)el)en? 6icf)erlid) mären bie Samen ängftlid) unb bie Herren unwillig jur ©eite gerüdt in bem ©efüfol: „5Bas roill benn ber alte »erlommene Äerl ba?" . . .

Ungleich unb bisarr erfdjeint in ben 6cbilberungen feiner .Seitgenoffen fein ganaes Sluftreten1), „fein fcbleppenber, oerbogener, balb Saftiger, balb fd)nedenartiger ©ang, roobei er beftänbig bie 2lrme bin unb ber fd)leuberte unb oor fi<^> binbrummte, ©eber rechts nod) linfs, ja nicf)t einmal auf ben 2Beg fal) unb besroegen fo oft fiel." 6o war ‘’Peftaloaäi fdjon ben dauern in ber Umgebung feines „S'teubofs" erfd)icnen, roenn fie ibn gebanfenoerloren über bie gelber ftolpern faben, ober roenn er in ber &ircf)e fafe, ober im ©aftbaus in 33rugg über ber Ortung, am Sipfel feines §alstud)C5 lutfcbte unb oor fid) binmurmelte.

©eine furiofe £rfd)einung, fein burd) Blatternarben oerbäfjlicbtes

©eficbt, feine „3igeunerart" beluftigte bie 3ugenb, erfd)icn gerner=

ftebenben wiberlid) unb anftöfoig unb flößte ber ^olijei SERifetrauen ein.

*) ® ie folgenbe 6cf>i(berung Don ^eftaiojäis äußerer $rfcf>einung entnehme id> bem jüngft erfcbienenen 23ucf> oon SXTlar f i o n j e i m a n n , ' Peftalosäi, güricf) unb Seipjig, 9totapfe[-93erIag, 240 6., geb. 7 3JU. ® as febr anjiebenb gefcfmebene 33ud) ift bet- corragenb geeignet, »om SBefen unb SBirfen 'Peffaloäjis eine anfcf)au[id)e 93orfte[Iung ju geben.

Sinen überbiicf über bie 'Peftalosäi-Citeratur ber ©egenwart gibt ein glugbiatt, bas gratis »om 9teu[anb-33erlag, S3erlin W 8, fironenftr. 8/9, bejogen werben tann. Sieben jabheicben neuerfcf>ienenen ©cfjriften bebäit [einen eigenartigen ® e r t bas ältere 93ucf>

Don SBiibelm 6 cb ä f e r : „ßebenstag eines SItenfcbenfreunbes", 9toman, 25.— 29. $.

SÜtüncben, ©. SDlülIer. 5 3Jlf., geb. 8 SKI!. f>ier ift 'Peftaiosji mit bem 2Iuge bes ©icfjters gefdjaut. ©abei ift bie ©arfteliung bocb nicbt romanhaft, fonbern in allem SBefent- licben gefcbicbtlicb treu.

slJt>ilofopbie unb Ceben. III. 3

(2)

34 ® te J r a g i t in ‘■peftalosäis SBefen unb 2eben

(£5 liegt ein eigentümlicher, bebrüdenber s-ffiiberfprud) barin, bafe b e r 3Jlann, beffen tiefftes ©innen unb brachten nach bem 3iel: t ■ m 0 n i f d) e SJtenfcbenbilbung" ging, bies j^iel für feine eigene "l>erjon fo oöllig oerfehlte. 9Jlan (teile ftd) im (öeifte baneben etwa ben — Olpmpier (öoetlje!

Unb biefer SÖiberfprud; beftanb bei s^eftalo3ji nietjt etioa nur jwifchen äußerem unb Önnerem, nein, er greift ein bis in ben tiefften ''Bereich feines s-äkfens. (£r, ber bie Vernunft preift unb in ihr bas ©öttlid)|te im 9J£enfd)enroefen fieht, er ift in feinem Ju n unb Waffen ganj beherrfcht oon feinem leibenfdjaftlidjen, unruhigen fersen, oon feiner überfd>weng=

licken ‘’Ptiantafie. ^Durchaus fehlt ihm praftifdje Klugheit, taltblütige 93e=

herrfchung ber Umftänbe, tühler, tritifdjer 33lid für bie 2Äenfd)en, ihre wirtliche ülrt unb ihre geiler: Sreuherjig oertraut er ihnen immer rote=

ber unb wirb barurn oft pm Starren gehalten ober ausgenüßt. Sein ftürmifebes, heftiges Semperament reifet ihn oft au leibenfchaftlichen 2luf- tritten bin; immer innerlid) mit hohen (Sebanten unb großen planen be=

fd)äftigt, ift er im Alltag jerftreut unb unorbentlid) unb läßt jebe 6elbft- bifjiplin im kleinen oermiffen. (£r, ber geniale Sraieher, ift, fo wenig er ein iOtufterfd)üler gewefen, ebenfowenig aum SRufterlebrer geworben.

2üas taufenb anbere tonnten, bas mißriet ü)m, freilich oermoct)te er ba=

für, was 3Jtillionen nicht oermod)ten.

2lber, wie es au gehen pflegt: bas ©roße, bas in biefem SDtanne ftedtc, Jam erft gana allmählich, ja aum Seil niemals ben ihm perfönlid) 9£at)eftel)cnbcn aum 33ewufstfein; lange 3eit 9alt er faft allen, bie ihn fannten, als ein <5d)warmgeift, ein 33errüdter, ein gefcheiterter ^ro=

jettenmacher, ein luftiger ober gar bösartiger 9tarr. 2lud> manche feiner greunbe fürchteten, baß er entweber im 2Jrmen= ober im iRarrcnbaufe enbigen roerbe.

“’Peftaloasi war fid; aller feiner SRängel root?l bewufet. „3ch bin ein fd)ioad)er, alter 3Jiann", fd;reibt er einmal, „meine Äenntniffe haben ungeheure Süden, bas SDtaß meiner ©eiftestraft ift oerhältnismäjjig fehr flein, mein 3ßille ift in oielen (Stüden obne hemmenbes 3ntereffe." Unb ein anbermal geftetjt er: ,,3d) fann nicht r e g i e r e n (nämlich: eine (£rjiehungsanftalt), unb ich fann nicht b i c n e n. 6 0 II ich ^ s eine, fo bin ich oerloren, foll ich bas anbere, fo bin id) unglüdlid)."

2lus allebem erficht man, baß nid)t bloß äufeeres SDZißgefchid', un=

günftige Sonftellation ber Umftänbe, Stumpfheit unb .Kleinheit ber iRenfcbcn bie Urfad;e bafür waren, baß ^eftaloaais ßeben eine Sette oon Unglüd unb (Snttäufcbung, oon Kämpfen unb 9tieberlagen bar*

ftellt. S r wirb nicht nur oerfannt unb oerfpottet, er wirb fogar ge*

hafet, unb es fommt fo weit, baß bie Slrmen, für bie er buchftäblid)

(3)

©ie It a g if in 'ßeftato jäis 5®efen unb Scbcn 35 alles ^ergibt, in ihm tf>rcn Ausbeuter feben, bafe alle bfc (Erziebungs=

anftalten, bie er febuf, nach fürzerer ober längerer grift jufammen- brachen, bafz SUlenfcben, bte ihm geiftig unenblicb t>tcl oerbanften, mit benen er jahrelang in engfter Slrbeitsgemeinfcbaft t>erbrad)f batte, ju feinen bitterften geinben »erben, mit ibm prozeffieren unb ihn öffent=

lieb aufs giftigfte angreifen. Sine fotebe ©cbmäbfebrift bat bem greifen

‘Ceftalo^i, ber nod) bei feinem 81. ©eburtstaa fagen fonnte, bafz er eine ©efunbbet't babe „tote ein ‘B ä r", bucbftäblidi ben Tobesftoft ge=

geben. 9lod) in feinen lebten Taaen bat er bie erfebütternben “JBorte nt'ebergefcbrieben: „Sterben ift nid)ts, id) fterbe gern; aber gelebt zu baben, alles geoofert baben unb nichts erreicht zu baben unb alles zertrümmert zu feben unb fo mit feinem 5Ber! ins ©rab zu finfen — o, bas ift fcbrecflicb, unb ich fann es nicht ausfpreeben. unb tch wollte gerne noch meinen, unb es fommen feine Tränen mehr . .

