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Philosophie und Leben. Jg. 4, H. 6 (1928)

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Academic year: 2022

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^üöfoptyte und Heben

4. JAHRGANG + 6. H EFT + JUN I 1928

„3m JMenfte bet IDoIfcsfein&eit erßrebt ttnfere Jettf^rtft eine fa äf*

ltdje Stußfprac^t ber betrieb en en toelfanf^aulti^tn Htd)tungen.“

2 )fc S 3 ö 5 cufung 5 er ©ejetffcfyaffetage für 5 as

© d f f e s t e b ß t i1)

93on | a i i ( $

1

11 i cf).

3R. S . unb £!

Ser heutige Sag fteht unter bem 3^id)cn bes Abfcbluffes einer Arbeit, bie Sie auf ben oerfdjiebenften ©ebieten mit ben Problemen bes gegen»

»artigen ©eifteslebens in 93erbinbung gebraut bat. Sie feeren aurüct au Obren ‘Berufen, unb es mag in biefer Stunbe bie grage auftaueben: ©as bebeuten bie geiftigen ©eiten, in bie mir geblicft baben, für unfer Stegen in biefem 33eruf, in biefer gefellfcbaftlicben Sage? © ir wollen öerfueben, eine Antwort barauf 3 U geben, inbem wir 3 unächft umgefehrt fragen:

©as bebeutet bie gefelifdjaftiidje Sage für bas geiftige Seben, für feine gormen unb ©eftalten, für fein Entfteben unb fein Sich=©anbeln? ©as bebeutet es für meine geiftige Haltung, für mein (Erfennen unb An»

febauen, für mein Seben in ber ©emeinfehaft, in ber Religion, baß id) biefer ©efellfcbaftsform, biefem Stanbe, biefer Klaffe angefjore?

Swei Antworten finb es, bie fid) uns barbieten. Sie erfte Reifet: es be­

beutet nichts! Sas ©eiftesleben ift eine ©irflichfeit für fid), bie ihre eignen gormen, ihre eignen ©efefoe hat. Unb alle, bie an ihm teilhaben, finb an biefe gormen unb ©efefce gebunben, gan 3 gleich, in welcher ©e»

jellfcbaftslage fie fid) befinben. Ob “Sauer ober Unternehmer, ob B e ­ amter ober Arbeiter: ©er teilnimmt am Seben ber Kirche ober ber Kunft ober ber ‘’Philofophie, muß biefe feine Sonberungen hinter fich Iaffen unb fich ber Sache hingeben, bie für alle bie gleiche ift. <Es ift bie ibealiftifche Antwort, bie fo lautet, bie ben ©eift als eine höhere ©irflichfeit über ber feelifd)en unb fojialen anfdjaut, als einen Ort, 3 U bem man nur gelangen fann, wenn man fich r>on ber (Ejiftena, oon bem Safein als biefer SKenfch in biefer Sage abwenbet.

(Es liegt eine ©abrheit in biefer Antwort: ©er bem ©eift bienen will, wer auch nur ein ©ebiebt, ein 33ilb, einen philofophifdjen ©ebanfen oer=

ftehen will, muß bie ©renaen feiner jufälHgen (Ejtftens burchbrechen. Rie=

*) 3Sortrag, gehalten auf ber 2lbfd)(u6fciet bes jwetfen ©tubienganges ber 93er- roaltungsafabemie Dresben im 3uni 1927.

^W lofopfeie unb Seben. I V . 11

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1 5 4 S i e S e b e u t u n g be r © e f e l l f i f c a f t s l a g e f ü r b a s © e i f t e s l e b e n

manb barf glauben, bafe er bie ©Köpfungen bes ©eiftes herabziehen barf in feine Begrenztheit, ohne fie ju oerjerren unb zu entwerten, ©ei- ftiges fällt niemanbem zu, ber nicht gelernt hat, non fich felbft weg- Zugehen. Oebe geiftige Schöpfung fpricht zu uns: Werbe anbers! „©eift ift ber Schmerz, mit bem bas Seben felbft ins Seben fdmeibet." Unb wer biefen Schmerz nicht fennt, ber fennt ben ©eift nicht, ber finbet in jebem Wer!, auch ber ©röfeten, nur fid) felbft unb feine eigne aufgeputzte 3äm- merlichfeit. Sas ift bas 9ted)t bes Obealismus.

Sein Unrecht aber fängt an, wenn er meint, bafe ©eift jenfeits bes oitalen Sebens ftünbe; wenn er ben ©eift fernhalten will oon bem Blut bes Sebens, bes naturbeftimmten, bes feelifchen, bes gefellfdjaftlichen Sebens. Sein Unrecht fängt an, wenn er ben ©eift als etwas Abftrattes, 3enfeitiges auffafet, bas — einem ©efefoe gleich — jebem gilt, jebem gegenüberfteht, unb barum — jeben »ergewaltigt. Sas Seben aber läfet fich nicht oergewaltigen; es wenbet fich ab oon bem ©eift, es wenbet fich felbft zu, feiner Sufälligfett unb feinem Behagen unb wirb leer unb ge­

staltlos. Ser ©eift wirb Sache »on geierftunben, b. h- et hört auf, ©eift Zu fein unb wirb Verzierung. Ober er wirb Sache einzelner f)öd)ftge=

formier, bie ihm ihr »itales Seben opfern unb ftolz finb, bem Chaos ihrer Seele unb bes öffentlichen Sebens zu entgehen. Siefes ift bas 9Rerfmal unferer ©etfteslage feit bem 3ufammenbruch bes Obealismus ber flaf- fifchen Seit unferes ©eifteslebens.

demgegenüber erhebt fid) nun unb hat fich ntit gefchid)tltd)er golge*

richtigfeit erhoben bie anbere Antwort auf unfere grage. Sie lautet: Sas

©eiftesleben hat fetnerlei Selbftänbtgfeit in fich. 2s ift »öllig beftimmt burd) bas »itale Ontereffe bes SSJlerifchen, burch feine feelifche, bewufete unb unbewufete ©eftaltung, »or allem burd) feine wirtfchaftliche unb ge- fellfchaftliche Sage. On mancherlei gormen fann biefer ©ebanfe auf- treten. Sie gegenwärtigfte unb geiftigfte gorm ift bie ber Siefenpfpcho- logie, bie aus bem unbewußten Seelenleben ben ganzen Aufbau bes ©ei- ftigen ableiten will. Sie für unfere grage wichtigfte gorm ift bie foziolo- gifche Betrachtung, wie fie Karl SJlarj mit gewaltiger Senf- unb Wil- lensfraft »ertreten hat. Von ihm ftammt ber ©ebanfe, bafe alle geiftigen gormen nur ber überbau einer wirtfchaftlich-beftimmten Klaffenlage finb, bafe fie, wie er fid) ausbrüdt, Obeologien finb, mit benen eine Klaffe ihre eigne Sage unb ihren eignen f)errfchaftswillen »erfleibet. Ob religiöfe ober fünftlerifche, rechtliche ober philofophifdje Spmbole, nie hat man zu fragen, was ift ihre Wahrheit, was ift ihr geiftiger Sinn, fonbern man hat zu fragen: was »erftedt fich hinter ihnen für eine Klaffenlage, für ein 2Racf)twille; was ift ihr Sebensfinn?

ßtne ungeheure weltgefchichtliche Kraft hat biefer ©ebanfe gehabt.

Senn in ihm ftedt eine Wahrheit, bie allem 3bealismus gegenüber recht

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® i e 3 3 e b e u t u n g b e r © e f e l l f c & a f t s l a g e f ü i bas» © e i f t e s l e b e n 1 5 5

behält. 3ebe geiftige gorm ift getrogen oon einem Sebenswillen. 3eber (Seift, ber wirflicb ©eift unb nicht bloß Abftraftion ift, ift getragen unb erfüllt Don Blut, £>on Blut unmittelbaren, einmaligen Sehens. Unb wei­

ter fteeft bie 3ßal)rl)eit barin, baß bie Berufung auf ©eift unb Söabrbeit oft nichts ift als unbewußter ober gar bewußter 33orwanb, ben bas Seben fid) fdfjafft, um hemmungslos fid) felbft, feinen 2 Rad)twillen burch- gufefcen. Sowohl gum ©Uten wie gum Schlimmen fteeft eine Wahrheit im

©ebanfen ber 3beologte.

Unb boch fann es nicht ber leftte ©ebanfe bleiben. SBollte man ihn fefthalten, fo würbe man felbft ins Sinnlofe fommen, benn man müßte ja auch biefen eignen ©ebanfen für eine 3beologie, für eine gaffabe, für Ausbrud eines 9Jtad)twillens erflären. S . h- man würbe ben Anfprud) aufgeben, ‘ffiabrbeit gu reben. ©eift ift barum nicht weniger ©eift, baß er getragen ift »on Blut, baß er nur im wirflichen Sebensprogeß erlebt unb oerwirflicht werben fann.

Unb ©eift ift barum nicht weniger ©eift, baß er mißbraucht werben fann als “öorwanb unb gaffabe.

Beibe Antworten enthalten eine SBahrheit unb beibe finb für fich un=

gulängltd). ©eift unb ßeben, auch ©eift unb ©efellfcbaftsleben, fteben in- einanber. Sie fönnen nicht ooneinanber getrennt werben. ®ie ©eiftfeite ift bem Allgemeinen, bem ©ültigen gugewanbt, bie ßebensfeite bem Be- fonberen, Einmalig-Scböpfertfcben. Sebenbiger ©eift aber ift beibes in Einheit. Unb nur im Sinne biefer Einheit finb bie folgenben Dar­

legungen gemeint, in benen wir an einigen Beifpielen bas 3neinanber oon ©efellfcbaftslage unb ©eiftesleben aufguweifen fuchen.

