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Die Zukunft, 3. Dezember, Bd. 25.

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Ue G-

Berlin, den Z.Dekember 1898-

web A l

FranzJoseph—

WeninEuropalangendenund bangenden Monarchisten, aufderen legitimesEmpfindenan einemzweiten Dezembertag einsteiner- kältenderReif fiel,bietet derzweiteTagdesWeihnachtmonatsdiesmal ein lehrreiches,tröstendes Schauspiel: sieerleben inOesterreich,demalten Patriarchalstaat,der demflüchtighinblickendenAuge schonmorsch,»fchon UahemUntergangegeweiht scheint,eineliebliche Spätblüthedesmon- archischenGedankens,denmancher sich besondersklugdünkende Mann längstnicht mehr für keimfähighieltundderin einemzerklüftetenErdreich unter derkühlenWintersonnenun nocheinholdes Lenzwunderwirkt.

ImLande derUnwahrscheinlichkeitenwirddasUnglaublichewiederein- malEreigniß.DieDeutschen,dieihresvomJubelgebrüllumtosten Sieges überBadeni nicht frohwerdenkönnen,überlegeneben,obsiedieleisewieder mit der lautenObstruktion vertauschensollen,und erklärenfeierlich,daßihr Volksthumvernichtetwerdenmuß,wennauchnurdiegautfchifchgesänftigten SprachenverordnungeninGesetzeskraftbleiben. DieCzechenreichendem Graer ThundielangeListeihrer Postulateein undstellen sich,mitslavischer Schlauheit-alssei auf ihreberechtigtennationalen Ansprücheihnen einst- weilen kaum einekargeAbschlagszahlunggewährt.Slovenen undJtaliener glaubendie Stundegekommen,wovomgaftlichenTischdesLebemannes,der demMinisteriumwie einemCoriandolispielpräsidirt,auch für sieein paar Brockenabfallen könnten.DenMagyarenist,seiteinDeutscherKaiserals

weithinVermhmbakekRhapsodeihrenRuhmkündete,deråliationalstolzmäche tig erstarkt, fie hadernmitihrem Bansfy,der dieSchachermacheidoch so

gutwiedergeriebenste Jobber versteht,undmöchtenam Liebstendie 28

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heimlicheineineoffeneHerrschaftüberOesterreichwandeln. Diepol- nischeSzlachta schnüffeltgierig umherundspähtnachderGeschäftskon- junktur,dieihrdiebesteBeuteinsLager fpülenkönnte. Kein Stamm ist inOesterreich zufrieden,keinePartei freut sichleidlos derpolitischen Zustände, unddennochvereinen sichalle Stämme undParteien,um festlichdas fünfzigjährigeRegirungjubiläumdesKaisers FranzJoseph zubegehen. Nur dieSozialdemokratieund dieSchönerer-Gruppe bleiben derFestlust fern;aberauch dieseParteien hütensichweisevoreiner persönlichenOppositiongegendenKaiser,dieihrer gedeihendenSachenur schadenwürde. Auf seinen Kaiser läßtderOesterreicher nichts kommen;

gegenihnmagerselbstimhitzigstenRedekampfkeinSchmähworthören.

Während Franz Josephdie Kronetrug, istderStaat derHabsburger aus DeutschlandundItalien verdrängtundindentiefstenWurzeln seines Ansehens erschüttert,ganzeSchaarenvonMinistern sind, oftgenug ohne ihr Verschulden,unter HaßundVerachtung bestattetworden und derNationalitätenkampfhat Formenangenommen, derenAnblick einem neuen HobbeswonnigdasHerzwärmenkönnte. UeberallUnzufriedenheit, Zank,wildes Gezeter, undüberalltrotzdemeineungekünstelteLiebe zu demKaiser,indessenNamendieunpopulärePolitik dochgetriebenwird.

