• Nie Znaleziono Wyników

Die Zukunft, 4. März, Bd. 26.

N/A
N/A
Protected

Academic year: 2022

Share "Die Zukunft, 4. März, Bd. 26."

Copied!
48
0
0

Pełen tekst

(1)

s.

GIVE-

Berlinz den X. Zeiärx 1899.

TIT- Js

Löbtan

In demsächsischenDorfLöbtaufeiertenamsechstenJuli1898die bei

)denBauunternehmern Hampel8rGrahl beschäftigtenArbeiter-ein Richtfest.Freibierwurdeverschänkt,wie esscheint,inreichlicherFülle,und die Arbeiterwaren gegen Abendalkoholischerregt.DieBauarbeiter haben in Dresden undUmgebung nachhartenLohnkämpfeneinezehnstündige Arbeitzeitdurchgesetztunderreicht,daßumsechsUhrabendsaufallen Bau- plätzendieArbeitruhen soll.AmsechstenJuliwurde denangeheiterten Richtfeftgästengegenacht Uhrabendsgemeldet,nebenan, aufdemBaudes UnternehmersKlemm,werdenochgearbeitet.DasschienihneneinBruchdes zwischenUnternehmernund ArbeiterngetroffenenAbkommensundein Ver- stoßgegen diePflichtender Solidarität. SieverließendasRichtfest,das man indiesemTheilSachsenseinenHebeschmausnennt,zogen zu Klemms nahemNeubauundfordertendie dortnochArbeitenden auf, Feierabendzu machen.Es kommt zuheftigenAuseinandersetzungenundspäter,nachdem HerrKlemmmit kränkendenWortenin den Streit derParteien eingegriffen hat,zuThätlichkeitenDahatderBauunternehmer,der-ob mitRechtoder Unrecht,läßt sichvon fern nicht beurtheilen ohnehinbei den Arbei- ternverhaßtist,einenunseligen Einfall:errennt nachderBaubude, holteinen Revolverundfeuert zwei Schüsseab. BlindeSchüsse,wiesich herausgestellthat; dieArbeiter,deneninzwischenvielneugierigesundmehr Oder minderbezechtesVolkzugeftrömtist, glauben aber,Klemmhabe scharf geschossen,—glaubenesumso leichter,alssiesehen,daßeinerihrerGenossen

auseinerHalswundeblutet.NunbrichtderSturm los. DievonAlkohol 25

(2)

362 DieZukunft.

undWuthTrunkenen stürzensichaufdenUnternehmerundmißhandelnihn in derrohestenWeise.ManhörtRufewie:»SchlagtdenHundtot!« Klemm wird zwarnicht getötet,aberbesinnunglosundstarkblutendvomPlatzege- tragenund kannerst nachWochenwieder dasKrankenzimmerverlassen.Auch andereLeute werden verletztund dieRaufereinimmtfür kurzeZeitdieFor- menwüstenAufruhresan. Getötet,oderso verletzt,daßerdauerndem Siech- thum anheimfallenmußte,wurdekeinMensch.Neun Arbeiteraber wurdendes schwerenLandfriedensbruches einigevonihnen auchdesversuchtenTot- schlagesangeklagtundamdrittenFebruar diesesJahresvondem dresdener Schwurgerichtzuinsgesammt dreiundfünfzigJahren Zuchthaus, acht Jah- renGefängnißundsiebenzigJahren Ehrverlust verurtheilt.Leideristesalso nichtmehr möglich,zusagen,daßdurchdie löbtauerSchlägereikeinMenschen- lebenvernichtetwordenist.Dieauf lange JahreinsZuchthaus Geschickten werden dasLichtder rechtrelativen Freiheit,dersiesichbis zu dem verhängnißvollenHebeschmauszuerfreuen hatten, nichtwiedersehen;und wenn sie lebendig herauskommen,werden siealsEhrlose, Geächtetedurch dasLandstreifenundvergebensumArbeitanpochen.Unter denVerm- theilten sind sieben Familienväter,fürderenohne Ernährer zurückgeblie- beneAngehörigediesozialdemokratischeReichstagsfraktionvonihrenGe- «

nossenBeiträgeöffentlicherbetenund,wiesichbei derOpferwilligkeitderin GewerkschaftenorganisirtenArbeitervoraussehenließ,auchschonerhalten hat.

