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Die Zukunft, 14. Juli, Bd. 32.

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Academic year: 2022

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Berlin, den H.Juli 1900.

"H III- R

Tsin-5chi-Hoang-Ti.

WiedeutscheKriegsflaggeweht aufdemWeltmeer undfünfzehntausend Männer,derenrüstigeKraft auf heimischerFlurdie Arbeitfördern könnte,sitzen,wennderDienstoder dieNeugier sienicht ausDeckruft,in der engen,dunstigen KojeunddenkenzurückinsLandihrer Lieben, sinnen vorwärts insUnbekannte,dem dasgepanzerteSchiff sie entgegenführt.Ihr KaiserundKriegsherr hat fürAllesgesorgt,-fürKhakikleiderundTropenhelme, Mundvorrath, WaffenundMunition,undinderAufwallungeinesRache heischendenZornessogardarangedacht,ausBerlindenKinetographen nach Wilhelmshavenkommenzulassen,der dieAbschiedsparadenunddieEin- fchiffnngderRächerschaarfürdasKinetoskopaufnehmensollte.Nunhabensie Mußeundkönnen demZweckihrer Reisenachdenken.Sooft-undsolangeschon hörtensievonKameradendasEnde derfaulen Friedenszeitherbeiwünschen;

jetztiftderersehnteKriegda, einKrieg,derEhrenzeichenundrascheRangerq höhungverheißt,undihnenwardmitzukämpfengegönnt.Wofürerkämpfen soll,darübergrübeltdergemeineMann nicht;eristfroh,deneintönigen, ermüdendenGarnisondienst hinter sichzuhabenund einfernes Märchen- land betreten zudürfen,vondemerin alten Kalendern Wundergeschichten las.Nicht alsVertheidigerdesVaterlandes ziehterhinaus,wievordreißig JahrenderVateroder der ältereBruder;dieheimischenGrenzen sind nicht bedrohtundkeingeraubtesGliedistdemverstümmeltenLeib derMutter Germania zurückzugewinnen.Dochunter heißererSonne harren weiße MenschenderRetterausTodesgefahr.Nurein dünnesGebälk trennt sie, Männer,FrauenundKinder,vonihren Feinden,derenwüthenderWahn

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grausamste Vernichtung sinnt. Wochen langwarten sieschon. Leichen- geruchverpestetdenschwülenRaum,Kranke und Verwundete heulendurchs engeHaus,dieNahrung ist knapp gewordenundunten,vordenangstvollen BlickenblasserJungfrauen,tobt dasgelbe, schlitzäugigeGesindel.Rochein Tag,eine Stunde vielleicht,—unddieHordeerzwingtdenEingangundfeiert aufdenkaum erkaltetenKadavern derweißenMänner einwüstes,orgiasti- schesSiegerfest, dessenLust weißeMädchenwürzenmüssen...DerMann imKhakirockgreift nach seinem Gewehr.WennerdenverwaistenKindern seinerRassealsRettererscheinenkönnte! AberseinSehnentreibtdasSchiff nicht schnellerdurchsWeltmeer;undeheerinReiheundGlieddurchPekings Thormarschirt,werdendieWeißen geschlachtetodergeborgen sein.Der deutscheSoldat strecktsichauf sein schmalesLager.Ueberundunterihm schnarchenschon längstdievom Wachtdienstermatteten Kameraden. Nun suchtaucherdenSchlummer.ErfolgtdemBefehlundhat nichtzufragen, warum sein Kaiser ihnübers Meer in dieFerne schickt.