Einseltsames,denSinnbefremdendesSchauspiel.Werachtfam auf dieKrämpsegeblickthat,dieseit JahrendenvonAerztenundPsuschern oft allzu hastiggeflicktenLeib derhabsburgischenMonarchiedurchzucken,möchte glauben,derThronderschwachenLothringermüsselängstinsWanken ge- rathen,diePersondesMonarchenzurZielscheibederUnzufriedenheitge- worden sein.Konnte einemHerrscher,gegendessenMinister,vonBuol bisausVadeni undThun, so häufig sichdieundisziplinirte Wuthder Massen waffnete,inseinemLande Liebeerwachsen? Jm Reichder Un- wahrscheinlichkeitenistdasUnglaubliche Ereignißgeworden.AlleKrisen undKämpfe habendasgemüthlicheVertrauensverhältnißdesVolkeszu seinem Kaiser unversehrt gelassen.Undwenn man,um desRäthselsLö- sungzufinden, fragt,ob denn diePersönlichkeitdiesesMonarchen so stark inihrem Wollen, soleuchtendinerhabenerWeisheit, so gewaltiginihrer individuellen Wirkung sei, daß siealleFährnisse,alleVerfinsterungen desöffentlichenGeisteszuüberstrahlenvermochte,dannwirdman von jedem ernstenOesterreicher ohne Zauderndie Antwort hören:Nein.

Nein: derOesterreicher hält seinen Kaiser nicht füreinengroßen, das menschlicheMittelmaßüberragendenMann;ersiehtinihmnicht

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Fer Joseph- 409 einmaldenEmpfängerbesonderer göttlicherGnade. Mancher Zug,der dieBeliebtheitohneGlückregirenderHerrensonstverständlichmacht,wird unFranz Josephvermißt.Erweißfich nichtinSzenezusetzen,kommt- wenn erLeute aus bürgerlichenGesellschaftschichtenempfängtoder bei AnsstellungeneinerAnfprachewürdigt,kaumjeüberBanalitäten hinaus undhatdenneugierig Lauschendennie eineProbeungewöhnlicherGeistes- beschaffenheitgegeben. Auch seinem Familienleben fehltedasungetrübte, das reinerstrahlendeGlück,dasvonderHöheherab stets eiUsdasAndacht- bedürfnißderMengewirkt:inseiner Ehe,derenKetteLucchenisFeilege- spkeUglbat- gabesgleichimAnfangeinenschwerenKonflikt,die eiternde Wunde VerheilteUievölligundaufdieGreifenjahre warfdieEntartung Und derschmählicheToddeseinzigenSohneseinentiefen Schatten.Da- zukommt,daßvon denverschiedenenStämmen undGruppen manche WesensseitedesKaisersbemäkelt wurde: den Einenschienerzufeudal, denAnderenzuklerikal,Demnicht deutschundJenem nichtmagya- kischgenug-hierzucentralistischunddortzuföderalistischgesinnt. Jn dem einen Glauben nur begegneneinander Alle,von Falkenhaynbis zu Adler,daßFranzJosepheingutmüthiger,liebenswürdigerundehrlicher Menschist,dersichnichtüberhebt,treuundbescheidenseinePflichtthut, nach bestem WissenundGewissendasWohlder Völker zufördern bemühtist, derenVertrauensmann ersein sollundfein möchte,derWahrheit, auch derunerfreulichen, leidigindasHofidyll hineinklingenden,bewußtdas Ohr nicht verschließtundsichvon klugen Männern,wenn siederZu- falliUseineNähe führt,ebenso willigwievon derMachtderThat- sacheUbelehren läßt.Das ist nichtallzu viel;abereshat genügt,ihm siiiifzig schlimmeJahre hindurcheinePopularitätzusichern,derkeine KunstdesbbfischenGefindesmitKniferundPfifer nachzuhelfenbrauchte.

