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Die Zukunft, 18. März, Bd. 26.

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—- TVDG«-

Berlin, den 18.März 1899.

F As Aq-

Wie Bismarcks Buch entstand.

tho

BismarckhatimSachsenwalde, den der Alternde wie einezweiteHeimath liebte,amsechzehntenMärzdie letztePuhstatt gefunden.Bald werden diejun- genLenztriebederlauenburgischenEichenundBuchendaseinfacheGrabgewölbe, in dem derEinfachenebenseinerFrauruht,mit einergrünen, selbstamheißesten SommermittagSchatten spendendenMauerumgeben.Und bald,so dürfenwir hoffen,wird dannauchderTagdämmern,daunterDenenwenigstens,diemensch- licheGrößeempfindenkönnen,derHaderüber dasBekenntnißzu Bismarckenden undman nicht mehr,wieheutenoch,fragenwird, ob Einer,umdenherrlichaus festerWurzelzuungeahnter HöheErwachsenenzulieben,jeden seinerTriebe bewundert,für gesundundnützlichgehalten haben muß.Streitetirgendein Verständiger,selbstinFrankreich, nochdarüber, obBonapartes Politikimmer heilsam,immer»richtig«war?DiemächtigePersönlichkeitbewundert-man, die ge- zeigthat,wie weit einGroßerdieGrenzenderMenschheitzudehnenvermag.Soll, wasdem Fremden, dem brutalen Feindsogar freudiggezolltwird, dem Lands- mann versagt bleiben, dessenGeniusdenDeutschendasReichschufunddessen Persönlichkeitinihrem silbernenAdel,ihrerMischungvonnatürlicherAnmuth unddisziplinirterKraftdemBetrachterdochvielfeinereReizebietet als die dunkle BronzegestaltdesKorsen,derein insostrotzenderFüllevielleichtniewiederer- fchautesGenie im GrundenurdemschrankenlosdahinstürmendenEgoismusdienst- barmachte?...Stillward der Mannbestattet,der dasRechthatte,mitEnnius zusprechen: »NichtThränen weihetmir,nicht Grabgepränge:ichlebeewig inderMenschenMundl« Sein sichtbaresWerkkanninStaub zerfallen, seinpolitischesTrachtenkann, wieMarx weissagte,Episodebleiben:derZauber derPersönlichkeitwirdungemindert durchdiedeutscheGeschichtefortwirken,

undstärkeralsheute wohl noch,wenn dieZeit erstdie Wunden geheilt 31 Ist-v

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habenwird, die derGroßeaufseinemSiegerwegedenFeinde-nundmitunterauch denFreunden schlagenmußte.Deshalb mußunsjedepersönlicheErinnerungwill- kommensein,die zu demBildedesEinzigeneinenneuen Zug fügt.Ernst Schwen- inger,der denFürstenfünfzehnJahre langmitliebevollerSorgfaltpflegte,derihm ArztundFreund,TrösterundAnregerwar,wirdzumerstenAprilbeiHirzelin Leipzigein kleinesBüchleinerscheinenlassen,in demerEinigesausder Leidens- geschichtedestapferDuldenden erzähltundalsAugenzeugeberichtet,wie die ,,GedankenundErinnerungen«entstanden.DievoneinemTrauernden ent- worfene Skizze istalsknappeEinleitungzuumfassenderenPublikationenge- dacht,derenGrundlage Schweningers Tagebücherbilden sollenundaufdie wirhoffentlichnicht allzu lange mehrzuwarten brauchen. Heute, nachder BestattungBismarcks, seien vorläufighiernur ein paarkleineBruchstückeaus demAbschnittmitgetheilt,der dieEntstehungdesuns vom erstenKanzler hinterlassenen Buches behandelt.Darüber sagtSchweninger:

»Das Geschickhates gefügt, daß icheinerderWenigen heute vielleichtder Einzige bin,diealleFädendieserEntstehungsgeschichte kennen. MeineAufzeichnungen,soweitsiedieseFrage betreffen—seit1888 zahlreicher—gehenbisinsJahr1883 zurück.Jn diesemJahre schonsprach ichzumerstenMale mitdemFürsten S.D·, wie wir Allesagten über eineliterarischeThätigkeit,dieerergreifenkönnte,fallsereinmalaus demDienst ausschiede.S.D.erzähltemirdamals gelegentlich,einerseiner früherenAerzte habeanderHand verschiedenerBeispieleausderGeschichte undausseinereigenenärztlichenThätigkeiteinmalvorihmdenGedankenent- wickelt:ein Rücktrittin dasPrivatlebenwürdeihm,demFürsten,gesund- heitlichnichtnützen;vielmehrseidieGefahr vorhanden, daßer,dergewohnten, anregenden, freilich auch aufreibendenundalleKräfte anspannendenThätig- keitentzogen,zufammenbrechenwürde, wie viele Anderevorihm.Dasmußte ich bestätigen,konnteaberzurErwägunggeben, daßdieVoraussetzungfür denerwähntenSatz naturgemäßdainFortfallkommenmüsse,woderVer- such gemachtwerde, Staatsmänner,Politiker,Beamte,Offiziere,die der ge- wohntenThätigkeitplötzlichzuentsagen hätten,auchimRuhezustandein Ver- hältnissezubringen,dieinkörperlicherundgeistigerBeziehungeinesachgemäße Anspannung unterhieltenundgeeignetseien,den Ausfallan.Reiz, Anregung undArbeitdurch entsprechendeneueThätigkeitzuersetzen.Wieichausmeinen Aufzeichnungenersehe,kamenwirimLaufederJahre öfterundbesonders dann aufdieses Thema zurück,wenn S.D.auskörperlichenodergeschäft- lichenGründennicht mehr ,mitthun«zu könnenglaubteunddeshalbdieFrage derAusfüllungderMussestundenimRuhestandeernstlichin»Erwägungzog.«.. Schweningerschildertnun, wieunter derRegirungder beidenerstenKaiser, dieaufBismarcks Dienstenicht verzichtenwollten,dieFragedes Rücktrittes

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nie,,aktuell«wurdeundwie dieVerhältnissesicherständerten, alsWilhelm derZweitedenThron bestiegenhatte.DasAugedesArzteserkanntefrüh, daßein dauerndesgemeinsamesWirkenzweiersoverschiedenenPers önlichkeitenun- möglichseinwürde. Eskam zurEntlassungdesFürstenund zu denuner- freulichenVorgängen,vondenenmancheEinzelheitinzwischenbekanntgewordenist.

»Nichtsanftundwohlthätig,wieesderArztimInteresse seines großenSchutz- befohlenenundimInteressedesVaterlandes gewünschthätte,sondern raschund unsanft vollzog sichdasUnvermeidliche.DerNachfolgerdesKanzlers hielt esimInteressedesDeutschenReiches anscheinendnichtnur für nützlich,die Person seinesVorgängersmöglichstschnellausdemPalaisin derWilhelm- straßezuentfernen,erhielt, offenbarindemselben Interesse, auch darauf, sichgegendieKontagionmitden Ideendieses staatsmännischdoch schonda- mals nicht unrühmlichbekannten Vorgängersmöglichstimmun zumachen.

FürstBismarck,der,wo esnöthigwar, stetsdiePerson hinterdieSache zurücktretenzulassenwußte,botAufklärungen,einführendeAufschlüsse,Erläu- terung derpolitischen Konstellationan. Der General von Eaprivi lehnte ab;man möchteesheutekaumglauben,aberesistThatfache:erlehnteab.

DerscheidendeKanzler machte nocheinenzweitenVersuch.Er bot demneuen Staatssekretär,alsihn dieserHerr besuchte,feinen RathundgeschäftlicheIn- formationenüber diepolitischeLagean.AbermalswurdedasAngebotabgelehnt...

FürstBismarckverließalsoBerlinundsiedeltenachFriedrichsruhüber.Er kam jetztwiederholtaufdiemahnendenWortedesArzteszurück,dem das inUmlauf gesetzteWort vonder,unheimlichenDiagnose«zwarsehrschmeichelhaft,aber bei derLagederSache dochnur einemäßigeGenugthuung seinkonnte.

DasEreignißwar da:man mußtemitihm rechnen.Dersorgenvolle, schwererschütterteRiese kämpfte—- ein vereinsamterMann, demsoViele die Treue gebrochenhatten—- imSachsenwaldeschwerenKampf.DasZieldes Arzteswar,denFürstenzu einerThätigkeitzuveranlassen,dieihn nichtnur beschäftigte,sondern seine Kräfteauchzunützlichem,ihn selbstbefriedigendem Werkanspannte;erbatihn,denBeweiszuerbringen, daßdieLeutedoch sehrimUnrechtwaren, dieihnalskörperlichund,wasnoch schlimmerwar, auchalsgeistig verbrauchtundleistungunfähighinzustellenversucht hatten- DerPlaneinerliterarischenThätigkeitwurde,anknüpfendandieerwähnten früherenGespräche,S.D.nochvor derAbreisevonBerlin zumVortrag gebracht.Abernichtso raschundleichtwarderFürstzurAnnahmezubringen.

