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Philosophie und Leben. Jg. 5, H. 3 (1929)

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Academic year: 2022

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(1)

^tlofop^te tmöHcbm

5. J A H R G A N G + 3 .H E F T + MÄRZ 1929

„ I m Ö t e n ft e ber ID o lits e m h e tf e rftr e b t u n fe te e tn t taü)-- li $ e 2 t« ö fp rat^ e ber üerfchtebenen to e ttan fch au ltth en E i c h u n g e n . “

3

ur ©run&tegung

5

es ©iffftcf)<m

(Ein 33ricftocd)fel aroifdjen fians ©riefch unb Sluguft SDtcffer.

(Sehr oerehrter lieber f)err College!

3115 icf) oor ettoa 8 Söocben nach 3m;monatlicher Slbtoefenbeit aus 6üb=

amerifa surüdfam, fanb icf) eine fo enorme SDtenge oon <23rtefen unb 5)rudfad)en ^>tcr oor, bajj bas Slufarbeiten eine lange 3ett erforberte. 6o fam ich benn auch erft oor etwa 2 2Bod)en an Obre 33efpred)ung ber

„ 6 i 1 11 i cf) e n 2 a t " 1) (^bilcfopbie unb Seben, ^abraang 1928, §>eft 8).

3d) toill ber 9leibe nach auf 3bte fiintüänbe Iura eingef)en (in einer in 2Iusfid)t ftehenben 2. Auflage bes 33ud)es gebe ich im 5)rud auf einiges ein).

1. SDlit ber fogenannten SBertetbif fann id) nicht oiel anfangen. 6ie gebt jtoar ettoas über S?ant hinaus. 2Iber fxe fagt nie, toas es beiftf, bafe gerabe b i e } e Sßerte 3Berte finb, unb weshalb fie es finb. 2lud) wirb ber „3Bert" meift platonifd) realiftifd) gefafet, als ob er „ba fei", toas icf) burebaus nicht mitmacben fann.

2. 6ie werfen mir oor, bafe meine Onbaltsetbi! 3mei Quellen habe, erftens unmittelbare ©ewifebeit unb jweitens metapb^fifebe I>ppott>etxfrf)e

■Segrünbung. Slber muf? es niebt fo fein? © a n 3 eoibent „febauen" toir bod) nur, b a fj es überhaupt bas „(£ 5 f 0111 e" gibt. S a s genügt aber ganj unb gar nicht, um 3U toiffen, to a s bann fein follte. Unb bas ift bie f>aupffad)e.

üftun wirb in bumpfer 3Beife, gleicbfam inftinftio, ficherlich einiges 3n=

haltlicbe eoibent unb „oerpflichtenb" gefchaut.

2Iber — unb b a s t f t b i c f > a u p t f a c b e ! ! — es gibt bas, roas ich

© e r o o h n h e i t s g e f ü h l e nenne (ogl. ©ittl. $at <5. 30, ein fehr !ur=

3es aber f e h r wichtiges Kapitel). ®iefe fcheinen oerpflicbtenb 3U fein, b ü r f e n cs aber nicht fein unb finb bet gan3 getoiffenhafter Prüfung gerabesu gefährlich, ©enfen 6ie an bie ©taatsoergötterung, ben falfrf)en Patriotismus ber <5tabll)clmpaftorcn. „Sb rl'd )" finb biefe (wenigstens toollen wir’s oon einem STeil hoffen) aber — „fie toiffen nicht, toas fie tun". 6te finb ohne intelleftuelle ©elbfoucbt.

*) Ceipjig, 2?eimdte, 1927.

'Dbilotopkie unb ßeben. V. 5

(2)

62 g u r © r u n b l e g u n g b e s S i t t l i c h e n

6ben bicfcr ©cfaf)r wegen, muß j e b e s „fognitioe Oefütjl" fid) oor einer SKetaphbftf rechtfertigen, bte awar ftets hppotbetifch bleiben muß, aber boch einigermaßen wabrfcbeinlich fein fann.

3. „Vernunft" ift nur bie 6d>au non Urbebeutungen überhaupt, aber auch t>om „ S s foltte". 2111 e Vernunft ift w ie ein Snftinft.

4. ©ibt es „6elbftwerte", abgefeben t>om Ijörfjftcn 'Söert „Gcrlöfung"?

5. ilnfterbtid)!eit fd)eint mir in ber $at u n e r l ä ß l i c h u m bas etbifebe

©efühl wirtlich (unb nid)t nur im Sinne bes bumpfen ©efühls, bei bem man nie weife, ob es nicht nur aus ©ewohnljeit entfpringt) t> e r p f 11 cb = t e n b 3U machen. «Sterben alle SERenfchen b e f i n 11 i t>, fo ift eigentlich alles gleichgültig. Ohne Überleben wirb alles ßthtfehe Ollufion, gut für ben „Äampf ums ®afein", aber weiter nichts; „ßift" bes Sehens — weiter nichts.

6. S E R e t a p h p f i f fall dtt>it legitimieren, nicht „^teligion" im üb=

liehen (Sinne. 2)te Unfterblichfeitslehre ift boef) eine befonbere meta=

phpfifche £>ppotl)efe, bie mit Religion 3unächft nichts ^u tun hat.

7. ©aß auch &as hPPothettfchc metapbpfifche 3iel, f>as ben SJiaßftab abgibt, g e b i l l i g t fein muß, habe ich fclbft gejagt. 3a, ich habe gefagt, baß wir hiet aus einem 3irfel nie berausfommen (©eite 25).

8. 35as ©ewiffen fann nie „außer Äraft gefetjt werben", wohl aber, fosufagen, einaelne ©ewiffens i n h a 11 e. (33efehrungen!)

Übrigens bin ich für Ohre &ritif febr banfbar, ba fie mir 23eranlaffung geben wirb, in ber 2. Sluflage cieles fchärfer gu faffen. —

2Rit ben beften ©rußen unb 3leujahrswünfchen 3hr ftets aufrichtig ergebener

£>ans ©riefd).

6ehr verehrter lieber f)err College!

Sßegen ber 2Bid)tigfeit ber gangen grage glaube id) boch noch einige Sebenfen ausfprechen bjw. 3hre fragen furj beantworten ^u follen.

3u 1. (Sie fönnen „mit ber fog. 3Bertetbif nicht oiel anfangen". 3Bie (Sie bas angefichfs 3. 'S. eines fo granbiofen “ffierfes Wie S'licolai £art=

manns ,,(£tf)if" (1926) erflären fönnen, ift — offen geffanben — nicht rcd>t oerftänblich. öeboch fehlt ber Kaum, hier näher auf beffen Scheu»

tungeinaugehen. (Siegeben in Obrem Suche „SMe fittlicbeSat" (6.43) felbft 3U, baß „aus bem b10feen ©ein" „bas, was fein fo ll, nicht abgeleitet wer=

ben fann". 2Benn@ie an btefem ©runbfat* wirflich f efthalten, fobürfte eine

“üßerftänbigung in ber 6 a d) e uns burdjaus möglid) fein. Ob babei ber Slusbrud „2öert" eerwenbet wirb, ift wefentlid) eine Srage ber gormu=

lierung. ^ebenfalls bin id) auch barin mit Obnen einig, baß wir bie 5Berte als foldje nicht „realiftifcf)" als etwas „®a=Seienbes" faffen bür=

(3)

3 u r © t u n b l c g u n g b e s S i t f l i d j e n 63

fen (was auch fmrtmann nicht tut); oielmehr ift es, roenigftens auf fxtt=

Itcfjem ©ebiet, u n j e t e Slufgabc fxe 3U ocrroirflichcn.

