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Neue Monatshefte für Dichtkunst und Kritik, 1875, Bd. 2, H. 1.

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Inhalt

Ya- Geheimniß.Novellevon Victor von Strauß . . . . . . .SM1e

ostineGeschichteinJiederih VonOtto v.Leixner-Grünberg . . 39 YesZauliapfecSchwankineinemActvonPaul Lindau . . . . 41 Oedichtr.VonOscar Welten, C.Ferd.Meyer,Tl).Auf1-echt . 54 DiedeutscheDichte-citoVonJohannes Scherr . . . . . . . .56 DieserGeists »Es-UnzenFriedrich-«vonHamburg. VonHans von

Wollzogen...65 KritifcheRundlilicäe·...74

Fjatk Mosenkranz.VonHieronym usLorm.

MeineBücherschau.

ZurKritikderKritik VonOs c a rBlum enthal.

Miøcellen

cSie»KannMunntsljefie«erscheinenregelmässigamEndejedes Monats imUmfangvon5—6Zagen Xex. eleg. geh.

Der Jahrgang bestehtaus 2Modenonje6Beste-h StreioproHand6Mark;pro Gnartol3zuorlkzproHeft1Wort-.

AlleInchhondtnugeuundUnsinn-lauen nehmest Zestellongenon.

Reckactionsfckckas:16.Juki.

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Yak- Gelgejmnisg. 1

Das Geheimnis

Novelle von Victor von Strauß.

DiePräsidentin betrachtete sichundihren Anzugindemgroßen Spiegel ihres Wohngemachsmit befriedigtenBlicken. Obgleichdem vierzigsten Jahre nahe,war sie nochimmer einederschönstenFrauenundselbstam wenigstengeneigt, sich diese Anerkennungzuversagen.KeinMaler,keinBildhauer hätte sicheinvollkommneres Modell wünschenmögen.Stirn undMund umschwebtezwar einZugvon Härte, AugenundWangenein Ausdruck von Leichtsinn,aber beides zusammen gab ihr zugleichetwa-s Räthselhaftes,das um so mehr anzog. Es schien aus sie selbst zuwirken, so vertiefte sie sichinihr Spiegelbild, während sieanderdunkelrothen RoseimHaar nocheinwenigrückte, Armbänderund andern Goldschmuckbefestigte undeinige Faltenaus dembraunrothenSeidenkleide strich,gegenwelchesdasglän- zende WeißderArme,Händeund desHalses vortheilhaft abstach.

Sie hatte nicht gehört, daßderPräsident indeß eingetretenwar,und bemerkte dies erst,alssieimSpiegel auch sein Bild, diehohe,etwas vorgeneigte Gestalt mit dem ernsten gutenGesichtund dem angrauendenHaar, dicht hinter sich- erblickte.

WillstDuin’sTheater,meineLiebe?fragteer,alssie sichzuihmumwandtesp Wohin sonst?erwiederte sie.

Jch dachte mir’s, fuhrderPräsident fort; daDu aberfertigzusein scheinst, auchderWagennoch nicht vorgesahren ist, so möchteichvorher einigeWorte mit Dirsprechen.

Mit demheitern Lächeln, welches ihn nachzwanzigjährigerEhe nochimmer- bezauberte, reichte sie ihmdieHand, ließ sich nachdemSopha führenundsetztesich dort an seineSeite. Doch lagetwas Gespanntesin ihrem Wesen,daserstver- schwand,als derPräsident sagte:EsmußDir auch aufgefallen sein,meine Liebe, daß sich Helene seit einigen Wochen sonderbarveränderthat.

Gewißwar esihr aufgefallen, obgleich erst seit einigen Tagen. Sie hatteaber sogleichdenHausarztzuihrer Tochtergeschicktunddieser hatte nach sorgfältigerUnter- suchung versichert, Helene seivollkommen gesund.