Erlasungemeinviel,ZeitungenundBücher,warstetsbereit, inseiner feinen WeiseüberTagesereignisse,dieihn besorgtmachtenodersonstinAnspruchnahmen, oderauchüber dieVergangenheitzusprechen;abersichmitdieserVergangenheit schriftstellerischzubeschäftigen,dazuhatteerkeinebesondereLust.DerMann,der Geschichtegemachthatte, fühlte sichnichtberufen,unterdieGeschichtfchreiberzu

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gehen.Gegen ,Memoiren« hatteerpersönlicheBedenken.Warerganzoffen, sowürdeman ihmunter Umständendiese OffenheitzumVorwurf machen; schwächteerzusehr ab, sokonnteman ihnderSchönfärbereizeihen.Was denFürstenendlichbewog,war derAppellansein PflichtgefühlundderGe- danke,wemdieArbeitnützen würde.Erkonntesichnicht verhehlen, daßer demdeutschenVolkenochEtwas zusagen hatte, undseinerPflichtwollte

ersichniemals entziehen.ErhatteeinenbeträchtlichenTheilderGeschichte diesesJahrhunderts gemacht:erkonntedasSeinethun, auchdemnächstennochden Stempelseines Geistesauszudrücken.Manhattevonihm behauptet,erseigeistig undkörperlichverbraucht:erkonnte undmußtedenBeweisliefern, daßund wieer nochleistungfähigwar. SeineNachfolgerhatten seine Rathschlägeabgelehnt:er wandte sichandas ganze Volk undgab diesemseine Gedanken mitaufdenWeg.

ErhattevonderhöchstenWarteausdasWerden einergeschichtlichenEpocheüber- blickt:nunwollteerseinen Volksgenosseneinen BlickvonseinerHöhegestatten.«

Auf SchweningersVorschlagwurdeLothar Bücher,alsdergeeignetste undberufenfteHelferamWerk, insHaus geladen.»Die Arbeit konntenun also beginnen;abersiebegann nicht sofortundrege. DerFürstwar einst- weilennurtheoretischfürdieSachegewonnen,erschwärmtenoch nichtbesonders fürdieIdee. Begierig,S.D. wiederbeschäftigtunddasWerkfortschreiten zusehen, fand ichinjenen TagenbeimBetreten desFrühstückszimmersoft dasfolgende,wenn ichnichtirre,auchvonAllersinseiner Bismarckmappe verewigteBild: Bücher,stumm, verstimmt,mit leerem Blatt,gespitztenOhren undgespitztemBleistiftam Tisch,derFürst nach ärztlicherAnordnung auf derChaiselongueliegendundindieZeitung vertieft. Tiefe Stille;man hätteeinMäuschenlaufen hörenkönnen. DerFürst sprachkein Wort,Bucher erstrecht nicht,—- und die Blätter blieben leer. Undeswar doch eigentlich nicht schwer,denFürstenanzuregen undaufeinThemazubringen.Aber Bucherwar etwas still, nicht sehr impulsiv,dabei immereinWenigderdie BefehledesChefserwartendeBeamteundGeheimrath;derArztaber, demes anLebendigkeitnichtgefehlthätte,warnichtimmeranwesendundnichtim Be- sitzdernöthigentieferen historischenundpolitischenGrundlagen,wenn ersich auchimInteressederSache späterwiederholt entschloß,direkt undbe- sandersindirekt—- Buchers Initiativezuermuntern und denGetreuen dahin zubringen, daßeraus sichherausging,S.D.aufeinThema brachteund dann zurFortspinnung des Fadens auchwiederdaraufzurückführte.Der Erfolgbliebnichtaus: die ArbeitkamendlichinGang.Zunächstwurde einRahmen festgestelltunddieserRahmendannallmählichausgefülltMit der Häufungder ,lofenBlätter«wuchsbeiS. D. zwar nicht gerade dieLust,aber dochdasInteresseanderArbeit, undnoch eheder· ge- treue BucherinTerritet ausgelitten hatte,war dasWerk,wieesheutein

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denerstenbeiden Bändenvorliegt,wenigstensindenGrundzügenvollendet.