©o Iieot ber ©chatten einer tiefen 3T r a g i ! über bem ‘JBefen unb SBirfen ^eftalozzis, fein 2eben ift zugleich ein Seibensroeg, ein 5Ütar=

tprium getoefen.

Saft er trofcbem toeber äußerlich noch innerlidi unterging unb oerfam, ja. bafz ihm fpäter auch 2Inerfenmtng unb (Srfota — Gelegentlich in reichem SRafte unb in glänzenber gorm — zuteil mürben, bas Per»

banft er. rote mir fd>eint. oor altem ber Taffache, baft er ein grofter ff ü n ff I e r , ein binreifzenber ©chriftfteller geroefen ift. ©ein 33ucb ..ßienharb unb ©erfrttb" hat ihn bucbftäblich a e r e 11 e t unb ihm fein foäteres 3Btrfen ermöalicbt baburch. bafz es ihn berühmt machte unb ibm_©onner. Seifer. SERitarbeiter, ftreunbe zufübrte. “B is bahin. folange er ein unberühmter SERann roar, hatten nur ganz oereinzelte in feiner i(m=

gebung ein rotrflicbes 55erftänbnis für bie ©röfte unb ben unfebäftbaren

©ehalt biefes SWenfdjen gewonnen — es roar eine feltene ©unft bes

©chidfaTs für “^eftalozzi, baft zu biefen 2Bcnigen auch feine g r a u gehörte! — im allgemeinen aber hotte fid) auch an ihm bas 3Bort bc=

roährt, bafz ber Prophet in feinem ‘Saterlanb nichts gilt! Nunmehr, nad) bem gewaltigen fcbriftffcllerifcben Srfolg bes 33o[fsbud)es „Sienbarb unb

©ertrub" roar ber Ureis ber SERenfcben, für bie er in “Setracbt lam, ins Unermeßliche erweitert, unb fo mehrte fich bie 3af)l berer, bie — ihm roirflid) geiftesoerroanbt — ‘Süd für feine mcnfcblicbc ©röjje unb feine ©enialität batten, unbeirrt bureb alle feine SERängel. 3u biefen (Entbcdern ^eftalozjis gehörte unter ben 'Seutfcben Sichte, ber ©eograpb Witter, ber zugleich ein meifterbafter Sehrer roar, bie großen “’Päbagogen

©üoern, Sltcolomus, ©djroarz u. a. (£s ift gegenüber all ber ‘33cr=

fennung, bie ^eftalozzi erfahren hat, heute noch für uns tröftlid) unb erbaulich, geeignet, uns ben ©lauben an bte 2Renfd)beit roteber zu

(4)

36 ® ie S r a g i l in ‘•pef'tato 3313 SBefen unb Seben

geben, wenn mir lefen, inie b i e f e SRänner über ^Peftalojät geurteilt labert. €>o fcbreibt 3. S . 5titter über ibn, obtool)! er einen flaren B litf für feine SERängel batte: „S r trägt ben S0tenfd)cn . . . bcn ilrtopus bes m e n f d) I i d) e n 9JI e n f cb e n in t>oüer Klarheit in fict>. $arum fütilt aucb ein jeher, ber nod) reiner SKenfd) ift, fid) fo untoiberfteblid) 3U ibm binge^ogen. <£benfo erfennt ^Pcftaloaji in jeber gorm ben wahren SOtenfdjen unb ift non feiner 3Bürbe ergriffen, fie mag fid) offenbaren, wo es aucf) fei. S r wirft fid> bem 59lenfd)cn in bte 2lrme, er liebt ibn, fcfjlicfet ibm fein §er3 auf, ergreift fein 3nnerftes burd) feine ^ b il»

fopbie, bte feine ^^tlofopbtc bes fl 0 p f e s , fonbern bes §> e r 3 e n s ift, beren einzige Srfcbetnungsform bas 2 e b c n bilbet. '3)antm ift es mög(id), obne Seitnerluft mit bem b e ft e n unb t i e f ft e n 3Jlenfd)en fo innig in geiftige Berührung 311 treten . . . 3cb betennc, bafj id) nie fo oon ber 3Bürbc bes Sftenfdjen burebbrungen, nie fo oon ber f>eiltgfett meines Berufes ergriffen trmrbe, als in ben unoergeft’

lidjen 3Tagen, bte id) an ber (Seite bes eblen <5d)t»ci3ers unb in bem Streis feiner feelenoollen greunbe »erlebte."

Befannt ift ja bas bobe Sob, bas g i d) t e , ber fd)on im 2ßinter 1793/94 ^Peftalo^ji pcrfönlicb aufgefud)t batte, in feinen „5rcben an bie beutfdje Nation" (9. 9lebe) ibm unb feinen 5ßer!en fpenbet. S r erfennt aud) mit 9tecbt als tiefften Quell oon ^eftalosais päbagogifcbem ©treben ben „unoerftegbaren unb atfmäd)tigen unb b e u t f d) e n STrteb: bie S i e b e 3U bem armen, oerwabrloften 53 01 f e . . . S r toollte bloß bem

■33oIfe helfen; aber feine Srfinbung (nämltd): ber SRetbobe eines wirf»

lieb elementaren Unterrichts) in ibrer gansen Sfusbebnung genommen, bebt bas ‘Solf, bebt alten Unterfd)ieb 3toifd)en biefem unb einem g e - b i l b e t e n <5tanb auf, gibt, ftatt ber gefud)ten ,,33olfs"er3icl)ung1) 91 a t i 0 n a I er3tebung unb batte ir>of)I bas Vermögen, ben Bölfern unb bem gan3en 2Henfd)engefd)lecbt aus ber Siefe feines bermaligen Slenbs empor3ubelfen".

Ss ift in ber Sat bie S i e b e getoefen, bie Siebe oor allem 5U bcn 2Irmen unb allen SEftübfeltgen unb Belabenen, bie für ‘’Peftak^i ben Sern bes eigenen 3Befens unb SBirfens, bcn 6inn aller Religion, bte Seimfraft unb (Seele aller Srsiebung bcbcutetc. 2Ber fein Scben fennt, ber tüetfe, bafe er ein £>elb, ein SRärtprer bingebenbfter, opfenrtilligfter Siebe getoefen ift. Unb biefe Siebe, bie if)n neben religiöfe ©eftalten wie ben heiligen gran3tsfus ftellt, rürft ibn uns aud) menfcblid) fo oiel näher als foldje, bie, tute ein ©oetbe, eine weit gröfecre fjarmonie unb Slusgeftaltung ibrer gansen ‘^erfönlidjfeit seigen. On biefer Siebe bat aud) ein genialer ^äbagoge wie 6 ü 0 c r n fd)on bamals bas eigent-

‘) „33oIf" im Sinne ber armen 53oIfsfd)i(f)ten.