Ein gentraler, faft alle ©ebiete beherrfchenber Begriff bes 9ted)ts=

lebens ift ber Begriff bes E i g e n t u m s , gür bie urfprüngliche bäuer- lid)=fommuniftifd)e ©efellfchaftsform ift Eigentum Seilbaben an bem Befifc ber ©emeinbe, ift Eigentum ber 9ted)tsanfprud>, ber fid) auf bie Sugehörtgfeit gur ©emeinbe grünbet, ben gemeinsamen Befitj gu nufjen.

3n ber Allmenbe unb bem ruffifchen 2Rir haben fich riefte fold)es bäuer­

lichen Urfommunismus erhalten. Auch hier Hegt Eigentum oor, 93er=

fügungsrecht über Sachen; unb feineswegs jeber hat biefes 9led)t. SBer es aber bat, ber hat es nicht prioat, fonbern burch &ie ©emeinfd>aft bin- burch. Unb in bie ©emeinfebaft ift er eingefügt burch fultifch-geweihte, blutmäßige Binbung. SBirb er gum greoler gegen fie, fo wirb er aus ber

©emeinfebaft, unb bamit aus bem Befiß ausgeftoßen.

3m geubalismus, alfo ber ©efellfchaftsorbnung bes germanifch-roma- nifchen SSRittelalters, hat bas Eigentum ben Eharafter bes Sehens. 3BohI hat ber eingelne ausfchließliches 33erfügungsred)t, aber wieber hat er es nicht prioat, fonbern es ift ihm gur Verfügung geftellt, es ift ihm guge- wiefen oon feinem Sehnsherrn um feiner Bebeutfamfeit willen für bas

11 *

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156 © i e 33ebeut ung ber © e f e l l f c f e a f t s l a g e f ü r b a s © e t f t e s l e b e n

©anae, um beffentwillen, was er repräfentiert in ber Stufenreibe ber fojialen SCRächte. Rieht privates, fonbern repräfentatioes Eigentum liegt hier vor. Ser oberfte Seijnsherr ifi ber Kaifer; ber aber hot fein Amt oon

©ott au Sehen. 60 fteht hinter biefer Auffaffung ber religiöfe ©ebanfe, baß bas Sanb ©ott gehört, unb ber einseine es in 3 at)lreid>en Abftufungen oon ihm 3 u Sehen hat, unb barum verantwortlich ift gegen ihn.

3Jlit ber Entwidlung bes Bürgertums entfielt ber Begriff bes abfo*

luten, unoerantwortlichen Privateigentums. Bürgerliches Senfen ftellt bie ©efeltfchaft völlig auf ben ein 3 elnen. 2 ßie es bie Ratur in Atome 3 er»

legt, unb fie bann einem ©efefc unterwirft, fo löft es bie ©efellfchaft in einseine auf unb unterwirft fie bann bem Redjtsgefefo bes Staates, bem Raturgefefe ber 3Birtfd)aft. Sowohl bie alte fultifche ©emeinfchaftsbin- bung, wie aud) bie oerantwortliche Sehnsbinbung, hört auf. Sie ©e- meinjchaft verliert ihren heiligen, falralen Eharafter. ©ie wirb profan;

unb ber einseine, ifoliert unb unverantwortlich, wirb 3 um Bauftein ber

©efellfchaft. Samit finb bie Borausfeftungen gegeben für bie Entftebung bes abfoluten ^Privateigentums, bas ins Unbegrenste vermehrt werben fann, bas beliebig oerwenbet unb beliebig vertan werben barf. Es hat feine repräfentatioe Bebeutung mehr. 3m ^rivathaus bes unbefannten ein 3 elnen fammeln fich bie Reichtümer, mit benen er als Kapitalbefifoer unverantwortlich eine SÜRacht auf ben Staat ausübt, wie faum ein Sehns­

herr es öffentlich vermochte. Unb oom Staat wirb bas Recht fo burd)=

geftaltet, baß biefes abfolute Privateigentum mit ber gan 3 en Stacht unb ber gansen SBeisheit bes ©efefces fanftioniert unb gefchüßt wirb. Sas ift ber bürgerliche Eigentumsbegriff, ber uns fo felbftverftänblich geworben ift. Sein religiöfer fnntergrunb ift bie Aufhebung jeber religiöfen Bin=

bung, bie Erhebung bes einaelnen auf ben 2hron.

©egen ihn entwicfelt fi<^> sursett ein neuer Eigentumsbegriff, ber aus ber antibürgerlichen Klaffenlage bes Proletariats, ber ©eiftigen, in ge=

wiffer SBeife aud) ber Beamtenfchaft geboren ift. E r hat fiat unb allen gemeinfam bas Regattoe: ben SBillen, bie Starrheit bes bürgerlichen Eigentumsbegriffs 3 U burd)bred)en. SBeniger flar unb einheitlich ift bas

^Pofiti»e: bas Beamtentum unb ber Staatsfosialismus wollen bem Staat möglichft weitgehenbe Befugniffe geben, bie ©eiftigen wollen vielfach bas Eigentum mit einer neuen Berantworflichfeit belaften nad> Art bes Sehnsgebanfens, ber Kommunismus nähert fid) ben 3bealen bes Urfom=

munismus. Eine flare Sinie ift nid)t »orhanben, bemgemäß, baß biefe

©ruppen feine einheitliche ©efellfchaftslage oertreten. Sicher ift nur bie Satfache ber Umwanblung, bie fich am beutlidjften in ber Einfchränfung bes abfoluten Privateigentums burd) bie Sosialgefefcgebung ausbrüdt.

Samit ift ein großes, bas ganse Rechts- unb So 3 iaIleben burd)brin=

genbes Beifpiel gegeben, bas bie Bebeutung ber ©efellfchaftsform für

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© i e 33e be ut ung ber © e f e l l f d ) a f t s ( a g e f ü r b a s © e i f t e s l e b c n 157

gctfttge Sluffaffungen geigt. 3n ber gleichen gefellfd)aftlid)en ©tufenreihe läßt fid) 5er SBechfel einer Reihe anberer geiftiger ©eftaltungen auf»

getgen. ©o etwa ber nationalen 3bee. ©ie ift bem geubalismus fremb.

Sie Ritterfchaft ber gangen (Eljriftenheit fühlt fid) troß aller gehben als bie große tragenbe ©efellfd)aftsgruppe, beren ©lieber fich abgrengen gegen bie Unterricht: Sin Querfchnitt burch alle Rationen, ber wichtiger war als bie unsicheren nationalen Sängsfchnitte. 3n genau ber gleichen 3Beife fühlt fich bas heutige Proletariat — wenn aud) nach bem 3ßelt=

frieg mit 2 lbfcbwäd)ung — als einheitliche, ber bürgerlichen ©efellfdjaft gegenüber reoolutionäre, gu ihrer Slblöfung beftimmte klaffe. Unb wie»

ber erfcheint ber Querfchnitt ber klaffen williger als ber Sängsfdwitt ber Rationen. Sas Proletariat fühlte fich in folchem Maße fowohl oon ben geiftigen, wie oon ben materiellen ©ütern ber Ration ausgefd)loffen, baß eben bamit bie nationale 3bee für es faum nod) oitale, bluthafte Bebeutung hatte.

Semgegenüber ift bas bemotratifche Bürgertum mit ber nationalen 3bee aufs engfte cerbunben unb finbet fich barin gufammen mit bem feit Slusgang ber geubalgeit national gefpalteten Slbel. gür biefe ©Richten ift bie Ration, beren geiftige unb materielle ©üter fie befifjen, teils 2ln=

gelegenheit oitalen ßebensgefühls, teils Angelegenheit gemeinfamen wirtfd)aftlid>en 3ntereffes. Sie Ration ift Sräger ber Macht, bie bem Bürgertum in ber welfwirtfchaftlichen S?onfurreng ©chufj unb Unter»

ftüßung gewährt, ©o fommt es, baß oft bie nationale 3bee bes Bürger»

iums ben Sharaffer eines welfwirtfchaftlichen 3ntereffenoerbanbes an»

nimmt. Sie Stellung ber ©etftigen ift gefpalten. Seils bejahen fie bie Ration in einem leibenfd>aftlicf>en gufammen »on ©etft unb Blut, teils fennen fie bie jebe nationale ©onberung überwinbenbe Äraft bes ©elftes unb ftehen bamit gebrochen gut Ration. — 3n ber Beamtenfchaft ift es bie Ration nur inbireft, bireft aber ber Staat, auf ben ihr inneres Pathos gerichtet ift. Sarum biente fie mit ber gleichen f>ingabe bem

»öllig unnationalen lanbesfürftlichen 2 lbfolutismus wie gegenwärtig bem mit ber Ration geeinten ©taat.