DaswareinGlück;denndieserMitarbeiter wärenichtzuersetzengewesen.Bücher besaßnichtnurdienöthigehistorischeundpolitischeBildungund denreichenSchatz seinerErfahrungenundErinnerungen:erwarauchdiskret,ehrlich,gewissenhaft, S.D. mitKopfundHerzergeben,undwenn erauchoft ver-stimmtund inFolge seineskörperlichenLeidensmißmuthigwar,sotauschtederFürst dochamLiebsten mitihm, dessenGedächtnißfast unfehlbargenannt werden konnte,Erinnerungen aus. DasHinscheidendieses,sympathischen,schweigsamen,angenehmenHaus-

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genossen«,mitdemS.D.soalteBeziehungenhatte,wareinschwerer,harter Verlust. DasWerkbliebaber,nachdemeseinmalsoweitgediehenwar, trotzdemnicht liegen.Eswar inzwischenalsManuskript gedrucktworden unddergroßeAutornahmesimmerwiedervor,blätterte,prüfteundarbeitete, ergänzend,ausbauend, stilisirend,ganzeKapitel ,umgießend«,zuZeitenuner- müdlichdaran.Neuesdagegenistleidernichtmehrvielentstanden.Wenigerdie steigendenBeschwerdendesAlters unddiedoch mehr-undmehrzunehmende Entwöhnungvom Schreiben—- seitKullmanns Attentat war dierechte Hand überhauptimmeretwas behindert—- alsdasFehleneinesAnregers undGehilfenvonderErfahrung BuchersverhindertedieFortführungderArbeit.

DasWerkhatnebenanderenVorzügennocheinen ganz intimenReiz:

Bismarck,unser Bismarcklebt indiesem Buche füruns fort. Wirhören allerdings nicht mehr seineklare,helle, feine, biegsame,überzeugendeStimme.

Wirsehennichtmehrdiesprechende,überausreizvolleBewegungseinerwunder- vollenHand.Unsleuchtetnicht mehrderStrahl seinesbebuschten,mächtigen, glänzenden,beherrschendenblauenAuges. DochwirergreifendasBuch, under,derUnersetzliche,kommtfreundlich,wieeinst,mitunszuplaudern,an derHandderErinnerungenausseinemeinzigreichenLeben dasWerdeneiner Epochezuzeigenunduns dannmitseinenGedanken zubelehren.«

...WiedertreuesteFreund, so hatüber BismarcksBuchaucheiner der zähestenGegnerdesnun Bestattetengeurtheilt: LudwigBamberger,den der Märzsturmebenaus langenLeidenriß. AuchdieserfeineStilist, dessenWelt- anschauungdochvonder desmärkischenHeldendurchAbgründegetrennt war, konnte sichdemReizderPersönlichkeit,dernochin demnachgelassenenBuchefortwirkt, nichtentziehenund erlebte Stunden,wo er vondemgroßenBernichterseinerIdeale inderStimmungeinesschwärmerischLiebendensprach.DerMann, derauf denSinn desFeindesselbst solchenZauberzuübenvermochte,wirdewigim Munde derMenschenleben,lmagseinLeibauch auf einsamer Höhehinterder grünenLanbmauer bestattetunddemstolzenBlickseinesVolkesentzogen sein.

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Nietzscheund die Franzosen.’««)

ein Bruder fühlte sich schon sehr frühinderfranzösischenKultur

« heimisch.Bereits alsSchülerinPforta zeigteereinestarkeBor- liebefür französischeGeschichteundLiteratur undicherinneremich besonders seinergroßenNeigungzuPaseal. JnLeipzig,als Student,beschäftigteersich eifrigstmitfranzösischemGeistesleben,so daß Ritschleinmalscherzhaftmeinte, selbst seine philologischenArbeiten seiendavonbeeinflußt,»erkonzipiresie wie einfranzösischerRomancier: absurd spannend.«MeinBruderbeabsichtigte damals, mitErwin Rohdezu einemlängerenAufenthalt nach Parisüber- zusiedeln;dieallzu frühe Berufungan dieUniversitätBaselvereitelteaber seinen PlanunderbrichtindenBriefenanRohdezuwiederholtenMalen inBedauern undärgerlichesKlagendarüberaus. Weihnacht1869 ließer