So muß sieimGemüth leiden, so muß sieeinenverborgenenKummerhaben, fuhrderPräsident fort. Hastdunichtmitihr gesprochen?

Eswärebesser,lieberMann,Dusprächesteinmal mitihr. Siehatvielmehr Vertrauen zuDir als zumir. Ja, eskommt mir vor, alsobsie michin der

11,1. 1

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2 gären-:MonatghektefürYirlztkurcstundRrjtjln

letzten Zeit sogarzuvermeiden sucht.Sie hat jedenfallskeinenUeberslußan der kindlichen Liebe,dieich fordern müßte,wenn ich weniger nachsichtigwäre.

Jch versichere Dich,darinirrstDu. SieliebtDich, sieliebtDich wahrhaft,aber ihrBeide seid freilich so verschiedeneNaturen, daß ihreinander kaum begreifen könnt; ein bedenkliches Verhängnißbei Menschen,die so sehr aufeinander angewiesen sind; unddieserGegensatzmußte sichum so mehr verschärfen,als wir ihreinesehr freie selbständige Entwicklung vergönnt haben. Bei meinen jetzt so gehäustenGeschäftenundDienstreisen habe ichnur selten Zeit gefunden, siezube- obachten,aberwas ich wahrgenommen,hatmirdasHerz durchschnitten. Welcher Genußwar esmirsonst,dasliebeschöneKindso frischund gesund, so einfachund natürlichund dabeisolebhaftundklug sichimHause, inderGesellschaftbewegen zusehn! Und wie gedrücktund ängstlichschleicht sie jetzt einher, täglich blasser, stiller,verschlossener, zurückgezogener,nicht seltendie Spuren heimlich vergosener Thränenan denAugenlider-M Jch habe gesehen, daß siebeidengleichgültigsten GesprächenAnderer plötzlichschreckhastzusammenfuhr, ohne daßman dieUrsachebe- greifenkonnte.

Jch müßte sehr irren, sagtedieschöneFrau, alsderbekümmerte Vater nach diesenWorten inschmerzlichesNachdenken versank, ich müßte sehr irren,wenn demnicht pietistischeSchwärmereizuGrunde läge.

DerPräsident schüttelteschweigenddenKopf.

Nun, fuhr sie sort, Du wirstes jasehen,wenn Dumitihr sprichst. Eine gewisse Religiosität ist jaetwas ganzGutes, aberman muß dergleichen nichtüber- treiben, und· Helene hatteimmer einenHang dazu. Auchpflegt sie schon länger Umgangmit einigen unserer Frommen, diejeden fröhlichenLebensgenuß,Theater- Tanz,SpielundScherzalsSünde verdammen;lauter Dinge,von denen sich auch Helenejetzt zurückziehL Diese verdrehte Geistesrichtung soll oft unnatürlichüber- spannte Zustände hervor-rufen,in denen sich KleinigkeitenzumUngeheuerlichen auf- bauschenund dieLeute bisausdenTod ängstigen.Eswäreunangenehmgenug- wenn sich soetwas inunsere Familieeindrängte. AberdakommtderWagen Es istnur ein vorübersahrender,sagtederPräsident,indem ersievom Auf- springen zurückhielt. Auchwird der unsrige ja gemeldetwerden· Aber inDeinen VermuthungenirrstDu gewiß.Sie würdesonstGleichgesinnte aufsuchenundnicht dieEinsamkeit, siewürdesichmit andern Dingen beschäftigen,als mit fremden Sprachenundweltlichen Wissenschaften; unddaß siedamit ihre Zeit ausfüllt, weiß ichvon Guido, dersiemitbrüderlicher Sorge beobachtet hatundbeiseinenvier- zehn Jahrenschon recht verständig urtheilt.

Ja, versetztedieMutter lebhaft, Guido isteinherrlicher Knabe, und lHelene wird am Ende nocheinBlaustrumpf. Aber vielleicht hat sichihrderRegie- rungsrathvon Seethal endlicherklärtund dieganzeVeränderungkommtdaher.