©omit lann ich O^nen auch suftimmen, roenn ©ie an feerfclbcn ©teile 3f)tC5 ‘Suches crflä'ren: „® e r Ictjtc 23c3ugspunft aller inhaltlichen (£tt)ff ift unb bleibt bet höchfte fittliche objeftioe ,3öert‘, alfo Der 3uftanb bcr geifttgen SSRenfchhett, bei beffen 23errotrfltchung mit 3lücffid)t auf fie alles in O r b n u n g fein mürbe". S a ju will id) nur bemerlen, bafe mir btc Söorte „in Orbnung" ober „gut", „gebilligt", „fein follenb", alfo bie Formulierungen, bie ©ie beoorjugen, in ber ©ad)e basfelbe 3u befagen fchetnen, rote „fittlid) roertooll".

Söarum gerabe b i e f e ‘ffierte (rote 3. 35. ©ered)tigfeit, Siebe) Söerte finb unb roeshalb fie es finb, bas fagt mir eben mein 3BcrtgefühI (mein

©eroiffen) mit (Eotbens. — 2ßtr roerben fef>en, bajj ©te eine anbere, leftte (Erfenntnisquelle bes ©etn=©ollenben aud) nicht auf3uroeifen oermögen.

3u 2. ©ie frfjränfen bie (E»tben3 ein auf bas (Erlebnis: „(Es follte fein"

(in meiner Slusbrucfsrocifc: auf bas (Erlebnis bcs [fittlichcn] 2ßerfes; benn

„roertooll" bebeutet „fein follenb".) 3d) bin ber Slnficbt, bafe btes nur lefete Slbftraftionen finb aus ben fonfreten Sßerterlebniffen, bie burrf? bie etnäelnen Sagen bes Scbens unb 35e3tehungen 3U SDtitmenfchcn unb ©e=

meinfehaften ausgelöft roerben. ©elbft bafo roir ©erecf)tigfeit ober Siebe als fittlicbe 3Berte erleben, ftellt fd)on eine relatio hohe SIbftraftionsftufe bar. (Es bängt oon ber gegebenen Situation ab, roas im (Einaelfall als burch ©ercd)tigfeit ober Siebe geboten erfd)eint. Snfofern bin aud) id) bcr 9Jtetnung, bajj bas ©eienbe mit in 35etrad)t tommt bei ber (Ent- fdjeibung, roas benn im (Einselfall fein follte. 2lber oon ihm ift nur bie fonfret inhaltliche Erfüllung bes 5Bertcrlcbens mitbebingt. Erlebten roir nicht oon uns aus SBcrte als „fein follenb", als oerpfltcf)fcnb, fo roürbe bie Sluffaffung oon ©eienbem niemals bas fpeaififd)e „fittliche" Verhalten anregen tonnen. (Eben barum bebeutet aud) ©einserfenntnis feine „25 e = g r ü n b u n g" bes ©ittlid)en unb feiner ©eltung, fonbern lebiglid) eine geroiffe inbaltlid)c 35efttmmung, eine Äonfretifierung bes als „fein follenb" (Erlebten. ®as gilt fclbft für bie (Erfenntnis bes uns in ber (Er­

fahrung gegebenen unb inforoeit fid)er erfennbaren ©cicnben, ro t e t> i e I m e h r f ü r e i n i n m e t a p b p f i f e b e n f t p p o t h e f e n 53er = m u t e f e s.

Obre SBarnung oor „©croobnheifsgefüblen" balfe aud) id) für burd)=

aus berechtigt. 2lber ©ie fclbft geben bod) an bcrfelben ©teile (©. 30) 31t, bajj es „für bie inhaltliche (Ethif bebeutungsoollc ,fognttioe‘ (b. h- er=

fennenbe) gcfühlshaftc „Onftinfte" gebe, bie „wahrhaft a p r io r i finb".

9tun, bas finb eben bie 5Berfgcfül)Ie, bie für mid) bie lebten (Erfenntnis- quellen fittlichen 'Sßerts unb Unroerts barftcllen unb bie es uns aud) allein ermöglichen, geroiffe ©efühle als „blofec ©croohnhcitsgefühlc", als

5*

(4)

64 g u t © r u n b t e g u n g b c s S i t t l i c h e n

„blojj anerjogcn", aber ni<±>t objeftio gültig gleichfam aufeer Straft ju fetjen. 5Benn wir aber mit ber §rage: ift uns biefe ober jene ‘Bewertung nicht blofe „aneraogen", „fuggeriert" an unfere oerfcf)icbencn SBert*

gefüfjle berangehen, unb bestimmte unter ihnen ertoeifen firf) uns immer toieber mit Soibens als gültig, fo haben wir wahrlich feinen objeftioen

©runb, ibnen 311 mißtrauen; am wenigften aber fönnten (old) „fognitioen

©efühle" r>on einer SIRetapbpfif gerechtfertigt werben, wenn anbers wir bei unferem urfprünglicben ©runbfat.3 bleiben, bafe aus biofeer © e i n 5 = erfenntnis feine © 011 e n s erfenntnis abgeleitet »erben fann. 2)enn bie SKetaphpfif würbe ja beftenfalls nur unfere © e i n s erfenntnis (unb ba3u Icbiglicf) fjppot^ctifct)) erweitern.

3u 3. Sin fachlicher ©egenfaft befteht h i e r wohl nicht. 3ct> pflege mir „Vernunft" 31t »erbcutlichcn als bie gähigfeit, objeftio ©ültiges 3U erfaffen.

3u 4. 3d) benfe, bafe auch bie ©lücfswerte, ferner bie äfthetifchen unb theoretifchen 5Berte als 6 e l b ft werte erlebt werben. 3nbeffen ift bas für unfere ®isfuffion nicht Pon 53elang.

©ie befinieren „(£ r l ö f u n g" als „ben gebilligten höchften fittlichen 3uftanb" (6. 44). 3d) nehme gern baoon Kenntnis, bafo ©ie biefen ftanb als „©elbftWert" unb fogar als „höchften" bejeichnen. ®arin er=

bliefe ich gerabe3u ben ©runbgebanfen ber (con 3hnen leiber nicf>t nad)

©ebühr gewürbigten) 50 e r t ethif.

greilich, baf3 ©ie biefen „höchften f i t t l i c h e n 3uftanb" als „£r=

löfung" beseichnen, will mir wenig 3utreffenb erfcheinen; benn „Srlöfung"

ift bod) ein ausgefprod)en r e l i g i ö f e r ‘Begriff; man benfe an bie chriftlichc 2ehre non ber „(Erlöfung" ber 2Renfd)en burch Shriftus. Unb gerabe biefer Sehre gegenüber befteht bas fittliche 33ebenfen: fann eine fittliche ©chulb burd) einen a n b e r e n getilgt werben? Oft nicht

„©chulb" wie „3krbienft" — foweit barunter f i 111 i ch e ^Begriffe oer=

ftanben werben — etwas, was n u r pon bem e i g e n e n Verhalten ber betr. ^erfon abhängt?

übrigens auch für ©ie ber Slusbrud „ßrlöfung" in bas 3Jeligiöfe unb bamit ins 2lufeerethifd)c hinüberfebwanft, aeigt mir bie ©teile (©. 86), an ber ©ie es für möglich erflären, bafs „bas 3Bahrheit=fagen um j e b e n

^reis etwa eine magifch = e r l ö f e n b e 2ßirfung habe". „SWagifch" unb

„fittlich" fcheinen mir boch Perfchiebenartige ‘Begriffe 3U fein, ©oll benn etwa „Srlöfung" als „höchfter f i 111 i ch e r 3uftanb" burd) SERagie, alfo eine 2lrt Räuberei, hcrgcftellt werben?

3u 5. ©egenüber b i e f e n ©äften fühle ich mich im oollften ©egen*

fatj. ©ie Jagen, Unfterblichfeit fei „u n c r I ä fe l i ch", um bas „ettjifche

©efühl P e r p f l i ch t e n b" 3U machen.

3Barum? unb 3Biefo?

