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Philosophie und Leben. Jg. 4, H. 2 (1928)

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Academic year: 2022

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ttnö Heben

4. JAHRGANG + 2. H EFT + FE B R U A R 1928

3m ZMenfte öer IDolfcgetnheit erftrebt unfere 5c t f e t t t e fa$*

Itdjc 2tusfprathe ber öerfthteöenen fneltanf$atiltd)en Ktdjtuttgtn.“

£)te 35e5<mfung 5er (§><muj3mifM für 5<m mo- fernen ^u(furm<mfd£)<m

35on §. © e r t f e m p e r , ©logau

Sie Statur bes SRenfchen ift bas ^robuft oon Erbanlagen unb Ein=

ftüffen ber Umgebung. 2öo bie ©renje jwifchen biefen beiben gaftoren liegt, bie fid> gegenseitig burd)bringen unb in mannigfacher SBeife beein=

fluffen, ift fd>wer anjugeben. 3ßir müffen fdjon bis in bie Seit ber Ur=

anfänge bes SRenf<hen jurüdgehen, wenn mir uns eine Borftellung oon feinem Erbbilbe machen wollen. 2lber leiber fließen bie Quellen gar gu bürftig. Sie riefig angefchwollene Literatur über bie Slbftammung bes SRenfdjen beioeift fo recht, wie wenig Sicheres wir über feinen Urfprung wiffen. Sheologifche 33eben!en gegen eine Entwidlung bes SÜRenfchen aus einer höheren Sierart wären nid)t unüberwinblid). 2lber was beweifen benn eigentlich bie aufgefunbenen Knochenrefte bes '’Pithecanthropus, bes SReanbertalmenfchen unb ber wenigen anbern affen= ober menfcf)enähn=

liehen 3Befen? Entwidlungsübergänge fchetnen burd) biefe fporabifchen gunbe feineswegs ftchergeftellt ju fein. Sffienn es eine Entwidlung gibt, bann betrifft fie ftcher in erfter Sinie bie gorrn unb ©röfje ber ©d)äbel=

bede bjw. bes oon ihr umfchloffenen ©ehims, bes ©ifces ber geiftigen gunttionen, bie ja auch bei ben höchft entwtdelten SERenfdjenaffen noch fo weit hinter benen bes 9Renfd)en jurüdgeblieben finb.

Können wir bie ßöfung biefer grage oon ber Erblichfeitsforfchung er=

hoffen? Sie SRöglichfeit einer Vererbung erworbener Eigenfchaften wirb oon ben meiften gorfchern aus gewichtigen ©rünben Derneint. Slber bie oft beobachtete unb ejperimentell heroorgerufene Erfdjetnung ber fog.

„3Rutation", ber fprunghaft eintretenben oererbbaren Slnpaffung an feit mehrere ©enerationen wirffame Bebingungen beutet hin auf bie 3Röglid)feit unb 3öahrfcheinlid)feit ber Entwidlung latenter Einlagen.

SBir fönnen bemnach wohl annehmen, baß es eine gortentwtdlung ber einjelnen 2lrten in fich gibt, bafe aber bie Entwidlung einer 2lrt aus einer anbern im €>inne ber lamardifch=barwiniftifchen Sescenbenjtheorie oorerft nod) unbewiefen ift unb als unwahrfcheinlich angefehen werben

-‘pbUofopbie unb Seben. IV. 3

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34 2Die S S e b e u t u n g b e r © e n u f ä m i t t e l

muß. Saß ber SRenjd) insbefonbere aud) in bejug auf Jeinen Körperbau fid) ceränberten Umftänben anzupaffen weiß, geht auch baraus heroor, baß bie oergleidjenbe Anatomie feftgeftellt bat, baß jtDifchen geiftiger

^Betätigung unb ©ehirngröße (weniger ©ewid)t als Oberflächengröße) ein beftimmter Sufammenhang befteht.

Sie Umwelt ift nun in ftetem gluß begriffen. 93or allem ift ber bem einzelnen 2Renfd>en jur Verfügung ftehenbe Daum im Saufe ber 3abr=

taufenbe, je mehr fid) bas Dtenfchengefchlecht oermehrte, immer Heiner geworben. (Es ift fehr watjrfdjeinlid), baß bie 5Biege ber Dtenfchheit in einer ©egenb ftanb, wo Klima unb 23oben alles ohne wefentlic^e Arbeit bes SERenfcben hetoorbrachte, was er zum ßeben brauchte, ©ein ©eiftes=

leben ftanb wol)l im wefentltcf)en unter bem Einfluß ber bas Sier be[)err=

fdjenben STrtebe ber Selbfterhaltung unb ber gortpflanzung. Aber oon einer unbefchränften Entfaltung bes Selbfterhaltungstriebes bis zu abfoluter |?<mblungsfreibeit fönnte fdjon bei jtoei jufammenlebenben 2Befen feine Debe gewefen fein, ba biefer Srieb an bem entfprechenben bes Partners feine ©renje finbet. 3n ber freiwilligen ober erjwun=

genen Düdfichtnahme auf bie 33ebürfniffe ber anbern Sffiefen gleicher Art ift ber erfte Urfprung bes Sozialgefühls beim Sötenfchen zu fud)en.

SSRit ber 33ermehrung bes SERenfchengefchlechts würbe bie greiheit bes einzelnen immer weiter eingefchränft, bis bie Seit fam, wo bie oon ber Datur in biefem begrenzten ©ebiet bargebotene Nahrungsmenge für bie oermehrte 3aI>I nid)t mehr ausreid)te. Sie förperlid) Schwächeren mußten weiten, wenn fie es nicht auf einen Kampf mit ben ©tärferen anlommen laffen wollten, ber ihnen feine Ausfid)ten bot. Dun ift bie Ausbehnung „parabiefifd)er" ©egenben, um biefen biblifdjen Ausbrud ZU gebrauten, befdjränft; wo bas Klima ober ber 23oben nicht günftig finb, ba fpenbet bie Datur nicht mehr ohne Sutun unb Arbeit bes SRen- f<hen. ©o lernten bie Auswanberer aud) biefe ©eite bes Kampfes ums Safein fennen. Aber mit ben ©d>wierigfeiten wächft nun ber Erfinbungs=

geift, ber SERenfd) fängt an zu überlegen, auf welche 3Beife er fich be=

haupten fönne, er bilbet feinen Sntelleft aus. Unb je größer bie £>emm=

niffe fid) oor ihm auftürmen, um fo reicher wirb er an ©ebanfen unb Auswegen. Aus ber wachfenben Einficht in bie Datur ber Singe wirb bas Staunen geboren, bas bem natoen 9Renfd)en noch fremb ift. Unb oom Staunen ift nur ein Schritt bis zur Ehrfurcht Dor bem großen Un=

befannten, oor ber bie Singe beherrfchenben ©ottheit.

Schon bei bem bloßen Sufammenleben oon 2Rann unb SBeib, bie fich burch Körperfraft u. a. Eigenfcbaften unterfcheiben, läßt fid) eine Ar=<

beitsteilung als felbftoerftänblich annehmen. Siefe Arbeitsteilung wirb immer bifferenzierter, je größer bie ©emeinfehaften werben, unb bie Der»

fchiebenartige Betätigung führt jur Entwicklung immer neuer Anlagen.

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® i e B e b e u t u n g b e i Qü e n u f j mi t t e l 35

©iefe fintwidelung im Rahmen eines Sluffa&es im einzelnen weiter ZU »erfolgen, ift unmöglich unb zwedlos, aber es ift notwendig, auf ben 3Beg hinzuweifen, ber bas Menfchengefd)led)t »orwärts führt. Man fann ben gortfc^ritt in bie nüchternen ‘JBorte formulieren: Seben unb leben laffen. Run ift „leben" natürlich nicht blofe im ©inne »on „»ege=

tieren" zu »erftehen. Seber Menfch ftrebt bem parabiefifdjen Suftanbe roieber zu, b. h- er will ohne Rahrungsforgen leben bei möglid)ft ge=

ringer 2lrbeitsleiftung. Rur bann wirb 2lrbeit nicht als glud) empfunben, wenn fie ben Menfchen biefem Siele näher führt. Sie Sntwidelung bes 3nteltelts ift alfo nur Mittel zum 3wed, unb je mehr ber 3wed erreicht ift, befto mel>r fann fid) ber Menfd) forgenlofem ©enuffe hingeben. Von ber Streichung biefes Sieles ift bie übergroße Mehrheit ber Menfchheit weit entfernt, ja, es ift fogar wahrfcheinltd), baß fie es nie erreichen wirb, aber ebenfo wahrfcheinltd) ift es, bajj fie ihm näher fommen fann.