DiedaheimGebliebenenaber,die keinMatrosenhemdundkeinen Khakirocktragen, habendasRechtnichtnur,habendiePflichtzu derFrage, wasnun geschehensollundwelcheAufgabedenfünfzehntausenddeutschen Männerngestelltward,diejetztderOzean trägt. Währendderersten Juli- wocheistvielgeredetundgeschrieben,tclegraphirtundphotographirtwor- den ;dochwederWortenochBilderhabendasZielderReichspolitikundden ZweckdesReichskriegszugesderMengezu klärenvermocht. DerKaiserhat von»Mobilmachung«und»Krieg«gesprochenundmitzornigerGeberde ge- sagt, erwerde»eineRachenehmen,wie dieWeltgeschichtesienochnicht gesehen hat«,und»nichteherruhen,als bis diedeutschenFahnen siegreichaufPekings Mauern wehenund denChinesendenFriedendiktiren.«DieseWortewaren kaumverbreitetworden, daließensämmtlicheGroßmächteauchschonerklären, siedächtennichtdaran,einenKrieggegenChinazuführen,undwürdenzufrieden sein,wenn fürdieErmordungundBetäubungderWeißenSühne gewährt undimReichdesHimmelssohnesdieRuhe wiederhergestelltwerde. Das feierlicheWorteinesDeutschenKaiserskannnichtinsLeeregesprochensein.

Wirmüssenalso annehmen,dasDeutscheReich führealleinKrieggegen China;nurdannist auchderSatzdesKaisersvondem»historischenAugen- blick«verständlich,»dereinenMarksteinin derGeschichteunseresVolkes be- deutet«.AberderKaiseriftnachNorwegen abgereist, Fürst Chlodwigzu Hohenlohe,dereinzigeverantwortliche Reichsbeamte, sitztseit Wochen,den Geschäftenfern,in derSchweizunddieOsfiziösenverkünden,man dürfe

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nichtvoneinemKriegszug,sondernnurvoneinerStrafexpeditionnachChina sprechen.HatderKaiser,derdenKriegnurerklärenkann,wenndasBun- desgebietoderdessenKüste angegriffenworden ist,dieZustimmungdes Bundesraths nicht gefunden?DieUnklarheitgeht nochweiter.DerKaiser

will einenRachekriegführenundzugleichdieAsiatendiemildeWunderkraft desChristenkreuzeskennenlehren;undnun scheint,mitdeutscherEinwilli- gun g, denjapanischenBuddhistenundShintoistendasMandat anvertraut, inChinaSühneundOrdnungzuschaffen.Dagegen wäre,wenndieRussenzu- stimmen,nichtseinzuwenden;nurwirddierotheSonnenscheibederjapanischen KriegsflaggenichteinemSiegderChristenlehreleuchten.AusdieserWirrniß führtkein erkennbarerWeg;undeinmündigesVolkdarsdochfordern,daßman ihm sagt,welchemZielesentgegenwandernundwofüreskämpfensollWenn diedeutschenSoldaten inOstasien landen,wirddie alteMaha-Tsin,das ReichderErdmitte, wahrscheinlichwiederruhig sein.Entweder bleibtdie Rebellion siegreich,eineneue Dynastiewirdeingesetztund dieMehrheitdes Vierhundertmillionenvolkes schließtsichdenempörtenPatriotenan: dann wirdeinRassenkriegnöthig,dennur einnachHunderttausendenzählendes Heerwagen kann und derRussen, Briten, Franzosenund Nordamerikanern ebenso ungelegenkäme wie denJapanern. Oder derAufruhrwird unter- drückt unddieMandschus kehrenaufdenThronYaos zurück:dannwird dieanWeißenverübte UnbilldurcheineMassenhinrichtunggefühnt,Scha- densersatz angeboten, demüthigEntschuldigungerbetenund demvonabge- straftcnRebcllenBeleidigtenbleibtnichts mehrzufordern. Jm erstenFall istdasdeutscheAufgebotzuschwach,um entscheidendeingreifenzukönnen, imzweiten findetesfür seine Schlagkraftebenso wenig Verwendungwie vordretJahrendiegepanzerte FaustdesPrinzenHeinrichvonPreußen;

undin beidenFällenkann derHaderder inAsienamMeisten interessirten Großmächteplötzlichzusehr schlimmenVerwickelungenführen.Daserkennt inEuropa auchderLaie.Wasalso soll geschehen?