SBieber ein mächtiges fonfequengenreid)es ©ebiet, in bem ©efellfchafts*

läge unb ©eiftesform ineinanberliegen! Unb bis in bie höchften formen bes reinen ©eiftes gehen biefe 3 ufammenhänge. SBir haben bie »or=

nehme, mpfttfd)=erbgebunbene Hunft ber geubalgeit, wir haben bie auf»

ftrebenbe aftio=efftatifche Hunft ber ©otif, wir haben bie burd)fid)tige Klarheit unb Bernünftigfeit bes republifanifchen Renaiffancebürgertums, wir haben bie barocfe ©ewalt lanbesfürftltcher Slbfolutheit unb bas 2 öie=

berburd)brechen oon Klarheit unb Bernünftigfeit im Älaffigismus ber bürgerlichen Reoolution. 23ir haben bie äfthetifche f>od)fultur im 3m=

preffionismus bes Bürgertums unb bie mpfttfch=religiöfe Reoolutions»

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1 5 8 D i e S S e b e u t u n g b e r © e f e l l f c h a f t s l a g e f ü r b a s © e i f t e s l e b e n

ftimmung ber ©eiftigen unb bes Proletariats im Ejpreffionismus ber lebten 3ahrgehnte.

Nicht anbers liegen bie Singe in ber Philofophie, nicht anbers in Sitte unb ©ittlichfeit, ja nicht anbers einmal in ber Neligion. ©ie, bie Unbe=

btngtheit beanfprucht, fd)eint am toenigften bebingt gu fein burd) bie ©e- fellfchaftslage. Vielleicht ift fie es in SBafjrbeit am meiften. 3n feinem

©ott fd)aut ber 9Renfd) bas 3beal feiner Ejifteng an, ber Bürger ben

©ott bes ©efefces unb ber perfönlid)en ©eformtheit, ber Slriftofrat ben

©ott ber ©einsfülle, ben hödjften in ber |)ierard)ie ber SBefen. Ser Pro­

letarier lehnt beibe ab, toetl fie ihm gu ©pmbolen feiner Knechtung »er­

ben unb er frei oon jebet fd)tt>äd)enben Binbung ben Kampf um feine Befreiung führen toill. Saturn ift ber Proletarier gurgelt oon bet Kirche innerlich ausgefchloffen, »ie übrigens auch bie meiften ©eiftigen. ©ie ift in ihren gormen, in ihrer gangen fmltung, teils bem Bauerntum, teils bem 2 lbel unb Kleinbürgertum nahe, ©ebanfen unb gormen entftammen biefer ©efellfchaftslage. Sas ift bie 3Tragif namentlich ber proteftantifchen Kirche. 3hr unioerfaler Slnfprud) bleibt unerfüllt infolge ihrer gefell- fchaftlidjen Begrengtfjeit.

Socf) genug ber Beifpiele. ©ie geigen bie Einheit oon ©etft unb ©e- fellfchaft; unb boch geigen fie aud), bafe ber ©eift mehr ift als ein Pro- buft ber ©efellfchaftslage, benn er fchafft ©pannungen in jeber Sage unb treibt über jebe hinaus. Er fchafft neue ©efellfchaften unb bannt neue

©eftaltungen bes ©eiftes.

Sluch bas Beamtentum ift eine folche ©efellfchaft, bie einft nicht toar unb oielleid)t einft nicht mehr fein toirb. 2 lud) fie hat ihre befonberen gormen bes ©eiftigen. Zugleich aber ift fie »eranttoortlich für alle. Unb barum ift es ihre Aufgabe, über fid) unb ihre befonberen gormen hinaus- gubltden, bie gülle bes ©eiftes unb feiner ©eftalten gu fehen, unb ben eingelnen in feinen Slnfchauungen unb feiner geiftigen Haltung gu oer«

ftehen aus ber ©efellfchaftslage, ber er entftammt. SBenn bie Slrbeit in ber Slfabemie gu biefem SBeitblid, gu biefem funausfommen über fich unb feine befonbere ©eiftesform beigetragen hat, bann war fie ed)ter Sienft am ©eift unb toirb gu echtem Sienft an ber ©efellfchaft führen.

£ßjßfrucf)fß

Ü b e r ^ a t if s ^ P ä & a g o g if (cgi. unten 6.184).

©et betannte JSenenfer ^P^tfofopl) unb 'Päbagog £bert)arb ©riefebach fcf)teibt in feinem f)ocf)bebeutfamen neueften SBerf „©egentoatt" (fjalle, Stiemeper) 443:

„S? a n t hat teine ®rjiehungsw>ifienfcbaft„ feine 'Päbagogif felbft »eröffentlicht. 3B!r hefigen

nur ben SSericht über eine 'Boriefung über ‘•päbagogtf, unb biefe fann a ls ftaffifche

gorm bafür gelten, toie noch heute über (Erstehung ber 2)tenf<hen oer-

hanbelt »erben fann. ®ie fchlid&te 2lrt, »ie hier bas 'Problem berSBartung,©ifjipltn

unb Untenoeifung nebft SBilbung angefafet »irb, fann faum ü b ertro ffen »erb e n ."

(7)

S l a n f i a n i s m u s u n b R e a l i s m u s i n b e t ( E r l e n n t n i s l e b r e 159

.^anfiantemus un5 fHealfemus in 5er @rf<mnfmstef)re

S in SU cinungsaustaufcb 3»ifc&en S a r i SReifeinger unb Sluguft SDiefTer (gortfefeung aus £>eft 5)

VI.

Nealift:

[1]1) S a wir unfern Briefwechfel jo nicht führen, um uns ju befämpfen, fonbern um uns 3 U einigen ober wenigftens 3 u oerftehen, fo möchte id) 3 unäd)ft mit Befriebigung feftftellen, bafe toir in jtnei fünften einig finb:

1 . bafe man an bie Erreichbarfeit einer Wahrheit glaubt, toenn man Wiffenfchaft treibt; id) möchte hinsufefcen, toenn man überhaupt nach»

benft unb forfd)t; 2 . bafe mein im erften Briefe geäußertes Bebenfen, Sie fchränfien ben Bereif bes S e n f e n s gu fetjr ein, befeitigt ift, burd) 3l>re Bemerfung (S. 20), bafe wir aud) Realitäten, toie 3 . B . einen Welt»

ätfjer, anpnehmen (alfo 31 t „benfen") bered)tigt finb, „obwohl toir feiner»

lei finnlidje Erfahrung oon ihm haben fönnen", toeil nämlid) „irgenb=

welche Befunbe ber finnlidjen Erfahrung" uns „baju 3 toingen" (falls toir biefe Befunbe nämlicf) „erflären" wollen). Sftithin reicht bas Senfen über bas finnltch Erfahrbare, alfo „2lnfd)aulid)e", hinaus, wie ich fd)on bamals betonte. —

[2] 3n einem gang wefentlid)en ^unft, id) möchte fagen: in ber e i g e n 111 d) e n H a u p t f r a g e , finb wir aber nod) nicht 3 U einer Einigung gelangt, ja, icf) bin nicht einmal fidjer, ob wir uns barin fdjon oollftänbtg oerftehen, ob Sie tnsbefonbere flar fel)en, w o r a u f meine Kritif fid) richtet.

[3] Was mir nämlid) bie fdjwerwiegenbften Bebenfen einflöfet, ift bas, was id) als unerträglichen D u a l i s m u s in 3hren ©ebanfen emp=

ftnbe. Sie behaupten eine oöllige 3toetheit, ja einen Wiberfpruch 3 Wi=

f<hen ben ©egenftänben bes wiffenfchaftlichen unb anbererfeits bes (fitt=

iich=)reltgiöfen Erfahrens unb Erfennens. Es finb bas für Sie swei getrennte, ja wiberftreitenbe Welten.

[4] 3d) würbe feine Einwänbe erheben, wenn Sie fich auf bie Be»

hauptung befchränften, bas religiöfe Erfahren fei ein anberes als bas wiffenfchaftliche (infonberheit bas n a t u r wtffenf<haffli<he, bas Sie ja wohl — ebenfo wie Kant — wefentlich im 2 luge hoben). 3<h fönnte mir etwa benfen, bafe ein unb berfelbe 3Jlenfd) einerfeits „als Naturforfcher"

bas ©egebene, bie „Erfahrungswelt" a ls „ N a t u r " betrachtet unb

‘) Sie Siffern finb mit 9tücfficfrt auf ben folgenben SInttoortbrief nachträglich ju-

gefügt. (S . f»g.)

(8)

1 6 0 S a n t i a t t i s m u s u n b R e a l i s m u s i n b e r ( E r f e n n t n i s l e h r e

frc ©efefee erforff t, anbererfeits als „religiös giflenbet" biefe 2 öelt ob ihrer burf gehenben ©efefemäfeigfeit als „© f ö p f u n g" eines intelli=

genfen göttlichen 3ßejens beutet. Gr fönnte fif babei wohl bewufet fein, bafe bie ©äfee, weife ben 3nhalt biefer Seutung formulieren, nämlich:

ein ©ott ejiftiert, unb: er hat bie 2 öelt geffaffen unb georbnet, oom n a t u r w i f f e n f f a f t l i f e n ©tanbpunft aus n i f t aufgeftellt unb begrünbet toerben tonnten. — Aber bann toürbe bie 3 w>eiheit frer SBurael naf n ift fowohl auf ber o b j e! t io e n , als auf ber f u b - j e f 11 o e n ©eite liegen. Auf ©runb ber oerff iebenen 33etraf tungs=

weife ober beffer: „inneren Einteilung" besfelben ©ubjefts roürbe fif bie Erfahrungswelt einmal als „S'tatur", bas anbere SDtal als „göttlif e

© f öpfung" barftellen. Sftit ber naturwiffenff aftlif en „33rille" fönnten

©ie gleif fam ©ott n ift „fehen". Vom ©tanbpunft bes Staturforffers würben ©ie alfo bie grage, ob ©ott ejiftiert ober nift, o f f e n laffen müffen, wie ©ie oon biefem ©tanbpunft aus ja auf 3 . 23. g e f f i f t * l i f e gragen n ift beantworten lönnen.