(5)

© c f r a f f e n b e s S e b e n 37

lief) ‘Bebeutjamfte unb 33orbilblid>fte an ^eftaloaai gefeiten. 'Deshalb fdjrieb er einmal ben jungen preufoifchen Sebrern, bie er 3ur <2Bc!ter=

bilbung ju ^Peftaloajt naef) Offerten gefd)idt Ijatte: „SKidtf eben bas

9Red)anifd)e ber 2Retbobe follen 6 ie bort erlernen, bas Jönnten 6 ie aud) anberswo unb lohnte bie Äoften fürwabr n!c^)t; aud) b a s foll nicf)t Obr f>öd)ftes fein, bte äufeere 6d)ale berfelben burd)brod)en 3U baben unb in ibren ©eift unb innerften Stern gebrungen 3u fein, bloft ber ©efd>idlid)feit 3um i l n t e r r i d j t falber. 91ein, erwärmen Jollen 6 ie fief) an bem h e i l i g e n g e u e r , bas in bem ‘Sufen glüf)t bes SOtanncs ber Straft unb 2 i e b e !"

6 0 bctoäbrt fid) wieber an 'Peftalojäi bie taufenbfacb beftätigte 6in=

fidjt, bajj bas 2Befentlid)e für alle Erhebung unb <£r3iebungsform bie s13erfönlid)feit unb in ber l’Pcrfönlid)feit bie Siebe ift. 9ticbt minber aber beftätigt uns ^eftalo jjis 6d)idfal, bafc bas Seben ber genialen

3Kenfd)cn ein Scibensweg ju fein pflegt. Sollte uns bas nid)t wieber eine tiefe 2Ral)nung fein, nid)t oorfcfmell ju „rid>ten" über bie 2ftenfd>en, fonbern unbeirrt bureb ©onberbares, „2llljumcnfd)lid)es", Slbftofcenbes immer ‘SSlid unb f>er3 offen 3U halten für menfcblicben ?ßert unb menfd)lid)e ©röföe?!

©cf)aff<mt>ßs £eben

35on 3t 0 m 0 n 0 © u a r b i n i 1)

©ebaffenbes Seben l>at einen tiefeigenen 3öejens3ug: S e r Jd>öpfe=

rifd)e 2Ift fann Weber oorausgefeben nod) cr3wungcn roerben.

© a jj in ber SSilbfraft bes Stünftlers bie bebeutungsoolle ©eftalt auffteige; baft ber Senfer bie feböpferifefee ßinfiebt gewinne; bajj bie notwenbige 3Tat auffpringe — mit einem Söort: ©afe bie (Schöpfung gerate, fann nid)t erswungen werben. Silles ©Raffen, fei es Sat, ober

©eftalt, ober was immer, fommt, wann „es w ill". ® er fd)öpferifd)e Vorgang unterftef)t nid)t einer Siegel, bie oorf)er ba wäre unb nun oer=

wirfliebt würbe, fonbern er fefet Siegel. 55efonbers gefagt: ©ebaffenbes Seben ftellt fid) felber bin; unb war’s wirflid) ein ©Raffen, bann ift bas fringeftclltc wefensfräftig, finnbaltig. 5ßir!lid)es ©ebaffen — woblge=

merft: wirllidjes — öffnet neue SERöglidjlciten, ridjtct 9teu=©ültiges auf. (Sdjaffenbes Seben briebt aus, es gebt, es ftrömt, es quillt — lauter SBorte, bie bas dämliche Jagen: 5)a{$ es niebt erred>net werben fann unb nid)t erswungen. Unb was es heroorbringt, ift „neu".

*) 21us beffen am S<$lu& bes §cftcs befproefeenem 2Berfe „51er ©egenfafc".

(6)

38 © c f e a f f c n b e s 2 e b e n

®as ßeben fpürt, fein ©inn liegt nicht in 5er 23erwirflicbung eines oon aufjen hetantretenben Sroedes, fonbern in ihm felbft. (Es erfährt fid> als {einen eigenen ©inn. Siefcr ©inn fe(3t fid? aber ftets neu unb in immer anberer ©eftalt, aus immer neuen Situationen, in noch nicht gemefener Sat. 9lidjt fo red)tfertigt fict) bas geben, bafe es fid) auf eine außerhalb ftehenbe Siegel beriefe, fonbern burch fid) felbft. 2lus bem baftchenben ©inngcbalt feiner leibhaftigen ©eftalt. ®aburd), bafe es eben lebenbtg ift.

®as ßeben binbet fid» nicht; es fe^t fid) immer neues ©efefe. ©as ßeben wieberbolt fid» nicht; es fe^t fid) ftets neuen Slnfang. 9lie bietet cs ber (Erfahrung bas Siecht, 3U fagen: ©o mar es; bemnad) wirb es fo fein, ©enn fd)on bas nächfte SOial ift es nicht mehr „fo". ©oweit es wirflich lebenbtg ift, weife bas ßeben ficb als etwas tief 9ieoolutionäres

— bas ffiort in einem wefenhaften ©inne genommen, ©tets rollenb unb morgen nieberbrehenb, was beute oben ift. 33orbanbenc Drbnungcn unb Regeln empfinbet cs als ntebt ju fid) gehörig, unb überfpült fie immer wicber. ©efäbrlid) ift bas ßeben. SRan fann ibm nicht trauen.

(Es ift untreu, fobalb man unter Xreue oerftebt, bafe angebbare ©icber=

feiten bafür beftünben, cs werbe fid) fpäter oerhalten tote beute unb geffern. 9lid)t einmal bauerbafte Sicherheiten bafür gibt es, bafc es fid) fpäter überhaupt in einer beftimmten SBeife »erhalten werbe. 2Bat>r=

fcf)einlid> wirb bas ßeben fid) fpäter anbers Derbalten; unb wer immer bergleichen Sicherheiten oerlangt, bem toirb es unbeftänbig erfebeinen, un^uoerläffig, treulos, aweibeutig, graufam. (Es gibt einen ©d)lag 9Jtenfdien, ber bas ßeben als treulos unb graufam empfinbet. Oener nämlid), ber nicht bie Straft bes fdjnellen ©prunges hat, ben rafeben

©riff, bas ftets neue ßeben genau fo 3U paden, wie es jefct allein gepadt werben fann.

3Bir erfahren es immer wieber: ©inb gefunb, wiffen aber nicht, wie lange; ftarf, haben aber feine Sicherheit, mann unferc Kraft oon uns weicht. 3Bir fpüren bie rätfelhafte Sßelle bes ßebens fcbrocllen ohne allen angebbaren ©runb; es fommt über uns unb geht wicber oon uns, wann „es w ill". Sie unberechenbaren neroöfen ©diwanfungen bes in=

neren 3uffanbes finb oielfad) nur franfhafte ileberfteigerungen biefer wefenhaften Unfid)erheit. 3ebcn Sag erfahren wir, wie bas ßebenbige fommt unb geht: (Erfüllenbes (Erlebnis, auffchliejjcnbe Einficht, löfenbes Sßort, fchaffenbe Kraft — es fommt, ohne bafo wir es awingen, unb geht, ohne bafj wir es halten fönnten.

(Eine befonberc gülle unb ©ewalt liegt hierin. Unb als um fo lebenbiger erfährt bas ßeben fid), je freier aus fid) felbft heraus es ent*

fpringt; je mehr es Sßagnis ift unb 2lbenteuer; je ooller es auf bem

(7)

® c f > a f f e n b e s 2 e b e n 39

ftcf>t, was ftets neu wirb unb nie oorausgefeben werben !ann, ber 9tegel iebtg unb bes Schemas. «Soweit empfinbet es fxd) als 2eben, als es fid) immer neu wagt. geinblid) bem Bürger, ber Sicherheiten will, unb fefte Ueberlieferungen, unb gegangene Sßege. Unb was biefer 3Treutofig=

feit nennt, bas ift bem Starten gerabe bes 2ebens mäcbtigfte 2odung, fein tieffter, freilich gefäbrlicbfter Sauber: ©ajj es feine '33ürgfd>aften gibt.

