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Hamburgische
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Dramakurgie
Sechs Und siebzigstes Scück.·
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Den v22sten Januar,
«1768.
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Aeksdgs ist grundfaxschs
—·—·Ich kann Mk nicht genug wundern-, wie Dakzex,., de- doch sonst auf die Perdreihungeznzziseiutlithl aufmerksam war, welche Corneille ivonsdem Texte des Aristoteles zu seinem Besten-zu ma- chen suchte, diese größte v»»o.n allenspühersehm können.«" Zwar, wie konnte
ersie nicht überse- hen, da es ihm·nie einkom» des..-Philpsophen«
Erklärung vom Mitleid zu Rathe zu ziehen?
—-·, . »sWie gesagt, es ist gru—ndfal»sch-« was sichCorr-
«neille einbild:et. Aristoteles kann das nicht«ge.-.s meint haben
,-oder
manmüßteglauben, daß ei:v
--
seine eigene Erklärungenvergessenkönnen
,mqkk müßte glauben, daß
ersichan die handgreif- lichste Weise widersprechen können. Wenn, nach seiner Lehre, kein Uebel eines andern unser Mitleiderregeh was wir nicht für uns selbstv- fürchtenx so konnte er mit keiner Handlung in,
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«der
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v« «der Tragödie zufrieden seyn, welche nur Mitleid usteineFurcht erreget ;- denn- st Hielt die Sache sahst zfüe unmdgkichzdergl-Ecken Handlungen existirten ihm nicht; sondern sobald sie unser·
szu erwecken fähig wärm- te er, müßtszussie auchzurcht får uuechnzvoder vielmehr
-,«nur durchdieseFurcht erweckten sie«
Mikxisss Nsch weni er» konnte er sich TM Handcungd gärerszeagd ie-" vorstellen- welche Furcht für uns .kdnne, ohne zugleich unser Mitleid zu erwecken: denn
erwarüber- zeugtkkdaßalles, was uns Furcht für uns selbsk errege, auch unser-Mitleid erwecken müsse,«soa bald wir andere damit bedrohetiz oder betroffen erblickten-; undsdas ist eben der Fall der Tra-·
gddie-, woser sallsedas Uebel, welches wie sicrchten,fnichk une, sondern anderen begegnen
sthen.:
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Es ist wahr-· wen-n Aristdreleo von
Handlungen«spvrrhr—, vie sich in die Tragödie- yixchk sthickenz fes-schiene
ersichsmehrinalendes Ausdrucks
vonihnen, daß sie weder Mitleid- noch Furcht erwecken. Aber desto schlimmer-,
wenn sich Corueislledurch dieses weder nochz Verführen lassen.f Diese disjunetire Partikelnss involviren nicht immer, was
eesie involoiren
.
läßt-; Denn
wennswir zwee) oder mehrere- Dinge von einer Sache durch sie verneinen ,z-«« so;
kdmth es darauf an, ob sichdiefe Dinge
ebefii
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M- 187
so wohl in der Natur
Voneinander trennen las- sen- als wir sie in der Abstraction und durch den symbolischen Ausdruck trennen können,
wenn«die Sache dem ohngeachtetnoch bestehen soll, ob ihr schon das eine oder das andere
vondiesen-
Dingen fehlt.
»Frauenzimmer sagen, sie sey weder schönnoch
«
witzig: so wollen wir allerdings sagen, wir würdenzufrieden seyn, wenn sieauch
vnnreines
von
beiden ware; denn Witz undSchdnheit las- sen sich nichtsbios in Gedankentrennen, sondern sie sind wirkiich getrennetz Aber wenn wir sagen, dieser Mensch«glaubtweder Himmel noch Hösis le: wollen wir damit auch sagen, daß wir zus- frieden seyn würden, wenn
er nureines
Von-beiden glaubte, wennxer
nurden Himmel und
«keine Hölle
,oder
nurdie Hölle und keinen Him- mel glaubte? Gewiß nicht: denn
werdas eine
«glaubt, mußnothwendigauch das andere glan- ben;—Himmel nnd Hölle, Strafe und Veto-h- nung sind relativ; wenn das eine ist, ist auch das andere. Oder,
ummein Exempel aus einer verwandten-Kunst zu nehmet-;
wenn wirsagen- dieses Gemahide taugt nichts, denn es has weder Zeichnung noch —Koiorit: wollen« wir da- mit sagen, daß ein gutes Gemählde sich mit einem
vonbeiden begnügen könne?