SBorin befteht nun bas erreichbare ©lüd bes Menfchen?

®ie ©efd)id>te ber fithif gibt uns Slusfunft über bie Verfchiebenheit ber Slnfichten ber ^hilofophen über btefen ‘’Punft. Sin ©enuß fann nicht

©lüd bebeuten, wenn bie ©orge im fnntergrunbe lauert. Rieht ein furz=

ficbtiger greubentaumel, nicht bie Befolgung »on f>orazens leid)tfinni=

gern Vk>rt „Quid sit futurum cras, fuge quaerere“ (2Bas morgen fommen wirb, banad) frage nicht) »erbürgt bas ©lüd, fonbern in erfter Sinie bas Vertrauen, bajj man banf feiner Kräfte aud) wtbrigen©d)idfals=

ftürmen zum Sroß »orwärts fommen fann. 2lber gibt es für ben Men=

fd)en bie unbebingt ftchere ©ewähr, baß er fich burdmngt, wenn Kata=

ftrophen fommen? ©er ©inzelmenfd) ift boch nur -eine Seile im Baume ber Menfd)heit, taufenb anbere Seilen arbeiten in feinem Sntereffe; muß er nid)t mit zugrunbe gehen, wenn alles um ihn her »erbirbt? 60 ge=

langt ber Menfd) fchon »on bem engen ©tanbpunft bes reinen (£ubämo=

nismus aus zu ber (Einficht, bafe bie 3Bof)lfaf)tt feiner Mitmenfchen für ihn nicht gleichgültig fein fann.

(Seit unter bem ®rude ber Rotwenbigfett eines gegenfeitigen Schuhes bie ©taatenbilbung begann, ftellte fich aud) bie grage ber (Erziehung ein, b. h- ber planmäßig unb bewußt herbeigeführten f>emmung ber Ratur=

triebe bes Menfd)en burd) Rüdfichtnahme auf bie ©emeinfchaft. (Er- Ziehung, Bilbung, Kultur ift f>emmung unb Bänbigung ber Raturtriebe.

K u l t u r im © i n n e » on f i t t l i c h e r K u l t u r ift al f o nichts a n b e r e s a l s bas © t r e b e n nad) ei ge ne m © l ü d bei g l e i c h z e i t i g e r R ü d f i c h t n a h m e a u f b i e S B o h l f a h r t b e r a n b e r n , 3um mi nbef t en a ber u n t e r 2l u s f d ) a l t u n g e i n e r m ö g l i cb e n ©c h ä bi g u n g ber M i t m e n f c h e n ober ber R a d ) w e 11. — Kultur ift nicht bloße (Entwidlung ber eigenen 3*

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36 ® i e ‘S e b e u t u n g b e t © e n u & m i t t e l

‘’Perfönliffeit, Kultur ift © tf einsfüblen mit ber SÜRenff heit unb Ehr- furft »or ©ott.

Sie Kulturarbeit ber 3af)rtaufenbe prägt f if , äufeerlid) feftftetlbar, im 33au bes menff lif en ©ehirns aus. Über bem Sllthirn »ölbt fiel) ber bide Sftantel bes Sfteuhirns, fcas, ebenfo »ie bie graue fürnrinbe, im 93er- gleif 3um tieriffen ©ehirn aufterorbentlif entttndelt erff eint. ©eine

©anglienjeUen fenben, folange ber SÖlenff burf Eraiehung beeinflußbar ift, folange er lernt, b. h- bis ins SDtannesalter hinein, Ausläufer aus gafern, bie fid) ibrerfeits »teber oera»eigen, fo bafe baumähnliche Seil- gebilbe entftehen. Sie gafern oerffiebener Sellen treten nun bei geifti- ger 2lrbeit in 93erbinbung, fie »erben bemgemäfe auf ©ebanfen- ober 2lffoaiationsfafern genannt. Es ift oerftänbltf, bajj fich neue 23ahnen nortoiegenb bilben bei be»ujjt fonaentrierter ©ebanfenarbeit. Sen 3el=

len unb ihren SSahnen f f reibt man ©ebächtnis ju, b. h- ©ebanfenoerbin- bungen erfolgen im 93Meberholungsfafle leichter unb f f neller, wenn fie be»uftt reprobu3iert »erben.

2öas ber 3Renfd) empfinbet, unb fei es auf ber fluchtigfte Einbrud, ber nicht bis sum 93e»uj3tfein oorbringt, ift nicht »erioren; es fann per- brängt »erben burd) neue Einbrüde; bann f f läft es feinen Sornrösf en- fchlaf, bis bie 3Bäfter felber, non ber Slrbeit ermübet, fich 3ur 9tuhe ftreden. S u r f jebe geifttge ober förperlif e 2lrbeit »erben in ben in 2ln=

jpruf genommenen Sellen ge»iffe ©fladen, Ermübungsftoffe, S D tilf=

fäure -uf». eraeugt, bie befettigt »erben müffen, »enn bie Seile in nor­

maler 9öeife »eiterfunftionieren foll. Sas geffteht im ©flafe. Ser

©d)laf ift alfo not»enbig 3ur Erholung ber burf Slrbeit ermübeten Sel=

len, »äfjrenb n ift in Sätigfeit getretene Sellen auf im ©flafe »eiter­

arbeiten fönnen. Unfere Träume finb ntf ts anberes als bas ©piel ber tagsüber in bas rifenbe Sellengefleft oer»iefenen ober »erbrängten 93orftellungen. 3m gefunben © f laf träumt man alfo in ber 9tegel nift oon bem, »omit man f if Im 2aufe bes Sag es intenfio beff äftigt hat, aber törifte, mit menff li f er Kultur 'unvereinbare 93orftellungen unb unerfüll­

bare SBünff e, bie »ährenb bes Sages n ift ernftlif er 93eaf tung für »ert gehalten »urben, fie finb bann frei, ihren tollen ©puf 3U entfalten, ©ie fennen fein anberes ©efefc, feine Orbnung als ben Sufall, es ift bas

»ilbe 2öalten ber burf bie Er3iehung surüdgebrängten afoaialen 9latur=

anlagen bes 5ERenffen, Pielfaf in ihren urfprünglifften formen, ben

©elbftbehauptungs- unb gortpflanaungstrieben. Sßenn bann bas 23e-

»ufetfein, bie Überlegung, aurüeffehrt, »erben fie »ieber im ihr bunfles

©efängnis eingeffloffen, um jeben Slugenblid ber finfenben SBaffam- feit ihrer 2öäf ter aur Erneuerung ihres roilben Sanjes au benufcen.

Sas ©piel biefer Sämonen ift harmlos, folange ber 2Jtenff ihnen feine 93eaf tung ffenft. 3Bir fönnen fie aber ins 93e»uf;ffein heroor-

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® i e 3 3 e b e u t u n g b e r © e n u f c m i t t e l 37 loden, unb hier beginnt nun ihre ben Sötenfdjen förbernbe ober ihm »er­

berblich werbenbe STätfgfett. (Sie laffen uns als annehmbar, als möglich, als wirflid) er fd) einen, was ber fritifd) [id)tenbe 33erftanb ablehnen müföte. 2Ber fennt nicht, wenigftens burch bas ©tubium, bie 9ßahnoorftel=

lungen ber f)ppnotifierten, bei benen übrigens, aujjer bem fritifchen 33e=

wufotfein, nacheinanber faft jebe ©ehirnfunftion, jebe 3lrt oon geiftiger ober förperlicfjer Jätigfeit, aufeer ^raft gefetjt werben fann? 3Ber hat nicht fchon oon ben unglaublichen Srfchetnungen gehört, bie fid) bei f>p=

fterifchen einftellen fönnen, oon ben burch blofee Söahnoorftellungen er=

Zeugten Slnjeichen irgenbetner Sranfheit bis jur (Efftafe unb 33efeffen=

heit? Unb umgefehrt, welche ^ranfheit gibt es nach £oue, bie biefer mebijinifche Gharlatan burd) Srwecfung gegeigneter 33orftellungen nicht heilen ober wenigftens beffern gu fönnen glaubte? Unb wieoiele ISranf=

heiten hat er nicht aud) wirflid), wenigftens oorübergehenb geheilt? SBer benft ba nicht an bie SBorte ©oethes im gauft:

Berufe nicht bie wohlbefannte (Schar,

©ie ftrömenb fid) im ®unftfreis überbreitet,

®em SERenfchen taufenbfältige ©efaf>r 93on allen Snben her bereitet.