®aö wahrhaft leben nur fann, wer bas Abenteuer liebt. Unb gerabe biefer bat bem 2eben gegenüber eine gebeimnisoolle (Sicherheit. deshalb, weil er in fid) fclbft bie Hraft ftets neuen Sßanbels bat unb jeber Ueber=

rafdjung bes 2ebens blitjrafd) in neuer, feböpferifeber ffieife bie Stirn 3u bieten permag. ©ajj er folcbes fann; bafe er immer in augenwadiem

<Stirn=an=Stirn »or 2eben unb 2ob ftebt, gibt biefem ©afein jene <5pan=

nung, barin es fid) allein erfüllt weife. 60 bat ja SRiefefdjc feine järt=

liebfte 2iebe aum 2eben ausgebrüdt: „£ s ift gefährlich unb böfe."

®od) wir gehen biefen 2Beg ooran, unb fpüren balb bie ©renje.

2lus ber Äampfftellung wiber perfeftigte Banalität b^aus fann bie

„STrcuIofigfeit" bes 2ebens föftlid) erfdjeinen. 2lber es liegt boeb etwas 'Skrnicbtenbes in biefem 'äßort. ©ajj 2eben fid) nidjt binbet; ba{$ es immer wieber aus feböpferifeber STiefe bert>orbred)e, Qrbnungen über=

fpüle, neue febaffe, fid) felbft binftelle, unb ben Sinn folcben ©eins nur burd) bte Straft ber 2at unb ©eftalt rechtfertige — bas alles wirb uner=

fraglicher Unfinn, fobalb bie 2inie weiter burchgeäogen wirb, „als er=

laubt ift".

<Sann wirb bie Urfprünglid)feit bes 2ebens 3U einem Unwert. Sie wirb Unftete, £>altlofigfeit, 33erwabrlofung, 2üde, unb bas 3U bejahen, ift 2iteratur. Hein gortfübren wirb bann mögltcb, feine Sauer, feine Sßollenbung. So ll bas unerreebenbare Sluffteigen »on ©eftalt unb 2at Schönheit haben, wirflicbe greibeit unb Sinn; foll’s aud) nur möglid), ja benfbar bleiben, bann mujj es wenigftens aus einem SSRinbeftmafo r>on

^ufammenhang fommen, t>on Ueberlieferung unb Umgebung, non Orb-

•nung, 2ogif, 33orausfid)t. 5)ie 2ef)re nom franfen fagt ciel über bas SBefen bes gefunben 2ebens; oft finb Sranfbeiten nur Ueberfteigerungcn normaler Vorgänge. Ss ift ein S ^ e n pon Hranfbeit, wenn bie Ur=

fprünglid)feit ber feelifchen ’Slfte unb Vorgänge in wirflicbe Unbered)en=

barfeit ausartet; wenn aus fd)öpferifd)em 2eben bas regellose wirb.

2ebenbigc mögliche Urfprünglichfeit ift nicht Sprungbaftigfeit. 91ur auf Urfprünglicbfeit geftellt, würbe bas 2eben fid) fclbft entgleiten. ®s würbe fid> felbft nicht mehr gehören, ©erabe bamit wirflicbe Urfprüng=

lidjfeit fein fönne, will fagen Sigengebörigfeit; bamit ber jebaffenbe 2Itt aus bem 2eben entfpringe, nicht aber blofe an ihm fid) jutrage, mufe er in einer ‘23io-2ogif bes Sufammenhangs, ber 55orausfebbarfeit unb Sr-

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40 ( S d j a f f e n b e s ß e b e n

wartbarfeit oeranfert fein, ©amit ftetjt aber im fchöpferifcben Vereich bes ßebens ein ©egenpol auf.

©enn bas ßeben erfährt fich als einen Vorgang, ber nad) Vernunft georbnet ift. ©enauer gefagt: ©er fo ift, bafj ihn bie Vernunft faffen fann. ßeben weife fid) in angebbarcn 3ufammenbang eingeorbnet.

Vkife, bafe Sieget unb ©efet.5 bcftcbt, bem es gehorcht, SERafe unb ©eftalt.

gür bas, was herausfommt, wie für bcn 21ft bes §>erausbringens felbft.

ßeben ift Slbpthmus, VMeberfehr im 3Becbfel, ©auer im VSanbel, Stetigfeit oon 3»ecf, ©eftalt unb Verhältnis in aller Veränberung. ©ie aber bebeutet, bafe ber (Eintritt eines Elftes, eines Vorgangs, einer <25er=

änberung erwartet werben fönne. Erwartet, bafe fie gefd>el)cn, unb fo, unb jefet.

©ie Kraft bes ßebens liegt gcrabc barin, bafe cs fid) binbcn fann.

©afe cs fähig ift, ein ©efeft 3U baten unb 3U batten. Kraft bes ßebens ift Kraft 3um ©efetj. Kraft jur Sreue, unabhängig oom ‘SBanbel ber Verf)ältniffe, Suffänbe unb Slntriebe.

ßeben beifet, Orbnung fd)affen unb halten. ‘JBefen bes ßebens ift 3ud)t. ßeben helfet, an einer ©eftalt fchaffen, bie bauert; an einem 5öerf fchaffen, bas burd) lange Seit geht; 3ufammenbänge fpinnen, bie wcitcrlaufen. ©arin ein Slugenblid Erbe wirb bes oorhergehenben; ein Sag bcn oorausgehenben fortführt unb an bcn näcbftcn weitergibt. Um fo ftärfer bas ßeben, je länger ber Eltern feines ‘SBerfes. 3e gröfeerer gülle oon Einzelheiten, unb je längerem Slblauf oon Seit bie gefd>affene Orbnung geredet wirb; benn bas bebeutet, bafe fie wefenswabr fei. 3e unbeirrter cs einen Slntrieb, eine 9lid>tung, eine Aufgabe burch bie W irrnis ber Umftänbe unb 3öanblungen hinburch^utragen »ermag.

ßeben bebeutet Kraft jur Konfequenj. ©aju muf3 es aber §>err fein über fid) felbft; wiffen, woran cs ift mit fid), unb über fid) oerfügen fönnen unb auf lange 3cit hin. 2Rufe fid) felbft oorausfehen fönnen unb fid) fcftlegen; fid) felbft befehlen unb fief) gwingen. Von hier aus gc>

fehen wirb alle Unberechenbarfeit, an ber gülle bes ßebens gemeffen, 3ur

©d)Wäd)c; am V k rf gemeffen, oerächtlid).

ßeben helfet, Verantwortung tragen, ©as ift: Sat ober V k rf als 3U fid) gehörig nehmen, unb bafür einftehen fönnen. Verantwortung aber forbert fiare Orbnung, Vernünftigfeit, f>errfcbaft, auf bas gewufet werben fönne, was gefchicht, unb feftgelegt werbe, was gefchehen foll.

ßeben ift Siftöglicbfeit finnbewufeten ©chreitens. 3e tiefer bas ßeben, befto fid>erer barf es aufforbern, fid) ihm anzuoertrauen, benn es hat Sölafe, Vinbung unb Sucht.

©o fehen wir benn auch alles ßeben oon Siegel erfüllt. Schon bafe bleibenbe Struftur in ihm liegt, bringt ©auer unb Vorausfehbarfeit.

(9)

© i e i n n e r e S a g e b e s 21 r b e i t e r s 41

$ie blojje Satfacfje, bafc ber 23au oon Knochen unb SSRusfeln, bte

©truftur bes pfpchifchen ©efcheljens, bie logifchen ©efeße bes ®enfens morgen noch kie nämlichen finb toie heute unb geftern, fdjafft 9iegel.