JmmerhinwerdendiegesammeltenSummen kaumausreichen,um sieben Familien Jahre langzuernähren;undmitleidigeundwohlhabendeMen- schensollten, mögen siederSozialdemokratie auch noch so fern stehen,an HerrnAlwinGerischinBerlin, Katzbachstraße9,nachMaßgabeihresVer- mögensBeiträgesenden, undseies nur,umzuzeigen,daßderProletarier inNöthen nichtnur aufproletarischeHilfeangewiesenistunddaß,allem KlassenhaderzumTrotz,dasGefühlmenschlichenMitleids diestreitenden Parteienin denstillstenStundenderTrauer zu vereinenvermag.Die Ver- urtheilten haben Dasräumt auchdersozialdemokratischeAufruf offen ein—- schwereSchuld auf sichgeladen. Jl)re Familien aber,die imElend zurückblieben,sind schuldlosundanihnenkannselbstderhitzigsteUmsturz- bekämpfer,ohne seineUeberzeugung,ohne selbst seinen politischenHaßzu opfern,ein mildesWerkmitsühlenderNächstenliebethun.

Ueberden löbtauerTumult unddasdresdener Urtheil istviel ge- schrieben,vielauchimReichstagegeredetworden. Einklares,injedemZuge getreuesBild derVorgängeist dennoch,dadieVerhandlungunterAusschluß

(3)

Löbtau· 363

derOeffentlichkeitgeführtwurde, nichtzugewinnen.DerEinzige,der aus eigener Anschauung berichten konnte,dersozialdemokratischeAbgeordnete WolfgangHeine,einruhiger, forensischbegabterundhumanistischgebildeter Mann,derim dresdenerProzeßVertheidigerderAngeklagtenwar,hatmit nachdrücklichsterEntschiedenheitdiehierzu GrundegelegteDarstellungals denwirklichenVorgängenentsprechendbezeichnet.Solange seineBehaup- tungnichtwiderlegt ist,wirdesaußerdemFreiherrnvonStumm nichtviele Menschengeben,die das dresdener Urtheil »mild«nennen möchten.Esist furchtbar hart, so hart, daßesjeden fühlendenMenschenmittragischem Schreckenerfüllenmuß.EshatdasLebenvonehrlichenMännernvernich- tet,diesichin derTrunkenheitundin einemdurchdenunsinnigenEinfall desHerrnKlemmgesteigertenWuthanfallzuGewaltthatenhinreißenließen, wiesiebeisüddeutschenKirchweihbalgereienundromanischenVolksfesten nicht selten sindundwiesiesonst auchimdeutschenNordennienochmitähn- licherHärtegeahndetwurden. Trotzdemkönnte daserschreckendeUrtheil,an dembürgerlicheLaienrichternebengelehrtenJuristen mitgewirkthaben,ge- recht sein:HärteschließtdieGerechtigkeitnichtaus. .. Leiderhabenwir imLaufdererregtenDebatten immerdeutlicher gehört,vonwelchenErwä- gungendieRichterbeiihrem Spruch ausgingen,undheute istkeinZweifel mehrdaranmöglich:in denVerurtheiltensolltedie»sozialdemokratische Verhetzung«mitabschreckendemDrakonismus getroffenwerden-

EinFremdling,dervonderinfastallenfestländischenJndustriestaaten Europas entstandenen Verwirrungdessozialen Empfindens nichts weiß, könntefragen:WashatdiewüsteGewaltthat,dierohe Mißhandlung,die Trunkeneverübten,mit derSozialdemokratiezuthun?Kamennicht solche Dinge,undsehrvielschlimmere,vor,eheaneineArbeiterbewegungimmo- dernenSinn desWortes überhauptzu denken war,undwürdensienicht unendlichhäufigersein,wennderMarxismus,der denGlaubenandieWirk- famkeitvonPutschenbeseitigte,denungebildetenMassen nichtein vielhöheres Ziel zeigte?SeinZielmag einIrrlicht sein, einerlei:erwarntdieMenge vornutzlosemAufruhr, tröstetsiemitderHoffnungaufdiewirthschaftliche Entwickelung,derenunhemmbarer Gang ihrer SachedenSieg sichernmüsse, undgewöhntsieaneiserneDisziplin,vonderauchdiekapitalistischgeleitete IndustriebeträchtlicheVortheile hat.Wernureinigermaßendieeuropäische Wirthschaftgeschichtekennt, weiß,daßdieseAnsichtrichtigistunddaß,wenn esgelänge,dieSozialdemokratiemitStumpfundStielausdemErdboden zujäten,in demwelthistorischenKampfzwischendenimBesitzrechtWohnenden

25R

(4)