33on korben bringt ber fcfjarfe ©etftergahn 2luf btch herbei, mit pfeilgefpitjten jungen, 93on StRorgen gieh’n, oertrodnenb, fie heran Unb nähren fid) oon beinen ßungen, 3Benn fie ber SRittag aus ber Söüfte fchidt, 2>ie ©lut auf ©lut um beinen ©Reitel häufen, 60 bringt ber 2Beft ben ©chwartn, ber erft erquidt, Um bid) unb gelb unb 2lue gu erfäufen.

Sie hören gern, gum ©chaben froh gewanbt,

©ehorchen gern, weil fie uns gern betrügen,

©te ftellen wie oom Fimmel fid) gefanbt Unb lifpeln englifch, wenn fie lügen.

9tid)t ohne ©runb warnt ber dichter oor biefen ©pufgeftalten. glüchtig, wie fie finb, fönnen fie uns boch gu unltebfamen Begleitern werben, ja, fie fönnen foweit erftarfen, bafe nun auch bie fritifche unb hemmenbe Vernunft ihrer nicht mehr fjerr werben fann. (solche 3roangsoorftellun=

gen finb es, bie bem 3Renfd>en „taufenbfältige ©efahr" bereiten. £s gibt ^erfonen, bei benen bie überlegungsfähigfeit fo fd)Wad) unb bie Kräfte ber ^hantafie fo ftarf in Srfcheinung treten, bafc fie fich u. U.

ein außergewöhnliches (Ereignis fo lebhaft oorftellen, bafj fie nicht anbers baoon losfommen fönnen, als burd) ben 93erfud), es gu wieber»

holen. 23efonbers 3ugenblid)en in ber Übergangszeit, wo bie Urtriebe fidh

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38 ® i e 3 3 e & e u t u n g b e t © e n u f e m i t t e l

regen unb bas hemmenbe oerftanbesmäßige ®enten erft in ber (£ntwid=

lung begriffen ift, werben folche ^hantafiebtlber, wie fie ihnen oielfach burch Abenteuerromane, Seitungsleftüre (Berichte über ©erid)tst>er=

hanblungen, Sifenbafjnattentate, 95ranbftiftungen ufw.) »or bie Seele geführt werben, leicht oerhängnisooll.

2öie fchon ift ber Sraum, bas freie Spiel ber ^Phmitafie! Sr führt uns aurüd ins ^arabies, in bem wir unumfehränft herrfdjen, unfern Stieben ohne 9tüdfid)t auf bie Um= ober SDlitwelt freien Sauf laffen fönnen.

O, gibt es ©eifter in ber Suft,

Sie zwifchen Srb’ unb Fimmel herrfchenb weben,

©o fteiget nieber aus bem golb’nen Suft, Unb führt mid) weg ju neuem, buntem Seben!

3a, wäre nur ein Saubermittel mein Unb trüg er mid) in frembe Sänber, Sftir foüt’ er um bie föftlichften ©ewänber, Sticht feil um einen Königsmantel fein.

3Bir fönnen es wohl begreifen, wenn bie Sftenfchheit aus ber Arbeit unb (Sorge unb 9tot heraus fid) gern aurüdoerfefcen läßt in eine 9Rärchen=

weit bes Sraumlanbes. 3öie groß muß nicht bas (Entlüden jenes arabt=

fd)en ©eiehrten gewefen fein, als er, wie bie Sage erzählt, burd) Sufall einen Stoff entbedte, ber imftanbe war, jeberaeit biefen 3uftanb bes Sßeltentrüdtfeins unb bes fchranfenlofen fierrfchens ihm oor bie Seele ju aaubern. „A l Kehal", bas (Echte, bas ‘JBefentliche, fo nannte er biefen eigenartigen Stoff.

Unb Saufenbe unb SDtillionen haben feitbem oon bem ASunbertranl genoffen, unb fie haben bie Wahrnehmung bes arabifchen 3öeifen be=

ftätigi gefunben. Söaffer bes Sebens, Seiftanb ber Schwachen, Sroft ber betrübten, Reifer in aller Slot unb ©efahr, wer fennt fie nicht, biefe fdjwärmerifchen Veaeichnungen, bie feine Verehrer ihm betgelegt haben. (Er oertreibt jebes Seib, junger fowohl wie äberfättigung unb Appetitlofigfeit, Surft unb Abfdjeu oor ©etränfen, Kälte in gleicher Sßeife wie fnfee, er ift ein Saufenbfünftler unb fteht als folcher in hohen (Ehren — bei ber nid)tben!enben SSRenge. 2öer fönnte benn auch fehen, baß er fchwara ift unter weißer Sünche, noch baju, wenn er uns »orher eine rofa Vrille auffeßt? Senn leiber hält er, ach, fo wenig oon bem, was er oerfpricht. Statt Kummer, 9tot unb Sorgen ju befeitigen, führt er fie heran, ftatt Kranlheiten au heilen, oeraögert er bie ©efunbung, ftatt ben Sob au oerfcheuchen, lodt er ihn nahe, ftatt ben Körper au ftärfen, fd)Wächt er ihn, ftatt Ablühlung in ber Sonnenglut bringt er neue f)iße, ftatt (Erwärmung im 3öinterfroft ben Kältetob, ftatt ben Seib au nähren, hüllt er fid) in bas äußere ©ewanb echter Nahrungsmittel unb gibt fid)

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® i c 9 3 e b e u t u n g bei; © e n u f e m i t t e l 39 als oollwertigen Erfat; aus, fo baß SRangel an oollwertiger Nahrung cintritt, ftatt ben ©eift ju beleben, lätjmt er itjn, ftatt it>n ju bereichern, raubt er if)m bas, was ihn über bas 3Tier hinaus ergebt: 93ilbung,

©efittung, ©ewiffen, fojiales (Empfinden. 55ielleid)t bas fcf)limmfte babei ift, baß biefe SBirlungen nicht fofort in finnfälliger Söeife gu Sage treten, unb baß gerabe bie, weldje ihnen unterliegen, felber erft am fpäteften baoon etwas merten. 2lber es bleibt nur gu wahr, baß auch geringe SRengen nicht anbers toirfen. Erft bie wiffenfchaftliche gorfchung ber lebten oier 3ahr3ehnte fonnte biefe 33erhältniffe fiarftellen. Slber es hat aud) in früheren 3af>rl)unberten nid)t an fd)arfen Senfern gefehlt, welche bie wahre Natur bes 2IHot>ols burdhfchaut haben, ©o fagt Kant, ber große 3D3cifc oon Königsberg, obwohl er felber bem SBeingenuß nicht abholb war: „3m Suftanb ber Srunfenheit ift ber Sftenfcf) wie ein Ster, ni$t als ein SRenfd) gu behanbeln... Saß fich in einem folgen 3uftanb gu oerfeften 33erleßung einer Pflicht wiber fich felbft fei, fällt oon felbft in bie Slugen. Sie erfte biefer Erniebrigungen, felbft unter bie tierifche Natur, wirb gewöhnlich burd) gegorene ©etränfe, aber aud) burd) anbere betäubenbe Nlittel, als ben Nlohnfaft unb anbern “’Probuften bes ©e=

wäd>fereid)es bewirft, unb wirb baburd) oerführerifd), baß babei auf eine SBeife eine geträumte ©lüdfeligfeit unb ©orgenfreiheit, ja wohl aud) eine eingebilbete ©tärfe heroorgebrad)t; fd)äblich aber baburd), baß nachher Niebergefd)lagenbeit unb ©d)Wäd)e, unb was bas fchlimmfte ift, Notwenbigfeit, biefe Betäubungsmittel 3U wieberholen, ja, wohl gar bamit gu fteigern, eingeführt wirb1)."