Sie 3Tatfad)e, bafe traft biefer bleibenben ©truftur eine ganze 9leihe »on Sitten nur fo unb nicht anbers oerlaufen fann: SItmen, ©tehen, ©itjen,

©ehen. Siegel bringt bie Satfache, bafe ber 33eftanb bes Sebenbigen an bie (Erfüllung wefentlicher unb in Sriebgeftalt auftretenber gorberungen getnüpft ift; bafe bie trieberfüllten Sitte als erwartbar fidler eintreffen, toie Ccffen, ©chlafen. S3on zahlreichen Vorgängen totffen toir aus (£r=

fahrung unb Sinficht in bie beftimmenben ©efefte, baft fie periobifd) ein=

treten; fo bie Slegelmäfeigteiten bes ©toffwechfels, bie ©ejeiten bes Sltmens unb bes SSlutes, 3Bad)en unb ©chlafen, bie lebenbigcn 9ihpth’

men in ber Sluroe bes Sages unb bes 3ahres.

SBefensgemäjj alfo ift bas 2eben Flegel. 3a btefe ^tcgelmäfeigfeit tann fo ftart werben, bafe fie erftarrt. 5Bie eine SSRöglichteit ber (£r=

trantung barin liegt, baft bie Urfprünglichfeit ins Uebermafe geht unb zur ©prunghaftigteit wirb, fo fann hier (Entfprechenbcs gefchehen: Die 9iegelhafttgfeit fo feft »erben, bafj bie Vorgänge fid? fixieren, ©o zum pft)d)oIogtfd)en Swang, in bem beftimmtc 2lfte immer toieberfehren, oom

‘Sewujjtfein begleitet, nicht anbers zu tönnen. §>ier ift bte ^egelmäfeig=

feit bes ßebens zur Swangsläufigfeit geworben. 2lud) als (£harafter=

Zug fijiert, tann folche 9legelmäfeigteit zu einer ’Serfallserfcheinung werben, ©ombart hat ben „rechenhaften 2t)pus" gezeichnet, ben 9ften=

fchen, ber fid) nur im 9tationaIgeorbneten bewegen fann; ber aus bem 2eben alles STteufdjaffen entfernt unb fich nur foweit zurechtfinbet, als bie Rechnung reid)t. ©oll gefunbe 5tegel fein, unb nicht franfer Swang;

lebenbige “Jtegel unb nicht toter 3Red)anismus, bann muß alle ©icherheit bes Slblaufes oon einem SDIinbeftmaft fchaffenber Urfprünglichfeit burch=

woben fein.

D ie innere Sage S(rfr<nfers

93on K a r l S ü f e n e r

3n feiner ©efcllfchaftsfd)icht gibt es eine fo ungeheure 9Rannigfaltig=

feit ber 2ppen wie unter ben gabrifarbeitern, bie man fo gern als SOtaffe bezeichnet. 53on entfeheibenber 33ebeutung für biefe 2ppcnocr=

fchiebenheit ift bie STatfadjc, bajj bie gemeinfame wirtfchaftliche 2age unb bie baraus in ber gabrif entftanbene Sltmofphäre faft auf jeben Arbeiter wieber in oöllig anberer Söeife wirft je nad) Einlage, ©e=

fd)led)t, Sllter, fjerfunft, Honfeffion, ‘’Partetzugehörigfeit, je nachbem

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42 ® i e i n n e r e E a g e b e s S I r b e t t e r s

einer gelernter ober ungelernter Arbeiter ift. Zugleich läßt fid) aber aud) hier wie nirgenbs fonft ein breiter ©trom gemeinfamen 3nncn=

lebens aufweifen, an bem jeber fd)on bamit, baß er gabrifarbeiter ift, teil bat.

®iefes eigentümliche 3nnenleben bat feine f>auptwur3eln in ber ä u ß e r e n S a g e bes Arbeiters. 2lud) heute noch reicht ber S o h n beim größten STeil ber önbuftriebeoölferung faum für bie allernotwen=

bigften Sebensbebürfniffe. ®aß ein begabtes Slrbeiterfinb ein £)anbwerf ober einen höheren 33eruf erlernen fann, ift nur feiten möglich, weil ba=

mit ber gangen gamilie für 3ahre große Opfer auferlegt werben; muß man bod) oon »ornberein auf ben Sohn »catchten, ben bas betreffenbe Äinb bie gange 3eit htnburd) nach §>aufe bringen fönnte. Weiterhin fann es faum ein Arbeiter bahin bringen, fid) ein fjäuschen 3U bauen unb fo fiel ©elb auf^ufparen, baß er feinem Sllter ruhig entgegenfehen fann; es bleibt ftets bie unheimliche 2lusfid;t, eines Sages arbeits=

unfähig unb nöllig ungefichert bajuftehen, trofebem man bas gan3e Oahr faft ohne Unterbrechung arbeitet.

(£s ift flar, baß bie © e f u n b h e i t einer burch bie Slrmut fchon gefährbeten gamilie aufs ftärffte gefchäbigt wirb, wenn alle fechs ober mehr gamtlienglieber bei Sag unb IJtacht in einem einigen elenben

©eiaß häufen müffen. Vielfach haben bie Singehörigen baau nod> in ber gabrif eine Slrbeit, welche bie ©efunbhett untergräbt. 3d) benfe an 3wei gamilien in meiner Heimat, bte in ber 3t9arrenfabrif be=

fchäftigt waren. 2lus jeber gamilie finb erwachfene ©ohne unb Sochter geftorben an Äeblfopf* ober Sungentuberfulofe.

Unb es ift burch bie Erfahrung ber 3tr3te beftätigt, baß in einer

©tabt mit STabaffabrifen bie meiften Stehlfopffranfen aus biefen ga=

brifen fommen. 3ebe große Uhrenfabrif hat einen ©aal t>oll fogenann=

ter „SRetallbrüder". ©iefe Slrbeiter müffen an ber ®rehbanf große SDteffingfcbeibcn mit einem fdjweren eifernen ©tab in eine »orgefd)de*

bene gorm umbiegen. S)abei wirb ber ©tab in ben 'Saud) geftcmmt unb mit bem gan3en Störper bagegen gebrüdt. ©er gabrifant unb btefe 2lrbeiter felbft wiffen, baß fie etwa mit 50 Oahren in bie 9krocnbeil=

anftalt fommen, weil fie bie Slnftrengung nicht aushalten. 3d) habe erlebt, wie in ©chramberg eine gamilie immer ftärfer in Zerrüttung geriet, feit ber 33ater, ein SSRetallbrüder, plöfelich einmal mit bem 23eil nad) feiner grau geworfen hatte, währenb er oorher ein ftiller, fleißiger SKann gewefen war.

2lm fchlimmften wirft auf ben Arbeiter bie oöllige 2R e d) a n i f i e = r u n g feiner Sefchäftigung. ßr fit;t r>ielleid>t an einer 53ohrmafd)ine unb bohrt jahrein jahraus bas gleiche Soch in bie gleiche 3Reffing=

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® t e i n n e r e S o g e b e s A r b e i t e r s 43

platte. 3n meinem «Saal faß ein fiebaigjähriger SRann, ber breifeig Oahre lang biefe Slrbeit perriebtet haben foll. (£r macht immer bie gleiche “Bewegung, toie wenn er felbft aur SERafc^ine gehörte. 3n einem anbern 6aal fte^>en bereits eine 9ieibe neuer SRafcbinen, roelche bie Bewegung bes alten 9Rannes Piel fchneller unb Ptel fixerer felbft aus=

führen. 60 ftarf, wie bei ber Bewunberung biefer funftoollen 2luto=

maten, beren jeber brei 2Irme hat, habe ich es nie wieber empfunben, baß jeber Sftenfch in ber gabrif nur einen fd)led)ten (Erfaß für einen 2Rafd)inenteil bebeutet. ?5on all ben ©aben unb ffräften, roelche ber

^erfönlichfeit eines Arbeiters eigen finb, fann fid) nichts entfalten.