JndemkorrigirtenundgedrucktenTexteinerTafelrededesKaiserssteht einmerkwüs-digerSatz,dessenSinnuns vielleichtdasdunkleRäthsellösen kann. NachdemWilhelmderZweitevon demhistorischenAugenblickge- sprochenhatte, der in derdeutschenGeschichte»einenMarksteinbedeute«,suhr ersort:»Der Ozeanistunentbehrlichfür Deutschlands Größe.AberderOzean beweistauch, daßauf ihmundinderFernejenseitsvonihmohneDeutschland undohnedenDeutschen KaiserkeinegroßeEntscheidung mehr fallen darf.«

Mankönnteerwidern, daßDeutschlandohnedieHerrschaftiibereinWeltmeer

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großundmächtiggeworden ist, daßozeanischeBeweisenichtsehrhaltbarsind unddaßauchkünftig,wiebisher, aufdemRundderbewohntenErdemanche Entscheidungfallenwird,andereinDeutscherKaiser,undhätteereine moderne Armada, nichtmitzuwirkenvermag.Doch wichtigeralsdie Kritik einesPro- grammes istzunächstdieAufhellungseines Sinnes. Und überdiesenSinnist, wennmanihnausdenSchleiernhebt,keinZweifelmehr möglichEristimAus- landverstandenwordenunddasBemühen,ihndenDeutschenzuverhüllen, istthörichtundunanständig.DerKaiserwillWeltpolitikgrößtenStils treiben,in denasiatischenMachtstreit eingreifenundbeijeder Entschei- dung seinerStimme Gehörsichern. Deshalb haterdieKarawanenstraße einerimperialistischenJndustriepolitik beschritten,deshalb schnelldie Ver- doppelungderSchlachtflottedurchgesetzt,deshalbeinenHeerhausenvonder StärkeeinerDivision nach China geschickt.Denn erwillnichtnur die Ermordung seines Gesandten rächen,LebenundEigenthum deutscher Bürgervor weiteremSchaden bewahren, sondern,wenn eszurThei- lungdesMandschuerbeskommt,dendeutschenBesitzinOstasien beträchtlich mehrenundschonjetztdenEhinesenzeigen,was eranKriegsschiferund bewaffneterMannschaft aufbringenkann.DieStunde,dadieseEntschei- dungfiel, durfteereinenhistorischenAugenblickundeinenMarksteinin derdeutschenGeschichtenennen;sie hatuns,wenn dem WortdieThat folgt, den niemehrzu kittendenBruch mit«derdeutschenVergangenheitnndmit derPolitikBismarcks gebracht.DerersteKanzler glaubte,dasjungeReich habemit derWahrung seiner europäischenMachtstellunggenugzuthun;

erfreute sich,alsFrankreich sichinTongking festlegte, sahdiegünstigste Chancederstetsvon einerübermächtigenKoalition bedrohten deutschen Stämmedarin,daßsieindemzwischenRaßlandundGroßbritannienschwe- bendenStreit umdieHerrschaftüberAsienneutral bleibenkönnten,unter- stütztestill, soweit dasdeutscheInteresseesirgend gestattete,dierussische Politikundhieltbis zu demTage,woNordamerika undRußlanddasgroß- britischeWeltreichüberwachsenhaben würden,Englandfürden derdeutschen EntwickelunggefährlichstenFeind.DiekleinsteKolonie,sagteernachdem Abschlußdesdeutsch-chinesischenPachtoertrages,ist großgenug,um »Dumm- heitenzumachen«;underhörtebiszuseinem letztenLebenstagenicht auf,ein- dringlichvoreinerVerzettelungdeutscherKraftanüberseeischeAbenteuerzu warnen, die beineidischenNachbarnMißtrauenwecken unddieFähigkeitzur VertheidigungdesheimischenBodensschwächenmüßten.Dem drittenKaiser sindsolcheBedenkenoffenbarvölligfredehmistdasReichBismarckszuklein

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underhältdasVolk,dessenVertrauensmann ersein soll, für so starkund so reich, daßesmit den älterenWeltmächtendenWettkampfwagen kann.