Ser 2Utof)ol ift alfo nicht ber eingige biefer Sauberer, ©eigentlich läßt er fid) burd) einen anbern, oielfad) ftärferen feiner ©enoffen oer=

treten, bann wirb er nicht oermißt. Opium, SKorphium, f)afd)ifd), Sther, Ehloroform, Kofain, fi)eroin u. a. laffen fid) leicht an feine ©teile fetjen, oielfad) aber läßt er fi«h auch burd) feinen Heineren 33ruber, bas Ni=

fotin, unterftüfcen. ©ie alle wirten in berfelben Nichtung, wenn aud) jebet in einer befonberen gärbung unb Slbtönung.

2Bie bringen fie bas SBunberbare juftanbe?

3hnen allen gemeinfam ift bie Eigenfchaft, gette unb fettähnliche

©toffe aufjulöfen, ja, gerabe für bie (enteren, Sipoibe (oom griechifdjen lipos = gett) genannt, fd)einen fie eine befonbere Vorliebe gu haben, gettähnliche ©toffe nennt man fie, weil fie gwar in ihrem 2lufbau ben gelten recht unähnlich finb, aber fid) ben Narcoticis gegenüber wie gette oerhalten, b. h- fid) oon ihnen burchbringen laffen. Unoeränbert burd) bie ©efrete ber ©chleimbrüfen ober burd) ben SSRagenfaft gelangt ber 2llfohol ins Blut unb heftet fid) nun befonbers an bie Neroenbahnen.

*) jitiert nad) Sfredet, 2Ilfo!)oI unb (Etfjif (33erlin, 9teuicmb-S5erlag), eine Scfirift, bie id) aufs Ȋrmfte empfehle.

(8)

40 S t e 2 3 e b e u t u n g b e t © e n u j j m i t t e l

Sie oerhältnismäßig größten SERengen fefjen fid) im ©ehirn feft. Sie julefct gebilbeten, mit 5er noch äarteften ©chutjfchicht umfleibeten Slffoaiationsfafern, unterliegen am erften feiner Einrotrfung. ©ie oer=

mitteln, »ie wir fahen, bas gulefet ©eiernte, bas SReuefte, 'Sßertootlfte, bie Erfahrungen ber lebten Seit. Sie Sellen haben1) lein anberes SÜRittel, ben Einbringling unfchäblich au machen, als ihn mit einem Opfer au fättigen. ©ie überlaffen ihm ben ©auerftoff, ben fie au ihrer regelmäßt=

gen Slrbeit bringenb braunen, um bie Serfallprobulte au binben. Siefe werben bemgemäß nicht entfernt, bie Sellen fönnen fich nur burd) längere 9tuhe, burd) ©chlaf wteber erholen.

3e bider nun bie Sellwanbungen, befto fpäter erfolgt bie Söirfung.

Sie Söohnungen ber leichtbefchwingten Kinber ber “iphantafie, aber auch bie ber bunflen Sriebe ber tierifchen SRatur, bes SRachttriebes unb ©e=

fchlechtstriebes, »erben burch bie Betäubung ihrer 2Bäd)ter, ber hem=

menben Vernunft, ber foatalen Empfinbungen, aunächft in greiheit ge=

fefct, um bei ftärferen ©aben fchlteßltd) auch ihtem Befreier aum Opfer au fallen.

3ft ber 2llfol)ol bemnad) nicht ein Bruber bes erquidenben ©chlafes unb als foldjer wert, baß man ihn fegne? ©ewiß ift feine “Jöirfung ber bes ©djlafes nicht unähnlich, aber er ift ein falfdjer Erfafe. 2Bo bleibt bie Erfrtfdjung, bie Erholung? 3öohl täufcht er uns foldje ©efühle t>or, aber es finb leiber nur ©efühle ohne entfprechenbe ©runblage. Oft es überhaupt oorteilhaft, ©chmeraen unb Unluftgefühle au betäuben? ©ie bringen oor bis au ben ©anglienaellen ber Überlegung, bie fie uns erft bewußt machen, bamit bie ©egenwehr organiftert, hetlenbe Kräfte mobil gemacht »erben fönnen. ©ie finb bas 2llarmfignal, bas bur<h 2Ilfof)oI abgeftellt totrb. ©ollte es gut fein, wenn toir bie 2llarmglode nicht hören?

3ft bie ©efahr nicht mehr ba für ben ©trauß, wenn er feinen Kopf in ben ©anb bohrt, um feinen geinb nicht au fehen?

Es ift fein Sßunber, wenn ber 2llfohol als ein bas 2eben ftarf oer=

füraenbes, Kranfheit bringenbes Element erfannt würbe. 3Ber fönnte all bas Elenb unb bie SXlot ermeffen, bie fid) in feinem ©efolge befinben?

Unb bietet er fid) nicht immer toteber an als Reifer unb 5letter?

Sie Sellen fudhen fid) gegen erneuten Sllfohol au wehren, inbem fie ihre fchüfcenbe 2ipoibfd)td)t oerftärfen. ©oll alfo bie gleiche SBirfung eraielt roerben, bann muß bie Sofis erhöht werben. 3ßef)e bem, ber ben 2llfof)ol regelmäßig genießt feiner SSMrfung wegen, weil er ihn bie Bit«

ferfeit bes Safeins oergeffen läßt. Ser Sllfohol gibt nur gegen Berftär- fung feiner “’Pofition, unb oerftärft fehren, faum ift er weg, bie hof)l=

wangigen ©efpenfter aurüd, gegen bie er angerufen würbe. Sas ift bas

*) nad) einet wofjlbegtiinbefen tüifTenfcfjafflicljen ^ppot&efe.

(9)

D i e 2 3 e b c u f u n g b e r © e n u j j m i t t e l 41 Verhängnis bes Süchtigen, es treibt ihn, um ein Sichtermort gu gebrau- ehen, oon ber 33egierbe gum ©enujj unb im ©enufe Derfd)mad)tet er oor

<23egierbe. Aud) hier ift bas Verbängnisoolle, bafo ber Anfang com Enbe oon bem Opfer nicht gemerft wirb. 9öer aber unruhig ift, wenn er nicht feinen täglichen Schoppen geturnten ober feine beftimmte Anzahl 3*=

garren geraucht hat, ber fann fich 8U ben Opfern unb Sflaoen bes ©e=

nuffes gählen. SBer einem Darfotifum oerfallen ift, für ben gibt’s, roenn er feiner Seibenfchaft frönen will, Weber Anftanb noch Düdficht, toeber 33ebenfen ber golgen noch hinbernbe ©efeftesoorfchriften.

Es wähne fich niemanb ficher oor biefem geinbe, toenn er ihm nicht aus bem Söege geht. Ser Daufchtranf läßt fich helfen oon ftarfen 33unbesgenoffen, er oerfügt über bie mobernften Kampfmittel, über bas unftchtbare, 3unä<hft nicht wahrnehmbare, aber trofjbem Derberbliche

©iftgas ber öffentlichen SRetnung unb ber Sitte. 2Bem ift bie öffentliche SSReinung verantwortlich? Diemanben. fjat bie öffentliche SReinung ein

©etoiffen? Kaum. Kennt bie öffentliche SReinung Vernunft unb Kritif?

Selten. Sie SRaffe überlegt nicht. 33on ihr fagt Schüler:

3eber, ntmmft bu ihn einsein, ift leiblich flug unb oerftänbig;

Sinb fie in corpore, gleich wirb bir ein Summfopf baraus.