Erhatesnicht gethan,erwiderte derPräsident.Erhat erst heutewiedermit mir davongesprochenundist sehrbetrübt. Wie glücklichwaren wir inderAus- sicht auf diese Verbindung! Wiegern ertheiltenwirihmdieErlaubniß, sichum HelenensZuneigungzubewerben! Auch durftenwir hoffen, daßer sieerlangte.

Offenbar begünstigtesie ihn, seine Annäherungerfreute sie,esschiensiezubeglücken, daßerihr ausschließlichhuldigte,undschon,wieer mirheute gestand, suchteernur

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Zim- Gehejmnism 3

dengeeigneten Augenblick, sich ihrzuerklären,alsdiese unbegreiflicheVeränderung eintrat Seitdem hat sie ihm jede Gelegenheit dazu abgeschnitten;sievermeidet seine Nähe,und kann siediesnicht, so ist siegegenihn ebenso zurückhaltendundver- schlossen,wiegegenuns Alle.

Sotritt erwohl zurück? sagtediePräsidentin,indem sievon einemNeben- tischchenihr Opernglasan sich nahm.

Jm Gegentheil; seine Empfindungen für sie, seine Wünsche sind lebhafteralsje.

Abereristsehr unglücklich,undichkonnteihm wenig Trost geben.Jch weiß nicht, was ichvon demKinde denkensoll,undkennte ich nicht ihr reines, edlesGemüth, sowürde ich glauben, siehabeetwas sehr SchlimmesaufdemGewissen,dassie quältunddessen Entdeckungsie fürchtet. Natürlichkanndasnicht so sein.

Natürlich nicht. Eswäre absurd, soetwas inunsrerFamilievorauszusetzen- SienahmdasOpernglas herausundblicktehindurch, alssähe siedamit in eineweiteZukunft. Beideüberließensich schweigendeineZeit lang ihrenGedanken.

Dann trat einDiener indieThürundmeldete,daßder Wagen vorgesahren sei.

Ausathmend sprangdieschöneFrauempor,betrachtete sich nocheinmal imSpiegel, ließ sich einigewärmere Umhüllungenüberhängen,wobeiderGemahlmitliebevoller Zuthätigkeithals,undeiltedannnach flüchtigemAbschiedsgrußedie Treppehinunter.

LangsamverließderPräsidentdasreich ausgestattete Zimmer, zögernd stieger dieTreppenzumzweitenStockhinauf,wo dieWohnungenderKinder waren, und klopfte-dortandieThürvon Helenens Gemach. Auf ihr sanftes »Herein« öffnete

er-undtrat ein.

Der Vater war hieroben eineselteneErscheinung;kamerabereinmal,so pflegte ihm Helenemitderlebhaftesten Freude entgegenzueilen,ihnmitdenLauten derinnigstenLiebeundVerehrungzubegrüßen.Beide waren dann glücklichin dem Gefühleinander anzugehörenundniehatteeinSchatten ihr gegenseitigesVertrauen getrübt.Wieanders heute! BeimAnblickedesVaters fuhr Helene erschrockenund verstörtvon ihrem Sitze auf,dasBuch,inwelchem sie gelesen, glitt ihrausder Hand,undindem siesichanderStuhllehnehieltund noch bleicherwurde alssie schonwar, konntesienur mühevollundlangsamdie Wortehervorbringen: Jstetwas vorgesallen, Papa?

Nichts,meinKind, sagtederfastebenso erschrockeneVater, denn eskamihm Vor,alsobsie schwanke,alsobsienieder-sinkenwolle, weshalberaus sie zueilte, sie liebevoll umfingund zudemkleinenDivan brachte,wo ersichnebenihrniederließ Was sollte vorgesallen sein? fuhrerfort.