Dieser Kaiser istnieaufgefallenundhatniemehrgewollt,alser konnte—DasistdasGeheimnißseines merkwürdigenErfolges. Auchanihn sucht,wieanalleGekrönten,derSchmeichlerchorsichgeschäftigzudrängen undderstaunendenMengezuverkünden,was dieschwarzgelbeWelt,was Wien UndPest,wasKunst, Wissenschaftund GewerbedemweisenWarten FranzJosephszU dankenhabe.Jn WirklichkeithatderKaiservonOesterreich aktiv iU keinGebietmelischlicherBethätigungeingegrifsen,auchnichtindenBe- reichderimeUgsieUSinnsogenanntenPolitik;erließdieDinge gehen, manchmallänger vielleicht,alsesfürdasVolknöthigundnützlichwar, dennderMuthund dieKraftzurInitiative istinihm nicht groß. Dafür

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hatteerstetsdenfüreinenRegenten sowichtigenMuth,eine im Augenblickun- populärePolitikzudulden und mitseinemNamendecken zulassen.Der popu- lärenStrömung ister nureinmalgewichen:alserdenGrafenBadeniopferte; undesgiebt Leute,diebehaupten,erhabedieseNachgiebigkeitsehr schnell bereut.Als einenunzuverlässigenHerrnhatersichaberauchdempolnischen Dilettanten nicht gezeigt;ertrenntesicherstvonihm,als derMinister selbst seine Lageals unhaltbarerkannt hatte. Daßersichnichtvon Launen beherrschen,von GeschichtenträgernundHintertreppenpolitikernnicht stimmen läßt,haterschoninBeusts,desschlauenGeberdenspähers,Tagen bewiesen;GrafHohenwartundseineKollegenkonntenimmer ruhig schla- fen,wenn esihnen möglichgewesenwar, ihre AbsichtenundPlänedem Monarchen selbst darzustellen.Esmagsein, daßdervon Coronini und Bombelles erzogeneJüngling auchimManesalter klerikalenEinflüssen zugänglicherblieb,als esfürdasOberhaupteinesmodernen Staates wünschenswerthseinkann.Aberist Oesterreichein moderner Staat? Und entferntineinemLande,wodiepolitischeMacht sichin Männern vom Schlage Luegers, Liechtensteins,DipaulisundJaworskis verkörpert,ein ganzvonkatholischenVorstellungen erfüllterMonarch sichwirklichvonder Willenslinie dergepriesenenVolksmehrheit?FüreinvondenWehen seiner slavischenZukunft geschütteltesOesterreich,dasausderdeutschenHegemo- nieverdrängtwardundtastend seinLebenscentrum nun anderswo suchen muß,war undist Franz Josephderbeste,tüchtigsteHerrscher.EinMann

vonungewöhnlicherThatkraftundIntelligenzwäreanderSchwierigkeit derwirrenVerhältnisseerlahmt. FranzJoseph begnügtesichmitder RepräsentantenrolleundüberließdieLastundVerantwortlichkeitder Geschäftsführungseinen Ministern. ErhatteinVregenznochmitden Königenvon BayernnndWürttembergüberdiedeutsche Fragever- handelt, nahmdannKöniggrätzinErgebung hinundwurde einguter BundesgenossedesDeutschen ReichesundeinaufrichtigerVewunderer Vismarcks,dessenrücksichtloseGeniepolitikihm dochdiedeutschenZukunft- hoffnungenundVenetiengeraubt hatte.Ersahdie alteFreundschaftmit Rußland währenddesKrimkriegesschwindenundin derzweiten wilhelmi- nischenEpochedesDeutschenReicheswiedererstehenundbliebinjedem WechselderZeiten gleichmüthigundgelassen.Erhat Felix Schwarzen- berg, Bach, Schmerling, Velcredi,Hohenwart, AuerspergundTaaffe ertragen, hatsichinderauswärtigen Politikvon BeustzuAndrassy bekehrtundnie einemMinister, auchkeinemnoch sounselig hausenden,

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Franz Joseph. 411 mitUndankgelohnt.So sah ihn sein Volk, sieht ihn Europa: als einenbestimmten,inseinem WerthundseinerBegrenzthcitSMUU zU ermessendenFaktor,mitdemman sichabfinden kann,bei dem es keine jähenSprünge,keinelaunischen Ueberraschungen giebt.Keingenialer, aber einhöchstkorrekterKaiser. DerKaiser füreingährendes,unruhvollneue StützpunktesuchendesReichundfüreineehrfurchtlose,entgötterteZeit,in derenBorstellungskreisderMystikderRaum täglichgeschmälertwird.