[5] Eben barum aber würbe auf l e i n 3 ö i b e r f p r u f awiffen n a t u r w i f f e n f f a f t l i f e r Erfenntnis unb r e l t g i ö f e r ®eu=

tung entftehen, unb ber begriff ber „ E j i ft e n 3 " braufte, einerfeits oon ber „Statur", anbererfeits oon „©ott" ausgefagt, feinen 0 e r f f i e - benen ©inn an 3 unehmen.

©0 ffeint mir au f 3h* Hinweis barauf, bafe bie Seugnung bes Stfers einerfeits unb bie ©ottes anbererfeits S fr © e f ü h l s l e b e n i n gan 3 »erff iebenem SERafee berühren würbe, burf aus n ift 3 U beweifen, bafe „Ejiftena" etwas anberes in ^Beziehung auf ©ott bebeute als in “Be­

ziehung auf ben $ fer. SBenn i f bemerfe, bafe einerfeits eine Derbraufte gebet, bie lange auf meinem © f reibtiff lag, anbererfeits ein oon mir hofgeffäfeter unb geliebter Sftenff „n ift mehr ba ift", fo wirb bas mein ©efühl auf in fehr oerff iebenem ©rabe bewegen, aber ber ©inn oon „Safein" bleibt bof in beiben gälten berfelbe; bie 23erff iebenheit liegt primär auf ber f u b j e f t i 0 e n ©eite, bei meiner fehr oerff iebenen f u b j e f t i 0 e n © f äfeung ber beiben Objefte.

[ 6 ] ©ie aber, wenn i f ©ie re f t oerftehe, oerlegen ben Sualtsmus a u f , ja in e r ft e r ßinie, auf bie g e g e n ft ä n b l i f e , bie 0 b j e f - t i 0 e ©eite. Unb jwar befteht ba für ©ie n ift nur eine Zweiheit, fon=

bem fogar ein SBiberfpruf, benn bie „religiöfe 9tealität" foll ja in einem

„unlösbaren 3ßiberfpruf mit bem Älaufalgefefe", bem ©runbgefeft ber

Statur, ftehen. Unb ©ie gehen foweit 3 U fagen, bafe fogar „©ein", „Eji-

ftena" auf bie „natürlif e" ober bie „religiöfe" Realität bezogen, einen

gan 3 oerff iebenen ©inn annehmen (wobei mir freilif immer nof n ift

flar geworben ift, was bas „Überfein" ber ©otfett eigentlif bebeufen

foll).

(9)

S a n t i a n i s m u s u n b R e a l i s m u s i n b e t S r t e n n t n i s l e b r e 161

[7] §ür mid) ift cs eine Selbftoerftänblicbfeit, etwas a priori geft- fteijenbes, bajj bte ‘Jßirflichfeit e i n e , unb awar eine in fid) aufammen- bängenbe fei (wenn fie uns aud), t>on oerfebiebenen ©efidjtspunften betrachtet, oerfebiebene Anbltcfe bietet); für S i e gibt es gwei oöllig

»erjdjiebene ,,‘ffiirflichfeiten", eine „feienbe", bie fid) ber naturwiffen- fd>aftlicben Erfahrung erfcbliefjt, unb eine „ü b e r f e i e n b e", au ber uns bie fittlicb-religiöfe Erfahrung hinleitet.

[ 8 ] Angeficbts biefes fubjefticen unb — mir fo bebenflidjen — objef=

tioen Dualismus, an bem Sie feftbalten, bitte id) um nähere Sarlegun=

gen über awei fünfte:

1. 38te ftellen Sie ftcb bie fittlicb-religiöfe Erfahrung oor? 2B i e führt fie uns ju bem ©tauben an bas Sein (ober „überfein") ©ottes?

2. Sefeen Sie nid)t felbft bie Erfahrungswelt — auf bie fid) auch hie naturmiffenfcbaftlicbe Erfenntnis behebt — in Beaiebung au ©ott, inbem Sie in ©oft fowohl ben Sd)öpfer ber SBelt wie aud) ber „fittlichen 2öelt=

orbnung" fehen?

|jat nicht auch Kant biefe “Bestehung anerfannt, fofern er ben teleolo- gifdjen ©ottesbeweis, ber boch aus ber 3medmäjjigfeit biefer unferer Er- fahrungsweit auf ©ott aurüdfd)liefjt, mit hoher Achtung nennt?!

[9] SBenn er ihn nicht als ftrengen „Beweis" anerfennt, fo beruht bas bo<$ wohl barauf, bajj er nur Beweife, bie, gleich ben matbema- tifchen, unabhängig oon Erfahrung, alfo a priori gelten unb au bem Er=

gebnis führen: es mufe fo fein — als wirfltcbe „Beweife" anerfennen will.

[10] Ser teleologtfd>e Beweis ift aber fein aptiortfeher, fonbern ein oon ber Erfahrung ausgebenber, infofern inbufttoer Beweis, ober rid)=

tiger Beweisoerfuch, ber aber immerhin beachtenswerte ©rünbe für fei»

nen Safe, bafj ©ott ejiftiere, betbringt.

[ 11 ] ähnlich fteht es mit anberen „©ottesbeweifen" einer „inbuftioen"

SSRetaphpfif. Sooiel ich fehe, würbe eine foldje SRetaphpfif »on Kants Krittf niefjt getroffen, weil biefe fid) nur gegen eine — ihrem Anfprud) nad) — a priori geltenbe S K e t a p h p f i f bes Sranfaenbenten (jenfeits ber Erfahrung ßiegenben) richtet. Eine folcbe inbuftfoe SPtetapbpfif Per»

tritt auch Thomas oon Aquin unb bie »on ber fatholifchen Kirche an- erfannte ^htlofophie bis auf ben heutigen Sag. galten Sie aud» ihr gegen- über 3br 33erwerfungsurteil über ben „abenblänbifchen Nationalismus"

aufrecht unb Ohre Behauptung, bajj Kant „fämtliche ©otfesbewetfe »er=

nichtet" habe?

vn.

Kantianer:

2öenn auch meine fjoffnung nid>t grojj ift, bajj wir uns bis aur Eini­

gung »erftänbigen, fo benfe ich boef), bajj unfer Briefwechfel bie Sefer

förbert. 33ermutlich wirb ein STeil oon ihnen auf 3brer unb ein anberer

(10)

16 2 K a n t i a n i s m u s u n i ) 5t e a I i s m u s i n b e t G c t f e n n t n i s l e f e r e

Seil auf meinet ©eite ftehen. Od) bin auch &es ©laubens, baß fein ernft- liches 23emühen gang vergebens Jein fann.

©as mich in 3hrem lebten 33rief am meiften frappiert hat, ift ber Vorwurf bes Dualismus (bas ©ort Vorwurf, wie fich Don felbft Der- fteht, nicht im mo r a l i f c h e n ©inne gemeint). ©enn ©ie wollen, bin ich nicht nur ein Sualift, fonbern ein Irialift, ba es, wie Kant bargetan hat, b r e i Sotalitätserfahrungen bes Kosmos gibt: bie wiffenfdjaftliche, bie ethifch-religiöfe unb bie äfthetifche. 3a, wenn griebrich Seffauer mit feiner „Philofophie ber Sechnif" recht haben follte, gibt es fogar noch eine oierte „© eit", bie ©eit ber Sedjnif — bod) wollen wir uns auf btefen gragenlomplej hier nicht weiter einlaffen. ©ie fehen alfo, wie es mit meinem „Dualismus" in ©irflichfeit fteht. © ir fönnen bie ©eit, ben

„3Jlafrofosmos", ohne Zweifel nur als eine ungeheure Einheit erleben, weil wir felbft als „SERifrofosmos" eine Einheit finb. 35as ©treben aur Einheit ift offenbar eine ©runbfraft unferes ©efens. ©ie wirb ergäbt burch bas, was ich fürs bas Polaritätsbebürfnis nenne: bas „ich" ver­

langt bas „bu" — boch aud) hier fommen wir auf einen gragenfomplej, auf ben wir unfere Erörterung nicht ausbehnen wollen. Es genügt für unjeren 3 n?ecf 3 u wiffen, baß fich in bem einen Vewußtfein bie brei ober oier Sotalitätsrichtungen unb Sotalitätserfahrungen sufammenbefinben unb bei biefem Sufammenwohnen nicht umhin fönnen, in bie oerfdjieben- ften Veaiehungen sueinanber 3 u treten. Stefe Veaiehungen müffen aber, wie bei ben Derfdjiebenen Parteien, bie in einem §aufe wohnen, burch eine f>ausorbnung geregelt fein, fonft gibt es gegenfeitige Übergriffe unb

©treitigfeiten. ©iefe fmusorbnung hat Kant erlaffen.

3ch meine alfo, man müffe es oerftehen fönnen, was ich unter bem

„©iberfpruch" jwifd)en bem wfffenfcfjaftlic^en Erfennen unb bem fittlich- feligiöfen Erleben ober Erfahren ober wie ©ie bas fonft nennen wollen (ein fittlich-religiöfes „Erfennen" [Abf. 3 Shres Vriefes] gibt es nicht), oerftanben wiffen will. Ein ©iberfprud) ergibt fich nur, wenn man bas ge­

heimnisvolle Erlebnis ber fittlichen Verantwortung theoretifch begreifen roill. 3n biefem galle fommt man in unlösbaren Konflift mit bem Kaufali- tätsgefeft, ein beuttiches ©ignal bafür, bafj hier e was nicht in Orbnung ift.