—-Das ist«
so klar!
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«2Allein-
Wenn »wir z. E.
voneinem
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188
UsAlleim wie, wenn die--E«rklärung, welche Aristoteles
vondem Mitleiden giebt, falsch wäre? »Wie, wenn wir auch mit Uebeln und Unglücksfallen Mitleid fühlenkönnten, die wir sür uns selbst«auf keine Weise zu besorgen
haben?
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Esist wahr: es- braucht unserer Furcht nicht,
um
Unlust über das physikalische Uebel eines Gegenstandes zu ,empsinden, den wir lieben.
Diese Unlust entstehet blos aus der Vorstellung
der Unvollkommenheit, so wie Unsere Liebe aus der Vorstellung der Vollkommenheiten dessel- ben; und aus dem Zusammenfiussedieser Lust und Unlust entspringet die VermischteEmpfin- dung, welche wir Mitleid
nennen.-
Jedoch auch so nach glaube ich nicht, die Sache des«Aristoteles nothwendig ausgeben zu
«
müssen.
· « «Denn wenn wir auch schon, ohne Furcht für
Uns selbst, Mitleid für andere empsinden kön-
-nen:so ist
esdoch unstreitig, daßunser Mit-
-leid,
wennjene Furcht dazu kömmt, weit leb- hafter und starker und anzüglicher wird, als es ohne sie sehn kann. Und was hindert uns,
an-zunehmen, daß die vermischteEmpfindung über das physikalische Uebel eines geliebten Gegen- standes-,
nurallein durch die dazu kommende Furcht für uns, zu dem Grade erwächst, in wel- chem sie Affekt genannt zu werden
Verdiegktsx;i
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-M«
189 Aristoteles hat es wirklich angenommen. Er betrachtet-das Mitleid nicht nach seinen primi- tiven Regungen,
erbetrachtet es blos als Affekt.
Ohnejene zu verkennen, verweigert
ernurdem
!
Funke den Namen der Flamme. Mitleidige"
Regungen, ,ohne Furcht für uns selbst
,snennt erPhilanthropie: und
nurden stärkernRegun- gen dieser Art, welche mit Furcht für uns selbst verknüpft sind, giebt
erden Namen des Mit- leids; Also behauptet
erzwar, daß das Un- glück eines Bösewichts weder unser Mitleid-«
noch unseranrcht errege: aber ersprichtihm
«
darum nicht all-e Rührung ab. Auch der Bd- sewicht ist noch Mensch, ist nochein Wesen, das bey allen seinen moralischen Unvollkommen- heiten,- Vollkommenheiten genug behält,
umsein Verderb"en,- seine Zernichtung lieber nicht zu wollen,
umbey dieser, etwas mitleidåhnsli- ches, die Elementedes Mitleids gleichsam,A zu empfinden. Aber, wie schon gesagt,diese
mit-»«
leidahuliche Empfindung nennt
ernicht Mitleid, sondern Philanthropie.
--«MIUFluß-Tags er,
,,keineu Bösewicht
»ausunglnckltchen
mglück-
»Iiche Umstände gelangen lassen; denn-das ist
»das untragischste, was
nurseyn kann; es hat ,,niches
vonallem, was es haben sollte; es
ek-,,weckt weder Philanthropie, noch Mitleid, noch
.,,Furcht. Auch muß es kein völligerBösewicht
«frnn, der aus glücklichen Umständen in
un--
Aa 3
«»Rück-
195 SI-
,,giückiiche verfällt; denn eine dergleichenBe-
«
,,geb-enheit kann zwar Philanthropie, aber weder -,Mitleid noch Furcht erwecken.» Jch kenne nichts kahleres und abgeschmackteres, als die ge- wöhnlichenUebersetzung-endieses Wortes Phi- lanthropie. Siev geben nehmlich das Adjektivum davon im Lateinischen durch hominibus gra- kumkz im Frauzösischeudurch es que Peur faisre quelque plaiür—; und im Deutschen- dnrch
»wasVergnügen machen kann-, Der einzigeGoulstony so Viel ich finde, scheinet den.