Sie SRaffenfuggeftion macht oor niemanbem halt, wenige nur finb gegen fie gefeit. Saffen wir uns nicht mitunter gegen unfere urfprüngliche über=

geugung im Sheater, nach einem Vorträge gum SÖeifallflatfchen mit- reiften? Dicht umfonft fprechen wir oon Anftedung. Unzählige SSetfpiele traurigfter Verirrung ber öffentlichen 3Reinung bietet uns bie ©efchichte, Don ber Selbftmorbepibemie ber Jungfrauen oon SRilet unb ber oon

§>erobot berichteten ßpfanthropie (bei ber bie SERänner wie bie SBölfe heulten), über Kinberfreuggug, ©eifelerfahrten bes SERittelalters unb f)ejenwahn bes 16. unb 17. 3ahrhunberts hinweg bis gut mobernen

„Stimmungsmache" einer gewiffen 3eitungspreffe. Sie öffentliche 3Rei=

nung ift ein gar gu trügerifd) Sing. Unb faft allmächtig. SBer gegen ben Strom 3u fchwimmen wagt, auf ben geigt man mit gingern, ber ift gum minbeften ein Sonberling.

Unb mit ber öffentlichen SSReinung oerbünbet ift bie öffentliche Sitte.

„ ‘JBas will benn ber Söafferapoftel, ber Störenfrieb, unter uns fröh=

liehen 3e<hern?" Saffen fich nicht folche ©ebanfen aus ben ©efichtern ber Kneipgenoffen lefen? 3Ber einmal eine 33erfammlung mitgemacht hat, in welcher 33raufned)te gegen Alfoholgegner mobil gemacht würben, ber hat eine ungefähre SSorftellung oon bem, was unter bem Schufte ber öffentlichen 9Reinung unb Sitte Dorfommen fann; in Deoolutionsgeiten würbe ber Duf ertönen: A la lanterne!

(10)

42 S i e S S e b e u t u n g b e t © e n u j j m i t t e l

Sie fcblimmfte 2Btrfung ber Rarfotifa ift bie (Erfdjlaffung unb Sr=

tötung ber fokalen ©efühle, bes ©etüiffens. (Es gibt feine größeren (Egoiften als alte 3ed)fumpane. ©d>on ein oerhältnismäßig fo fchwadjes Rarfotifum, tote es bas Rifotin ift, geigt biefe SBtrfung. f>at ein Ieiben=

fchaftlicher Raucher jemals Rüdfidjt barauf genommen, ob er feine Um=

gebung burd; ben giftigen Sabafraud) beläftigt? ©ewiß, toenn er gut erjogen ift, fragt er bie Samen in feiner Begleitung, ob fie bas Rauchen geftatten. 2lber loeldje Same bringt benn footel Mut unb geftigfeit unb ---- Unl)öfltd)fett auf, nein gu fagen? Um bie Beläftigung nicht altau=

fel>r au fpüren, rauben oiele notgebrungen mit. Siefer Mangel an Saft unb geingefühl in bejug auf bas Rauchen ift gerabeju ein (Eharafterifti=

fum bes Surchfchnittsrauchers.

©chlimmer nod) tft biefe SBtrfung bei ben anberen Betäubungsmitteln.

Ser ©enießer fennt nur feine ©onberintereffen. 3e mehr mir im SllfohoU fumpf oerfinfen, befto gasreicher werben bie SBirtfchaftsgruppen in unfern Parlamenten werben, befto größere f)inberntffe werben fid) aud) einer wahren Bölferoerföhnung in ben 2öeg ftellen.

(Es ift außerorbentlid) fchwer, fid) ber Maffenfuggeftion gu entgtehen.

Ratürlich gelingt bas einem nüchternen ©ehirn leichter als einem anbern, bas feinen 2lberglauben immer wieber aus erfter Quelle nährt. 2ßie oerheerenb fie wirfen fann, geigt bas Betfpiel ganger Bölfer. 3n 3nbten ift bas Opiumlafter allgemein oerbreitet. 3hm hulbigen alt unb jung, Männer unb grauen. Man gibt Opium ben Kinbern in ber Söiege, ba=

mit fie ruhig unb fräftig werben, ©reife rühmen, baß fie biefem 3ßunber=

ftoffe ihr hohes 2llter oerbanfen. Man genießt Opium bei jeber ©elegen=

heit, bei ©eburten, £>od)geiten, Sobesfällen, beim ©cheiben unb 3öieber=

fehen, bei greub’ unb 2eib. Opium hilft gegen junger unb Surft, gegen gteber unb ©chlangenbiß, gegen fuße unb Kälte, gegen ©dmierg unb ßeib. M it 2lbfd)eu fprechen bie 3nber bagegen com Sllfoholismus ber (Europäer, ber Urfadje oon Kranfheit, Rot unb Degeneration1). ©o fonnte es fommen, baß bie 3nber faum gemerft haben, baß ihnen polt*

tifche geffeln angelegt würben. Unb auch jeßt noch tröffet fie ber ©enuß über biefe Kned)tfd)aft hinweg. 3n ber Befreiung oom Optumwahn fieht beshalb ein gührer wte ©anbht bie notwenbige Borausfeßung ber polt*

tifchen Befreiung feines Bolfes.

3ßar es nicht Spfurg, ber ben ‘SBeingenuß ber unterjochten Bölfer befürwortete?

SBie fteht bod) bas benfgewohnte cE)inefifcf>e Bolf fo gang anbers ba!

Man rühmt ben (Efjinefen als ben heften ©efchäftsmann ber SBelt. Sas ift glaubhaft, wenn wir fehen, wie bet ben <XI)inefen oernunftmäßiges,

*) 6. §o[jt[c&er, 3lHof)oIfitte — Opiumfitte. SDtüncfcen, (Evnft 9teinf)arbt.

(11)

© i e 3 3 e b e u t u n g b e r © e n u g m i t t e l 43 Iritiffes Senfen feit 3ahrtaufenben gepflegt toorben ift. Ses rf)ineftfcf)en SBeifen Konfuzius erfter ©runbfaft toar: Sie Orbnung ift bas §aupt=

gebot bes frimmels. Sie (£I)inefen erfannten bie wahre Statur oon Alfofjol unb Opium unb haben fid) jebergeit baoon freijuhalten oer=

ftanben. 3Rit 2Baffengetoalt nur fonnte Englanb nach gtoeijährigem, mit mobernften Krtegstoaffen geführten Krieg bte Einfuhr oon Opium er=

jtoingen. Aber noch toährenb bes 2Belt!rieges toar ber Anbau oon Opium in EEjtna bei Sobesftrafe oerboten. £>ier in Ehina 3ufriebenheit, Söohlftanb unb greiheit trotj innerer S^rriffenheit, bort in 3nbien Knef tff aft, 9lot unb Elenb troß reif fter Sftaturgeff enfe.

Srotsbem hat bie finefiff e Kultur ihre tiefen ©chatten, ©ie ift bei aller Sebensfähigfeit oerfnöfert, unb nirgenbtoo ift ber Aberglaube in allem, roas über ben menff liehen 55erftan5 hinausgeht, fo perbreitet tote hier. 21 u f bas ift oerftänblif. Ser SRenffengetft finbet feine Befrie=

bigung nur in ber harmoniffen Ausbilbung feiner Kräfte. Söenn ber 3ntelleft gar au fehr gepflegt toirb, bann mufj, roenn ©emüt unb ^3han=

tafie n ift allgufehr oerfümmern follen, eine 5teaftion eintreten. Auf ben teils bobenftänbiff en, teils oon europäiff en 9teifenben aus Ehina n af Europa oerpflanjten Nationalismus bes 18. 3ahrhunberts folgte ber 3Skhn ber 5teoolution, bie Blüte bes Aberglaubens, bas Überhanbnehmen ber SBahrfagerei, bis bie © f toärmerei bes Stomantijismus bann in ge=

funbere Bahnen lenfte. Sas 3ahrhunbert bes aufs hoffte gefteigerten 3ntelle!tuali5mus unb SEHaterialismus tourbe abgelöft oon ber Seit bes 3m= unb Ejpreffionismus, bes Futurismus unb Sabaismus, bes ©efunb=

betens unb ber Anfropofophie, ber Berauff ungsfeuf e unb 23ergnü=

gungsfuf t als Seifen unb Sufoerung eines nadten egojentriff en §>ebo=

ntsmus. Sie Krone bes Baumes toar ins Ungemeffene getoaffen, ber

©tamm aber toar jurüdgeblieben. ©o fogen bie 3Burgeln wahllos ge=

funbe unb f f le f te ©äfte hof.