Wie vft Franz JosephimLaufederfünfzigEliegilkungjahkefeine Privatansicht geändert hat?Man weißesnicht;denndiesePrivatansicht drangnie durchdieSchloßmauernindieMenge. DerKaiferVon OesterkeichhatnieeinepolitischeGruppegekränkt,nie einschrillesWort unterdieStreitenden gerufen,nie denKampsplatzderParteienbetreten.

Das schienihm nicht seineAufgabe;dennerwollte ein Element desFrie- dens, nichteinprovozirender SchürerderZwietracht sein, ein Be- ruhigelp nichteinErreger.Er bewahrteinjeder Lageeinewürdige, mitunter einBischen steifeundfastimmer individualitätloseZurückhal- tungundwar zufrieden,wenn man ihn aufderRingstraße,inSchön- brunn, JschlundGödöllöherzlich grüßteundsichimUebrigen nichtum seinLebenbekümmerte,dasernachder Art einesvornehmenundbequemen Grandseigneurseingerichtethatte.Seine persönlichenWünschewurden nur inHeeresangelegenheitensichtbar; sonstwar erbemüht,sich aus keineMeinungsestnagelnzulassenundin derAuswahl seinerMinister VolkeFreiheitzubehalten. Dieser klugeTaktschuf ihmdieMöglich- keit- je NachdemBedürfnißderStunde mitdenverschiedenstenRegirung- systemenzuwirthschaften,ohne sichdem Tadelauszusetzen,der diesprung- haften,in unentwirrbare WidersprücheverwickeltenExperimentatorentrifft.

DerAnblickist lehrreichundtröstend:erzeigt, daßauchin Mittel- eUWPa dieMonarchienochlebenkann, daßsie selbstdannnicht bedroht ist, wenn ihrem gekröntenVertreter derpersönlicheWesensreizfehlt,derin DeutschlandWilhelmdemErsten,inRußland Alexanderdem Dritten ver- liehenwar. EinMonarch,der über dieseineMacht umhegendenSchranken nichthinausstrebt,dernichtausfallen,nichtals ein Weltwunder undMensch- heiterlöserangestauntwerdenwill,sondern sichruhig hältund mit den Bür- gernseines ReichesFreudeundLeidtheilt, hat auchinZeiten politischen NiedergangesundHadersnichtszufürchten:dasselbeVolk,dasseineMinister haßtoderhöhnt,windetihmzuseinemEhrentagedenKranz,der dieGreisen- stirnderstillen,friedlichenHaushaltermitfrischemFrühlingsgrünschmiickt.

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Die moralischen Triebkräfteim Leben der Gegenwart

WerProblemederMoral behandelt, muß zweiDinge auseinanderhalten:

dieletzteAbleitungderMoral aus unserer innerstenNatur und unserem Grundverhältnißzum Allaufder einen,ihre thatsächlicheEntfaltung, ihrWerdenundWachseninnerhalbdesmenschlichenKreises aufderanderen Seite. WerJenes entbehrenzu könnenvermeint,verurtheilt seine eigene Denkweise unwiderruflichzurFlachheitzwer Diesesvernachlässigt,verzichtet aufeineMachtderMoral innerhalbdermenschlichenVerhältnisseundauf denGewinn desganzen Menschen.Eine abschließendeBehandlung muß Beides miteinander umfassen,aberesläßt sichohneSchadenbaldmehrdie eine, baldmehrdie andereSeite voranstellenzdiezweiteRichtungderBe- trachtung istes, in- dersichdiefolgendeErörterungbewegt.