Das STragifche an bem ganaen ©achnerhalt ift, baß wir hier aum 3 ®ecf ber gegenfeitigen Verftönbigung (bas ©ort fommt felbft fchon oon „Ver- ftanb"!) bie Verftanbesformen auf 23ereicf)e anwenben müffen, für welche fie nicht auftänbig finb. Sie baraus fich notwenbig ergebenben Unauträg- Itchfeiten fönnen aber auf ein SDtinbeftmaß oerringert werben, wenn man fich biefes Anthropomorphismus jeberaeit bewußt bleibt.

Vefonbers beutltch fdjeint mir ber ilnterfchieb unferer beiberfeitigen

Vetrachtungsweifen an 3hrem Veifpiel oon ber Derbrauchten geber unb

bem geftorbenen SSRenfchen (Abf. 5) au werben. Auch ber geftorbene

(11)

f i a n l i a n i s m u s u n b S t e a l i s m u s i n b e r 2 t ! e n n t n i s l c f ) t c 1 6 3

greunb ift „nicht mehr 5a", ebenfo wie bie weggeworfene gebet — abet bod) offenbar in einem gang anberen «Sinne. (Er ift nicht mehr ba als Körper unb als SBtrfungssentrum in ber empirijrfjen SSirflichfeit (ob­

wohl fchon biefe beiben Slusfagen ungenau finb, aber id) will batauf toieberum nicht eingeben). ©eine P e r f o n aber, bas, toas ihn jum 2Jt e n f d) e n machte, bie rätfelhafte gähigfeit, auf ben fittlichen SInruf ju antworten, fann mit bem 3 erfall feines Körpers nicht jugrunbe ge*

gangen fein. Sie Perfon ift 3 U ©ott gegangen in bas Raum* unb Seit*

lofe, was wir (Ewigfeit nennen. Ser Menfd) oon naioet unb gefunbet Religiofität fpricht bann oon einem ßeben „nach" bem Jobe. Sr fommt ber SBahrheit gleichwohl unenblid) näher als ber fahle Rationalift ober Materialift, unb obenbrein haben wir anberen „©ebilbeten" gar feine Urfache, uns über bie Unsulänglicbfeit feiner S3orftellungs* unb SIus*

brudsweife groß aufguhalten: benn auch bie unfere ift höchft unzulänglich unb fann es gar nicht anbers fein.

(Es ift alfo gar feine Verftodtfjeit oon mir, bafe ich bie fittlich-religiöfe Erfahrung wiffenfchaftlich nicht weiter befchreiben fann (Slbf. 8 , grage 1 ).

6 s ift aber aud) gar nid)t nötig, ba jeber moralifd) nid)t Sefefte recht genau „weife", was gemeint ift, wenn es fid) barum hanbelt, g. 33. irgenb*

ein Verbrechen bei faltem SMut ju begehen ober gu unterlaffen. — Sie 3 weife grage (©.161) hängt mit ber gweiten Unterfrage oon grage 1 gufammen. Sie fittlichen „(Ereigniffe" oerlaufen äufeerlich in ber empirifchen SBelt. SBir fönnen gar nicht umhin, ansunefjmen, bafe ein 3 ufammenhang

„befteht", aber biefe Sinnahme hat mit SBiffenfchaft gar nichts 3 U tun.

E r ift — ich fann bas nur immer wieberholen — offenfichtltch oon gang anberer Slrt, als wenn ich aus gewiffen empirifd)en S3efunben auf bie („objeftioe") (Ejtfteng eines SBeltäthers 3 u fchltefeen mich genötigt finbe.

3d) bitte ©ie wieberholt, bas f)inausgreifen bes Senfens über bie finn- liehe (Erfahrung im lefoten galle nicht als 93eftätigung 3f)rer Slnficht meinerfeits 3 U oerwenben (Slbf. 1, (Enbe).

Sie ©ottesbeweife, infonberheit ber oon Hant in einem gewiffen ©inne gelten gelaffene teleologifdje, oerbienen moralifche Sichtung, aber feine wiffenfehaftiiehe Slnerfennung. Sluf bem 33oben ber SBiffenfchaft finb fie fehl am Plafc. ©ie bürfen alfo gar nicht als „Veweife" auftreten wollen.

SBas bie Reufcholafttfer bisher abhält, fich auf biefe SSorftellungsart ein*

3 ulaffen, ift im ©runbe wohl bie ©orge, bafe bet religiöfen ©ewifeheit Slbbrud) gefdjehen fönnte. Rach meiner flbergeugung leiftet aber ber 33erfuch, ber Religion mit „SBiffenfchaft" biefer Slrt 3 u |)ilfe gu fom­

men, bas ©egenteil feines 3®edes: er oerftoeft bie Rationaliften erft

recht. Sie eingig wirffame fnlfe hat Äant ber Religion geleiftet, inbem

er fie aus ber unnatürlichen SSerquidung mit ber SBiffenfchaft befreit unb

fie ihrer Slutonomie oerfichert hat. S r fonnte es auch nur, weil fich bie

(12)

1 6 4 S a n t t a n i s m u s u n b R e a l i s m u s i n b e t S r f e n n t n i s i e b t e

Neligion burd) bie boppelte Einwirfung bes bellenifdjen Nationalismus 3 uerft in ber ©cholaftif unb bann in bet Nenaiffance eben in einer un- natürlichen Sage befanb: fie follte mit f)ilfe ber ratio entweber geftüfot ober befämpft »erben. Beibes ift falfd), tote Kant gegeigt hat.

2lm nädjften tommen ©ie mir, menn id) recht fet>e, in 3hrem 2lbf. 4.

3Rit ben oerfchiebenen Sotalitätsorganen unferes Wefens ergreifen mir oerfd)iebene Seile ber einen „Wirflid)teit" — nur bafe leiber ber Begriff ber Wirflichfeit felbft nur bem einen biefer Organe, bem wiffenfchaft- liehen, angehört. 2 lus biefem ©achoerhalt entfielt bie gange Verwir­

rung. Befonbers intereffant ift bas Verhältnis »on Naturwiffenfd>aft unb

©efd)id)te. Beibe finb Wiffenfchaften, weil fie fid) in ben ©rengen ber (Empirie galten. 3m lebten ©runbe hat ja aud) g. B . bie Erbe als ©egen=

ftanb ber Naturwiffenfdjaft ihre ,,©efchid)te". Nur bafe wir in ber ©e- jchichte bas Einmalige unb 3nbi»ibuelle betonen, bas wir in ber Natur=

wiffenfchaft »ernachläffigen. Sie Verlegung bes Wertafgentes hängt nun freilich fchon wieber mit bem SEHoralifchen gufammen. Samit ift gefagt, bafe ©efd)id)te oon einem gewiffen ‘’Punft an aufhört, Wiffenfchaft gu fein, fonbern Neligion ober Sichtung wirb: SInfchauung bes transwiffen*

jchaftlichen SRenfchltchen.

2lbf. 5: Sin wahrer Wiberfpruch tonn nur i n n e r h a l b ber Wiffen*

fchaft entftehen unb ift bann ein Seiten bafür, bafe irgenbeine Voraus- fefcung »erfehrt war. 3n Wahrheit befinbet fich ber wiffenfchaftlidje unb ber moralifche ,,©ach"»erhalt alfo gar nicht in einem Wiberfpruch, fo- balb man nämlich beibe auseinanberhält.

2lbf. 6 : 3d) »erlege aud) nicht ben Wiberfpruch ober Sualtsmus auf bie objeftioe ©eite, fonbern leugne nur bie Nlöglichfeit wiffenfchaftlicher Ausfagen über transwiffenfdjaftliche „©egenftänbe". Sie Ausfage „©ott eyiftiert" ift folange falfdh, als fie wiffenfchaftlich gemeint ift. Nletnt man fie religiös, jo ift fie aud) ba nur ein fümmerlicher Notbehelf, aber wir fommen um bas tragifche Verhältnis unferes Senfens unb Vorftellens jur „W elt" nun einmal nicht herum.

2Ibf. 9 unb 10: Ein Beweis ift entweber „ftreng" unb „apriorifch", ober er ift fein Beweis. 2luf inbuftinem Wege laffen fich Erfd>einungen orbnen unb Negelmäfeigfeiten ber Natur befchreiben — auch biefen 3U=

fammenhang wollen wir nicht mehr anfchneiben. ©ang ficher ift aber, bafe id) burd) inbuftioe Beobachtungen niemals gu fo etwas wie einer „Wahr- fcheinlid>feit bes Safeins ©ottes" gelangen fann.

VIII.

Nealift:

2lud) ich glaube nach 3hren lebten Sarlegungen nicht mehr, bafe wir

3 U einer wirtlichen Einigung in ber Hauptfrage gelangen fönnen. greilich,

(13)

Ä a n t i a n i s m u s u n b 9t e a I i s m u s i n b e i Q c i l e n n t h i s l e b i e 1 6 5

fo wirb es ja in ben lefcten unb haften gragen ber SBelt= unb ßebens- anfcbauung oft gehen. Slber barum fönnen » ir uns bod) beibe fagen, baß unfere Slusfprache nicht oergebens war. 3ebenfalls hat fie fchon barin eine tiefgehenbe innere ©emeinfamfeit unferes SBertfchäftens offenbart, bafe es uns beiben eine f>et 3 ensfacf)e ift, in biefen grofeen 9ftenfchbeits=

Problemen su PöIIiger Klarheit über unferen eignen Stanbpunft unb über ben bes anberen p gelangen.