A u f heute nof hat Santes betoeglif e Klage n ift ihre Bereftigung eerloren:

O, ftolge Ehriften, elenb, qualumfangen, 3rrtum m af t euer geiftig Auge blinb;

‘Küdgleitenb glaubt ihr oortoärts ju gelangen.

3n ben tiefen © fäften bes Unterbemufetfetns harren reife ©fätje ber görberung. Aber nur ftrenge Kontrolle fann bas ©Ute oom © f le f ten unterff eiben. A ks ber 5tauff geift ans 2i f t gaubert, bas ertoeift ber fiftenbe unb prüfenbe Berftanb gumeift als Kafeen= unb glittergolb.

5Bas oon bem Abfall n ift roieber oerfenft toirb, bem toirb gar leift burf bie blojje Borftellung gunäfft, bann burf ben ©lauben ein fal=

f f er ‘ffiert beigelegt; benn roas glängt, erfreut unb befriebigt bie ©inne.

(12)

44 ® i e Mazdaznan- Set oegui t g

3Benn aber 5er ©taube zur Überzeugung heranwädjft, bie ben Schein jur (Echtheit »erbittet, aus ihm Münzen prägt unb biefe SERünzen als

»ollwertig in ben 33erfehr bringen Will, bann ift’s Seit, bafe fich her benfenbe Seil ber SIRenfchheit wehrt. (Es gibt fo wenig wahre SBerte, gern fchmüden wir uns mit bem Schein, unb folange biefer nicht (Echt=

heit nortäufcht unb harmlos ift, ift bas aud) berechtigt, ©ern aud) fpielen wir mit ben freunblidjen Äinbern ber ^Phantafie, bie feit alter 3eit in 2Rärd)en, SKpthen, (Sagen unb Segenben ©eftalt angenommen, in guter

^lunft unb SKufi! unferm (Erleben nahe gebradht werben, ©ern follten wir uns aud) befchäftigen mit ben 35orftellungen, bie uns ber religiöfe

©lauben ber ^tnbheit übermittelt hat, unb uns in ihre SRpftif oerfenten.

©enn fie fönnen nicht in Disharmonie geraten mit ber Orbnung ber SBelt. SBerben Kräfte biefer 2lrt gepflegt, bann ift fein 9iaum mehr für ben fa llen oerberblichen Aberglauben, wie er uns nid)t zum wenigften in ben lanbläuftgen 2lnfd)auungen über ben Sllfoholismus entgegentritt.

3Benn ber alte 6o!rates lehrte, bafj STugenb SBiffen fei, fo ift bas oietleid)t eine Übertreibung, aber es ftedt bod) eine tiefe SBahrheit in biefem SBorte. Senn je reicher unb einbringenber im 3Renfct)en bas 3Bif=

fen um fein 3iel unb feinen 2öeg ift, befto mehr runbet unb »erlieft fich biefes 2öiffen zum © e w i f f e n , bas, ursprünglich »ielleidjt nur beftimmt, ihn zu leiten, im eigenen Öntereffe feines Prägers auch bie SERitmenfchen auf bie ©efahren, bie ihnen brohen, aufmerffam macht, ihnen bas Siel Zeigt, bem zuzuftreben wahres ©lüd oerbürgt. (So banbelt er feiner innern Pflicht gemäß. Oe tiefer aber bie (Einficht bes Belehrten, ■befto taten*

freubiger fein ^Bollen. Unb wer oon uns fönnte ber ^Belehrung entraten?

SEßir alle haben ©runb, mit bem ^falmiften bemütig zu befennen unb zu beten:

2ßer erlennet feine ©ünben? ^Reinige mich, o §>err, oon benen, bie mir oerborgen finb.

Mazdaznan ^35ßtDC£}Ung

5}on 21 u g u ft S K c f f c t

2öas bebeutet M azdaznan1)? 3n einer programmatifchen Sunbgebung ber M.-©emeinfchaft, Zentrale §>errltberg2) (bei Zürich) finben wir bar=

auf bie Antwort: M azda bebeutet: höchftes 3beal bes SRenfchen ober

x) SKan |ptid)t: Sftasbasnan (mit bem Sen auf ber 3»eiten Silbe). 2tucf) ift biefe Schreibung im ®eutf<$en »telfad) gebrnucfelid).

2) ©tefe gibt aud) eine SKonatsfcfcrift heraus: Mazdaznan, KV. 3g. 1927/28. (£ine ältere, unter bemfetben STitel, erfdjien in bem M.-25ertag, ßeipjig. 2luf fie bejieben ft<^ unfere gitate.

(13)

5) i c M a z d a z n a n - 3 3 e t D e g u n g 45

höd>fter ©ebanfe; znan, abgcfürgt aus yaznian, Reifet Verehrung; tn ber

^ufammenfefcung bebeutet es einen SEItenfchen, ber feine religiöfen ^Pflicf)=

ten meifterlict) übt. 2lIfo furz: Mazda = ©ebanfe, znan = SQteifter;

M azdaznan — SEJteiftergebanfe.

Ser Name foll einen altarifctjen STemplerorben bezeichnen, ber in münblicher Überlieferung bie älteften Sefjren ber Arier bewahrt habe1).

Vor über neuntaufenb 3af)ren hätten biefe ihre göttlichen ©aben burd) Ainpahita (Anahita nach bem Aoefta) empfangen. Stwa z»ei=

taufenb 3ahre fpäter habe Sarathuftra ihre gerftreuten „perlen" ge=

fammelt unb fie bem Volfe in neuer gorm gegeben. Ser ^erferfönig (tprus habe Sarathuftras ßehre roieberertoedt. Von ben Werfern fei fie auf bie ©riechen übergegangen. Von biefer Srabition beeinflußt feien bie ^pthagoreer, ©ofrates, Plato, Ariftoteles, 3efus, ‘■piato, bie 9teu=

platonifer; auch bie ibealiftifche beutfehe ‘’PhifofoPhie eines Kant, gichte,

©chleiermacher. Unter ben neueren nennt man als geiftesoeroanbt Stie g e , Sagarbe, Sergfon2).

Dr. Ototnan Sarabuht f) a ’ n i f h (£>anifd)), geb. 19. 12. 1854 (ober 1844?), roohl ruffifdjer Abftammung, ber feine Ausbilbung in einem zen=

tralafiatifchen Klofter erhalten haben foll, jefct in ßos Angeles roohnenb, trat 1902 als ©enbbote ber ßehre in (thifago auf. 9vafd) fanb fie aud) in Seutfchlanb, öfterreich, ©chtoeij, Snglanb Verbreitung. 3m 3ahre 1907 mürbe Saoib Ammann t>on|)anifd) jum Votfchafter ber beutfchfprechen- ben ßänber ernannt. 1915 mürbe bas M.=f>aus unb Kolleg in fterrltberg bei Sürid) feierlich eröffnet. 3Rel)rfad) hat bort auch Dr. fm’nifh ge=

fprochen. Ser ßeiter ber bortigen Zentrale ift jetjt Gcmilio © o m m e r , ein geborener granffurter, ber lange in 3talien tätig mar.

2Jtan fann bie M.=Vetüegung mohl als eine r e l i g i ö f e anfprechen, fofertt man in ber innern Beziehung bes SOtenfchen zum „Abfoluien" ein Söefensmerfmal ber Stetigion fieht. Als Abfolutes, unb zwar fomohl als abfolute 3BirfIid)feit wie als abfoluter Söert gilt hier ber göttliche ©e=

banfe, als Quell alles ßebens3). Siefer Urgebanfe loirb babei nicht toie im Shriftentum als eine oon ber 3öelt cerfchiebene „^erfönlidjfeit" ge=

faföt, oielmehr gelangt bas getftige Urprinzip erft in ben 3)tenfchen zu 3d)=

beroufetfein unb bamit zur „^erfönlichfeit". gür ben religiöfen (Eharafter ber Veroegung fpridjt aud), bajj bie ßehre als uralte Srabition fortge=

pflanzt unb als unfehlbar angefehen toirb; ferner bafe in bem ©emein=

fd)aftsleben getoiffe Kultusformen beobad)tet merben. Anbererfeits bean=

jprucht man feine Autorität, macht feine eigentliche “’Propaganba. Sie Anhänger ber ßehre follen oollfommen im 33emufetfein ihrer greiheit

| 8, 108.