EinederartigeBetrachtung hatzurGrundlagedieUeberzeugung,daß derMensch empirischangesehen nicht schon moralisch ist, sondernes erstwerdenmußunddaßeresnichtwerdenkann,wenn nichtderLebens- prozeßselbst ihn dazu bildet; ErfahrungundArbeitmüsseneinemoralische Erziehungüben, eine dem LebeninnewohnendeMachtmuß dieIndividuen über dierohenRaturtriebe und dieengeSorgeum das eigene Befinden hinausführen.DasHauptmittel dieser Erziehung bestehtdarin, daß,was zunächstdurchdenZwang äußerer Verhältnisseanuns gelangt, allmählich insJnnere gewandtundvonunserer Gesinnung angeeignetwird,daß,was zunächstnur hieundda,nur unter besonderen UmständenundBedingungen, wirkt,allmählichvonderZufälligkeitabgelöstundüber dasGanzedesLebens ausgedehntwird. Diese Bewegungineinerbesonderen Zeit verfolgen, heißt, dieAnnäherungenundAnknüpfungenzeigen,die dasempirischeLebender moralischenBildung hier entgegenbringt,heißt,denPlatzderMoral in der Arbeitdieser Zeit aufsuchen.So mußesauchgeschehen,wenn essichum diemoralischenTriebkräftederGegenwarthandelt.

Dem modernen Leben undnur mitseiner charakteristischenAus- prägung habenwireshierzuthun istzunächsteineenergischeVerneinung eigenthümlich:dieAbweisungallerunsichtbarenZusammenhängeund über- natürlichenOrdnungen.Das besagteineZurückdrängungderReligionund eineSchwächungihrer moralischenImpulse.Nun wirdgewißdie unmittel- baremoralischeWirkungderReligion oft überschätztWas denMenschen zunächstzuihrtreibt,ist nichtsAnderesalsdieSorgeumdaseigeneGlück, nndauch innerhalbdesReichesderReligion erscheintsoviel Neid undHaß, so vielSelbstsuchtundLeidenschaft,daßunter menschlichenVerhältnissendie MachtderReligion nicht ohneWeiteres einenGewinn derMoral bedeutet.

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Diemoralischen TriebkräfteimLebenderGegenwart. 413 Daßabertrotzdem starke moralische Einslüssevon derReligion ausgehen, kannnur einekurzsichtigeBetrachtungverkennen. DieunsichtbarenGüter- zuderenErwerbanfänglichvielleichtnur selbstischeMotivedrängten,be-

ginnen, durch ihren eigenen Werthzugefallenundzubewegen, schondie Beschäftigungmithohenund fernenDingen vollziehteineErhebungüber die kleinenInteressenundSorgendesAlltages,dieJdeenderEwigkeitUnd UnendlichkeitergreifenunderschütterndasGemüth, übernatürlicheOrdnungen- dnichdenGlauben ineinelebendigeGegenwart gestellt,wirken zur Aner- kennungderSchrankenallesMenschlichen,zurErweckungvon Ehrfurcht undPietät. Undindem sich Das, beigesicherterHerrschaftderReligion, über die ganze Seele desMenschenausbreitet, entstehteineigenthümlicher TypusderMoral, einebeständigeGegenwirkunggegendasNiedereund GemeineimMenschenwesen.Jnsofern isteineErschütterungderReligion zugleicheinVerlust fürdieMoral; daßaberdieReligioninderNeuzeit eineschwereErschütterungerfahren hat,wer möchteesleugnen?

DasdadurchentstandeneManko glaubtaber das moderneLeben weitaus und leicht durcheineenergischereErfassungderunmittelbaren Wirklichkeit und einevolleNutzungderhier vorhandenen, sonst vernachlässigtenKräfte ersetzenzu können.Solche Wendung eröffnetzunächsteineendloseMannich- faltigkeit,aber beischärferemZusehen erscheineninmitten allerZerstreuung leitende Zieleund verbindende Einheiten. Eine solche Einheitist henie vorAllemdiesoziale Jdee,dasStreben, dieGesammtheitderMenschheit in allenihren einzelnenGliedernan einehöhereStufedesWohlseinszu erheben, NothundElend nichtnur hierunddazu lindern, sondern siein dertiefstenWurzel auszurotten,die GütereinerhochentwickeltenKulturnicht

nur einzelnen Klassen, sondernAllemzuzuführen,wasMenschengesichtträgt.