(5)

g u r © t u n b l e g u n g b e s 6 i t t l i d ) e n 65

3ft es rxcfjtxg — mas 6te bod) eigentlich jugeben — bafe man bas fittlid) SBertoolle als bas „€jein=©ollenbe" erlebt, fo liegt ja im cthifchcn

©efühl fchon bas 3Roment bes 33erpflid)tenben.

5öenn es aber nid>t barin läge, m i e fönnte es burcf) ben Unfterblich=

fettsglauben hineingebracht merben? $)od) rootjl nur fo, baß burd) bte SIngft t>or einer jenfeitigen 33eftrafung ober bte fmffnung auf eine 33e=

lohnung »eitere SKotioe btnjufämen ju bcm etf)ifcf)en ©efttbl. 3Iber nad)bem Slant btefen @ad)t>erhalt flargeftellt l)at, brauche ich bocb nicbt näher ausjuführen, baf; berartige fnlfsmotioe aufeeretf)tfd)er 2Irf finb, bafe fie fjöcfjftens ein „legales" (äufoerlid) forreftes), aber fein mirJltcb m o r a 11 f d) e s (ethifches) Verhalten erzeugen lönnen, ba fie lebtglid) auf bie menfcbltd)e €>elbftfud)t mtrfen.

©erabeju erfchüttert bat mtd) 3f)r 6afe: „6terben bie SERenfchen b e f t n i t i D , fo ift eigentlich alles gleichgültig." SKit biefem tote mit bem oorigen 6aft wirb im ©runbe bie ©eltung fifttidjer s2ß e r t e v ö l l i g oon 2Infid)tcn über bas 6 c t e n b e abhängig gemacht: alfo bas 2l|to=

Iogifcf>e oom Ontologifdjen! 5)amit mirb abermals ber ©runbfat}, »on bcm mir als einen oon uns beibcn anerfannten ausgegangen finb, bajj aus blofecm 6 e i n bas ©ein f o 11 e n b c (b. i. bas ‘Jßertoolle) nirf>t ab=

geleitet werben fönne, gänslid) preisgegeben unb gugletd) bie 6 elbftänbig=

(eit ber (£tf)if, bte grofee Srrungenfcbaft Äants!

©amit verfallen mir aud) in völligen 3öertf!epti3ismus. (Sin 23cifpiel mirb bas fofort beutlid) machen. 2ßir ftefjen am ©rabe 3toeier SERcnfcben.

®er eine mar ein ggoift unb 6trcbcr übelfter 2lrt, friechenb nacb oben, brutal nach unten, feine SKitmcnfchen nur als SRittel für feine fclbftifdjen 3mede bemühenb, fie ausbeutenb unb mifobraud)cnb; ber anbere »oll

^üdficht unb Teilnahme gegen bte anberen, unb aus ftarfem 53erant=

mortungsgefübl fclbftlos an ber ‘Befferung ber allgemeinen 3uftänbc arbeitenb. Nehmen mir nun an, biefe beiben feien „befinitio" geftorben:

ift cs bann mirflid) für unfer eti>ifd>es ©efühl „g I e t d) g ü 11 i g", mte fie gelebt haben? 3d) befenne, all mein fittliches gühlen fträubt ficb gegen eine foldje 2lnfid)t; fie bebeutet mir gerabeju bte Verneinung unb 53cr=

niebtung bes 6tl)tfd)en. 3d) bin aud) überjeugt, baf; id) mit biefem ©efühl nicht allein ftefje.

Sroß bes entfdnebenen 3öiberfprud)s, ben icb an biefem fünfte gegen 31)« 2luffaffung erheben muß, oerfuebe ich gletcbmohl, fie au »erftehen.

3unäd>ft ift ja ohne metteres auaugeben, bafo uns bas „beftnitiüe"

Sterben Don fittlid) mertüollen SJtenfchen felbft als ein Unroert erfd)eint unb bafe mir oon fiele n münfehen, fie möchten fortleben. gbenfo geht es uns auch mit aufeerethifchen Sßerten, bie uns erfreuen unb beglüefen;

auch ihr 2tufhören febmer^t uns tief; benn „alle 2uft mill (Smigfeit, mill tiefe, tiefe Groigfett". 2lber fümmert fid> bie 3Birflid)fett um unfer

(6)

66 S u r © v u r t b l e g u n g be s S i t t l i c h e n

2Bünfcf)en unb ^Bollen? Unb toenn uns 6er 2ob eines S^renmannes als ein Unwert erfcheint, fo ftellt fich uns ber 2ob eines €>d)urfen burd)*

aus nicfjt als ein folcher bar. ®arin liegt boch fchon ein Beweis bafür, bafe es oon unferer Bewertung abhängt, ob toir aud) bie S a u e r non etwas wertfchäfcen ober nicht. ®ie 5öertfd)äfeung (bas Sljiologifche) ift alfo bas firfte unb in fid) als gültig (Erlebte, nicht bas Riffen um bie

®auer (ein Ontologifches). Saburch, bafe ein ®afein lebiglid) in bie 2änge gezogen wirb, wirb fein fittlicher Sßert nid)t erhöht; er wirb aber aud) nicht oerringert baburd), bafe es früher abreifet.

Slber 6ie fehen wohl bie „Unfterblichfeit" nicfjt in einer enblofen g e t t l i c f j e n gortbauer, fonbern in einer 3 e i 110 f e n (fog. ü b e r * Seitlichen) ßjiftenä.

Onbeffen bie „Unfterblid)feit" foll bod) wohl ein ewiges „2eben" fein.

2eben" aber bebeutet Slnberswerben, (Entwidlung, Betätigung. ®as alles aber fann ich mir unmöglich benfen ohne ein Racheinanber (erft f 0, bann a n b e r s!), alfo ohne S e i t , (Ein geitlofes „ewiges 2eben" — bas finb für mich blofec 2ßorte!

5)amit fomme id; aber noch 3U einer anberen Quelle Obrer itbcr=

3eugung, bafj „ohne Überleben alles C£tf?ifd)c Ollufion fei", nämlich bem religiöfen, beffer theologtfchen Ougenbunterricht. On biefem finb ja

— leiber — berartige Behauptungen, bie bas gefunbe fittlicf)e ©efüi)l aufs fchwerfte ju fcf)äbigcn geeignet finb, fef>r in Übung. „2affet uns effen unb trinfen, benn morgen finb mir tot."

derartiges bebeutet mir praftifchen SERaterialismus, ethifchen 9lihilis*

mus. ®urd) berartige ©uggeftion ift es bann aud) bebingt, bafe fo Diele 3ugenbltd)e, wenn fie ben ©lauben an ©ott unb bie Unfterblichfeit auf­

geben, fich einbilben, aller et^ifdjen Binbungen lebig 3U fein; es „fei ja bod? jefet eigentlich alles gletd)gülfig"; es fei alfo eine „Dummheit", wenn man firf) aus ©ewiffensbebenfen irgenb etwas oerfage; bas einaig 9lid)=

tige fei, „fief) aus3uleben" — b. h- 3u geniefjen, ober im Slampf ums S)a=

fein fief) brutal burd^ufeöen.

£>ier mache id) mir nun 3l)re „ ‘Jßarnung oor ©ewohnheitsgefühlen"

(S . 30) meinerfeits 3U eigen. Och oermute in ber Ja t, bafj es fid) hier lebiglid) um „©cwobnheitsgefühle" b^nbelt, bie burd) bie übliche 2lrt bes Religionsunterrichts uns beigebracht toerben, unb jwar fo früh, bajj toir fritiflos biefen 6uggeftionen unterliegen. 6tehen «Sie hier nicht felbft unter ber SBirfung einer folchen 6uggeftion? demgegenüber fage ich nun mit Ohnen (6.31): „fner mufs bie Sthif gan3 ftreng im Slusmersen bes Unfrautes fein. 5Iber in ihrem 6ud>cn nach echt fognitioen ©efütjls»

inftinften barf fie fid) burd) biefe grofee ©chwierigfeit nicht irremadjen laffen."