364 DieZukunft.

unddennach reichlicheremTheilanBildungundBesitzStrebenden nur noch häufigerdie Brutalität herrschenwürde.WessenStimme wäreaber starkgenug,umdiesemGedankenheuteinDeutschlandGehörzuverschafer? Die inihrenerworbenen RechtenBedrohten wiegensichin demWahn,der sozialeFriedewerdesofortwiederhergestelltsein wieder:als oberjebe- standen hätte!—,wenn nurerstdie»Hetzer«beseitigtseienunddie»Ver- hetzten«sähen,daßihr Jrrglaube ihnendiehärtestenStrafenund denwirth- schaftlichenUntergang einträgt.Undsokann eskommen, daßRichter,Laien undJuristen,diedenernstenWillenhaben, gerechtzuurtheilenundsichnicht durcheinKlassenressentimentgegen dieTschandalakastestimmenzulassen, sichvoreinemFallwie dem löbtauer in demGefühlvereinen: Das istkein zufälligerVorgang,keineSchlägereiwieandere,derenSchauplatzdas Wirthshausoder derTanzbodenist,sondern dienatürlicheundnothwendige FolgederpolitischenundsozialenAufhetzung,diedenProletariern jedenBour- geoisals einenschlechtenKerlschildertunddurchihrestetenLärmrufegegen die bürgerlicheGesellschaftdieschlimmstenPöbelinstinkteweckt.Vonihr istdas Gemeinwesen,dessenInteressewir in derRechtsprechungvertreten, bedroht, siewollen wir mit deräußerstenHärtedesGesetzestreffen, denjetztAb- zuurtheilendenzurStrafe,den anderenVerführtenzureindringlichenWar- nung.Dieser Standpunkt istverständlich.ObermitdemGeisteinerVomAlb desRacherechtesbefreitenJurisdiktion,obmit derChristensittlichkeitzuver- einenist, mögengelehrteJuristenundTheologenentscheiden.Daß vonihm ausfürdaspolitischeundsozialeLebenunseresVolkesnurübleWirkungen erreichtwerdenkönnen,mußnachgeradejederUnbefangeneeingesehenhaben.

OdergiebteswirklichnochLeute,denen dasKlasseninteressenichtdenBlick völ- ligblendet und diedennochglauben,das dresdenerUrtheilwerde derSozialde- mokratieschaden,nichtnützen,ihrepropagistischeKraftschwächen,nichtstärken?

Dasdresdener Gericht wird, so müssenwirannehmen, nach bestem WissenundGewissengehandelt haben. In sonnenhellerenJahrhunderten aber würdeein andererRichter vielleichtandersurtheilen.Er würde erwä- gen: LöbtauisteinsächsischesDorf,in demschnelleinegroßeIndustrieent- standen ist.DagiebtesBrauereien,Bauunternehmungen,Metallgießereien undMaschinenfabrikenDawirdChokolade,Hartguß,Glas,.Lack, Firniß, chemischesPapier, Sprit, Preßhefefabrizirt,werdenStrick-undNähmaschi- nen,Armaturen, Farben, Turbinen, Kessel,Fahrräder,Lithoidwaarenund viele andereDinge gemacht.DasfrüherwinzigeDorf hat jetztüberdreizehn- tausendEinwohner-DieerdrückendeMehrheitbestehtausIndustriearbeitern,

(5)

Löbtau. 365

diezugewandertfindund diekein BandandieScholle knüpft·Vondiesen Leutenhabenein paarroheRufeausgestoßen.Siehabenfastnichtsgelernt,sind inNoheit ausgewachsen—- in einerRoheit, die,wieman sagt, nicht beseitigt werdendarf,wenn unsereKultur nicht Schadenleidensoll undsind nicht gewöhnt,sichgewähltauszudrücken.WennsolcheLeuterufen: »Schlagt denHundtot!«,sobedeutetDasnicht mehr,alswenn besserGebildete brüllen:»GebtdemKerlEinshinterdieOhren!«SiesprechendieSprache ihrerKlasse.Siemüssenbestraft werden, streng sogar,dennsiehabennicht nur gedroht, sondern auch mißhandelt.Aberdürfenwirsie für ihreUn- bildungstrafen, fürdieRoheit,ausder wirsie dochnicht befreieUPSinddie großenDenkerundDichter,diefürunssannenundschufen,wirklichnur, wieLasfalle einst schrieb,gleicheinemKranichschwarmüberdengeistigen HorizontDeutschlandshingezogen,ohneinunseremEmpfindeneine merk- bareSpurzuhinterlassen? Dürerwirihre Lehre,Menschlichesmensch- lichzusehen,zufühlen,zuwägen, jetztdenSozialdemokratenalsfrohbe- grüßtes Evangelium gönnenundselbstnur aufdieFestigkeit unserer Kerker,dieTreffsicherheitunserer FlintenunddieZähigkeitdesKlassen- egoismus»bauen?...Auf so starrem, steinigemBodenkann derBourgeoifie, auchwennihre KunstgärtneremsignachhelfenundschädlicheNagethierevom Wurzelwerk fernhalten,keinebeglückendeBlumeerblühen.DieLeute,die angstvoll unseres Spruches harren,trieb imGrunde dochkein unedles Mo- tiv:in demFünkchenBewußtsein,dasinihremumnebeltenHirnauf- flammte,loderte derZorn darüber, daß,wasinschweremKampf fürAlle erreichtschien,durch dieSchwächeundSchmiegsamkeitEinzelnernunwieder verlorensein solle.WaresjePflicht,derStrengedieMildezupaaren,so ist sieeshier.Dervonallen modernen Bildungmitteln Entblößtedarf,wo erfrevelt, nicht härterverurtheiltwerdenals derGlücklichere,demderZufall derGeburt reichere Kulturmöglichkeitenbeschert hat«Undwenn unser Spruchnicht drakonischistundmanunsvorwirft,wirhättendieGelegenheit, einschreckendesWarnzeichenaufzustecken,schmählichversäumt,dannwollen wir, aufrechtundgetrostenMuthes,erwidern, daßinunserenHändendas RechtnichtderAusdruckderorganisirtenGewaltsein soll, daßderSchrecken nie dauerndeinenThron gestützt,nieeinReichvordemVerfall bewahrt hat unddaß auchdemMächtigstendaszurMäßigungmahnendeWortzu- gerufenward: DusollstnichtSieger seinüber daseigeneVolk.