©aß biefe äußeren Serbältniffe mit ben eben gefdjilberten Sinael=

gügen ben Sntftehungsgrunb alles beffen bilben, was für bas 3nnen=

leben bes Arbeiters fennaeiebnenb ift, mag burch eine furae ileberlegung begreiflich »erben. 3eber SUlenfch erwartet pon feinem 2e b e n s b e = r u f e ein gutes Stusfommen für fid) unb feine gamilie unb fchließlid)

<5id)erftcllung feines Filters. Weiterhin, unb bas ift bas 3Bid)tigffe, foll ber ßebensberuf allen gähigfeiten, bie man befitjt, bie SDtöglichfeit gur (Entfaltung bieten. Leibes aber iff für ben gabrifarbeiter mit allebem, tpas mir pon feinem Berufe gefehen haben, Pon pornherein unmöglich gemad)t. Saß bies nicht ohne golgen bleiben tann, läßt fid) benfen.

3unäd)ft ift gu fragen, wie fid) bas alles beim R e n t e n geltenb macht. ?Melleid)t meint jemanb, man fönnte boeb neben ber gang me=

d)anifd)cn SRafchinenarbeit, bie an bas Senfen überhaupt feine 2lnfor=

berungen ftellt, allen möglichen intereffanten Singen nachbenfen. 3d) faß brei SKonate lang an einer (Stanae. S a mir fd)on nad> ein paar Sagen ber Tritt mit bem guß unb ber 9rud mit ber §>anb, bie beiben einjigen Bewegungen, gana geläufig waren, wollte id) bamit beginnen, über Perfchicbene gragen, bie mir wichtig waren, nai^ubenfcn. Slllein, balb merfte ich, baß id) immer langsamer arbeitete unb bie 2lfforb=

leiftung nicht mehr fertig brachlc. 2lls ich fpäter einmal unter <23eibe=

haitung ber gewöhnlichen ©efchwinbigfeit bas Nachbenfen anfing, brachte ich beinahe bie f>anb in bie 2Rafd>tnc. S ie Slufmerffamfeit bes Arbeiters ift gerabe foweit in Slnfprud) genommen, baß er nebenher nichts Rechtes benfen fann unb bod) ein ungefüllter Trieb banad) in ihm oorbanben bleibt. €>tänben bem Arbeiter gerien pon längerer Dauer jur Verfügung unb fänbe er bie nötige Slnlctfung, um ben in ihm auffteigenben gragen nachaugehen, fo fönnte alles einen glüdlichen 'Ser»

lauf nehmen. Slllein unter ben heutigen ‘öerhältniffen werben alle gragen, bie ben Slrbeiter anfangs bewegen, langfam abgetötet, bis er fchließlid) einer Jcbauerltcbcn S t u m p f h e i t allen wichtigen Singen gegenüber perfällt. S a s unbefdjäftigte unb ftumpfgeworbene Senfen wirb babei bem flaren SBillen oölltg entriffen unb ben T r i e b e n

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44 ® i e i n n e r e 2 a g e b e s A r b e i t e r s

unterworfen. Och batte lang einen fiebaebnjäbrigen Burfcben neben mir an ber 3Rafd)ine, ber einen ganjen 33ormittag ununterbrochen jwei in ber gabrif umgebenbe febmutjige 6prüd)e laut berlcierte; am anbern 2ag ging’s aufs neue an; als enblicb eine jweitägige Unterbrechung ein=

getreten mar, begann er wieber bamit. §>ier wirb ohne weiteres »er=

ftänblicb, baß bas 'Denfen in ber gabrif weithin [ich in einem ftetigen 2)urchwühlen ber Bilber aus bem f e j u e 11 e n 2 e b e n erfeböpft.

3tun erhebt fich fofort ber ßinwanb, nirgenbs im 33olf werbe über bie gragen ber © e f e l l f d > a f t unb ber 2B e l t a n f d ) a u u n g fooiel nachgebacht wie gerabe unter ben gabrifarbeitern. 2)arauf ift au ant=

roorten, baft mit bem eben ©efagten an §>anb non Beifpielen gegeigt ift, in welche Dichtung bie SDtenfcben »on ber gabrifarbeit gejerrt werben.

Ob unb inwieweit ber einaelne gegen ben 6trom anfämpfen fann, hängt

»on all ben »erfebiebenen eingangs angebeuteten gaftoren ber Einlage, f)er!unft ufw. ab. Ser 33 u r f d) e » o m 2 a n b wirb am härteften be=

troffen. 3bm tritt in ber gabri! eine allaufrembe 3öelt entgegen, mit ber er einfad) nicht fertig werben fann. Slujjerbem bringt gerabe er ein hohes 3Kafe »on Jriebhaftigfeit mit. ©er »orf)tn gefchilberte Ounge, ber neben mir feine 6prüd)c ableierte, war »om 2anb. 5öä'hrenb biefer 2pp ben beftehenben (£inrid)tungen unb 2Infchauungen gegenüber eine wirflicb burchbad)te Sritif überhaupt nicht lennt, höchftens ein 9tacbfprecben bit=

liger <Sd)Iagwörter, benft ber gewöhnliche © t a b t a r b e i t e r folange über bie gragen ber SBeltanfcbauung unb ber ©efellfcbaft nad), bis alles 3erfet3t ift. ®ann »crftumnien aud) bei ihm bie gragen. 3u wirtlichem

®enfen gelangt nur ber Slrbeiter, ber für irgenbein ©ebiet aufeerorbcnt=

lief) begabt ift unb ben befonbere gragen troft allem nicht loslaffen.

©old)e 2eute fuchen fich burd) SBilbungs»orträge, bie ihnen jugänglicb finb, unb »or allen Gingen burd) © c l b ft ft u b i u m in bcn 2lbenb=

unb 3lad)tftunben emporauarbeiten. 3)ian fann fich faum »orftellen, mit welch ungeheurer (Energie biefe SDZenfcben bie paar freien ©tunben aus- nüften. Äaum fann man bas (£nbe ber 2lrbeit erwarten, man fchliefet fict> ein, lieft bie gan3e 9tad)t burd), »ertieft fich fo in ben ©toff, bafe auch bie Sräume ba»on erfüllt finb; freilich »crbeijjt man fid) oft fo barein, baß für anbere ®inge oft faum mehr ein 53erftänbnis übrig bleibt. 35iele »on biefen Arbeitern ftellen fich in ben Sienft ber ^Par=

teien, wo fie bann mit allergrößter Energie ohne 9iücffid)t auf ihre ©e- funbheit ihren ^often ausfüllen.

On einer ähnlichen 2age wie bas ®enfen beftnbet fid) auch bas © e = f ü h l s l e b e n. Sie Slrbcit ift für alles ©cfübl »öllig unempfinblid).

©elbft bei bem in ber gabrif ftehenben Hunftgcwerbler fommt es lebig*

lieh auf Routine an. ®enn auch er mujj »tele bunbert ©tüd »om felben SDZufter liefern, ©afj ber Nebenmann in ber 3erfefeungsluft ber gabrif

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® i e i n n e r e S a g e b e s 2 I r b e i t e r s 45

lein Objett für feinere ©efühle ift, läßt fiefj benfen. Slber aud) 3ubaufe ift es oft fo unerquidlid), bafe nicht einmal bort für ©efühle 5laum bleibt. 60 tritt allmählid) eine ungeheure © e f ü b l s o e r r o b u n g ein, bie feineren ©efühle finb tot. gaft jebes ©efpräcf), bas in ber ga=

bril geführt tüirb, ift ein 23etoeis bafür. S ie (Streitigfeiten ber Arbeiter miteinanber unb r>or allem ber rof)e gabrilflatfd) jeigen bas im grell=

ften Siebt.

|Mer ließen ficf> leid>t eine SDIenge ©egenbeifpiele anführen. S e i oielen Arbeitern trifft man ein gartes gamilienleben ober ein Ijodjentrpicfcltes fRaturgefübl. 9ftan fann fagen, baß befonbers in ber jungen ©eneration ein neues ©efübislcben erwacht, toeil mächtige ©egenfräfte am 3ßcrt finb, bie ber allgemeinen Sntioidlung gur tierifchcn Verrohung entgegen- tuirfen. SDIan barf fid) nur bie tiefen Sieber pergegenwärtigen, bie aus ber Slrbeiterjugenb herausgetoachfen finb unb beute in ber ganzen 3u=

genbberoegung gefungen »erben.