Diesem GefühlfanderinWilhelmshaven weithin klingendeWorte,—und dasEcho brachteausPetersburg, London, ParisundNew-Yorkdie Erklä- rung: Wirführennicht KrieggegenChina,wirwünschenkeineMachtver- schiebungimReichderMitte. Vorher hattendieRussen sichgeweigert,den England allzu befreundetenJapanernfreie-Handzulassen; nachdenReden desDeutschenKaisers wichdieserWiderstand. Oft schonsahman,daßzwei Gäste,die, so lange siealleinamgedecktenTisch saßen,einander mitfeind- lichenBlickengemessenhatten,schnellFrieden schlossen,wenn ein Dritter sichanschickte,mit ausderSchüsselzuessen.

Heutenoch,wievorHumboldtsTagen, ist ChinadenDeutschenein unbekanntes Land.MancherGelehrtehatin derSammlungderSacrecl Books of the HastdenTao-Te-King gelesen,Lav-Tses ehrwürdigeChi- nesenbibel,und mitheißemBemühendieeonfucianischeSittenlehre st«udirt, mancher Politiker hat,wieAndrassyvordembosnischenFeldzug, geglaubt, dieseswildeLandkönneeineMilitärkapellemitklingendemSpielkampsloser- obern. DasWesendesgelbenVolkesblieb, trotz Gaubil,RitterundGobineau, auchgebildetenDeutschenverborgen;undsokonntederGlaubeaufkommen,die ChinesenseienBarbaren,denenmitPulverundBlei dieGrundbegrisfecivili- sirterMenschheitbeigebrachtwerdenmüßten.DasisteingefährlicherJrrthum.

An die Tao-Mären vondendrachenköpfigenMythenkaisernundvonPan-Ku, demersten, eineHeerdevonAssensprossenbeherrschendenMenschen,wird kein Europäerglauben;dashoheAlterderchinesischenKulturaberistdurchunwi- derleglicheZeugnissebewiesenundsicherist auch, daßsichschonlangevordem ersten Christenjahrhundert FremdeimLande desgelbenVolkesangesiedelt hatten.Gobineau citirtaus demSchu-KingdieSätze: »Die Fremdenerregen Unruhen.WennJhraberfleißigEureGeschäftebetreibt,werdendieFremden sich Euch gehorsam unterwerfen.«Vondieser frühenEpoche asiatischen Staatenlebens wüßtenwirmehr,wenn nichteiner derHerrscherEhinas jäh mit derVergangenheitundihrer überliefertenLehregebrochenhätte.Tsin- Schi-Hoang-Ti,derzweiJahrhundertevorJesuGeburt lebte,wolltedie Macht nichtmit denreichenFamiliendes altenHochadelstheilen, sondern als einCaesardesOstensauf einsamerHöheüber derMasse thronen.Um die GewaltderadeligenLehnsherrenzuentwurzeln, ließerdieBücherver- brennen,in denen derRuhm ihrer Ahnenundihrererbter Anspruchauf Souverainetät aufgezeichnetwar,undnurdieFamilienchronikderTsiu-

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Dynastie,dererselbstentstammte,vordemFeuer bewahren.Dannsuchteer alleVerschiedenheitenderStämme,Provinzen,Bezirkewegzuwischen,ernannte neueBeamte,dienielangeim Dienstbleibendurften, theiltedasReichinsechs- unddreißigDepartementsundthatkund und zuwissen,daßdiealteZeitund diealtenGedanken nun fürimmerbegraben seien.Ein Neuessolltewerden undJederausdemgelbenVolkerkennen,daßfortannur einHerrenrechtgalt, nurein Willegebot.DamitwardieorganischeEntwickelungdesVolkskörpers unterbrochenund derFeudalftaatzum Jmperium umgewandelt.DerChinese blieb alsIndividuum,was ergewesenwar: einnüchterner,nur dengreis- barenGütern der ErdenachstrebenderMensch, ohne Phantasie, ohneüber-«