60 toill id) benn btesmal — aum Slbfchlufe unferer ®isfuffion — Iebiglid) oerfuchen, mit möglichfter Kurse unb Seutlichfeit anjugeben, in»

wieweit unfere ©runbanfdjauungen fid) beden unb an welchem Punft fie auseinanbergeben; ferner anbeuten, tote id) Obren Stanbpunft pfpd)o=

logifd) su oerfteben fud)e unb warum id) ntdht su 3hnen übergeben fann.

E i n i g bin ich mit 3hnen in ber Slnerfennung beffen, wie Sie bte brei „2otalitätserfaf)rungen bes Kosmos" nennen. SBenn id) gewohnt bin, con „inneren Einteilungen" gu reben, fo ift bamit bod) berfelbe Sadjoerhalt gemeint, nämlid) ber, bafe fid) bie „SBelt" uns »erfdjteben barftellt, je nad)bem wir als Sßiffenfchaftler ober als etbifcb-religiöfe 3Jlenfd)en ober als Künftler (bsw. Kunft=©eniefeenbe)) uns 3 U ihr Der»

galten. Safe Kant es unternommen bat, bie Derfdjtebene SBefensart (in feiner Sprache: bas a priori) biefer brei „Einftellungen" fiar 3 ulegen, bartn feben wir beibe bie grofee Bebeutung feiner „fritifcben" Philofophie.

Unb nun bte S5e r f d) i e be nbe t t e n swifchen uns!

3 unächft fehen 6 i e in einer „r e l i g i 0 n s 10 f e n" ©ittlichfeit eine

„Selbfttäufchung bes Nationalismus" (»gl. ©. 136/8). 3 d> bagegen halte eine auf unferem SBertbewufetfein ruhenbe f e l b f t ä n b t g e ©ittlichfeit (im Einflang mit Kant) für möglich unb gültig, gebe aber gerne su, bafe man auch 00 m fittlichen Erleben her 3 U religiöfem ©lauben gelangen fann unb bafe biefer unferem fittlichen Streben mächtige görberung su gewähren Dermag.

Sobann bleibt nod) als f>auptoerfd)iebenhett swifchen uns bte Stel»

lungnabnte 3 u ber grage: © i b t es et nen © o t t ? (anbers ausge»

brüdt: ift ©ott „w i r f l i d)"?)

S i e finb ber 3lnfid)t: für „wiffenfchaftliches" Senfen fei biefe grage unerlaubt, unb wenn ber religiöfe SERenfch oerfichere, ©ott ejiftiere wirf»

lieh, fo meine er mit „wirflid)" etwas gans anberes, als biefer Slusbrud in ber SBiffenfchaft bebeute. S3on „©ottesbeweifen" unb oon einer „Er*

fenntms" ©ottes fönne beshalb auch nicht bie Nebe fein.

Sas empfinbe t ch nun als einen mir unerträglichen „ S u a 11 s m u 5 ".

3d) betonte bas bereits in meinem leftten Brief. Slus 3brer Slntwort

fehe ich aber, bafe Sie biefe Bemerfung nicht fo aufgefafet haben, wie fie

gemeint war. 3ch mufe beshalb barauf surüdfommen.

(14)

1 6 6 S a n t i a n i s m u s u n b 9 t e a l i s m u s i n b e t ( E r t e n n t n i s t e b r e

(Sie fchreiben mir nämlich, nid)t „Sualift", fonbern fogar „Srialift"

feien ©ie, unb begrünben bies burch ben f>inweis auf 3hte Anerlennung Don br e i „2Belten", ber tt>iffenfcf)aftlid)en, ber religiös-fittlichen unb ber äfthetifchen.

Safe ich in ber Annahme biefer S r ei heit mich mit 3hnen Döllig einig fühle, habe ich bereits betont. S a r auf bezieht fich aud) gar nicht meine Äußerung über ben „Sualtsmus", fonbern lebiglich auf 3hre Un=

terfcheibung t»on zwei 2 ß i r f l i < h f e i t e n ; benn nach 3hnen foll ja

©ott in ganz a n b e r e m ©inn „wirtlich" fein, als bie 2 öelt unferes Erfennens.

9tun will ich zunäcbft barauf hintoeifen, bafe bie toefenhafte 23erfchie=

benhett jener b r e i fachen „Einteilung", ber theoretifd)=wi[fenfchaft=

liehen, ber ethifchen — um oon ber religiöfen zunächt abzufehen! — unb ber äfthetifchen, noch flar feine 53erfd)iebenheit bes 2 ß i r f l i d ) t e i t s = begriffe innerhalb biefer brei „Gelten" bebingt. ©ewife ift es etwas an=

beres, ob id) mich 8 u einem Objeft, etwa einer ‘Blume, wiffenfchaftlich — als 23otanifer — „einftelle", ober ob id) fie äfthetifd) „geniefee". Aber wenn ich bann ausfage, bafe ich jene wunberoolle 23lume nicht nur ge=

träumt ober mir in ber ‘’Phantafie Dorgeftellt habe — was übrigens für bie äfthetifche Auffaffung genügen würbe —, fonbern bafe ich fie als eine

„wirtliche" gefehen, betaftet unb gerochen habe, fo meine ich mit „wirf*

lieh" als äfthetifd) ©chäfeenber nichts anberes als was id) auch als 23o- fanifer unter „wirtlich" Derftehe.

Ebenfo fteht es im Verhältnis ber ethifchen (einfdjliefelid) jurtbifchen)

„Einteilung" zu ber wiffenfchaftlichen. Als naturwiffenfchaftlicher ^)}p=

djologe z- 23. habe ich freilich feinen 23lid, fein „Organ" für ben fitt*

liehen (ober rechtlichen) 3öert bzw. Unwert eines menfdjlichen 3Bollens.

Aber wenn ich als fittlid) urteilenber SRenfd) ober als dichter ober ©e=

fchworener feftzuftellen habe, ob ein böfes 3Bollen, z- 23. eine Sötungs=

abficht, in einem SERenfchen w i r f l i ch Dorhanben war ober nicht, fo be=

beutet auch hier „wirtlich" basfelbe in ber Söelt bes 2 Btffenfd»aftlers wie in ber ber Ethtfer ober 3uriften.

3eh glaube alfo b e n f e l b e n 2 B i r f l i d ) f e i t s begriff zu finben in ben brei bisher betrachteten „ 2 Belten", ber theoretifd>=wtffenfd)aftlid>en (bie ja nur bie „üerebelte" „gemeine Erfahrung bes gefunben SPtenfchen*

oerftanbes" ift, f. f>. 5, ©. 130), ber fittlichen (einfchliefetich ber „9tecf)ts"=

weit) unb ber äfthetifchen. Sas — auch oon 3f)nen anerfannte — E i n - h e i 15 bebürfnis bes menfchlichen ©eiftes führt mich nun bazu, aud) in ber r e l i g i ö f e n Einteilung b e n f e l b e n 2Birflichfeitsbegriff oor=

auszufefeen, zumal ja bie religiöfe 25ßeltbeutung eben biefe e i n e , oon uns in ber „gemeinen" wie in ber „wiffenfchaftlichen" Erfahrung er=

fannten unb als ©tätte ethtfeher unb äfthetifcher SBerte gefchätjten 2EBelt

(15)

f i a n t i a n i s m u s u n b R e a l i s m u s i n b e i S i t e n n t n i s l e h r c 16 7

eine „Schöpfung" ©ottes unb ein ©ebiet bet oon ©ott gegebenen „fitt=

licken 3öeltorbnung" erblidt.

Deshalb meine id> aucb, baß unfere oorwiffenfcbaftliche unb wiffen=

fchaftlicbe Erfahrung unb Erfenntnis oon biefer unferer -ffielt nid>t er=

gebnislos fein fönne für bie grage, ob bas „An fid)=Ejiftierenbe", bas

„Abfolute", bas — entfprecbenb unferen Anfcbauungs- unb Denfformen

— als 3Beitwirfli<hfeit uns „erfcbeint" —, in feinem tiefften Beftanb als

„göttliches Söefen" ober aber — anbers aufgefaßt toerben fönne. Ob bann biefe grage burd) eigentliche „Beweife" mit S i d) e r b e i t ober burcb Erwägungen bafür unb bagegen mit mebr ober minber großer

? B a b r f d ) e i n l i < h f e i t e n t f dj i e be n beantwortet »erben fönne, bas gu unterfuchen wäre Sache einer empirifd)=inbuftioen SSJletapbpfif bgw. einer fie recbtfertigenben Erfenntnistbeorie.