l NO-

(6)

366 DieZukunft.

DieWechselbeziehungender sozialen Gebilde-O

In derDarstellungdessozialenEntwickelungprozesses,derausden gegen- seitigenWechselbeziehungendersozialenGebildehervorgeht, hält sich Ratzenhoferebenso fernvoneinseitigerBetonungderDifferenzirungwievon übertriebenerVeranschlagungderAmalgamirung.Erbetontvielmehrden

»stetenWechselvonDisferenzirungundVergesellschaftung«undwirddarin durch zahlreicheThatsachenderGeschichteunddertäglichenLebenserfahrung unterstützt.Schon »die Horde, ihre Gruppenunddie Stämme« sind fort- währendineinemsolchen Wechselbegriffen.

»DieErnährungmitihren Störungen differenzirtdieGemeinschaft, HilfeleistungundSchutzbedürfnißvergesellschaftenfrühergetrennteGruppen, währenddieGeschlechtsbeziehungenderEinzelnenimganzenStamme soziale Vereinigungen herbeiführen.JndividualinteressenundSozialinteressen,in stetemWechselwirksam, führendieHaupterscheinungendessozialenProzesses herbei; sie enthalten auchinsichdasleitendePrinzip fürdie ordnendeSitte;

dennso verschiedenartigdieAuffassungüberVerpflichtungen,über Gutund Böse,überBilligundUnbillig sein kann, sobleibtdochstets grundlegendfür dasEthos, daßaus denJndividualbestrebungendassittlichVerwerflicheund aus densozialenTrieben das sittlichWohlthätigehervorgeht. Aufdem WegederSozialisirung findet sichdasGemeinnützige,aufdemWegeder Jndividualisirung vorwiegenddasGemeinschädliche.«(S.129.)

Trotzdem istRatzenhofergezwungen, denAusgangspunktdessozialen Prozessesdarinzuerblicken,daß sich»zweiindividuell verschiedeneprimitive Gemeinschaftenim Raum begegnenundum ihrerErhaltungwillen in einen Gegensatztreten, dessenHauptmerkmal wohldarin zusuchensein dürfte, daßzwischensolchenGemeinschaftenentweder nieeinedirekteBlutsverwandt- schaft bestandoderdaßderenSpurenverwischtsind.«

Dasist unbestreitbarrichtig;dererste AnstoßgehtvondemZusammen- treffen mindestens zweier heterogenenHorden,Stämme odersonst welcher Gruppenaus, von denendie eine die anderebezwingtundihren Zwecken dienstbar macht.Nurläßt Ratzenhoferim Dunkeln, wieesnaturgesetzlichzu einemsolchenZusammentrefsenkommt. DenngehenwirvoneinemSchöpfung- herde sagenwir: voneinerUrhorde aus,so müssenwirschon,,D«iffe- renzirungen«zuHilfe nehmen,um zuderangeblichenUrsThatsache,nämlich zumAufeinandertrefsender-»zweiindividuell verschiedenenprimitivenGemein- schaftenimRaume«(S. 132.)zugelangen. Jch habenun mehrfachnach- gewiesen-PMBwie einesolcheKonzeptionandeminnerlichenWiderspruchleidet,

Je)S.»Zukunft«vom11.Februar1899.