sinnliches Vedürfniß;daspolitischeLeben abererstarrte,wie immerin Despotien.DerKaiservonChina durfte nicht,wie andereTyrannendes Orients, jeder raschenLaune, jedemUeberschwangseiner Gefühlenachgeben und inwollüstigerGrausamkeit schwelgen;solchesWüthenhätteihnumdie Achtungderkühlen,verständigrechnendenUnterthanen gebracht·Docher galtundgilt heute nochals eingeweihterVertreter derGottheit,alsein ge- strengerVater,demmannurknieend nahen dars,undin derTheorie ist seiner GewaltkeineSchrankegezogen.JndergemeinenWirklichkeitdesAlltagslebens siehtdieSache freilichganz anders aus. Wer einnuraus Gütermehrungund schnellenGewinnbedachtesVolkbeherrscht,muß sichderForderung fügen, daßdemLande dieRuheunddiebewährtenGeschäftsbedingungenerhalten bleibenunddieErwerbsmöglichkeitdemHändlernicht durch fremdeKon- kurrenz geschmälertwird.EinsolchesVolk kannsichunterdermonarchischen Spitze demokratische,sogarsozialistischeEinrichtungenschaffen undwirklich giebtesinChina,wobeinaheJeder lesenundschreibenkann und dieGesetze kennt,eine-VolksabstimmungüberwichtigeFragendesRechtesundder WirthschaftunddemStaatssozialismusdeseuropäischenWestens nahver- wandteTendenzen—,aber esistalspolitischePersönlichkeitzuunfruchtbarem Siechthumverdammt undwirdfrühoderspätdieBeutedesStarken,der sichnicht leichtfertigvonderWurzeldesStammes löste.Tsin-Schi-Hoang- Ti trennte ChinamitjähemGriffvon derTradition. SeinGeschlechtist verschollen,die imWaffenhandwerkgeübtenMandschus habendenChinesen, dieaufallen MärktendiebilligsteArbeitanbieten,denFuß aufdenNacken gesetztunddasReichdesHimmelssohneshat seitJahrtausendenkein die MenschheitgeschichtebestimmendesWortmehr gesprochen.

Im DeutschenReich sindderMachtdesEinzelnen, auchdesKaisers, derhierkeinMonarch, sondernunterGleichennur derErste ist,vonder

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VerfassungengeGrenzengezogen, undsolangeWortlaut undSinndieser Verfassunggetreulich beachtet werden,kannnichtsWesentlichesgegen den Willen derVolksmehrheitgeschehen.Fürstenund VolkhabendasRecht,in offenerRede dasZiel ihresWollens zuzeigen,undmankann demKaiser nicht vorwerfen, daßerseineAbsichtverborgenhat. AlserseinenBruder nach China sandte, spracherso laut, daßman ihninPeking verstandund erschrecktauffuhr;·dennPächterpflegen nachdemVertragsabschlußnicht vonderMöglichkeitzureden,ihr Platzhalterkönne imPachtgebietblutigen LorbererntenundzumSchlagmitgepanzerter Faustgezwungensein.Nur in DeutschlandverschloßsichdemSinndieserSätzedasOhr,sträubtsichnochjetzt das nationaleEmpfindengegen dievomfranzösischenKonsulin Tientsin,vom FürstenUchtomskiundvomBischofAnzervertreteneMeinung, daßdiechinesi- schenWirren alsFolgeerscheinungdesKiautschouhandelszubetrachten sind.