Dies Ziel vornehmlichgiebtderGegenwarteineDetermination undKon- zentration,von hieraus erscheinengewisseWahrheitenalsselbstverständlich undfürAlleverbindlich, hierwirdJederineinengroßenStrom hinein- gezogen. AucheineeigenthiimlichemoralischeArt,charakteristischemoralische Triebkräfteerhältunsere Zeit dadurch, daß siedenSchwerpunkt ihrer geistigen Existenznicht«WiefrühereEpochen,in derReligion, auch nichtin der inneren BildungdesMenschen, sondernindersozialenArbeitfindet.Denn eswird vondortherdasBewußtseineinerSolidarität derMenschheiterweckt, der Einzelne empfindet stärkerdieVerantwortlichkeit fürdieLagedesGanzen, NothundLeiddes Einenwirddirektervom Anderen mitgefühlt,vonder Empfindungaberdrängtesmiteinerfrüherunbekannten Energiezuthat- kräftigerLeistung,zueinemunermüdlichenWirken fürdie Anderenunddas Ganze EinwesentlicherZug istdabei,daß jene sozialeThiitigkeitnichtais eineSachevonGunstundGnade,nichtals einAusfluß bloßenWohl-

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wollens,sondernalseinePflichtdesEinen,als einRechtdesAnderen gilt;Das istderPunkt,wodie anderswo oft gering geachtete Pflicht- idee demmodernen Menschen nahekommtundihm eindringlich wird;ein Rechtdes Anderen anerkennen,heißtaber,sich auf seinen Standpunktver- setzenunddemeigenen Begehren Schranken ziehen. Solche Gesinnungen finden heuteeinenWegindieGesetzgebungunddasstaatliche Leben; nach dersozialen Richtung hin liegt auch,wasKunst,Literatur undPhilosophie

anmoralischer Wirkungüben.DieWandlunggegenfrühereZeiten istaugen- scheinlich.ErschienensonstdieDichteralsdieLehrerundBildner derMensch- heitundsollte ihr Schaffen durchEntwerfung hoher JdealedasNiveaudes menschlichenDaseins heben, so möchtensieuns jetzt durchdieAnschanlich- keitihrer SchilderungdieWirklichkeit näher bringen, ihreEindrücke mit größererStärkeempfinden lassen, durcheinemuthige AufdeckungderNacht- seitedesmenschlichenDaseins Theilnahmeerwecken.Wenn diePhilosophie sonsteinemoralische Bildung forderte,indem sieentweder mitPlato eine vornehme,allemGemeinen abholde Denkweisevertrat, oderinstoischerArt denMenschenzu innerer Selbständigkeitund männlichemPflichtbewußtsein ausrief, sowirktsie heute, soweitsieüberhauptwirkt, zurStärkungder Solidarität undalsAntriebzusozialerArbeit.

Soempfängtaus dersozialen Richtungdie moderne Moral einen durchaus eigenthümlichenCharakter.Einethatkräftige,greifbarenLeistungen zugewandte,vomGeschickdesGanzenbewegte,den ganzen Umkreis des Lebens umfassendeArtist unverkennbar,man möchtedieEthik überhauptalsSozial- ethik gestalten, ohne genügendzuprüfen,obdamitnichteinschiefer,dieSache verflachenderBegriff eingeführtwerde. Ueberhaupt lassendieaugenscheinlichen Vorzügederneuen Artleicht ihre SchrankenundihreGefahren vergessen.

Das InteressewirdoftganzdurchdieäußereLage absorbirt,an ihrerBer- besserungscheintallesHeilzuhängen,ihre durchgreifendeUmwandlungsoll glücklicheundtüchtigeMenschenerzeugen, einParadies aufErdenschaffen.