2) 8, 9 ff., 50 ff., 63 ff., 99, 150 f., 160, 227.

*) 8, 42 f., 13, 54 f.

(14)

46 S i e M a z d a z n a n = 35eto e g u1tg

bleiben unb fid) nicht gebunbett füllen. 3Jtan will aud) feine befonbere

„Sefte" fein1), 3eber foll feinem Befenntnis treu bleiben unb bie Über- geugung bes anbeten achten. 60 foll M. gleidjfam als „bogmenfreie Uni=

oerfalreltgion"2) feine 2lnl>änger allenthalben tote in einer „unfid>tbaren Kirche" fammeln.

©er gewöhnlichen Sluffaffung gilt bie alte 3arathuftra=9teligion als ausgesprochen b u a I i ft i f d): bem guten Sichtgott Ahura Mazda (Or- mugb) wirb ber böfe, finftere Angro Mainyus (Slrhiman) gleichfam als ebenbürtiger SBibergott gegenübergeftellt. Ser bualiftifc^e E^aratter, ber ja in ber Polarität alles Sehens, befonbers alles ©eifteslebens, eine mäch=

tige Erfaljrungsgrunblage hat, ift aud) in ber heutigen M.=2el>re ohne weiteres ertennbar; fie ift infofern eine Kampfesreligion; aber fie ift oon einer fo guoerfidjtlichen Hoffnung auf ben ©ieg bes ©uten burchbrungen, bafe bas Böfe nicht als ebenbürtiges ^Pringip mehr anerfannt wirb. §rei=

lieh heifet es in einer „Mazdaznan=Erflärung (einem 2lrt ©laubensbe- fenntnis), bafe in bem in fierrliberg gebrauchten Sieberbuch „Sieber unb

©prüche" fteht: „Sie Kranfheiten, ©d>mergen, f>afe unb Zwietracht finb nur golgen bes ©tarrfinns, ben ber ©toff entgegenftemmt bem ©eift."

frier Hingt noch bie alte buaKftifdje Sluffaffung oon bem SBiberftreit bes guten unb böfen ^rinjips (bie mit „©eift" unb „©toff" gleichgefefet wer=

ben) burd). 9Jtan neigt aber jefet mehr bagu, im Böfen etwa nur einen 9Rangel an ©utem ober eine Übertreibung bes ©uten gu fehen. „Ser STeufel ift feine 3ötrtlid>feit3)." SBohl aber ift bie gange erfahrbare 3öelt eine fpmbolifd)e Sarftellung bes ©öttlichen. „Silles ift oon ©ott4) unb

©ott ift bas 21U"5). SBie bamit bie STatfache oereinbar fei, bafe nun bod>

bie SBelt aud) footel SBibergöttliches, Unreines, Böfes aufweift, bas mag hier bahingeftellt bleiben, ^ebenfalls fällt es ben Slnhängern ber Sehre um fo Ieid)ter, berarttge ©rübelprobleme auf fid) beruhen gu laffen, je mehr ihre innere ©nfteltung eine pra!tifch=päbagogifd)e, auf Kampf, auf 9teform, auf f)öherentwidlung ber jetjigen wte ber fotnmenben ©enera=

tion geri^tete ift.

„Vorwärts gilt es gu ringen... niemanb etwas übelnehmen, felbft wenn es aud) einigermaßen übel erfdjeint. 9öir erfennen bod) bas Üble gar nicht an. 3n ber ^Phüfophie ber SUlagbagnanlehre gibt es nichts Bö=

fes. SBir wiffen blofe 00m ©uten" unb „bas 3cf) hat fid) oerförpert, um aus allem bem ©uten etwas Befferes gu fchaffen". (©0 „Sßorte bes Sfteifters" [ogl. unten], ©. 108).

*) 8, 159.

») 14, 139.

’ ) M. (§errliberg), III. 3g. 26/7., ö. 10, ® . 146; ogl. 8, 117.

*) 14, 67. °) IE . 3g., 145.

(15)

i c Ma z da z n an* ^8 elü e gung 47 SJRit biefer praftifdjen Sinftellung ftefjt aufs befte im ©nflang ein op=

timiftifcher g r e i E j c i t s g l a u b e . ©o wirb benn immer wieber an ben freien Söilten bes SKenfchen appelliert unb ihm bie übergeugung fugge=

riert, baft er alles fann, wenn er nur will unb — bie ©efeße ber Datur refpeftiert.

©o führte Dr. |ja’nifl) in einem Vortrag, ben er am 10. Slug. 1911 in

‘Berlin hielt, aus: „®er SRenfch muß feine Befreiung fchaffen burrf) feinen eigenen SBillen. 3 <h muft gewillt fein, baß ber ewig wirfenbe ©eift b u r ch m i ch fid) offenbare." „Alles ift bem SRenfchen möglich, infofern als er es w i 11, unb biefen SBillen nad) ben ©efeßen ber D a t u r a b = 3 u m e f f e n , bas ift bas gange ©ebeimnis." („3Borte bes SEReifters".

Vortrag in Berlin 1911, 1923/4. |jg. o. b. 3Ragbagnan=Sempel=53ereini=

gung, ßoge Verlin. 1924, ©. 24 f.)

Auch hier brängt fid) wieber bie grage auf, toie biefer greiheitsglaube oeretnbar fei mit ber ftarfen Bewertung ber r a f f e n mäßigen 33eftimmt=

heit ber SERenfchen; ehenfo toie ber ©ebanfe, baß M. a ll e SERenfchen gur

£>öhe, gur geiftigen „3Biebergeburt" führen foll, in Sinflang gebracht werben fönne mit ber Übergeugung, baß bie arifche Daffe bie fchledjthin höchfte bilbe1). Siefes VS ert urteil toirb bamit begrünbet, baß bie f a r = b i g en SRaffen ihre Entwidlung abgefchloffen hätten, geflärt unb gufrie=

ben feien, ©ie fönnten barum bie weiße Kultur nicht in fich verarbeiten, fonbern fid) ihr böchftens äußerlich anpaffen, ©ie weifte. Daffe habe bagegen ihr 3iel unb ihre ‘Beftimmung noch nicht erreicht. ®aher ihre Unruhe, ihr SBanbern, ihr ewiges ©ud>en unb ©treben. greiltch toenn biefe Daffe fo gerriffen bleibe, roie bas gegenwärtig ber gall fei, »erbe fie ihr Siel nie erreichen. ®agu bebürfe es ber Vereinigung ber gangen Daffe gu einem griebensbunb. „Sann erft, toenn alle gähigfeiten bes SBeiften ihren gemeinfamen fwhepunft erreicht haben unb in jebem eingelnen oer=

eint unb oerförpert finb, fann toieber etwas höheres baraus heroorgehen, eine höhere ©tufe, eine neue Daffe, bie „ h e l l e" ober „burchfichtige"

Daffe. 5)as ift ibas große Siel ber weiften Daffe, unb barin befteht ihre Erlöfung." (©o f)a’nifh in feiner „Mazdaznan=SRaffenlehre", überf. oon 3). Ammann. M.=Verlag, fierrliberg, 1919. ©. 95.)

Sine ©chwierigfeit bleibt natürlich hier beftehen. ©er ausgeprägt päb=

agogifd)=praftif<he ©eift ber 'Bewegung feftt greiheit unb (Entwidlungs=

möglichfeit überall ooraus. ®ie Daffentehre bagegen, aus naturwiffen=

fchaftlidjer ©enfweife ftammenb, fteht unter bem ©efichtspunft ber burcb=

gehenben faufalen Vebingtheit unb 53efd>ränft>eit unb bamit ber SRot=

wenbigfeit (Unfreiheit). Vielleicht fann gwifchen ben fcheinbar wiberftrei=

tenben ©ebanfenfomplejen bie Vrüde gefchlagen werben burch bte Auf=

!) 8,150 u. ö.