Bismarckfürchtetedamals, derAsiatenzornkönnesichgegen denpreußischen Prinzenwaffnen; ihn hättedieErmordungdeskaiserlichenGesandten sicher nichtüberraschtunderhättedenBeschwichtigernnichtgeglaubt,diegeschäftig erzählen,dieSache seinicht so ernst gemeint. Worte,die derDeutscheKaiser in dielauschendeWelthineinspricht,könnennur ernstgemeint seinund müßten,wenn ihnennichtdieThat folgte, ohne EchokünftiginsLeerever- hallen. Nocheinmalhat jetztderKaisergesprochen,sodeutlichundlaut, daß nurderböseWilleihn nicht verstehen kann, undlautunddeutlich muß ihmgeantwortetwerden.Nieist bisherdasVolkgefragt worden,obes von derausruhmreicherZeit überliefertenPolitik scheidenund densteilenPfad desJmperialismus beschreitenwill.Zu solcherFrage istnun dieStunde gekommen.Manlöse,nocheheüber dieHandelspolitikderStreit beginnt, denReichstagaufundrufedieWählerzurEntscheidung;dannmußessich zeigen,ob dieMehrheiteine ins WeiteschweifendeWeltpolitik wünscht,zu deren demAuge sichtbarenZielendieBegründungeinerdeutsch-asiatischen Kolonialmachtgehört.Tsin-Schi-Hoang-TikonntevorzweitausendJahren felbstherrischmit derStammesvergangenheit brechen.EinDeutscherKaiser wirdsichnicht wundern,wenn dasmündigeVolk,daservordem Ausland vertritt,anderGestaltung seinesSchicksalsmitzuwirkenbegehrtundwenn diedaheimGebliebenenanders denken als der inKhakistoffgekleideteMann, der demBefehlzufolgennndin der engen,dunstigen Koje nichtzufragen hat,warum sein Kriegsheer ihnübers Meer in dieFerne schickt.

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Shakespeareund der Krieg.

In einerGesellschaftvonPoetenundvonFriedensfreundenwurdejüngst, ausgehendvondemeben tobendenKrieg,über denGeistdesheutigen England debattirt;undwie dasGesprächsichweitete,richteteman anmich zuerst scherzhaft,dannallenErnstesdieFrage, welchesdasGlaubensbekennt- niß Shakespearesin derFragedesKriegesgewesensei.DerScherzwaretwas bittererNatur;ererinnerte andieunbeträchtlicheWirkung moralischerWahr- heitenauflMitweltundNachweltundinletzterLiniealsoandengeringen praktischenWerth solcherFragen. -MichalsEinen vonderZunftabermahnte

erdaran,daßdieShakespearekritikdenDichter nochimmer sportmäßignach neuen Notendurchstöbertundinihndabeiselten mehralsimSchwange befindlicheStimmungenundFragen hineininterpretirt: Hegelianismusin einer EpochedesHegelianismus, WeltschmerzineinerEpochedesPefsimismus, FreiheitjubelineinerZeit,dadieFreiheitinModewar. Undso gleichen wirAlledemKnaben,fürdennur dieAugenblickserscheinunggiltundder aufderWiese nachdenBlumen greift,diedieJahreszeit hervorbringt.

Hätte sichdasöffentlicheBewußtseinje ernstlichderFragevom Kriegund vonderMöglichkeitseiner Abschaffungzugewendet:sicherlichhättenwirauch inderShakespeareliteraturZeugnissevon derBeschäftigungmitdemschönen Traum. AlleindieFrage ist jung, sie galt nichtalsvorhanden;undan utopistischeBisioncn verschwendet sichdieKritiknichtgern. Das heißt: sie wußtewohl Verseaus Shakespeare anzuführen,indenenderKriegver- dammt wird;aberindemsieDasthat,lag ihr nichtdieHauptfrage selbst, sonderndasHandwerkmäßigedesDichtersam Herzen,dieSchönheit,der pittoreskeAusdruck, dasPathos,dieBilderpracht.Unddann: wasbewiesen die Eitate für Shakespeares Gesinnung?Was fürWorte sollteerseinen Menschen aufdieLippen legen,wenn inRom derBürgerkriegausbricht, wenn derKrieg zwischendenHäusernYorkund LancasterEngland durch- wüthetUndMordlust, Treulosigkeit, blntigste Knechtung durch seine Jahr- hunderteziehen?WenndieSehnsuchtdasWortführt, daß dieser Dichter, denman denWeisestenallerMenschennennt,auchindieserFrage sichals denWeisesten erwiesen haben möchte,dannfreilichwerdenwirVielesinihm finden,dasunseremliebevollenWunschentspricht.AlleinjedemdieKriegs- furie verfluchendenWort antworten zehnandere,indenendieMuse des selben DichtersdieGloriedesKrieges preist;undnochmehr: nichtnur die Sieger,dieinsichdenAntrieb dazuhaben, sondern auchdieBesiegten stimmenindenChorein. Denn vergessenwirnicht:obauchdiejeweilige