M)Vergl. insbesonderemein»AllgemeinesStaatsrecht«(Jnnsbruck 1897), S.85. §31:DergenealogischeJrrthum.

(7)

DieWechselbeziehungendersozialenGebilde. 367

daßdersozialeProzeßbis zumZusammentreffenderzweiprimitivenverschiedenen GemeinschaftenimWesentlichenDifferenzirung,vondaanaber einefortschreitende Sozialisirunggewesensein soll.EsfehltjedeMöglichkeit,zu erklären,warum die Natur,vonderRatzenhoferselbstaussagt, daßsiesichnicht»grundsätzlichändere«, wenn sie seitderEntstehungdererstenHordedifferenzirendgewirkthat,nun plötzlichKehrt machenund denentgegengesetzten,sozialisirendenWegeinschlagen sollte.UmdiesemWiderspruchzuentgehen,habe ichmichin meinem,,Rassen- kampf«fürden»Polygenismus«entschiedenundließdie,,verschiedenenprimi- tivenGemeinschaften«(Horden) sichvon allemAnfanganso bekämpfen,wie sichStämme undVölkernoch heuteinderganzen Weltbekämpfen.Auch Ratzenhoferwar, wenn michmeinGedächtnißnicht täuscht,nochinseiner

»Politik« geneigt, diesen polygenistischenStandpunktgeltenzulassen.Heute meinter,daßdiepolygenistischeHypothese »nachdenpaläontologifchenund zoologischenForschungen·..keineWahrscheinlichkeitfür sich habe, sondern esscheinedieAbstammungderMenschenvon einemausgestorbenenAnthro- poiden, dessen GattungverwandtenochinCentralafrikaundaufden Sunda- Inseln vorkommen, annehmbar.« (S. 130.)

Jchwill dahingestellt sein lassen,obeinesolcheEntstehungartdes MenschengeschlechtesdiepolygenistifcheHypothese nichtvielmehrbekräftigt alswiderlegt;jedenfallsunterschätzt,nachmeinerAnsicht,Ratzenhoferheutedie BedeutungderFrage,obMonogenismusoderPolygenismusalsAusgangs- punkt fürdieSoziologieanzunehmenfei.Er erklärtetwasresignirt,daß,»streng genommen, inderFrage nachderAbstammungdesMenschennichts enthalten sei,wasdiesoziologischeErkenntnißzufördernvermöchte.DieErforschungder Ursprungserscheinungenhat überhauptnicht jeneBedeutung für die Soziologie, welcheihr vielfach beigelegtwird. Gewiß liegtesinihremWesen,daß wir unsere Einsichtüber denUrsprungdesMenschenunddieersten sozialenEr- scheinungenmöglichsterweitern;aberfürdiesoziologischeErkenntnißansich istdasFehlen jener EinsichtkeinHindernißzdenn dieThatsachen,die dielebende Gesellschaftunddiebisherige Erforschung anführen,reichendarum hin,die soziologischeGesetzmäßigkeitermitteln zu können, weildiese,wiewirwissen, andieallgemeineNaturgesetzlichkeitundnichtandieEntwickelungsgeschichte alleinanschließt.«(S. 131.) Dieser gewundenenErklärungkannman in- sofern beistimmen,alsdasvorliegendeWerkselbstdieFrageganzzurückstellt unddochBedeutendes fürdiesoziologischeErkenntnißleistet.

Fürmichbleibtesdabei,daß ohnediepolygenistischeHypothesedas ganze Gebäude der»SoziologischenErkenntniß«inderLuftschwebt.Wenn dieVielheitdererfahrunggemäßseitdemAufdämmernhistorischerZeiten vorhandenen heterogenenGemeinschaften,derenfeindlicheWechselbeziehungen densozialen Weltprozeßeinleiten,wenn diese Vielheitaus einereinheitlichen

(8)

368 DieZukunft.

Urhorde (umvon einemUrpaare nichtzusprechen)durch allmählicheDiffe- renzirung entstandenwäre,so scheitertebenallewissenschaftlicheErklärung

anderräthselhaftenUmkehrderseit demAnbeginndesMenschengeschlechtes wirkendenNaturkraft.Die»zweiprimitiven verschiedenenGemeinschaften«,deren Zusammentreffendensozialen Weltprozeßeinleitet,sind vielmehrüberallauf demgroßenSchauplatzderMenschenschöpfungvonallemAnfanganin dendurch verschiedenetellurische,klimatischeund geographischeEinflüffe heterogenver- anlagten primitiven Horden gegeben.Unddersoziale Prozeßnimmt nicht erst seinen spätenAnfang nach BeendigungderDifferenzirung, sondern hat sichvon je her zwischenden heterogenenHordenundGruppen abgespielt.