Sieben ber Verrohung ift für bas ©efübislcben in ber gabrif bie un=

gebeure 2B u d> t fenn3eid)nenb, mit ber alle ©cfüble losbrcchcn, roenn fte irgenbtoo einen 2lbfluß finben. SBeiterhin ift p beobachten, bafj bas

©efüf)lsteben oöllig ben 2 r i e b e n folgt.

Saraus erflärt es fid) aud), bafe bie |)auptmaffe ber ©cfüljte ibren Slbflufj in ber £ r 01 i f nehmen. SDtan ahnt nicht, wie ftar! bas ganje gabrifleben unter biefem 3eid)en fteht. Selbft ber fechäigjährige Sftann fcheut fid) nicht, einem fünfaehnjäbrigen 3ungen in bredigfter 2lrt Pon feiner eigenen grau 3U e^ählen. Stiles, tr>as an poetifeber Äraft nod) oorhanben ift, wirb auf biefem ©ebiet perbraucht, ©n Saa l hat oft eine 2lrt erotifcher ©eheimpoefie, über bie ber 9ticbteingerücibte freubig über=

rafcht fein fann, bis er merft, roas in 3öirflid)feit gemeint ift.

9teben ber (Srotif fommt als fehr mid)tige Slbflufjmöglichfeit ber Ä l a f f e n h a fe in ‘Betracht. £s banbelt fich hier um ein ©cfühl, bas burch bie gan3e Sage bes Arbeiters er3cugf wirb. 2öenn enbltch ein paar Sonnenftrablen an einem herrlichen Sommertag 311 feinem büftcren 2lr=

bcitsplafe hereinbringen, wenn er auf bem f>eimtt>eg an ben Sd)au=

fenftern, Poll mit nottnenbigen, aber uncrfcb»tngltd)cn Singen, oorüber=

fommt, wenn er am Sonntag einen ©ang burch bie gelber machen fann, bann ffeigt immer aufs neue in ihm bas 53etuufetfetn auf, oerfflaot 3U fein. Ser höchfte ©rab ber Verbitterung toirb erreicht, wenn ber 3lr=

beiter an fid) felbft »abrnimmt, rote er allem Safein gegenüber immer ftumpfer roirb unb rote er in fittlicper Öinficht immer tiefer in ben Sumpf gerät. S a s ^arteibogma bringt ihm nur immer toieber ben galten Oammer 3um Veroufttfcin. Saf3 fcheinbar gan3 belanglofe Streitigfeiten 3U ^utfehen mit gräfelichen Slusbrüchen führen fönnen, fann nid)t toun- bernehmen, wenn man jene perhaltenen ©luten in ber 3Tiefe fennt.

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46 ® i e i n n e r e S a g e b e s 2 I r b e i t e r s

§>xnfid>tlxd) bes Klaffenhaffes nehmen weithin bie g e l e r n t e n 21 r = b e i t e r unb bie 9R e i ft e r eine anbre Stellung ein, ebenfo lehnt ber f i r c h Uc he A r b e i t e r ben Klaffenhafe meift ab. Bet Dielen mag ber SKangel an flarem Bltd fchulb fein; ber fiauptgrunb befteht jebod) barin, bafe biefe Slrbeitergruppen auch noch mit ben übrigen Bolfs- fchichten in Beaiehung ftehen unb fo au einer gerechteren Beurteilung iommen gegenüber ben Urfachen bes Klaffengegenfafees. ®ie eigenartige (£inftellung ber 3 u n g f o 3 i a l i ft e n unb gewiffer ©ruppen aus ber übrigen S l r b e i t e r j u g e n b finbet ihre Srtlärung barin, bafe ihnen bie Aufgabe, welche bie ganae Sage ihrer Klaffe oor fie tjxnftcüt, au heilig ift, als bafe bie unberechenbaren unb weithin unberechtigten ©efühle bcs f>affes eine Stimme haben bürften.

3Bas über bas S B i l l e n s l e b e n bes Slrbeiters ju fagen ift, ent=

fpricht bem, was wir bisher gefehen haben. 2Bohl gibt es in ber gabrif med)anifch=gleichmäfeige ©ewöhnung an eine beftimmte 2lrbeitsgefchwin=

bigfeit, wohl fennt man eine gewiffe Schulung 3ur Routine; allein cs ift faft jebe 9Jtöglid)feit ausgefchloffen, ben Sßillcn au ftählen, fich fclbft 3u eraiehen, gegen gehler unb Schwächen fid) 3U wehren. Unb bocf> fifeen überall an ben SÖtafdunen junge 2Renfct)en mit reichen unb feinen 2ln=

lagen mitten im Blühen unb 3öachfen! 38as werben alle biefe braufen=

ben Kräfte anrichten, wenn ihnen nach allen Seiten ber 2ßeg oer=

fperrt ift?

SBenn alles einen glüdlichen Verlauf nimmt, fo treibt man S p o r t . Slber ben meiften genügt bas regelmäßige gufeballturnier am Sonntag­

nachmittag ober bas Surnen an einem ober 3Wei 2ßod)enabenben nicht.

So fommt es, bafe oon ben meiften bie ganje Kraft im f e j u e 11 c n 2 c b e n oertobt wirb. ®ic flächte oom Sonntag auf ben SIRontag, ehe man aufs neue angefettet wirb, werben burchgetanjt unb bis 3ur 91eige burchgenoffen. SERatt unb abgelebt Iommen bie jungen SDZenfchen am SSRontag in bie gabrif aurüd. B ei ber Slrbeit wirb gana offen baoon gc=

rebet, bafe bie unb bie mit einem „Knutfchfleden", b. h- einem blauen SSRal oon eingebiffenen 3ähnen am f)als in bie gabrif gefommen fei.

Unb man tann am SRontagmorgcn beim ©ang aur Slrbeit ein ganacs

©ufeenb folcher SSRäbchen fchen.

Sßieweit bies 2eben für bie ©efamtheit ber gabrifbeoölferung autrifft, läfet fich fchwer fagen. 3öer aber bas Seben hinter ber SOlafc^tne unb in ben Bergwerfen unb bie baburd) gefdjaffene 2ltmofphäre fennt, ber weife, bafe bie ßntwidlung in ber Dichtung oiehifdjen Berfommens mit wachfenber ©efc^winbigfeit fortfdjreitet unb immer mehr SÖlenfchen mit fich reifet, bafe alle bie, welche nod) nicht fo tief gefunfen finb, glüdlidje Ausnahmen finb. ©er „ f ü n f t e S t a n b", bas oöllig oagabunben-

(15)

® i e i n n e r e S a g e b e s A r b e i t e r s 47

hafte Proletariat, aus bem bas ©trafeernnäbchen unb ber fechaehnjährige VMnfelfteher fommen, ift als grofee SERaffe awar in ber ©rofeftabt au

§aufe. 2lber es gibt in jeber gabrif eine ziemliche SInaabl folcher 3Ren=

fehen. ©ns unfrer SERäbchen fam aus einer breiaehnföpfigen gamilie.