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Shakespearenndder«Krieg. 57 FabelinentlegenstenzeitlichenundräumlichenFernen spielte,dieZeit,aus derShakespearesichseine Gestalten holte,warja dochdieeigeneZeit,wie er sie vorfand, alser indieWelt hinaustrat. Dasahermit seinen eigenenAugenCoriolane, dieempörerischgegen diegeschlageneHeimathzogen, undModellezujenem unbeschreiblichglanzvollen,verwegenen undgrundsatz- lofenParvenu,der,hochgekommen,die LändergleichJuwelen verschenkteund in ein-erNachtdieganzeHerrlichkeitverspielte,umeineKleopatra. Blos ihreNamen waren Vergangenheit;dieEharaktereundLebensläufeaber, die Ueberzeugung,daßdemStarken Alleserlaubt und verziehenwirdunddaß dieentrechtetenVölkernur dasind,umdenSchemel fürdenSiegreichen abzugeben:dasAlleswar in dershakespearischenZeitebenfogeltenderArtikel wienur jein derVergangenheit.WievieleDoppelgängerhatteinihrdas mephiftophelischeGeniejenesEdmund aus derscheinbarnur insagenhafter Vorzeit spielenden Lear-Tragoedie!UndaufdenThronen sahman Mörder, in denen derErfolg,ganz wie inMacbeth,dieUeberzeugungwachgerufenhatte, daßdieFähigkeit,zusiegen,dieAbsolution fürdenKönigsmordenthalte.

Ja,dieVerbrecheneinerZeit haben Beweiskraftundesgeschiehtnicht ohne Grund, daßesindenGedichtenderShakcspearezeitmeistSchwertverbrechen gab. Sowieman heute nachdemGoldejagtunddieungeheureMehrzahl derVerirrungen aufdemGebiet desGelderwerbes stattfindet, sogabes damals VerbrechenmitdemEiseninderHandum denBesitzderMacht.

DennMacht:Das war diegroßeundallgemeine Sehnsucht;vor ihrver- stummtedas Gesetz, unterwarf sichdieGesinnung,ducktesichlautlos das Volk,dieHeerde,dieman nahm undverschenkte,dieman beraubte, gegen dieman keineVerpflichtunghatteundderman das Markaus denGebeinen sog.UnddieKirche,diedasGotteswort inihrer Hut hatte, schloßihre Bündnisseebenfalls nichtmitderUnschuld,demRecht,derguten Absicht Unddenarmen Phantasten,dieihren NächstenwenigstenseinbergendesJen- feitserträumten, sondernmitdenInhaberndesEisens,mitderMacht.