Was wäredennDas auch füreinNaturprozeß,der, wie einTheaterstück, von einem bestimmten Zeitpunktanbegönne,nachdem sichersthinterden CoulissendieSchauspielerdurch,,DifferenzirungausdereinheitlichenHorde«

inihreRollen hineinzufindengehabt hätten?

Rein: wenn wires,wieauch Ratzenhoferannimmt,überhauptmit einemNaturprozeßzuthunhaben, so haternicht begonnen,als derhistorische Vorhang aufging, sonderndiebeiihrer erstenMenschwerdungschondifferenten Horden sindbeimZusammentreffenganzso aufeinanderlosgestürztwieheut- zutage SpanierundAmerikaner undvornicht langer ZeitdieBayernund diePreußen,dieja auch nicht ProdukteeinerDifferenzirungaus einem fabelhaften ,,Urgermanenthum«,sondernvon HausausheterogeneElemente sind,dievielleichtabereinerkünftigenAnialgamirung entgegengehen.

DieserkleineDissensmitdemgeehrten Verfasser hindert mich nicht, ihminallemWeiteren fastwiderspruchloszufolgen.

Esmagangehen, daß ,,bei Begegnung äußerlichnicht zu verschieden- artigerStämme dieScheuvor demKampfe vorgewaltet«habe(S.134.) unddaßunter »AufrechterhaltnngderKampfscheuimAllgemeinendie Be- völkerungderErdoberflächeinUrzeiten sehrweitgediehenzu seinscheint.«

(S. 135.) Gewiß hatderVerfasser Recht,wenn erbemerkt,»daßdasbe- schränkteInteresseeinerfriedfertigenGrundanlageauchalleEntwickelunghemmt, insbesonderediesoziale.«

Eine Betrachtungder»ethnologischenVerhältnissederErde«zeigt«

daß,,imAllgemeinendie NaturvölkerderschwarzenundderbraunenRasse angehören...die Kulturvölkerhingegenderweißenunddergelben.«Ohne Zusammenhangmitihnen stehtdierothbraune Rasseda, deren»ethnologische EinheitdieEinheitdesMenschengeschlechtesüberhaupt«zu verneinen scheint.

VondenerstenvierRassen findendieweißeunddiegelbeinder gemäßigtenZone »eine nervenanregendeWirkungdes Klimas undhinreichende Ernährung,wenn siederNatur mitThatkraft abgerungenwird; dieseUm- ständeveranlassenzurArbeit,zumAufsuchenderbestenLebensbedingungen.«

(9)

DieWechselbeziehungendersozialenGebilde. 369

Auf diese Weise»entwickelt«sichderWandertrieb«, dem»dieErnährungdurch dieViehzuchtunddurchdieJagd eigenthümlichist.« (S. 138.) ,,Stä1nme, dieauf ihren Wanderungen aus besonders fruchtbare Flußgebieteoderan dieMeerestießen,wurden seßhaft«undbegannen,»den Ackerbau zuent- wickeln.« Auch»diePflanzennahrung, ersichtlichdieursprünglichstedes Menschen,dieauch seinendenKampfvermeidendenGrundanlagen entspricht, dürfteStämme, dieprimitiverEntwickelungnoch nicht völligentwachsensind, zumAckerbauveranlaßt haben.«

Danach sindes,,dreiErscheinungen,diebei denNordrassen (dergelben undweißen)durch WechselwirkungdieQuellehöherersozialer Entwickelung werden:der Ackerbau, dieJagdund dieViehzucht,betrieben inriesigen,klimatisch begünstigtenRäumenunter denverschiedenartigstenindividualisirendenLokalver- hältnissen.«AndiesenAckerbaubetriebknüpftRatzenhoferdieEntstehungderersten

«OrganisationderGemeinschaft.«»Damit dieMenschen sicheinemstadien- weise verlaufendenArbeitwerkwiedem Ackerbauhingebenkönnen,isteine OrganisationderGesellschaftnöthig,die dieEinzelnendenWirthschaftzwecken unterthan macht.DieGemeinschaftbedarfeinesgewissenHerrschaftverhält- nisses,weilderWirthschastzweckerst durch OrganederOrdnung gesichert ist.Diefreie,ungezwungenedelle derHorde hört aus.... DieUnge- bundenheitundNaivetät, mit denensichdassozialeLeben inderHorde ohne bindendeRechteundPflichten erfüllt, weicheneinerGebundenheitderPflichten undBilligkeitforderungen..(S. 140.)