sichvon mireineReihevonBüchernderfranzösischenMoralisten: Laroche- foucauld, VauvenarguesundLaBruyere schenkenundFrau Cosima Wag-

ner verehrte ihmeinebesonders schöneAusgabedesMontaigne.Erbesaß aberdiesenSchriftsteller schon langezuvorineiner altendeutschenUeber- setzung,derenmarkigesDeutsch ihmganzbesonderesErgötzenbereitete. Der Krieg gabmeinem Bruder dengroßenAnstoß,sichmitfranzösischerKultur noch intensiverzubeschäftigen;nur zog er aus diesemStudium ganz andereResultatealsseine deutschenundfranzösischenZeitgenossen.Erglaubte nämlich,daßderAusgangdesKriegeskeinUnglückfür Frankreich gewesen sei;unter denverschiedenstenFormen kehrtderselbeGedankeimmerbeiihm wieder,daß erstderKriegdenGeistinFrankreich »erlöst«undvertieft habe.

EsistmirinderErinnerung,als obBaseldamals wenigervon deutscheralsvonderfranzösischenLiteraturbeherrschtgewesenwäre;wenigstens schienesso nachdenBüchern,die ins dergebildeten basler Gesellschaftge- lesenundindenBuchlädenausgelegtwaren. Jch glaube nicht, daßmein Bruder injener Zeitmitten inDeutschlandganzzufälligStendhalineiner Buchhandlunggefundenhabenwürde:»Stendhal,einerderschönstenZufälle meines Lebens dennAlles,was inihmEpoche macht, hatderZufall, nie eineEmpfehlung,mirzugetrieben.«EsistmeinemBruder immerunbe- greiflichgewesen, daß dieserAutor denDeutschen so lange Zeit fastunbe- kanntgebliebenist; nochimHerbst1888schreibter: »Undwenn ichStendhal gelegentlichalstiefen Psychologen rühmte, begegneteesmirmitdeutschen Universitätprofessoren,daß sie michdenNamen buchstabirenließen.« Jhm selbstwar er»ganzunschätzbarmitseinem vorwegnehmendenPsychologen-

Ab)DieseStudie istzumTheilderEinleitungmeiner demnächsterscheinen- denUebersetzungvonHenriLichtenbergersSchrift:»Die Philosophie Friedrich Nietzsches«(VerlagvonC.Reißner, Dresden)entnommen.

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NietzscheunddieFranzosen 463 Auge,mitseinemThatsachen:Griff,deran dieNähedesgrößtenThatsäch- lichenerinnert (exungue Nap()1eonem).«

Jch möchtehierbei hervorheben, daßesdamals nichtdieFormvoll- endungderfranzösischenSprachewar, zudersichmeinBruder solebhaft hingezogenfühlte,sondernderheitere,scharfsinnigeGeist: ,,GraziemitNüchtern- heit gepaart«,derausdiesen Schriftstellernsprach. AußervonStendhaLden erimmernur französischgelesenhat, besaßernebendenfranzösischenAus- gabenimmernoch gute deutscheUebersetzungenzundAlle, die inseiner Nähe lebten, wurden indenJahren1876 bis1882 zumUebersetzenvon neueren Schriftstellern,dieihm sympathischwaren, aufgemuntert.Soübersetzteeine Freundin EinigesvonSainte-Beuve undichdieMelanges etheitres von X. Doudan. Jch gewöhntemichdamals auchdaran,ihm französischeBücher deutsch vorzulesen;soerinnere ich michz. B. Amiels,,Journa.1jntime« und einerNovelette oderStudie: ,,Levoil sou1eve« von GeorgeEliot, die in einerfranzösischenRevuestandundmeinenBruder lebhaft interessirte.

Dievon meinemBruder bevorzugtenfranzösischenSchriftstellerwaren damals, um sie nocheinmalbesonders hervorzuheben:Pascal, Montaigne, Chamfort, Stendhal; Voltaire gehörtenicht dazu, obgleichmein Bruder seinerimmermithöchsterEhrfurcht,alseines»grandseigneurdesGeistes«, gedachteund ihmdieersteAusgabevon»Menschliches,Allzumenschliches«

widmete. AberdieseWidmungwar gewissermaßenzufällig,durchdenhundert- jährigenTodestagVoltaires hervorgerufen,demmein Bruder seineHuldigung bezeugenwollte, nicht so sehr durcheinebesondereVorliebebegründet.Ueber dentiefenundtragischenSinn, denerdieserWidmung beilegte,schrieberim Juni1878: »Das SchicksaldesMannes, überdenesauchnach hundert Jahren nur Partei-Urtheilegiebt, standmiralsfurchtbares Symbolvor Augen:gegen dieBefreier desGeistes sinddieMenschenamUnversöhnlichsten imHaß,amUngerechtesteninLiebe. Trotzdem: ichwillstillmeinen Weg gehenundausAllesverzichten,wasmichdaran hindernkönnte.«