(7)

S u r © r u n b l e g u n g b e s @ i t t t i $ e n 67

3u 6. 3Benn wir bem ©runbfaß toirllid) freu bleiben, bafe aus bem 6ein bas ©ollen nid)t ab^uleiten ift, bann f a n n SSRetapbpfif als 6eins=

erfenntnis (Ontologie) bie 2tf)if (als 2ljtologie) n i cf) t „legitimieren", in bem 6inne, bafj fie etma erft bie objeftioe ©eltung unferer 3öertgefüf)le barfue; fie b r a u cb t es aud) nicbt bestjalb, toeil Skrtfcbätjungen, bie wir mit £ t> i b e n 3 erleben, uns eine oiel größere <Sid>erf>eit geben, als mefapf)9fifd)e Behauptungen, bie ftets f) p p o t i) e t i f cf) bleiben.

® e n n icf) alfo non ber SOtetapfjpfif leine „Segitimafion" ber Stfyif er=

»arte, fo erfcbeint es mir bod) toünfcf)enstt>ert, ^8ejief)ungen 3tt>ifd)en beiben ©ebieten, alfo 3tüifd>cn „€>ein" unb „SBert" ju fudjen. Unfere 3öertfc^äfeungen unb unfer ©treben nacf) 3Bertoertt>irflid)ung finb ja felbft etwas — 3Birflid)es.

5öenn nun alles 2eben einerfeifs STenbeng auf Sifferenjierung unb bamit auf 2lusbtlbung oon Onbioibualifät fotr>of>l an ben Sinjelmefen wie an ibren Organen, anbererfeits $cnben3 nacf) ©anjljeit jeigt, fo fann man barin bie biologifcbe Unterlage unb unbewußte 33orftufe felgen für unfere ^Bewertung ber ©erecf)tigfeit (bie bas Onbiüibuelle fd>üt;t) unb ber 2iebe, bie Onbioibuen 3U ©emeinfcf)aften, b. f). 3U ©an3f)citen jufammen=

binbet; ja, man mag weiterhin bereits in 5lbftofeung unb 2In3ief)ung analoge Strafte im 2fnorganifd)en entbeefen1).

derartige 6einsbefracf)fungcn mögen unfere 3uoerficf)t, baß bas (£tt)ifcf)e in ber 3Birflid)fctt firf> aucf) bur^fefeen werbe, fteigern, aber fie finb nicf)t erforberlicf), um es in feiner objeftioen ©üftigfeit oor uns erft 3u legitimieren. 'Das beforgt febon unfer fittlicf)es ©efül)t unmittelbar.

?öenn S ie für Obre (ganj unfidjere) 3Refapf)t)ftf ben Slnfprucb erbeben, bie gtfjif erft 3u legitimieren, fo fe in e n «Sie mir bas £tl)ifd)e oielmef)r aufs febwerfte ju erfcf)üftern, ja in feinem Sebensnero ju treffen.

Unb wenn 6i_e Söert barauf legen, biefe 3f>re aftetapf^fif oon ber Religion 3u febeiben, fo babe icf) bod) ben Sinbrud, baß fie oon »er=

borgenen religiöfen Öberjeugungen unb Hoffnungen oöllig infpiriert ift.

Snfolgebeffen wirb fie in if)rem praftifeben Ergebnis niefjt bas Stbifcbe legitimieren, fonbern fie wirb bie 2lnfprüd)e folcber Sbeologen unb Äircbenmänner legitimieren, bie geinb finb jeber autonomen gtbif unb auf

©runb ibres angeblid)en Sßiffens um ©ott unb [Senfcifs bie ©etoiffen autoritafio leiten »ollen.

3u 7 u. 8. $ie ©äfee geben mir Hoffnung, baft mir uns boeb aucf) nod) über bie unter 5 erörterten Probleme oerftänbigen »erben. 2)enn bafe bas „metapbpfifdje Siel", bas für uns 3)tafeffab fein folle, „gebilligt werben" müffe, nämltcf) oon unferem ‘JSertgefüf)!, unferem ©etoiffen, bas bebeutet roieber — nad) fo ftarfer Slbtoenbung oon if)r — eine 3^ücf=

>) 3n umfaffenbet Steife finb biefe ©ebanften auägefüf>rf oon Senrich fiettmunb.

‘ffiefen ber SDelf. 2. 3Iuf(. 3 93be. 6 fuffgarf, Seuf(d)'e 9?erlag£anffalf, 1928.

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68 9t c 1 i g i ö j e u n b f r c i g c i f t i g c S R o i a l

fctjr 3um Oetft ber „autonomen", b. h- felbftänbtgen Sthif; es bebeutet im ©runbe aber auch, bafe bod) nicht burd) bas 2ftetaph#fd)c bas Sthifche erft „legitimiert" toirb, fonbern umgefehrt bas 9Jlctaph9fifd)c burd) bas (Sthifche. 3Benn biefes felbft nid)t weiterer Segrünbung fähig, aber auch (wegen feiner (Enibens) nicht bebürftig ift, fo bebeutet bas feinen

„3irfel", fonbern 3cigt, bafj wir im fittlichen ©efühl ein Sektes, ein „Ur=

Phänomen" anjuerfennen haben.

Snblid) bin id) mit Obnen einig in ber Überzeugung, bafe bas ,,©e=

voiffen" nicht „aufter Straft" gefegt »erben fönne — »ohl aber einjelne

©ewiffensinhalte, 3. 'S. »enn » ir inne »erben, baß bie in ihrem »irf=

famen 3ßertgefühle 311 eng »aren, auf falfchen 'Sorausfe^ungcn beruhten ober gegenüber neu uns aufgehenben Sßerten 3urücf3utreten haben.

® a ich nicht nun hier, fonbern auch in bem meiffen, » a s Sie an i n h a l t l i c h e n Sßertfdjäftungen unb form en in Obrem 33ud)e bar*

legen, Ohnen freubig auftimmen fann, fo hoffe ich, baß eine erneute Prüfung meiner p r i n3t p i e l l e n 33ebenfen (Sie bod) 3U einer rid>=

tigeren SBürbtgung ber 3Bertetf)if unb ber Slutonomie bes (Ethifthen führen »erbe.

SJiit her3lid)em ®anf für <3hre freunblichen 5Bünfd)e in alter Verehrung

3hr ergebener

Sluguft SReffer.

unb frdgdfügc SRoral

93on 9?oberf 9?aupp

I.

9}ad) biblifcher ^uffaffung ift „bas ®id)fcn unb brachten bes SDten=

fchen böfe Don Ougenb auf". 2lber aud) bas ©egenteil »irb oielfach be=

hauptet: ©er 9JZenfd) fei oon Sftatur aus gut unb »erbe nur burd) ungün=

ftige 33erhälfniffe, S'fot unb Unrecht, fchlecht1. ®ie tägliche (Erfahrung gibt »eber bem einen nod) bem anbern biefer Urteile recht. Vielmehr fchen » ir, bajj bie meiffen SKenfchen fid; 3»ifchen biefen beiben ^olen:

gut unb böfe, halten. Unb 3» a r fcheint es, bajj ein jeber burd) erbliche 2lntage mit einer beftimmten Spanne biefer 2Berfleiter menfchlichen fmnbelns »erfnüpft ift, innerhalb »eichen Spielraumes er ben (Ein»ir=

fungen ber (E^iehung, ber Umgebung, ber jeweiligen 2lnläffe folgt. ®er (Einfluß ber S r3iehung auf bes SKenfdjen Sun unb ßaffen ift faum be=

ftritten. S'lur über gorm unb 3nf)alf berfelben geht ber Streit. 35iele meinen, bie Religion, unb 3war fie allein, fei berufen, ben SWenfdjen auf ben 5Beg bes ©uten 31t führen. ® a mit bem ©lauben aud) ber fittliche

(9)

3t e l i g t ö f e u n b f r e i g c i f t i g e 9)t o r a 1 69

§>alt »erloren gehe, muffe alles gefd)ehen, bem 33olfe 5te Religion ju er=

halten. darnach müßten eigentlich alle greibenfer mehr ober weniger

£>alunfen fein. 3Bie fommt es nun, bafj bas, wie ber 2lugenfd)ein lehrt, nicht jutrifft, unb bafj anbererfeits auch bie grommen nicht immer gut finb? Antwort auf biefe grage foll nachfolgenbes Schema geben:

SRenjcb

©laubig Ungläubig

gut— (oon R a tu r)— böfe t gut—(oon R atur)— böfe

gut burd) unoer= gut burd) unoer=

Religion befferlich Vernunft befferlich d a s Schema will bartun, bafe ein großer Seil ber SKenfchen, ©laubige unb Ungläubige ohne Unterfchieb, oon Ratur aus gut finb, b. h- baft in ihnen fokale Onftinfte, wie ©emeinfchaftsgefühl, fülfsbereitfchaft, SERit=

leib, Barmheraigfeit, 2lnl)änglid)feit ufw. in hohem iOtafte wirffam finb.