AlsnächsthöheresSozialgebildeüber derHordeundüber dem Stamme entstehtdieGemeinde,die als die»seßhafte,zusozialerOrdnung verpflichtete Stammesgruppe«erklärt wird. Diese »patriarchalischgeordnete,.wirthschaft- lich kominunistischeGemeinde«, die»mitdenanstoßendenGemeinden in den selben Wechselbeziehungenlebtwie dieHorden, GruppenundStämme«,hat jedochzurVoraussetzung, daß »der ursprünglichkampfscheueGrundngder Menschenanhält.« (S.141.) Nochvordemdurch·dieGewalt begründeten Staate, lediglich»in Folgeder Kultur alsRechtder Arbeit(?) entstehtder BesitzvonGrund und Boden«; sowäredieursprünglicheBesitzergreifung Ehinas »durchdenältestenTheil seiner Bevölkerungzuerst friedlich erfolgt unddieMenschenhättensichkampfscheudengefundenenLebensbedingungen ergeben«,doch seiDasnur eineHypothese,da»die patriarchalischeGemein- schaftinihrer Ursprünglichkeit«nirgends mehr »angetroffenwird.«

JndieserursprünglichenGemeinde waltet schon »dassoziologische Gesetz, daßderMensch nach seinerNaturanlagedieArbeitzuübertragen strebt«unddaßnur »derZwang seinerInteressen ihn veranlaßt,zu arbeiten.«

Daraus entstünde»dieNothwendigkeitderHerrschaft«und der Pater fnmilias hättedieersteHerrschaftrollegespielt.EinesolcheAbleitungfindet sichschon

(10)

370 DieZukunft.

bei denNaturrechtslehrern,istabermitdenallgemeinen»soziologifchenGe- setzen«desVerfassers schwerinEinklangzubringen-

Ich habein meinem»Rassenkampf«undin meiner »Soziologie«von derAnnahmeeiner friedlichenEntstehungdesRechtesund derHerrschaftAbstand genommen undRechtundHerrschaftnur ausdemZusammentreffenheterogener HordenbeiAnwendungvonGewalt, erklärt-k)MeineErklärungerschieneinem weit verbreitetenEmpfindenallzu schroff. Ratzenhoferläßtdemauchbeiihmim WegederGewalt entstandenenStaate doch wenigstenseineFriedensperiode voraufgehen.Esist nichtmeineSache,zuentscheiden,wer von uns das Richtigeregetroffen hat.

MitdemEntstehenderFamiliewäredann »einneuesPrinzipin das sozialeLeben«eingetreten: »dieDienstbarmachungdesMitmenschen,diesich inallenweiterenEntwickelungformen,parallel laufendmitderErnährung, Vermehrung,demHerrschaftverhältnißundGrundbesitz,alsBeweggrund für diewichtigstensozialen Erscheinungenzeigenwird«.

Mein »AllgemeinesStaatsrecht«vertritt dieentgegengesetzteThese, nämlich,daßdieFamilie erst nachderDienstbarmachungderMitmenschen, d.h. nachderGründungdes Staates, undzwar alseinstaatlichesInstitut entstandenist,undichkannmich außeraufhistorischeundethnologischeThat- sachenauf Aristoteles berufen,dergerademitBezug aufdieFamilieals einenBestandtheildesStaates denAusspruch that, daß »das Ganze früher seialsderTheil.«WennaberRatzenhoferseine friedlicheKonstruktionbis aufdenAdelerstrecktundihnaus denFamilien herauswachsen läßt,die im Stamme allmählichdurchdasPatriarchatin einebevorrechteteStellungein- gerücktsind, so dürfteerallundjeden historischenBeweis schuldigbleiben, währenddiehistorischenBeweise dafür, daßderfremde siegreicheEroberer- stammzurAdelsklasseüber diegewaltsam Unterworfenenwurde, eben sozahl- reichsindwie die Staaten mitAdelsverfafsung.DabeierkenntRatzenhoferselbst an, daß »im Nomadenstamme sichAnlagenentwickeln, dieihndemfried- liebendenAckerbauernimDaseinskampf überlegenmachen esentwickelnsich inden Männern (desNomadenstammes)dieAnlagen fürdenKriegunddie Politik« unddaßder»grundsätzlicheUnterschiedzwischenderIndividualität desSeßhaftenundder deswandernden Stammes-» eine dernachhaltigsten Ursachenfürdieweiteresoziale EntwickelungderMenschheit«sei.Warum abererst fürdie»weitere«Entwickelung?Warum soll »der aggresfive,ge- waltthätigeNomadenstamm«dem »konfervativen,friedliebeuden, seßhaften Stamm«erstspätereinmalentgegengetretensein? JstdanichtmeineAnnahme-W) die)Vrgl.auchinmeinenebenerschienenen»SoziologischenEssays«(Jnns- bruck, Wagner) den Aufsatz: »Was istRechts-«

M)SoziologischeStaatsidee. Graz1892.