VondenFranzosendesneunzehnten Jahrhundertskannteerdamals nur Wenige,mitAusnahmevon Merimee undGobineau. FürGobineau hatteereine ganzbesondereVorliebe undbeklagtees,daßdasSchicksaleine persönlicheBekanntschaft,dieauchGobineau lebhaft wünschte,verhinderte.

Leidererinnereich mich nicht mehrgenau, wann wirzuerstden ,,Essaisur l’inega1it(ädes raees humaines« und»Da renaissance« kennengelernt haben; jedenfallsmußesineinem der beiden Winter 1875X76oder1877J78 gewesensein.Wirliebten undverehrtenGobineauzu einerZeit,wosein NameinDeutschland nochganzunbekannt war. BeiseinemTodezeigte sichmeinBruder tiefbetrübtund sagte,er habevon diesemprachtvollen Mann immer gehofft, daßer einstmalsinseinen Hauptansichtenmitihm

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übereinstimmenwürde: er empfand sichmitihmalsgleichgeartet.Ueber Turin schreibtmeinBruder nochimFrühjahr1888:- ,,...diese Stadt, welcheauchGobineauso sehrgeliebthat wahrscheinlichgleichtsieunsBeiden.«

Jch darf wohl sagen, daßmein Bruder in denJahren1876bis 1883 nurDasvonneuer französischerLiteraturkennengelernthat,wasihm deutsch oderfranzösifchvorgelesenwordenist.VomWinter 1883an,denerinNizza verlebte, liebteerUebersetzungennicht mehr;er hattesichdortsehrandie französischeSprache gewöhnt,unddasich auchderZustand feiner Augenbe- deutendgebesserthatte, so singeran,selbstsehrvielfranzösischzulesen.Aber indenJahren1879 bis1882 haterweder ineinemBuchladennochin einer Lesegesellschaft(gegenLesegesellschaftenhatteereinegroßeAbneigung: »einLese- zimmer machtmich krank!«)einfranzösischesBuch angesehen.Dasistwichtig, weil imletztenJahre mehrfachaufdiemerkwürdigeThatfacheaufmerksamgemacht wordenist, daßzweifranzösifcheDenkerfrüherundfastzugleicherZeitwie mein Bruder dieJdeevonderewigenWiederkunftaufgestellthaben.Diedeutschen Kritiker sindnur allzu geneigt,dieOriginalitätmeinesBruders anzugreifen, und werdenesdaher vorziehen,dasErstgeburtrechtdenfranzösischenGedanken- äußerungenzuzuschreiben. JchkannabermitallerBestimmtheit behaupten, daßdieSchriftenvonBlanquiundLe Bonniemals indieHändemeines Bruders gekommensind. Für mich ist diese ThatsacheeinBeweis mehr, daß bestimmteJdeenundSchlußfolgerungen,durchwissenschaftlicheErgebnisse vorbereitet,gewissermaßenin derLuft liegenundzugleicherZeitanver- schiedenenStellen unabhängigvon einander auftauchenkönnen. Daßder gleiche Wissens-und Bildungsgrad gleicheFertigkeitenundVorstellungen hervorbringt,kannman allgemeinbeobachten:ich habebei denEingeborenen von Südamerika Gebräuche,künstlerischeAusschmückungvonNaturprodukten

u.f.w.vorgefunden,die einReisenderbei einemVolksstammmitteninAfrika sehr ähnlichentdeckte.Jch glaubenun, daß dieseErscheinungnichtnur für niedereBildungstufen, sondern auch fürdieallerhöchstenzutrifft. Uebrigens hebt auchLichtenbergerhervor, daß dieseJdeevonden dreiverschiedenenUr- hebernganzunabhängigvon einanderaufgestelltwordenist, daßsieabererst durchmeinenBruder ihre gewaltigeTragweiteerhalten hat.Esist wohlanzu- nehmen, daßalleDreivon denselbenneueren naturwissenschaftlichenErgeb- nisfen beeinflußtwordensind.Jm UebrigengiebtderausdemBuchhandel zurückgezogenezwölfte BandderGesammtausgabevon meines Bruders Werken, in dem dieSchrift »dieWiederkehrdesGleichen««inwissenschaftlich ganzverfehlter Weise veröffentlichtist,keinezuverlässigeVorstellungdavon, was meinBruder wirklichdarübergedachtundniedergeschriebenhat-)