Sie bebürfen feiner ober nur geringfügiger Anleitung jum guten f>an=

beln unb fie werben barum, wenn religiös erlogen, auch &urd) ben 3?er=

luft ihres ©laubens nicht fcblecbfcr. Sie rüden in biefem galle einfach unter bie „oon Ratur aus guten Ungläubigen", gerner finben wir rechts unb linf's im Schema eine ©ruppe moralifd) „Unoerbefferlicher". 2luf fie ift es aurüdjuführen, baf3 auch frömmfter ©laube nicht ausnahmslos gutes

§anbeln erzwingt. Slufjer biefen beiben gibt es hüben unb brüben noch eine britte ©ruppe, bie ber „oon Ratur aus böfen, aber erjiebbaren"

Onbioibuen. 3n ihnen überwiegen bie ‘’Perfönlichfeitsinftinftc, wie SQSillc 3ur SDtacht, greiheitsoerlangen, (Eigenfinn, Sucht nach unumjd)ränfter Bcfricbigung aller STriebe unb 3Mnfd)c über bie ©emeinfehaftsinftinfte, jebod) ift bie Rlöglichfeit ber 2lusbilbung oon Hemmungen ber erfteren gegeben, ©rünben folche Hemmungen in religiofen ©eboten unb 33or=

Stellungen, fo werben bie SERenfchen biefer 2lrt „burd) Religion gut".

T)arin liegt ber unbeftreitbare praftifche, hiftorifche Sßert ber Religion.

6s fann auch nicht geleugnet werben, bafe bei ^erfonen biefer Kategorie, wenn fie ihren religiofen ©lauben oerlieren, bas gute f>anbeln in grage geftellt ift. doch aud) hier fann, wie immer bort, wo überhaupt feine religiöfe (Erstehung gewaltet hat, burd) ber Vernunft entfprungene |jem=

inungen anberen Inhaltes bas moralifd)e Verhalten gefiebert werben.

R u r wo ber 33erffanb jwar ausreicht, bie religiofen ©rünbe ber Rtoral als Ollufionen ju burebfehauen unb fid) baburd) oon ihrer Suggeftion frei 3U mad)en, nicht aber ftarf genug ift, bie Rotwenbigfeit fittlichen

£anbelns an fid) 3» erfennen unb bem 5ßillen als oberftes ©efet$ auf=

auerlegen2), bebeutet ber 33erluft ber Religion aud) ben Verfall ber Sitt=

liebfeit.

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70 9i e l i g i ö ( e u n b f r e t g e i f t i g e 2K o t a l

2ßeld)cs finb nun bie SRittel, beren fid) bie Sieligion bebient, um bcn

©laubigen 3U »eranlaffen, bei feinem Sun unb Saffen 9tüdfid)t auf feinen 9tebenmenfd)en ju beobachten? ®aburch, bajj fie bie in biefem (Sinne wirfenben, als fittlid) be^eichneten Stnorbnungen aus ©ottes SEßillen ab=

leitet, als oon ihm erlaffen hinftellt, »erfchafft fie ihnen biefelbe Sichtung wie allen göttlichen 33orfd)riftcn. gurcht Dor ©träfe unb f>offnung auf Sohn erjmingen ben ©ehorfam gegen ©oft unb feine ©ebote, alfo auch gegen bie ihm augefchriebenen Sittengefe&e. S)a3u fommen bie ©efühle ber Siebe unb ®anfbar!eit gegen ben Schöpfer unb Senfer ber 3ßelt, ber alles fo weife unb herrlich eingerichtet hat, bcn ©eber alles ©uten, ben wohlmeinenden, gütigen 33ater. 3Bie meifterhaft es bie Kirche oerffanben hat, biefe ©efühle 3u weden unb 3U heller SSegetfferung 3U entfachen, baoon geben aahlreiche einbrudsoolle Slirchenlieber unferer 3eug=

nis, 3. 55.:

2Bic groft ift bes 2lllmäd)t’gen ©üte, ift ber ein SJlenfd), bcn fie nicht rührt, ber mit »erhärtetem ©emüte ben ®anf erftidt, ber ihm gebührt.

3letn, feine Siebe 3U ermeffen fei einig meine gröfote Pflicht; ber £err hat mein noch nie »ergeffen — 23ergife mein §er3 auch feiner nicht!" — Ober bas anbere: „S^un banfet alle ©ott mit fersen, SJtunb unb §>änben, bei grojje ®inge tut an Such unb allen ßnben!" — 2öer »ermöd)te 3U be=

ftretten, baf3 burch innige Eingabe an ben ©efe^geber, tote fie in foldjen Siebern 3um Slusbrud fommt unb ban! ber herrlichen Vertonung unb ber burd) bas häufige Singen berfelben erseugten 9JZaffenfuggeffion immer aufs neue ertoedf wirb, wirffame Hemmungen gegen bie 3kr=

lefeung ber fosialen ©efefte gefegt werben?

2lber noch anberer 2lrt finb bie Verfnüpfungen »on Religion unb ßthif. 3)ie erften taftenben Verfuche bes erwachenben menfchlichen

©elftes, fid) ber gülle ber ihm fid) bietenben Khancen 3U bemächtigen, hatten ihn auf mancherlei 2lbwege geführt. 6 0 folgte aus ber Srfinbung ber SBaffen bie Vergewaltigung ber Unbewaffneten burch &e allein ober beffer bewaffneten unb bamit ber ©egenfaft 3Wifd)en f)errfchenben unb Untertanen, swifchen Herren unb Unechten, ©ewalttat, ©raufamfeit, SBillfür, Äampf unb Stricg unter ben Slrtgenoffen, wie fonft bei feiner Tierart. SBeitere Srffarfung bes Verftanbes fügte fnnferlift unb Süge als neue 2Riftel unb Slbwehrmiffel 5er Vergewaltigung ber brutalen 9Jtachf hin3U. ® a fd>uf bie erfinberifdje 9tot ber »on biefem 3uftanb hart 33ebrängfen ben erften grofoügigen Verfuch, bas allgemeine Sßohl ju fichern. 3n ber Proflamierung ber 3bee ber ©erechtigfeit haben wir ben erften 2öeg, ben bie SKenfchheit einfehlug, fich ber Übermacht Sinselner ober gefchloffener 33erbanbe 3U erwehren. SIber fo fegensreid) biefes 3n=

ftrument bes griebens burch »tele gahrtaufenbe gewirft hat, fo unenf=

behrlid) es auch heute noch ift, fo un3ureid>cnb erwies es fid) bennoeb

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91 e l i g i ö ( e u n b f r e i g e i f t i g e S H o r a t 71

gegenüber ben ^»öfjeren 2lnfprüd)en, ben fchroierigeren Aufgaben einer oerfeinerten Kultur. S ie Sinie ber ©erecf)tigfeit ift, wo es fiel) nur um 6chroeroerbted)en, wie Raub unb SSRorb hanbelt, leicht 3U finben. 5lber in 3af)Hofen anberen gälten ift fie oerftedt unb unfichtbar. „33leibt ifjr auf bem Rechtsboben, fo bleibt ihr bei ber Rechthaberei", in biefem Sßort 2Raj ©tirners ift bie Unjulänglicbfeit ber ©ereebtigfeit als friebliche V er­

mittlerin groifc^en ben SRenfchen fürs unb bünbig jum 2Iusbrud gelangt.