DamiteineVernachlässigungder innerenProbleme,eineRichtungderGedanken nachaußen,aucheineUeberschätzungdesmenschlichenVermögens,einHervorbrechen einesunersättlichenGlücksdurstes,eineErweckungungeheurer Leidenschaften.

Aberesfehltimeigenen Kreisedes modernen Lebensnichtaneiner ErgänzungdersozialenBewegung,aneinerGegenwirkung.Dasistdie Be- freiungundEntfaltungdesJndividuums, wiesie seitdemAusgangedes Mittelalters einenHauptngdermodernenArtbildetunddurchalle Wand- lungen hindurchbisheute fortdauert. Schien vorherdasIndividuum nur

werthvollalseinGlied einesgrößerenGanzenunderfolgtealleOrdnung seinesLebensvondorther, so geschiehtnun eineUmkehrungdahin, daßsich allesgeistigeLebenzunächstdemIndividuum darstellenundalleGemein-

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Diemoralischen TriebkräfteimLebenderGegenwart. 415 schaftvondenIndividuenausaufbauen soll. Diese SchätzungdesJndividuums giebt ManchemoralischeImpulse preis,dievorher unentbehrlichdünkteU- Es sankdieerziehendeMacht großergesellschaftlicherOrdnungenundfesterGlie- derUUgethAutoritätundTradition verlorenihrenBoden,SitteundGebrauch ihreHeiligkeit,nirgends schieneseinevom Menschen unabhängigeNorm zUgeben, EhrfurchtundPietät schwanden mehrundmehrausdenmensch- lichenBeziehungenDazu erzeugtediemoderneGestaltungvonTechnikund VerkehreinegrößereFreiheitdersozialenBewegung,einleichtesHeraustreten aus dengewohnten Verhältnissen,zugleichabereineAbschwächungder Kon- troledergesellschaftlichenUmgebung,einenVerlustanüberwachenderAuto- rität. DasAlleskannso verstandenund so gewandtwerden,daßdie zu- fällige LageundLaunedes JndividuumszurhöchstenInstanzwirdunddaß dasgesellschaftlicheLebennichtsAnderesbedeutet alseinZusammentreffen, leichteinenZusammenstoßdernurauf ihr eigenesWohl bedachtenIndividuen-

AbekfürdasGanzederMenschheitenthältdieWendungzumIndi- viduumkeineswegsnur eineVerneinung, sondern aucheinesehr entschiedene Bejahlmg,auchinmoralischerBeziehung.Dennin derkräftigerenEntfaltung desJudividuums liegtdasVerlangeneiner größerenUnmittelbarkeit und WahrhaftigkeitdesLebens; nichtaus äußeremZwange, sondernaus eigener UeberzeugungundEmpfindungheraus sollderMenschhandeln, nirgends soll

er einbloßesExemplarderGattung odereinStückeinerOrganisation bleiben,vielmehrsolleraufsichselbststehen,seineeigeneArtentfaltenunddiese ArtinallesThun hineinlegen. Jn dieser RichtungentwickeltsicheineFrei- heit nichtnur auf politischemundgesellschaftlichemGebiet,sondern auchfür allePersönlichenBeziehungenvonMenschzuMensch.SoimVerhältnißvon ElternundKindern, soimVerhältnißderGeschlechter.Undwarum könntesich UichtausderFreiheiteinesVernunftwesenseininneresGesetzentwickeln und ein- dringlicherwirkenalsallervonaußenauferlegteZwang? Ja,dieIndividua- lität kann,tiefer verstanden, ihrerganzenAusdehnung nachzu einerheran- bildendenNormwerden. Denn einegeistigeIndividualität istkeinfertiges Datum, sonderneinefortlaufende Aufgabe, sie enthältForderungenundsetzt Schranken, siewirkt allemStoffgegenüberalseine umbildende undform- gebendeMacht.SoveredeltsieallepersönlichenVerhältnisse,alle Artender Liebe, besonders,alsderstärksteDammgegen dieRoheitdesNaturtriebes, diegeschlechtlichezso verfeinert sieallesEmpfinden, läßt KunstundWissen- schaftmehrin denDingen sehen, machtdieBesonderheitdeseinzelnenAugen- blickesbedeutsamer, vollziehtdemnachdurchgängigeineErhöhungdesLebens, zugleichabereineAustreibungbloßerWillkür, eineBindungan dasGesetz dereigenenNatur. Das Allesfreilichnur, soferndieIndividualitätiU höheremSinnegenommenwird;aberwarum sollteDasnichtgeschehenkönnen, warum solltediegroßeJdeean dieniedersteFassung gekettetbleiben?