Und daalso Shakespeare siebeiseinemEintritt indieWelt allherrfchend vorfand:wie konntesichdiejungeUnerfahrenheitüberihre Berechtigunggleich denKopf zerbrechen?O, wirdürfen überzeugtsein,erfangGloria,wenn die Anderen Gloria sangen,undstand wohl mitjubelndindenStraßendes grauen, finsterenLondon, wenn einer derLieblinge feiner jungfräulichen KönigininsilbernerRüstung zurückkam,voran auf Stangen blutige Köpfe auseinemKrieg,auseinerRebellion· Freilich:dasSpätere bürgt oft für dasFrühereundso isteswohlwahrscheinlich,daßeine Seelevonso zarter Empsindlichkeit,einGeist,derrascheralsanderederKontrasteundderstumm indenErscheinungenlauernden Tragik sich bewußtward esist mehr alswahrscheinlich,sage ich, daß ihmmittenimJubeloft plötzlichder Laut

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derFreudeaufdenLippenerstarb.Aber zu einerFolge führteesanfangs noch nicht.DennwiesollteesdemJünglingvor dreihundert Jahrenin denSinn kommen,daßdieblutige Trauer,inderjeder Kriegendet, denn dochkeine,,gottgewollte«Institution sei?MannimmtsoEtwashin,wie wir dieLuft hinnehmen,man nennt esein-unabwendbares Naturgesetz, gleich Krankheitund Tod.Und istuns dieseErdenichtdiebesteallerWelten,trotz derUnvernunst,diesie durchpestet,trotzallemElend,allerWildheitund trotzKrankheitundTod? Ja noch mehr! NehmtdiegetötetenFranzosen her,diebeiAzincourtfielen,denschwarzenClifford,denKnabenmörder, der aufdemSchlachtfeldumkam,denWarwick, dessenTraumKönigsgrüftewaren undderdannelendin einer kleinenSchlacht fiel.Und weiter einenAntonius, der dieWeltverspielte,einenRichard,denschließlichTräume undGesichte ängstigten,einenMacbeth,derschauerlichflüstert: »Aus!aus! aus!« nehmt sieAlle, denen dasSchwertzum Verderbenward,sowieesinihrer Handzum Verderben Anderer geworden: selbstimSturze noch vergoldetsie dermächtigeMuth,mitdemsiedemTodetrotzen,wiemiteinerhellen Aureole undmachtzum tragischen Ereigniß,was sonst oftnur dieZer- tretungeineselendenGewürmesist. Unddenket, sieunddieJagos,die MeuchelmörderundVerleumder,unddieEdmunde,die imUntergangenoch einletztesWort grellen Hohnes fanden,würden wieder zum Leben erweckt undeineGottheit richtetean siedie Worte: »NichtsbleibtDiraus dem früherenDasein alsdieErinnerunganDeinschauerlichesEnde,—- undnun lebe wiederundtrisfeineWahl!«Siewürdeninsgesammt aufschreien,trotz allemDurchlebten:DieblutgedüngteWeltistdeswahrenMannes Wohn- statt,esgiebtkeine andereSeligkeit, ich wähleweiterdasSchwert.

Nunfrageman sicheinmal,worineigentlichDasbesteht,wasman die EinsichteinesdichterischenGenius nennt. Heißtes,daßderDichtervon AnbeginnalleWeisheit Himmelswie derErdenhat?Soleichthates uns die Natur,dienichts Fertiges, sondernnur Werdendes undReifendeskennt, nicht gemacht. Nichts Großes ist,allesGroße wird;Niemand lernt, Nie- mand arbeitet mitsoungestümemDrangewiederDichter;und als Shakespeareden nievorherbegangenenWeltenentgegenging,botensichihm von demersterklommenenkleinenHügelnur engereHorizonteundandere AnlässezuKlagenundFragendar. Woherkames,daßderKnabeGoethe Stoffe nach klopstockischemMuster versifizirteoderdaßderKnabe Schiller von einemStuhleherab Predigten hielt? Dochwozu dieFragen? Jugend- lichkeitkannnicht führenundfinden;immer istesdasLied derZeit,das siemitihrer erstenLeidenschaftnachsingt,undimmeristdieersteFrage:Kann ichDas,waseinAnderer kann, unddieerstefreieThateineMessung,zu derenVornahmeman sichebenaufdasGebietderAnderen,Aelterenbegiebt.

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