sie)Der damaligeHerausgeber,Dr.Fritz Kögel,hatte, ohnevondenspäteren, nochunentziffertenManuskripten Kenntnißzunehmen, denInhalteinesgeschriebenen

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NietzscheunddieFranzosen. 465 Schließlichkönnteman abersagen, daßderGedanke derewigenWieder- kunftallerDingemeinemBruder schonvielfrüherbekanntgewesenwäre, daerihninderzweiten ,,UnzeitgemäßenBetrachtung«selbstalsMeinung derPythagoräeranführt.A.Riehl hebtDies inseiner trefflichen Schrift hervorundnimmt an,daßmeinBruder früher,alserselbstangiebt, diesen Gedankengekanntundihnnur wiedervergessenhabe.

VomWinter 1883X84an, demersten,denmeinBruder inNizza verlebte,beganner,sichauch lebhaftmitdenneueren undneustenFranzosen zubeschäftigen.Mein Bruder liebteFrankreichund seine Kultur, und wenn auch seine innerste Zuneigungdemalten aristokratischenFrankreich galt, so fander doch auch noch «indemjetzigenFrankreichdasLanddes verfeinertstenGeschmackes.Dreierlei schien ihmdasunverlierbare Gut seineraltenKulturüberlegenheit:dieFähigkeitartistischerLeidenschaftinder Hingebungan dieForm;einealtemoralistischeUeberlieferung(,,Zwei Jahr- hundertepsychologischerundartistischerDisziplin zuerst,meineHerrenGer- manen! Aber Dasholtman nicht nach.«)undeineglücklicheMischungder Rasse.»Im WesendesFranzosen isteinehalbwegs gelungeneSynthesis

HeftesmeinesBruders ausdem Sommer 1881unter einenichtdazu gehörigeDis- positiongebracht.DerInhaltderKapitelpaßt nichtzudenUeberschriftenund dasfünfte Kapitel hatmitdenviererstenkeinenZusammenhang Das vom Dr.Kögel zusammengestellte Manuskriptflößtemirvonvorn herein Mißtrauen ein undich hatte deshalb, eheesveröffentlichtwurde,dieZuziehungeineszweiten sachverständigenHerausgebergewünscht.Dr.Kögel erhob dagegen Schwierigkeiten, so daßschließlichderzwölfteBand ohneeinesolcheNachprüfunggedrucktworden ist.Jchwarzuerst durchdietötlicheKrankheitmeinerMutter unddanndurch eigeneKrankheitverhindert,dieSachegenauer zuuntersuchen;nachdemaberin- zwischenverschiedeneKritiker, soz.B.in der»Zukunft«und in der»Frankfurter Zeitung«, sichüberdiese wunderlicheunddürftigeVeröffentlichung,diejeden auf- richtigenNietzsche-Verehrerenttäuschenmußte,mitErstaunenundMißfallenaus- gesprochen hatten, sahichmichimDezember1898genöthigt,dieVerlagsfirmazu veranlassen,denzwölftenBandausdemBuchhandelzuziehen.lMeinenBruder, dergeradedieVeröffentlichungdiesesGedankens indervollkommensten,vielleicht sogarnur inpoetischerForm gewünschthatte,würde esempört haben, diese ersten embryonalenGedankenentwickelungen,ohnediespäteren,sie vervollkommnenden, veröffentlichtzusehen.Dievier ersten Kapitelder,,WiederkehrdesGleichen«

aus demzurückgezogenenzwölftenBande gehörenzur»FröhlichenWissenschaft«, dasfünfte Kapitel isteineArt SelbstgesprächnachdemerstenAufleuchtendes ewigen Wiederkunftgedankens.

Dieletzten BändederGesammtausgabewerdenerscheinen,wenn das vor- handeneMaterial vollständiggesichtetsein wird; erstdannwirdesmöglichsein, zuentscheiden,biszuwelchem Punktedieso jähunterbrocheneGedankenarbeit meines Bruders gediehenwar·

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