Oebenfalls wäre bann mein religiöfer ©laube an einen „wirflieben" ©ott nicht etwas, was o ö 11 i g gefebieben oon all meinem Bemühen um 3ßelt=

unb Sebenserfenntnis, gang ifoliert für fid) beftänbe — bas empfinbe ich eben als unerträglichen „Dualismus" —, fonbern was fid) angeficbts meiner fid) mebrenben unb oertiefenben 3ßirfli<hfeitserfenntnis bewähren müßte — f a 11 s er für mich ©eltung behalten foll.

gür Sie aber unb für alle, bie jene oon Kant angeftrebte fcharfe S d) e t b u n g oon „©lauben" unb „“Jöiffen" anerfennen, ift trgenb=

eine ©efäbrbung bes ©laubens burd) „3öiffen", b. b- burd) wiffenfd)aft=

li<hes Denfen in Eingelwiffenfcbaften ober ‘’Pbüofopbte, grunbfäßlid) ausgefchloffen; benn bie „SBirflicbfeit" ©ottes ift für Sie unb 3bre ©e=

finnungsgenoffen eine „gang anbere", als bie „ 2 Birflid)feit" bes „3Btf=

jens".

Damit hoffe id) flargefteltt gu haben, was ich mit jenem oon mir ab=

gelehnten „Dualismus" meinte unb worin i<h ben wefentliihen ©runb=

unterfd)ieb gwifdjen unferen Auffaffungen erblicte; er bürfte mit bem gwifeben Kant unb Shomas oon Aquin fid) beden.

Aud) &as ift mir flar geworben, baß ich Sie nicht „w i b e r I e g e n"

fann (fo wenig wie Sie mich). Ein alter richtiger Spruch befagt: Contra principia negantem non est disputandum: SÖlan fann mit jemanb, mit bem man nicht auf bem gemeinfamen Boben gewiffer ©runbfäße ftebt, nicht bisfutieren — wenigftens nicht mit bem Ergebnis, baß eine Einigung ober eine SöMberlegung herbeigeführt wirb, fner in unferem gall fehlt uns eben bie gemeinfame Sprache: bas SBort „3Birflid)feit" bebeu=

tet Shnen gweierlei: in ber Religion etwas „gang anberes" als fonft:

b o r t ein „überfein", h i e r ein einfaches „Sein", gür mid) hat es nur bie leßtere Bebeutung.

9ta<h biefer — wie ich hoffe — flaren Abgrengung unferer Stanb=

punfte, will id) noch furg anbeuten, wie ich ben Dhren mir pfpcbologifd)

(16)

16 8 § a b e n b i c r e l i g i ö f e n E r l e b n i f f e S t f e n n t n i s w e r t ?

oerftänblid) ju machen fudje. (Sßarum ich mich nicht auf ihn au ftellen

»ermag, aetgen ja meine bisherigen Ausführungen.)

3ch hefone nochmals: es ift nicht nur ber 3hre; jene ©cheibung oon

„©Iauben" unb „Sßiffen" bei Hant hat ja befonbers burch bie ^titfchlfdje Schule in ber eoangelifchen Sheologie, burch ben fogenannten „SJJtober- nismus" auch in ber fatholifcfjen, Verbreitung gefunben. Sßas 3 b n e n eigentümlich ift bas ift bie Hoffnung in biefem fünfte, eine ©pntljefe oon S?ant unb 2homas (f. f>. 5, ©. 128) erreichen au fönnen, eine Hoffnung, bie ich allerbings n i d) t feile.

Ser oon Thomas feftgehaltene ©runbgebanfe, bafe eine oon unferer Erfahrungswelt ausgehenbe Erfenntnis au bem abfoluten ilrgrunb biefer 3Belt oorftofeen unb btefen als „alleroollfommenftes SBefen", als „©ott", erfennen fönne, hat fich int Verlaufe ber philofophifchen Entwidlung in fteigenbem 2 Rafee als eine — ©efahr für ben ©lauben herausgeftellt.

Sie toachfenbe Söelterfenntnis unb eine tiefgreifenbe SBanblung in ber Vteltbewertung hat es Dielen Senfern immer zweifelhafter gemacht, ob bas aus b i e f e r 2 ßelt au erfchliefeenbe „Slbfolute" fo au faffen fei, wie es bem herfömmlichen chriftlid>en ©ottesbegriff entfpricht ober melleicht

— gana anbers.

S a brachte Slant in bie 3ahrhunberte alte metaphpfifche Sisfuffion ber

©ottesbeweife einen rabifal neuen ©ebanfen: ©ottes ©ein liegt gana außerhalb aller theoretifch=wiffenfd)aftnd)en, alfo auch aller metaphp*

fifchen Erfenntnis. „Vewetfe" finb hier unmöglich, eben barum auch — 3 B i b e r I e g u n g e n . Ser „©laube" ruht ficfjer auf bem gunbament unferes f i t t l i c h e n Vewufetfeins, auf bem „ “^oftulat", bafe ©ered)tig*

feit, wenn nicht h i e r , fo bod) in einem 3enfeits fein müffe.

3ft biefe geniale 3Benbung nicht herausgeboren aus einem — „©elbft- fchufeinftinft" bes ©laubens — bes religiöfen ©laubens an einen Vater-

©ott, ber bod) für fiele tiefftes Sebensbebürfnis ift (mag es ihnen als fol- d)es bewufet fein ober nicht)?!

Surd) bie „Hantifdje Vknbung" aber wirb bie Sisfuffion bes ©lau=

bens mit ber ^Philofophie ein für allemal abgelehnt.

Sarum fei aud) hier „ber 5teft — © d> w e t g e n !"

33on 9 t u b o l f SH e e

V5as §epbe in feinem Sluffafe „Erfenntnis unb Erlebnis, 9lationalis=

mus unb 3ntuttionismus"*) über ben Unterfchieb oon Erfenntnis unb Er=

Iebnis fagt, fann unbeftritten bleiben, man fann augeben, bafe „erleben"

* ) 'Pbüofopbie unb Seben, 2. 3a!)rg., § e f t 3 unb 5.

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H a b e n bt e c e ( i g t ö f e n ( E r t e b n i f f e S r f e n n t n i s r o e r t ? 169

nichts anberes Reifet als: „befonberes, burch fiebensinnenempfinbungen ausgegeicfmetes ©efühl haben unb fich biefes gühlens betoujjt fein", unb trofcbem fann bie SSegieljung g»ifd)en (Erleben unb (Erfennen »enigftens auf einem ©ebiete, im Bereich ber religiöfen ©efühle, noch gang anbers gefaßt »erben, als es oon f>epbe gefchieht, unb betoiefen roerben, bafe in biefem galle ber 3nhalt unb bie 33efchaffenf)eit ber erlebten ©efühle groar feine Erfenntnis in fich enthalten, aber eine logifdje Ausbeutung heraus- forbern, bie uns eine toertoolle metaphpfifche Erfenntnis liefert. Es han- belt fich unt bie grofee grage, ob Erlebnisphilofophte, Ontuitionismus unb Mpftif nicht boch einen Söahrheitsfern in fich bergen unb aud) für ben Abenblänber ber ©egenroart mehr bebeuten als blofe eine Slrt Slranf- heit, tote Ostoalb 3Beibenbach in bem gleichen fjeft biefer 3 eitfd)tift meint. §aben toir in unferer Seele einen Zugang gum Etoigen? können

»ir in unferem religiöfen Erleben ber Ejtfteng einer etoigen Macht inne

»erben? Sürfen »ir, »enn » ir fchon bie äufeere gefd)id)tlid)e Offen­

barung über borb »erfen muffen, »enigftens bie innere Offenbarung als Slompafe auf unfere Sebensfahrt mitnehmen?

AMr fönnen ficherlich burch unfere ©efühle »eber SBahrheiten noch 3Birflid)feiten, alfo aud) nicht bie SBirflichfeit ©ottes, unmittelbar er- faffen. Alles, »as » ir im fogenannten religiöfen Erleben erfahren unb ber Ratur ber Sache nach erfahren fönnen, finb ©efühlsguftänbe, Er- fchütterungen bes ©emüts, et»a ©efühle ber Ergriffenheit, ber Erhoben- heit, bes heiligen Schaubers, ber 3erfnirfd)theit, ber inneren Unruhe unb Sehnfucht, ©efühle ber Erlöjung unb Befreiung, einer tiefen 23efrie=

bigung, aber »as es aud) fein mag, es finb {ebenfalls ©efühle, unb ein

©efühl enthält als fold>es nichts 33orftellungsmäfeiges, Erfenntnismäfeiges ober begriffliches, es fann alfo aud) nicht bie 93orftellung, bie Erfennt­

nis ober ben begriff einer perfönlidjen ober unperfönlidjen ©ottheit ent­

halten. A k r an eine unmittelbare 3nne»erbung göttlichen Safeins in unferem 33e»ufetfein glaubt, oer»ed)felt bas Erlebnis mit einer begriff- lichen Ausbeutung bes Erlebniffes. Ser Menfd), in tieffter feelifcher E r­

regung, f ü h l t fich erfdjüttert unb ergriffen, aber er b e n f t fich *>on

©ott ergriffen. Sas erfte ift Erlebnis, bas g»eite Seutung bes Erleb­

niffes, b. h- ber Verfud) einer Erflärung für bas 3uftanbefommen jener feltfamen Seelenguftänbe. Ob man eine folche Erflärung gelten laffen barf, bas ift bie entfcheibenbe grage, bie nüchtern unb fachlich unterfud>t

»erben mufe.