(11)

DonAlonzo Ramirez. 371

plausibler, daßvon allemAnfanganunterdenverschiedenenklimatischenund geographischenBedingungenderzahlreichenEntstehungherdederMenschheit diese verschiedenenTypen entstanden sindund durch ihren Zusammenstoß immer und überall dieselbe sozialeEntwickelungangebahnthaben? Ratzenhofer läßt erst nacheiner älterenPeriodederFriedfertigkeit»derganzenMenschheit sicheinkriegerischesWesen bemächtigen.«(S.153.) Aberheute nochwie vorJahrtausendengiebtesfriedfertigeVölkerschastenundkriegerischeStämme:

»dieselbeNatur,die wirimRaubthierkennen«,ist theilweisenochheute nicht allenMenscheneigen, ist dagegeneinemTheilevonAnfangan eigengewesen.

DieMenschen sind nichteinesschönenTagesausLämmernzuRaubthieren geworden:Das verträgt sichnur mitderMythevomGoldenenZeitalter.Es hat vielmehrimmergutartigeLämmer undreißendeRaubthiereunterdenMen- schengegeben:ganzsowieheute auch.Leiderberuhtgerade darauf bisher allerKulturfortschritt.Wird Dasjeanders werden? DieLeute,diediese Frage enthusiastischbejahenunddaskünftigeVerschwindendieses Gegensatzes glühenderhoffen,nennt man: ,,Anarchisten«.Sie gebendasKompliment zurückundnennen dieZweifler: denkfaule Sklavenseelen.

Graz. Professor Ludwig Gumplowicz.

Don Alonzo Ramirez.

Mas-Stückchen hat sichzuValladolid zugetragen. Ichweißnicht,ob der Leser jevondemguten PastorAlonzo Ramirez gehört hat,demDom- herrnderHauptkirche,dereinesoschöneGemäldesammlung besaßundeinso großer Murilloschwärmerwar? Vonihm habe ichEtwas zuerzählen.Wenn ichmichaberindemEinenoderAnderenversehen sollte, sobitteichumEnt- schuldigung,denn...ichkennedieGeschichtenur vom Hörensagen.

»Die Menschen sind großimKleinen undkleinimGroßen. Selten messenwirAbsichtenundLeistungen, MeinungenundThatenmitrichtigem Maße. Wirwenden Riesenkräfteauf,umSonnenstäubchenzubewegen,und wägendas wirklichSchwere,alsseiesfederleicht.DiewahreSittlichkeitbe- stehtinrichtiger SchätzungderWerthe.Wirverausgabenunsere besten Kräfte für nichtigen Tand undsind zahlungunfähig,wenn dasSchicksalunsernsthaft einenWechsel präsentirt·Duauch,DonAlonzo, obschoneinleidlichguter Kerl undauch nichtdiimmer alsAndere,trägstkeinrechtesMaßiuDeinerSeele«.

Cytaty

Powiązane dokumenty

Wenn Sie in der schleswig - holsteinischen Sache versäumen,was gut und recht ist, wird damitauch der deut- schen Sache das Haupt abgeschlagen.«Auf den Antrag von Ge- org Waitz, dem

men. Die von Ehrhard begehrte einflußreiche Stellung der Laien innerhalb der Kirche dünkt ihn nebensächlich. Den Coelibat möchte er beibehalten wissen, weil ein

mit allen Wundmalen oft im Dickichtverirrter Menschlichkeit. Als Einen, der dem Herrgottfidel insGesicht gelachtunddenJunkerVolland zum Schop- pen geladen hat. Jnkorrektund

lich Mal Abwechselung Plan fürchtet, zu kurz zu kommen, und will die Erlebnisse beschleunigen, um einen neuen psychologischen Roman schreibenzn können; Rachegefühle spielen

Eine neue Technik wird sich in der Kunst, wie überall, durchsetzen, wenn sie eine intensivere Wirkung ermöglicht. Das werden gleich aber nur die Wenigen empfinden, denen die

tho Bismarck hat im Sachs enwalde, den der Alternde wie eine zweiteHeimath liebte, am sechzehnten März die letzte Puhstatt gefunden. Bald werden die jun- gen Lenztriebe

Wenige Sterbliche hatten einen unerschütterlicheren und durchdringenderen Verstand als Napoleon; wenigeSterbliche konnten sichalso von der Gerechtigkeit ein gewaltigeres und

rezepten die Wirkung versagt bleiben mußte. Heute kamen die Grundbesitzer, morgen die Exporteure und übermorgen die Kleinhändler mit einem An- liegen; bald sollte ein