(16)

48 5) i e M a z d a z n a n = 2 3 c t ü e g u n g

faffung, baß bas ©öttlidje fid) in einer Sftannigfaltigfeit ber Stufen, ja fdjiteßltch in jebem Onbiötbuum in befonberer 2lrt barftellen folle, baß aber boct) jeber freilich in ben ©rennen feiner Stufe unb 3nbteibuali=

tat — feine greiheit betätigen fönne. ^ebenfalls hält fid) bie hohe ^3e=

Wertung bes 9taffenmäßigen frei oon allem 9taffenf)aß, allem ganatis=

mus; melmehr hat ber ©ebanie bes „ewigen griebens" unb bes 33ölfer=

bunbes bei ben Anhängern ber M.=lehre begeifterte greube gefunben1).

SOlag M, eine Religion fein, fo ift es {ebenfalls eine 5)i e s f ei t s = religion, mag es eine ^hilofophie fein, fo ift es eine Siesfeitsphüofophie.

greube unb ßebensbejahung bitbet feine ©runbftimmung. „2öir finb hier auf Erben, um uns ber Schäfte gu erfreuen, bie bie Statur uns offen*

bart." „3öas bu aud) tuft, tue es mit Sanfbarfett im |jergen!"2).

Dabei wirb bas Siel bes 9Renfd)en als ein rein irbifdjes gefaßt, unb gwar als oolle ©lüdfeligteit auf Erben. „Es ift jebem SJtenfchen möglich, fold)e 33oll!ommenheit bes ©elftes unb bes Selbes gu erreichen, um bann fid) bem 3eitgeift anjupaffen unb aus biefer Erbe, biefer Statur, bas au erreichen, was t£>n glüdfelig macht" (Söorte bes SJteifters, 15 f.; ähnlich 35, wo „oöllige ©lüdfeligteit" in 2lusfid>t geftellt wirb).

Sie naheltegenbe grage, ob es überhaupt richtig ift, bas Siel bes Sötenfdjen im ©lüd gu fehen, ferner ob es nicht oiel gu optimiftifd) ift, an bie Errei<hbar!eit eines foldjen Siels auf Erben gu glauben, mag hier nur angebeutet werben. Ebenfo anfechtbar ift ber ausgeprägte 3nbiotbuaIis=

mus, wie er fid) g. 23. in ben “Sorten bes „SüTteifters" offenbart: „Das ßeben ift nicht ein fogiales, bas ßeben ift abfolut inbioibuell unb geht nur bas 3nbioibuum, bas bes ßebens fich bewußt ift, an." (21. a. D., S . 76.)

Das Söertwibrige, bas 23öfe unb bas Übel leugnet man nicht, aber man grübelt nicht theoretifdh=untätig barüber nad), fonbern man greift es prattifch=mutcoll an, um es gu überwinben. 95ian ift übergeugt, „bie Er=

iöfung oon Kranfheit, Sünbe unb Elenb ift möglich," aber fretlid), fie ift

„ n u r möglich burd) g i e l b e w u ß t e s , f e l b f t ä n b i g e s Streben unb 2lrbetten jebes etngelnen, unb gwar gunädjft an feinem ei ge ne n K ö r p e r"3).

2llfo g i e l b e w u ß t foll unfer ^anbeln fein. Sftan ift übergeugt, baß M. „jebes erbenfliche Sebensproblem bes 3Jtenfd)en auf Erben gu löfen oermag," unb baß es fo bem 9ftenfd)en ben 2lntrieb unb bie 2Röglich!eit gibt, an jebe 2lufgabe mit Harem 23ewußtfein bes Siels unb bes 2Begs gum Siele herangugehen.

„2Bas immer wir tun, müffen wir mit 23erftanb tun." „Sue nie etwas, wenn bu nicht übergeugt bift, baß es bas Nichtige ift, was bu tuft." „2Bas

1 8, 193 u. 6.

2) M. (§ertltbctg), IM. 3g., 148.

| Sbenba 158.

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3) t e M a z d a z n a n = 5 3 c t o c g u n g 49 bem einen möglich ift, ift allen möglich- 2Barum beweifen es aber nicht alle? SBetl nicht alle, fonbern nur fehr wenige ihte »olle ©ebanfenfraft o et brauchen"1).

Sas 3®eite ift: unfer f>anbeln rnufj f e l b ft ä n b i g fein; benn „jeber SD^enfch fann nur für fid) allein feine Sebensrätfel Iöfen burd) planmäfetge (Entfaltung ber ihm innewohnenben geiftigen gähigfeiten. Stiemanb tann es für ihn tun, noch es ihm »ermitteln"2). Unfer 3tel ift babei eine befon=

bere, tnbimbuelle Sarftellung bes ©örtlichen gu werben. ,,©ott (ben 3n=

begriff alles 3bealen) erfennen, foweit er fich uns offenbart, unb biefes 3beal herausftellen ins Seben biefer 3Belt mit ben Mitteln unferes 3Be=

fens. .. bas ift unferes Sehens Siel." greilich nicht aus 3d>fud)t foll bies gefchehen. „Se r Sturg in bie 3chfud)t führt gu Sugifer, bas (Erfennen bes 3beals in uns führt gu ©oft. 9öir follen aber nicht oerfdjweben in uns, fonbern ben Sugifer in uns erlöfen burd) ©ott in uns3), (Eben bamit fom=

men wir gur echten greiheit (gur „2lutonomie" im Sinne Kants). Ser

»ollfommene Menfd) ift f t d) f e l b ft © e f e ft unb erfüllt bas ©efeft aus innerem Srang; er ift frei. Ser unoollfommene Menfd) fteht u n t e r bem ©efeft unb erfüllt es aus Swang; er ift ein Knecht." Ser freie Menfd) erlennt in allem bas ©ute. Sas 33öfe überfehenb, fteht er (gleichfam) über ©ut unb 23öfe4)- 2lls brittes Moment bes fittlichen f>anbelns im M.=©eifte haben wir betont, bafs es gunädjft auf ben eignen K ö r p e r fid) erftreden foll.

2lus biefen ©runbgebanfen heraus ergeben fid) golgerungen unb praf=

tifche 2lnweifungen im eingelnen, bie ben Uneingeweihten gunächft »öllig m a t e r i a l i f t i f d ) anmuten werben.

S a lefen wir etwa5): „Unfere d)arafteriftifd)en (Eigenfchaften, unfer Semperament, unfere 3been, unfere Senlungsart, unfere |?anblungen, unfer ganges Seben finb Slusbrud ber med)anifchen Sätigfett, Untätigfeit ober itbertätigfeit ber förpertichen Organe." „Seibenfchaftliche Menfchen leiben an 93erftopfung, bie bie entfpcechenbe 3teflejwirfung auf bas ©e=

hirn hat; bie begeiftertften reltgiöfen unb politifchen Schwärmer finbet man unter ben Verftopften." „Sen heften 9tat, ben man fold)en Seuten, bie fid) nid)t beherrfchen fönnen, geben fann, ift ber, fofort einen Sarm=

fpülapparat gu faufen unb ben Sarm grünbltd) gu reinigen." „(Einer (Eiferfüdjtigen fchenfe man ftatt eines SSlumenftraufses ober einer 55on=

boniere lieber einen fold)en Slpparat mit ©ehraudjsanweifung."

!) (Ebenba 143, 146.

=) 8 , 158.

8) 6 o $ . 33äuerfe (2Iurelius) 15, 112. Seifet man biefe ©ebantcn aus i&rer reli=

giöfen g o tm in bie pf)iIoJop^i[d)e über, fo ftefyen wir in bet mobetnen 3Berfett)if.

J ) 8 , 158.

6) ® a s gotgenbe nacf) O . 3 - f>a’niff), Mazdaznan=2Biebetgeburt, öbetf. t>. ® . 3tm*

mann. Seipjig, ofjne 3af>r (1 9 0 9 ? ), © . 14— 18.

Ü)bt(ofopfcic unb Seben. IV.

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