2Bas aber oermag beffer als bas Recht, «Streit ju oermeiben unb ju fd)lid)ten? ®ie Siebe. Unb barum begannen bie Vkifen, ihren SRitmen- fdjen bie Rächftenliebe ju prebigen.

2llle biefe ©runbpge gegenfeitigen Verhaltens ber SIRenfchen juein- anber, erft erbarmungslofe ©eroalttätigfeit unb VMllfür, Reib unb Rad)- fucht, bann ©ered)tigfeit, bann Siebe legten bie ©laubigen, wie geuer- bad) einleuchtenb bargetan i>at, ihren jeweiligen ©öttern bei: On feinen

©öttern malet fid) ber SERenfd). ©o probierten bie SRenfchen geroiffer- maßen bas, roas ihnen am meiften imponierte, in ben fummet, um es oon bort, oom Nimbus bes übernatürlichen oerflärt, als göttliche Eigen­

schaft unb augleich fröchftes Obeal bes eigenen ©trebens roieber 3U emp- fangen. 6 0 fchmüdten fid) bie ©ötter, fo fchmüdte fid) bie Religion mit bem erborgten ©lanj menfchlichem Verftanbe entfprungener Obeale.

©ollten nicht weit eher bie Religionen ihr langes Seben biefem ©ehalt an oernünftigen, bem allgemeinen Sßohl förberlichen Obeen menfchlicher

§erfunft oerbanfen, als bie SJloral bas ihrige ber Religion? — Oft alfo heute nod) &ie 9RoraI eng mit ber Religion oerfnüpft, fo ift fie bocf) feinesroegs burch f*e bebingt. 2Iber aud) biefe tatfächliche Verfnüpfung oon Religion unb SRoral gilt natürlich nur für bie wahrhaft ©laubigen, b. h- nicht für bie Anhänger einer S?ird)e fd)lechthin, fonbern nur für bie im tiefften ©runbe ihres ^erjens oon ber Vkbrbeit bcr religiöfen $og=

men Überzeugten. ‘Jßie groß aber ift noch bie 3ahl biefer? |jat nicht fchon Schopenhauer es ausgefprochen, roas roir alle benfen: ®ie SERenfchheit roill oorroärts, ber Vkhrheit 3U, bie ©ängelbänber reiften, unb bas gliden berfelben fann nid>t lange mehr helfen. Unb biefer ^roaefs ift ein äroangsläufiger, roie jeber aus ber ©efd)id)te ber SERcnfchheit fehen fann.

®enn, roenn auch mit oielen ©tillftänben, ja bisweilen Rüdfdmtten, be=

beutet fie bod) im gangen ben fteten gortfehritt oom Orrtum zur 3Bahr- heit, oon ber Ollufton jur Srfaffung bcr 56irflid)feit. 5)arum fann biefer Vorgang ber Sluslefe ber beften, b. h- bcr VMrflicbfcit angepaftten Obeen auch burd) feinerlei fid) ihm entgegenftellcnbe fnnberniffe (5. q8>. V er­

mehrung bes Religionsunterrichtes, finanzielle unb gefeftgeberifche Unter- ftütjung ber Kirchen burd) ben (Staat, Verweigerung ber 2Inerfennung freigeiftiger Organifationen als Äörperfchaften bes öffentlichen Red)tes, Verpflichtung ber Sefjrer auf ein chriftliches Vefenntnis) oerhinbert,

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72 3t e 1 i g i ö | e u n b f r e i g e i f t i g e Söl or nl

fonbern höchftens oerlangfamt werben. (3>a in ber ©efchkhte ber 3Renfd>=

heitsentwidlung aUenfd^nalter ©tufen bebeuten, bürfte allerbings mit einer fold>en 23erlangfamung ber Sntwicflung 3um greibenfertum benen genug gebient fein, welche »on einer grftarfung ber ©emeinfchaftsmoral eine ©chwächung ihrer Vormacht unb eine Sinbuße an Vorrechten be=

fürchten müffen, weld)e ihnen nur bie heutige ©d>wäd)e ber öffentlichen SDtoral noch gewährt.)

2Benn aber bie Religion an fich unb bamit auch ©tütje ber SKoral immer mehr ihre Sebcufung einbüßt, was bann? Oft es bann nicht Pflicht, an anbere Stufen ber SRoral 3U benfen ober beffer gefagt, fie aus ihren eigenen 2öur3eln 31t neuem Seben 3U erweden? Söeldjes fitib biefe ^Burjeln?

II.

2lus was für SSftotioen fotlte nun aber ber greibenfer moralifd), b. h- gut, fo3iat auch Segen feine Neigungen hobeln? SERan antwortet auf biefe grage in ber Kegel mit bem Hinweis auf bie fogialen Onftinfte ber gefelltg lebenben 3Tiere unb beseichnet bie 9Jloral als SBeiterbilbung biefer Onftinfte, ohne fich über bie ilmwanblung ber leßteren in bie erftere »iel ben Äopf 31t aerbrechen. ®enn bie SKoral einfach als ©osialinftinft ber 93ienfd)heit gelten 31t laffen, hinbern uns gewiffe allgemeine <£tgenfd)aften ber Onftinfte, bie wir bet ber 3Koral oergeblid) fud)en. (£tn Onftinft ift angeboren ober boch bei ber ©eburt fo »orgebilbet, baß er bei einer be=

ftimmten ©ituation (3. 33. ©efchlechtsreife) automatifch in gunftion tritt.

2Beber bas ©äugen bes Keugeborenen an ber SUutterbruft noch ber ©e=

fchlechtstrieb bebürfen ber ® r3tehung. ©ie finb fomplt3terte Kefleje, bie fich auf äußere ober innere Keise beftimmtcr 2lrt 3Wangsläufig efnftellcn.

®acon fann bei ber Sftoral feine 9tebe fein, ©onft wäre fie einfach ba unb jebe moralifd)e (Erstehung überflüffig. gerner ift ein Onftinft allen unter gleichen Sebtngungen ftehenben Steren ber 2lrt eigen, währenb wir moralifches Verhalten bei bem einen ftarf, beim anbern fchwach aus=

gebilbet, beim britten ßerfümmert finben. S e i ber guperläffigfeit, mit ber bas 3ufammenleben ber fosialen 3Ttere burch Onftinfte geregelt ift, unb anbererfeits ber Unsuperläffigfetf ber SÖtoral bei ben 2ftenfd)en müßte man notwenbtg Don einem Kiebergang oon Sftoral unb Onfttnff, einer (Entartung berfelben beim SWenfchen reben, wollte man bie betben Se=

griffe für wefensgleich nehmen. 2lber ein 23Iid auf bie £ciftungsfäf)ig=

feit ber Onftinfte überhaupt wirb uns 3eigen, baß 31t folchem ^effimismus fein Slnlaß befteht-

5)ie Onftinfte beruhen auf anatomifch nachweisbaren ©egebenheiten bes ^entralneroenfpftems, welche bei ber ©eburt fchon ausgebilbet ober minbeftens in ber Einlage oorhanben finb. 2lus ber einfachen Jatfache,