2lls ber ältefte ©ohn enblich ©elb cerbienen fonnte, brannte ber Vater mit ihm burch unb liefe bie grau mit allen übrigen Ktnbern fitsen. 3öas bas für Verhältniffe gab, täfet fich ja benfen: ^ungern unb Vetteln für alle, für bie grau unfinnige 2lrbeit in ber gabrit unb am 2öafchjuber, für bie Kinber eine oöllig eraiehungslofe 3ugenb. 60 mar es nicht oer=

munberlich, bafe bas 2Räbd)en aus biefer gamilie, bas mit breiaehn 3ahren in bie gabril fam, mit oieraehn 3ahren bereits eine ©irne mar, bie fich jebem hingab. ©abei mar fie aber für fooiel ©chönes augänglid).

ßs fah aus, als mürbe ©utes unb Schlechtes, mas gerabe an fie heran=

trat, in oöllig gleicher 2ßeife bei ihr oerfangen.

Sieben biefem Spp fteht gleich ber 2 a n b b u r f d) e. SEReift hat er mehr ©elb aur Verfügung als anbre. ©ie nie gefühlte greihcit an einem Seil bes Sages, bie ßinmirfung ber gerfefeenben gabrifatmofphäre, ber ßinflufe ber 2lrbeit — bas alles wirft auf feine unoerbrauchten Kräfte gerabep ungeheuerlich unb macht ihn oöllig haltlos. Es ift ber 2anb=

burfche, ber bas rohefte ßeben führt unb am gemeinften herausrebet.

3Bas man im 3ug an fchmufeigen Sieben hört, fommt aurn gröfeten Seil aus bem SERunb biefer 2lrt oon Arbeitern. 3war ift ber © t a b t = a r b e i t e r ebenfalls weithin haltlos; aber oielfad) leibet er fehr hart barunter, bafe er nicht anbers fein fann. Dagegen ift ber tppifche 51 r = b e i t e r f 0 h n ein aufrechter SERenfch, ber, was er tut, mit Sharaftcr tut, felbft wenn er fich bie häufig oon Kommuniften oertretene „Prole*

tarierethif" au eigen gemacht hat, bie bas regelmäfeige fejuelle ©id)-aus=

leben als einaige 3Röglid)feit im jefeigen fapitaliftifchen ©pftem anfieht.

5ßo aber bie Partei, bie ©ache ber Klaffe alle Kraft braud)t, ba tritt alles anbere aurüd'. Viele Kommuniften oeraichten auf jebe 2lrt ©enufe,

„um au erbau’n eine beffere Sßelt". 2lud) eine Sthif höchfter Vergeifti=

gung trifft man in ber gabrif, bicht neben ticrifd>cr Sloheit. hierher gehören weithin bie ßeute aus eoangelifchen 3ünglings= unb 2lrbeiter=

oereinen unb aus fatholifchen ©efellenoereinen. ©ie flarfte unb augleid) als oöllig fclbftoerftänblid) empfunbene Ethif hat fid) in ber 21 r « b e i t e r j u g e n b gebilbet. ©ie Oungfoaialiften unb beftimmte ©rup=

pen aus ber foaiaIbemofratifd)cn „Slrbeiterjugcnb" unb aus ber „Kom=

muniftifchen 3ugenb" finb hier au nennen, ©a biefe ©ruppen weithin mit ber übrigen 3ugenbbewegung in engfter Verbinbung ftchen, weil auf beiben ©eiten bie gleiche ©runbeinftellung oorliegt, finb auch biejenigen SIrbeiter au erwähnen, welche etwa au ben Vkhrtemplcrn, au Stcuwerf ober au ben Köngenern aählen.

(16)

48 D i e i n n e r e 2 a fl e b e s A r b e i t e r s

3ötr mußten bisher in allen fünften bie töblid)c SBirfung ber gabrif auf bas 3nnenleben bes Arbeiters als bie §>auptlinie feftftellen. Es ift nun nod> ein SKoment in 33etrad)t gu gieren, bas in berfelben Dichtung einen fe^r ftarlen 2lusfd)lag gibt, ©as ift bie ft e t) e n b e 2 11 m o =

f p i> ä r e , bie einen jeben mit bem ®urd)fd)reiten bes gabriftores um=

gibt. Sie ift gefd)affen burd) ben jal)rgef)ntelangen Einfluß ber gabrif auf bie ©enerationen; bie Slrbeit ber “’Propaganba, bie fid) »or allem in ber Stritif ber ©efellfd)aft unb ber alten 5Beltanfd)auung ergebt, bat ifjr STeil bagu beigetragen, unb nid)t weniger bie »ielen So^nftrcitigfeiten, bie (Streifs unb ^utfe^e.

®icfc Sltmofpbäre, beren ftärffte Tönung pon ber gerfetjenben Stritif unb ber feyuellen 33errol)ung hergenommen ift, ergießt fid) wie eine ätjenbe giüffigfctt über jeben Arbeiter oom Eintrittstag an. Sie wirft nichts, was nid)t in langfamerem gortfd)reiten bie Slrbeitslage felbft wirfen würbe, aber fie befchleunigt ben ^ßrogeß; ja fie l)at ihn oft fchon pollenbet, e^e nod) wirflid) oon einem Einfluß ber Slrbeit gerebet wer=

ben fann. 'Sßcnn nad) einem <3al)r gabrifgeit ein fleines SKcibd)en nöllig oerfommen ift, wenn ein 3unge fd)on in ber erften SBoche gum ^rot3en wirb ober einer nad) »ierget)n Sagen bte überfommene Sßeltanfcbauung pölltg über 55orb wirft, fo ift bas nicht bie langfam gehrenbe SBirfung ber Arbeit, fonbern bas rafenbe greffen biefer Sltmofphäre.

SKachbem bisher einzelne ©ebiete bes Seelenlebens getrennt behanbelt würben, bleibt jet^t bte grage gu beantworten, wie fid) beim Arbeiter bte 9iid)tung feines ©efamtlebens geftaltet. Ob ein Sötenfd) mehr be=

wußt ober unbewußt lebt, immer liegt eine folche Dichtung oor, bie bei normaler Entfaltungsmöglichfeit ihre eigentümliche Prägung aus ber perfönlidien Eigenart bes SDlenfchen erhält. Söenn biefe 2 e b e n s = r t d) t u n g bewußt Perfolgt wirb, fo fann man baoon reben, baß ein 3Jlenfd) feinem 2eben einen beftimmten Sinn gibt. 2llle Etngelgiele, bie er mit flarer 23ered)nung »erfolgt, finben ihre Zufammenfaffitng unb ibren leßten Sinn in bem ihm Porfd)Webenben ßebensfinn. Sem 2Ir=

beiter ift r>on oornheretn jebe SKöglichfeit abgefchnitten, bte Stnnlinie feines 2ebens gu »erfolgen. E r barf 2Rafd)ine fein, er mag hinoegetieren wie eine ‘’Pflange, wie ein 3Tier btnbämmern — aber bte 53eftimmung, bie ihm als einer menfchltchen ‘=PerfönIid?fett gefeßt ift, barf er nid)t er=

füllen. Söenn bet finnooller 2ebensgeftaltung ticfinncrlid)e sSefricbigung unb feeltfches ©leid)gewid)t eintritt, fo ergebt fiel) im Arbeiter bagegen tiefffes Unbefriebigtfein unb Pöllige fmltlofigfeit gegenüber allem ©e=

fd)el)en. üDlan fann biefe Momente beinahe bet jebem ©efpräd) beob=

ad)ten, am beutlid)ften tritt bas alles gutage, wenn gu trgenbweld)en Er=

etgntffen Stellung gu nehmen ift.

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