Sinn des Philosophen nicht Versehlt zu haben;
.indem
erdas sØvaIkmm durch quod huma- niratis fenfu rangar übersetzt. Denni aller- dings-ist unter dieser Philanthropie, aus welche das Unglückauch eines Bösewichts Anspruch
,
macht, nicht die Freude über seine verdiente Bestrafung, sondern das sympathetischeGefühl der Menschlichkeit zu verstehen, welches-— Trotz
·
der Vorstellung, daß sein Leiden nichts als Ver- dienst sey, dennoch in dem Augenblicke des Lei- dens, in uns sichfür ihn reget. Herr Curtius will zwar diese mitleidigeRegungen für einen sunglücklichen Bösewicht,
nuraus-« eine gewisse Gattung fder ihn tressendenXUebeleinschränken-
»Sol«cheZufälle des Lasterhastesn, sagt«er., die
«,weder Schrecken noch Mitleid in uns wirken,
".
«müssenFolgen seines Lasters seyn
:denn treffen
«sieIhm zufällig,
« i »oder wohl gar unschuldig, so.
·
»Ah-in
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l.,., s»
Hi zbehalt
erin dem Herzen der Zuschauer die Bor- ,,rechre der Menschlichkeit,.als welche auch ei-
,«,nemunschuldig leid-enden Gortlofen ihr Mit- ,«,leid nicht versagt.,, Aber
erscheinet dieses nicht genug über-legt zu haben. »Der-nann- dann noch.,
wenndas Unglück, wsetchesszden Bösewichtbefällt, eine unmittelbare Feige sei-
nesVerbrechens ist, können wir uns nicht
ent-wehren, bey dem Anblicke dieses· Unglücks mit
ihrnån ;eiden. M
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jene-.- enge:, ißgrsder Vefo
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Bviefss übss die- Wnduwgem »die nTh W
»ein-enVerirrtheiiren ikntdicht-»Wei- dkMk,z
«»»Sie haben- valle-Grenel nennizmkniäsz dsp M-
,-,Lasterhafte begangen; sie heise- setnen Wen-«
»Ja-, und Vielleicht-ihn felbstvernbscljener. Itzt-
»·fchceppt
manihn entstellt Find ohnmäschtig auf
»das entsetzliche Schaugerustes
«Man sakbseireos
»sichdurch das Gewnhk,« manstsellr anf- dis- ,;Zckhen, man riet-ten die Dascher hinan, ums
»die Züge des Todes Gssichk eilt-steilen zus:
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ziehe-ex
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Sein-Urtheil istgesprochknzs skaems Heer-.- unhe—sich Me- ein Augenblicks wird fein ,,Schicksa1 emscheideu..-
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Wielfshtklsch wünschen
»itze aller Herzen- daß thnt verziehen würdet ,,Jhm? dem Gegenstandeihres AbscheUeH-« den ,,sie einen Augenblick rothes-·- selbst zum Tode
«Verurtheilet haben -wurden? Wodurch wird
-
,,itzc ein Strahl der-Menschenliebe- wiederum
—
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«bey
192
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,«,beyihnen rege? Jst es nicht die Annäherung
»der Strafe, der Anblick der entsetzlichstenphy-«
»sikalifchen Uebel, die uns sogar mit einem Ruch-«
,,losen gleichsamaussöhnen, und ihm unsere Liebe
»erwerben? Ohne Liebe könnten wir unmöglich
»mitleidigpmit seinemSchickfale senn.»
- .Und eben diese Liebe, sage ich, die wir gegen
-unfernNebenmenschen unter keinerley Umstän- den ganz verlieren können, diennter der Asche, mir welcher sie andere stärkere Empfindungen- überdecken
,unverlöfchlich fortglimmet, und gleichsam nur einen günstigenWindstoß von-
Unglück und Schmerz und Verderben erwartet«
um
in die Flamme des Mitleids auszubrechenz eben diese Liebeist es, welche Aristoteles unter»
dem Namen Jder Philanchropie verstehen Wir haben Recht, wenn wir sie mit unter dem Ra- men des» Mitleids begreifen. Aber AristoreleT hatte auch nicht Unrecht, wenn
erihr einen ei-.
genen Namen gab,
um«sie-,wie«gefagt, von.
«
dem höchsten Grade der smirleidigen Empfindunz
gen, in welchemsie, durch die Dazukunst einer»
wahrscheinlichen Furcht für Uns selbst, Affekt:
werden« zu unterscheiden..
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