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9t e 1 i g i ö j e u n b f t e i g e i f i t g e S R o t a l 73

baß jebet Onftinft feine beftimmte anatomifche Bahn fyat, auf ber er ab=

läuft, ergibt fid), baß nur eine befc£>ränfte S tra h l non Önffinften in einem Onbiotbuum oorfjanben fein fönnen. 3Rit()in tonnen ber unenblidjen 3^ non Situationen, benen bas ßeben ber Oberen STierc unb jumal bes 29lenfd)ert ausgefeßt ift, nicht gletchüiele Snftinfte entfprecf>en. (Es muß fid) alfo auf biefer 6tufe ber Onftinftapparat als ungureicbenb erweifett unb burch einen neuen Apparat ergänzt ober erfe&t werben. 9ltebere Siere finb mit ber für fie in Betracht fommenben eng begreifen Umwelt burd) eine verhältnismäßig fletne t">n lebenswichtigen B e3iebungen oerfnüpft, währenb bie f>öbcrcntwidlung im Sierrcid) befonbers babureb gefennseichnet ift, baß bas önbiotbuum mit einer oiel größeren Umwelt Süblung genommen i)at. ©enügte für eine ausreicbenbe Slbwtdlung jener eine enblicbe 3abl ftabiler (Einrichtungen, fo mußte ber unenblicben SQlenge oon SCRöglichfeiten bes (Erlebens, welche an bie SQtenfcfjen bcran=

treten, eine labile (Einrichtung entfpreeben, toeldjc erlaubte, ber gefteiger=

ten SRannigfalfigfeit ber 9teije mit einer entfpreebenben Mannigfaltig- feit oon 3?eaffioncn ju antworten. Onsbefonbere ift bas ber gall, wenn 3unebmenbe ‘Beobachtung feiner fclbft unb feiner Begierben ben SEften- feben 3um 6 clbftbewußffcin unb 3um Bewußtfein bes ©egenfaßes 3Wi=

feben ibm unb ben Slnbern, 3Wifd)en Onbtoibuum unb ©emeinfcbafl geführt hat. 3eid>net fich ber Menfcb oor allen STteren burch bie (Ent- widlung ber ^erfönlicbfeit aus, fo beruht bas 311m großen Seil auf bet (Entwidlung ftarfer ^erfönlidjfeifsinftinftc. B o r allem 3ur 6d)lichtung ber 3ahlreid)en S^onfltffe, in welche biefe mit ben 6o3talinftinften geraten müffen, bebarf es ber angebeuteten (Einrichtung höheren ©rabes, einer ben Onftinffen übergeorbneten unb 3ugleid) größere Slnpaffung an bie Umwelt ermöglichenben Onftan3. <S)iefe befißen wir im Berftanb, bem prüfenben 2lbwägen 3wifd)en ben Möglicbfetfen bes ftanbelns unter Ber- Wertung ber gefammelten Erfahrung ber Menfchbeit unb bes Onbim- buums')- ®ie Onftinfte oerfchwinben alfo beim höheren Sier unb beim 3Jlenfd)en feineswegs, fie fpielcn vielmehr auch hier eine große 9iollc.

6te fommen uns als ©efühle 3um Bewußtfein. 2lber fie^ werben ber

S tr itit bes Berftanbes unterworfen, bem nun bie überwtegenbe Bebeu- tuitg für unfer Sun sufällt. Büßen wir bamit allerbtngs bie bem Ster fo vorteilhafte „3nftinftficbcrbeit" ein, fo gewinnen wir bafür bie Möglich- feit bes (Erfennens unb Bcberrfchens einer gewaltig erweiterten unb aud) bas eigene Od) in fid) fd)ließenben Umwelt unb bamit bie granbiofe gülle bes (Erlebens, bie ben M en g en fo hoch über bas Ster hebt.

$iefes 3nftrumentes alfo, bes Berftanbes, hat fid) ber Menfd) bei feinen £anblungen 3U bebienen, um fid; in möglichfter Harmonie, in (Ein=

flang mit feiner Umwelt4) 31t feßen unb 3U erhalten. 3ßte gefebiebt btes?

®urch S'ladjbenfen. 3e 3ablreid)er unb je logifcb richtiger bie Denfafte

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74 3t e [ i g i ö i e un b f r e i g e t f t i g e S I Z o t a l

finb, bte einer STat »orausgehen, je mehr nidjt nur bte SERittel unb SBege, ein 3“ erreichen, fonbern aud) bie m ö g lic h e n 3idc felbft suoor einer oergleichenben Prüfung unterworfen würben, je mehr aufter ben unmittel- baren aud) bie fixeren unb möglichen Spätfolgen einer ^anblung6) be- bad)t unb auch bte Rebenwirfungen erwogen würben, je länger unb je reicher Deraweigt alfo bie »orausgegangenen ©ebanfenreihen waren, um fo umfid)tiger, überlegter wirb bas f>anbeln. 2öer feine ober nur fur^e

©ebanfenfetten hübet ober foldje nur in einer Dichtung entwidelt, han- beit „unüberlegt", ßs fommt freilich auch &£>*/ bafe jemanb trofe richtigen flberlegens fchftefeltd) unüberlegt hanbelt, bajj er bte „Mahnungen ber Vernunft in ben SBtnb fdjlägt". ©eine ©efühle, Sriebe, Neigungen finb ftärfer als bte Hemmungen, welche ber 33erftanb auslöft. Übung, ©ewöh=

nung unb 95orbilb finb bte 9JlitfeI 3ur ©elbfibeherrfchung, b. h- 3Ut Hnter=

werfung bes Srteblebens unter bte (Entfcheibungen ber Vernunft.

3weterlet alfo hat eine oon religiöfer ober metaphpftfeher 55egrünbung abfehenbe moraltfche (Erstehung ins Sluge 3u faffen: Sßeitblidenbes unb unwichtiges 33orbebenfen ber folgen einer f>anblung unb 5ßillens=

fchulung. 3)as erftere »erlangt (Erfahrung, bas letjtere Öbung unb 33or=

btlb.

Silles, was gefd)ief)t, gefchieht mit S^otwenbigfeit8). ©o hat fid) ohne 3weifel auch bas moralifche Verhalten ber 9Renfd)en als eine unerläfe»

liehe Rotwenbigfeit entvoicfelt, foüte nicht bas 2ftenfd)engefd)led)t ber Vernichtung anhetmfallen. ®enn feine Tierart ift für ben Äampf mit fo jahlreichen, oielfeitigen unb furchtbaren SBaffen ausgeftattet, wie ber Sftenfd), ber nicht nur über förperlidje, fonbern auch üher geiftige unb nicht nur über natürliche, fonbern auch über eine weit größere 9Jtengc fünftlicher oerfügt. 3öas aber jwang ben 3Renfd)en, bem Untergang ber 2lrt oorjubeugen? ©tdjerltch nicht bas brohenbe (Enbe, non bem er fid) wenig 9ied)enfd)aft gegeben haben bürffe unb bas ihn falt laffen fonnte, fonbern bas namenlofe ilnglüd, bas biefem Slusgang oorausgehen mufete unb bas fid) fd)on com erften |>inabgleiten auf ber abfehüffigen 55ahn an fühlbar machte. ®as war es, was ihn trieb unb nötigte, auf 2lbhilfe 3u fahnben. ©ornit ift ber fo otel oerläfterte (Eubämonismus (©lüdsftreben) unb Utilitarismus (Gingen nach frenx 9tüt}Hchen) eine einfache 9totwen=

bigfeit unb bamit bem SBerturteil, alfo auch 33erläfterung feitens ge=

trnffer Greife entrüdt; taftenbe 33erfud)e unb ©ptelereten bes Skrftanbes im S^inbesalter ber 2Renfchheit waren es, welche bas Slllernotwenbigfte, ben Rußen unb bas mit »erbttnbene fubjeftioe ©efühl, bas ©lüd, ber

$d>tung Preisgaben, was allerbings oom ©tanbpunft asfettfeher, Seben unb ßetbesfreuben mif3achtenber Religionen oerftänblid) unb nur folge­

richtig war.