3d) bin baoon übergeugt, bafe biefe »eltanfchauliche Seutung ber religiöfen Erlebniffe tatfäd)Iid) gu Recht befteht, eine richtige 3nterpre- tation ber religiöfen ©efühle barftellt. Sie Erlebniffe, um bie es fid» hier hanbelt, finb oon foldjer Art, bafe jebe anbere, nur pfpd)oIogifd)e ober biologifche, nid)t metaphpfifche Seutung einfach ferfagt, bafe nur ein ge-

^b ilo fo p b ie unb Seben. I V . 12

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1 7 0 f > a b e n b i e r e l t g i ö j e n ( E r l e b n i f f e S v f e n n t n i s t o e r t ?

ringes SKafe »on logifdjer Slusbeutungsfraft baju gehört, um oom er- fahrungsmäfetgen Erleben auf einen unerfahr baren ewigen ©runb biefes Erlebens begrifflich au fchliefeen.

Ser Kürje halber möchte ich von allen religiöfen ©efühlen jwei 33ei=

fpiele herausgreifen, awei ©efühle, bie gerabe für bas chriftliche Emp- finben charafteriftifd^» finb, aber auch mit bem inbifchen 33erwanbtfd>aft jeigen, nämlich bas ©efühl ber eigenen SERangelhaftigfeit unb ©ünbhaf- tigfett, bas wir »ielleicht auch mit bem 3Borte „©elbftoerwerfung" be=

jeichnen fönnen, unb bas ©efühl bes tiefften SEftitleibs unb ber Slächften- liebe. Safe beibe ©efühle als echt empfunbene »orfommen, baran ift fein Sweifel möglich, bafür haben wir, wenn uns bie eigene Erfahrung feh- len follte, Seugniffe aus ber ©efdnchte. SSeibe ©efühle erfcheinen bem gewöhnlichen, natürlichen unb wiffenfchaftlichen 93erftanbe als Unfinn unb ffiahnfinn, aum minbeften als törichte Übertreibungen. 9Ran über- lege fid) nur: was hat es für praftifchen ©inn unb 3 wecf, bafe jemanb fich quält im ©efühle ber ©elbftoerwerfung, befonbers bann, wenn nicht einmal ein ernftes Vergehen oon ihm oorliegt? Ser Entfchlufe, fünftighin ein befferes Seben j$u führen als bisher, bas ift etwas, was bem gewöhn­

lichen SKenfchenoerftanb einleuchtet, aber nuftlos fich bem entfefclichen

©efühl preisjugeben, bas ganje eigene Safein bebürfe ber Entfühnung, im ©eifte neben bem Verbrecher 3 U fnieen unb fich nicht mehr 8 W fühlen als er, jeben ©tolj, jebes ©efühl bes eigenen SBertes weit oon fich weg- juweifen unb fich in tieffter Semut nach einer Umwanblung feines gan- 3 en Sßefens su fehnen, bas ift bem natürlichen 33erftanbe unb bem natür­

lichen Empfinben juwiber. Unb nicht oiel anbers ift es mit Sötitleib unb Rächftenliebe. Ser natürliche 3Renf<h wirb allenfalls jugeben, bafe es fchön fei, anberen 3 U helfen, bafe es fdjön fei, wenn es einem gerabe gut geht, ben SBunfd) 8 « haben, es möchte allen anberen auch gut gehen, aber für jenes im önnerften pacfenbe ©efühl bes Allmitleibs mit bem Seiben ber 2Belt, für bas es feinen Unterfchieb mehr jwifchen bem 3ch unb bem Su gibt, bas tatfäd)Iid) ben Rächften in ber gleichen 3öeife wie fich felbft umfafet, fehlt ihm bas 25erftänbnis. Es finb wirflich unnatürliche ©efühle, benn fie fallen aus ber natürlichen Entwidlung heraus. 2llfo bo<h eine 2 lrt Kranfheit? 2 Iber merfwürbigerweife oerbinbet fich bei jebem, ber Erlebniffe biefer 2 lrt hat, mit ihnen bas ©efühl ihres Söertes, unb jwar eines ganj eigenartigen unb unoergleichlichen SBertes, ben wir mit bem SBorte „heilig" bezeichnen. Rubolf Otto hat in feinem33uche „Sa s heilige"

bie Einaigartigfeit unb Unoergleichbarfett ber Kategorie bes „^eiligen"

nachgewiefen. ©elbft wenn bie religiöfen Erlebniffe baju führen, bafe man

ben Unwert ber eigenen Perfönlichfeit empfinbet, wie es beim ©efühl

ber ©elbftoerwerfung ber gall ift, ober wenn fie Seib unb Qual bereiten,

lehnt fie ber SSJlenfch nicht ab, flieht nicht »or ihnen, fonbern läfet fich »on

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S t a f f u n b 2 i e b e

171 ihnen erfaffen tote Don etwas SBunberbarem unb unfagbar SBertDollem.

linb »as noch merfwürbiger ift: aud) Diele 2Renfd)en, bie nur Don bie=

fen Erlebniffen hören unb baburd) eine Slhnung oon ihnen befommen, obet bie ben Einbrud religiöfet SRenfchen empfangen, »erben oon bem

©efühl biefes SBertes ergriffen. SERan benfe an ben Einbrud, ben gran=

jislus oon Slffifi auf feine SDtitmenfchen machte, ober baran, »ie für

<5d)openhauer fd)on ber blofee |)tnbltcf auf bas f>eilige bas grofee Erleb=

nis feines Safeins »urbe.

SBenn bie religiöfen ©efühle als unnatürlich erfannt finb unb bod) nach bem Urteil berer, bie fie erlebt haben, unb nad) bem Urteil oieler, bie fie nur nachempfunben haben, nicht ben Eharafter ber Kranfhaftig»

feit befifeen, »enn fie ben 3Renfd)en aus feiner ganzen fonftigen Ejifteng herausheben, uns gerabeju als ein SBunber erfd)einen, liegt ba ber ©e=

banfe nid)t 3 um ©reifen nahe, bafe fte über bie Natur hinausführen, b. h- ni«ht aus unferer ©eele ftammen, fonbern aus einer über unfer ©eelen=

leben hinausgreifenben SBirflid)teit. Sie SBelt ber religiöfen ©efühle

»äre bann in ber SBelt unferer Erfahrungen bie ©teile, an ber bas E»ige in uns hinein»ir!t. SBer biefen ©ebanfen anerfennt, glaubt an innere Offenbarung; »er ihn oer»trft, ber mufe ent»eber, »enn er es oor feiner Vernunft cerant»orten fann, gur äufeeren Offenbarung feine 3 uflud)t nehmen ober auf alle Neligion »erdichten.

SBie man bas S»ige, Don bem » ir uns bei unferem religiöfen Erleben ergriffen benfen, näher gu beftimmen hat, ift eine grage »eüergehenber philofophifcher Slusbeutung. Saoon foll hier nicht bie Nebe fein. 3d) möd)te nur bie ©teile be 3 eid)net haben, an ber bie Entfcheibung getroffen

»erben mufe. Safe man aud) als Dernünffiger 3Renfd), als natur»iffen=

fchaftlid) ©ebilbeter, bei SIbleugnung unb Slblehnung aller äufeeren SBunber Don biefem einen inneren SBunber übergeugt ift, an bie über=

»eltliche Kraft, bas »elt»enbenbe Prinsip, »ie Paul Seuffen bie ©ott=

heit genannt hat, in uns glaubt, bas ift bte ©runblage für eine religiöfe SBeltanfchauung, bie bann unter f>erangiehung ber äufeeren Erfahrung Dom Senfen aufgebaut »erben fann.

^raff unt>

35on SUtaj 6 e b e r.

Unfer ganjes Senfen ift heute ent »i dl ungs gef <hi d>t l i c h orientiert. SBtr fuchen Suftänbe unb Überzeugungen ber Vergangenheit unb ber ©egenwart als burch Dorhergehenbe Suftänbe unb Übergeugun*

gen bebingt 3 U erfaffen unb haben uns auch baran gewöhnt, bie Verhält»

niffe ber ©egenwart als änberungsfäbig 3 U betrauten; glauben nicht

12*

Cytaty

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gablreichc Spfteme ringen heute in ber ^äbagogif um ©eltung unb $(nerfcnnung. 5luch in ihnen fpiegcln fid) ©egenfäfte unb Sclatioicrungcn wiber, fo baß fic ein

SBäre bies — auf eine, an unferer (Srlebnisfähigfeit gemeffen, große 3 ahl Don ßreigniffen be3ogen — n i ch t ber galt, fo müßte uns bies erft recht als

fach als naturnottoenbig hinnebmen müffen. Selbftocrftänblid) ift ber ©laube, bafe alle fittlid)cn 3been in ©ott oertoirflicht finb, fittlich äufterft fruchtbar unb

6 tatt nach finnlofen ßeiben werben wir alfo allgemein nach finn- lofen 6 e($ungen negatioer SBcrte fragen. 3lber auch U)tr anberen müffen oerlangen, baß ©ott

Wifet ihr benn überhaupt fo genau, wie es in biefen Entfagenben ausfieht unb was fie erleben in fid)? Unb wifet ihr fo genau, ob bie Sebensfeinblichfeit, bie

rifche SBirfung bes „SERilieus&#34; bas 53erftänbnis für SERufif möglichft früh unbewufet aufgehen mufe unb bafe eine fpäte Saat nicht etwa eine fpäte Ernte, fonbern

©efunbheits 3 uftanb beiber Teile fann nur auf folche SEBeife erhalten werben. £&gt;ier burch Nachläffigfeit, Unwiffenheit ober burd) falfche 6 djam bas ©lüd sweier

3m erften galle müffen wir »or allem genau zufehen, ob bie Tatfachen auch wirflid) fo finb, benn fonft laufen wir ©efahr, jemanben für einen SRaterialiften zu halten,