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Wieaber, recht verstanden,dieIndividualitätinihrem eignen Wesen einGesetzundeine bildendeKraft enthält,so erzeugtdieWendungzumIn- dividuum auchausdengegenseitigenVerhältnissenderMenscheneineFülle von ZusammenhängenundEinschränkungen.DieFreiheit,diedasIndivi- duumfür sichselbst verlangt,kannesdenAnderenunmöglichalsihrRecht versagen; so müssendieEinzelneneinander achtenundbeschränken,dieRechts- ideeerlangt auchandieserStelleeinenicht geringe Macht.

Ferner bringtdiefreiere Bewegungdesmodernen LebensdieIndivi- dueninunvergleichlichmehr gegenseitigeBerührungen,sie vollziehtdamit eineAusgleichungundAbschleifung;so entstehtimZusammenseineine ge- meinsame geistigeAtmosphäre,esentstehenGesammtmeinungenundGesammt- strebungen, welchedieIndividuenbei allerscheinbarenWillkür fest umfangen undsicherzusammenhalten Ist überhauptdasStreben, inderSchätzung derMitmenschenEtwas zugelten,beiihnen AnerkennungundAuszeich- nung,jedenfallskeineMißbilligungzufinden,einebesondersstarkeTrieb- kraftdesmenschlichenHandelns, so verstärktsichDasmitjenem Anwachsen dergegenseitigenBeziehungenderMenschenundmitdergrößerenOffenheit undBewußtheitdesmodernen Lebens. DieöffentlicheMeinungwirdjetzt zu einemGewissenderMenschheitunddesMenschen; istesaberfür ihren ZusammenhangmitderErhöhungdesIndividuums nichtbezeichnend,daß derselbeDenker, derdasRechtdesIndividuums inStaat, Gesellschaft, Erziehung besonders nachdrücklichzurGeltung brachte, daß JohnLocke zu- erstnebendemgöttlichenunddemstaatlichen GesetzeinGesetzderöffent- lichen Meinunganerkannt wissenwollte? NunistdasHandelnunter dem DruckderöffentlichenMeinung zunächstgewißrechtäußerlichundscheinhaft.

AberganzohneWerth ist selbst nichtdasStreben nacheinem erträglichen Schein,vorAllemaberläßt sichauch hier aufdieWendungvonaußen nach innen,vonderHandlungzurGesinnungvertrauen. WaszunächstderAn- derenwegengeschieht,kannnachund nachan sich Gefallenerweckenund schließlichalsSelbstzweckdasHandelnleiten-

Wenn dieöffentlicheMeinungdenMenschenals eineunsichtbareMacht umfängtundihnmitunsichtbarenFädenlenkt,sofehltesaufdem modernen Bodenauch nichtansichtbarenZusammenhängen.AnderStelle deralten Organisationen erzeugtdie Arbeitselbstneue VerbändederMenschen,aus denverschiedenenhier vorhandenen Interessenentwickelnsich Gruppierungen äußerlichfreier, innerlich nichtminder gebundenerArtund an dieStelle desaltenGemeinsinnestrittjetztdergenossenschaftlicheSinn jener freienVer- bände. Auch hierwirdderEinzelne angehalten,einemGanzen sichunter- zuordnenundOpferzubringen; auch hierkann Das,waszunächstinselb- ftischemInteresse ergriffenwurde,allmählichzumSelbstzweckwerden.

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