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3t e l i g i ö j e u n b f r e i g e i f t i g e S K o t a l 75

3Bie fid) rtun aus drang jutn Rutjen unb |jang jum ©lücf bas mora=

lifche Verhalten logifrf) entwicfelt, möge jum befferen 33erftänbnis bes

©efagten an einigen fonfreten Beifpielen bargelegt »erben. 3ahrtau=

fenbe mag es gebauert haben, bis ber Bauer merfte, bafe ein 5Icfer im ganzen mehr trug, wenn er ein 3ahr lang unbenütjt gelegen hatte, diefe (Erfahrung, bie ihn befähigte, bas Kommenbe ooraus^ufehen, fcharfes 93orausbenfen unb 33orausforgen bewogen ihn, feinen 2Ider periobifd) brachjulegen. die Schonzeiten ber 2>agb unb bes gifchfangs entflammen bemfelben Raturgefet;, welches befagt: 2ßcife ©clbftbefcheibung jur red)=

ten 3ext erhöht ben (Ertrag. 33on hier aus ift ber 5ßeg p moralifchen

§>anblungen nicht weit unb wirb junächft etwa burch bie fchonenbe Be=

hanblung ber Kriegsgefangenen bezeichnet, welche nicht etwa bem Rttt=

leib mit ihnen zu eerbanfen ift, fonbern ber Rüt3lid)feit folchen 33erhal=

tens, fei es, baf; man fie als ©fiaoen gebrauchen unb ausnütjen fonnte, fei es, bajj man nur auf btefem 2ßege ben eigenen friegsgefangenen

©tammesbrübern in geinbeslanb ein erträgliches 2os filtern fonnte. 2lb=

fchaffung ber Urfehbe, ber Blutrad)e, Achtung bes unlautern 2ßettbe=

werbs entfpringen bemfelben „weitblicfenben (Egoismus". Sßelcfjen zwin=

genben ©runb hätten wir, für alle bie 33erhaltungsweifen, bie als gut, moralifd), tugenbfam bezeichnet werben, unb beren Rutjen einleuchtenb ift, wie Sreue, (Ehrlichfeit, f>ilfsbereitfchaft, dulbfamfeit, Rad)fid)t, f)öf=

lichfeit, nach weiteren Urfachen ihrer Sßertfchätjung gu fahnben? Sßeil fie bas ©ebeihen ber ©efamtheit, alfo auch burchfchnittlid) jebes (Ein=

Zeinen, am beften ficfjern, eerftöftt ber gegen fein eigenes Sfntereffe, wel=

d>er fid) gegen fie verfehlt, eigenen Ru&en begibt fich 6as 3nbir»i=

buum eines Seiles feiner perföntid)en greiheit, bie in einer ©emeinfd)aft nie eine unbefchränfte fein fann, entfagt unmittelbaren Vorteilen, welche bas ©emetnfchaftsleben ftören würben, bringt fogar Opfer, beren günftige golgen feineswegs »orausberechnet werben fönnen, fonbern nur in ber

©egenfeitigfeit ber ©efinnung unb bes Benehmens gewährleiftet finb.

drum mufj bie ©efellfd)aft barauf bringen, bafe bie Rkhrnehmung fol- eher ©runbfät;c nicht bem Belieben bes (Einzelnen überlaffen, fonbern als Pflicht anerfannt unb, wo nötig, erzwungen wirb. Seiten (Enbes aber ift es immer bie Rot, welche ben SRcnfchen bas moralifche ©efet? auf=

brängt. greilid) mad>t eine plötjltch eingetretene, fchwere Rotlage ben 9Kenfcf)en auch oft unmoralifch, zum Beifpiel im galle einer ‘’Panif. f>ier ift bann ber Ruf: Rette fich, wer fann, eben bas ©ignal zum 2lbbruch aller oernünftigen Überlegung unb gibt bem '©illen bas unabänberlid)e 3iel an. 5Iber bauernbe, burd) Rtenfchenalter binburef) beftchenbe Rot macht nachbenflich unb läfet fcbliefolich bie Rlittel finben unb anwenben, welche ber Rot zu fteuern oermögen, darum finben wir f>öd)ftleiftungen ber Rioral, heldenmütiges Verhalten insbefonbere bei folchen 55ölfer=

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76 S H e l i g i ö f e u n b f r e t g e i f t i g e S W o r a l

raffen unb klaffen, »eiche unter befonbers ungünftigen Verhältniffen leben: |?ocf)fccfifcbcr, 23ergleute, (Esfimos. „VMe fönnten fie", fagt S?to=

potfin (beffen 53ud>: ©egenfeitige §>ilfe wir biefe Vemertungen über ben (Einfluß ber 9lot auf bas menfchliche Verhalten entnehmen) non ben leß=

teren, „ben fetten ^ampf ums Safein aushalten, »enn fie nicht ihre Kräfte feft oereinigten? Sies tun fie, unb bie Sfamtnesbanbe finb am engften, » o ber Stampf ums Safein am härteften ift."

gür »anbernbe (Stämme ift ein S^ranfer, ein 2llter, ber burch jeben (Sumpf, über jebes funbernis getragen »erben tnuß, unb ber nichts mehr leiften fann, eine fch»ere Saft. S a fagt ber ©reis: „3ch lebe anbern bas Seben »cg; cs ift ju gehen." (Er betrachtet ben Jo b als einen Seil ber Pflichten gegen bie ©emeinfehaft, oeranftaltet no$ ein geft, bei »elchem er fich herglicf) oon ben Seinen oerabfehiebet, unb — bleibt in ber (Einßbe jurüd, ben Sob enoartenb, »ährenb bie 2lnbcren

»eitersiehen. — Verteilungen oon Vermögen fcheinen eine regelrechte

©c»ohnheit ber (Esfimos 3U fein. Uropotfin fchließt bie Scbilberung einer folchen mit ben ‘Jßorten: 2lm Schluß bes geftes 3ogen fie ihre geftflciber aus, gaben fie »eg, jogen alte, jottige gelle an unb richteten ein paar SBorte an ihre Venoanbten, »orin fie Jagten, baß fie 3» a r jeljt ärmer feien als irgenbeiner oon ihnen, aber bafür ihre greunbfehaft gewonnen hätten. 2Benn ?lot unb Vernunft imftanbe finb, folchc Scnf»etfc unb fmnblungen 3U erzeugen, »as bebürfen » ir bann noch 3um Verftänbnis bes uns tnne»of)nenben Sittengefeßes »eiterer, religiöfer ober meta=

phpfifd>er (Erflärungen?

I II .

Solche fmnblungen ber Selbftoerleugnung feßen freilich nicht allein burch oernünftiges Senfen ge»onnene Opferbereitfchaft »oraus, fonbern auch einen ftarfen VMllen, ber bie fich in ben 2öeg ftellenben inneren Hemmungen über»inbet. ©ie (Erziehung bes 5Billens ift ein Schema, auf bas hier nicht in weiterem Umfang eingegangen »erben foll. 9tur einen

‘’ßunft muffen » ir an biefer Stelle hert>orl)eben, ber bisher alljuroenig Veachtung gefunben hat. 3öenn bie 5ötllensfchulung unferem heutigen

©efchlecht ganj befonbers abaugehen Jcbeint, Jo bürjte bieje (Erfcbeinung nicht aum »enigften barauf 3urücf3uführen fein, baß unfere gegenwärtige Kultur eine ber ftärfften fulfsfräfte, ben VMllcn ber Vernunft bienftbar 3U machen, fo gut »ie ganj oernachläjfigt hat. Siefe Slraft ift ber Stols.

2Bir »erftehen unter ihm nicht anmaßenben Hochmut, fonbern bas ge=

hobene ©efühl ber Sufriebenheit unb 5Bürbe, »eiche bas 33e»ußtfein, auf rechtem SBege 31t »anbeln, oerleiht7). S ie Sorge um ben Vertuft biefes »ertoollen ©utes ift es ohne Zweifel nicht feiten, »eiche eble Naturen baoor bewahrt, 2lb»ege 311 betreten. Senn bas mit Stola er=

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