Sie antwortete nicht; siewar sichtlich bemüht, ihrer EmpfindungenHerrzu werden. Erwolltesiedarin nicht störenundstreichelte schweigenddenRückenihrer Hand. Soblicktesie langevorsichnieder. Endlich schlug siedieAugenzuihm ausundsagte: Verzeih mir,lieberPapa!

Was soll ichDir verzeihen,liebesKind? versetzteermiteinem herzlichenDruck derHand.

Daß ich nichtwar wiesonst; daßich nichtbin, wieich sein sollte. Helene,DuhasteinenKummer,einHerzeleid. Jstesnicht so? Sieblickte wieder zurErde undnickte mitdemKopfe.

Sovertraue Dich mir,liebesHerz!Duhastkeinentreueren Freundals Deinen ldle

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4 Reue Monatshektekinerhtknnst UndYrithn

Vater, Keinen,derDeinGlückso aufrichtig wünschte’,derDeinLeidso innigmit- fühlte,derso hülsbereitwäre,wozuhelfen ist. Jch weiß wohl, daßesnäher läge, daßesnatürlicherwäre, eineTochter schütteteinsolchem Falle ihr Herzder Mutter aus. Ichfühle,Du erschrickst,DuzitterstbeidiesemGedanken. Esistja nicht meineForderung, ich sprecheesnichteinmal alsWunschaus. AuchsollkeinVor- WUVfdarin Regens soschmerzlichesfür Mich auch ist, daß zwei soengmitmirund durchdieNatur soeng untersichverbundene Wesen so wenig Verständnißfüreinander haben, ihre Vorzüge nicht anzuerkennen, ihre Mängel nichtzuertragenvermögen.

Nein! keinVorwurf! Duhastesniean Ehrerbietung, Gehorsam, Rücksichtundlieb- reicher Freundlichkeitgegensie mangeln lassen.Vertrauen läßt sich nicht erzwingen.

Mir aberhastDu esimmerzugekehrt, und,DuwirstDirselbst sagen, ich habees niegetäuscht.Vertraue mirauch jetzt! WasistDeinKummer?

Ersah,wieängstlichsie athmete,wieihr Herz klopfte,wiesie innerlich kämpfte.

Mein liebes gutes Mädchen,fuhrerin denmildestenTönenfort;esist jakein Leiden,keinUebel, wofüresnicht aufErden oderimHimmel Hülfe giebt,undwenn nicht Hülfe, doch Linderung, Trost, Beruhigung Laßes unszusammendurchsprechen!

SchondaswirdDir eineErleichterung sein.Jch glaube auch, ja ich weiß,daßDir anderRuhe,demGlück,dem SeelenfriedenDeinesVaters gelegen ist;undwie kann ich sie haben, so lange ichDeinen Kummer nicht theilenkann,ihn nichteinmalkenne?

so lange ich mich völlig außerStande sehe,ihm abzuhelfen, ihnzumildern?Helene, glaubst Du,einVater,derseinKindliebt,könneesohnedentiefstenSchmzssszan- sehen,wiedasgeliebte, sonst so blühendeund heitereKind sichan verheimlichtem Grame abzehrt, täglich bleicherundkummervoller umherschleicht?erkönneesohne den tiefsten Schmerz erleben, daßer ohne sein VerschuldendasVertrauen seines Kindes eingebüßthabe, daßeresvergeblich bitte, ihm dasselbezugewähren?

Ueberwältigtvon diesen Worten,stürzte sievorihm aufdieKnienieder,erhub diegesalteten HändeundriefmitüberströmendenAugen:OPapa,Papa! seibarm- herzig! Ichkann es,ich darfesnicht sagen. Fordereesnicht!

Erwar erschüttertvonihrem Anblick,vonihrem schmerzlichen Flehen,aberein Gedankedurchsuhr ihn. Helene, sagteer,höre mich. Schonvor längerer Zeit hat Herrvon SeethalDeiner Mutter undmir seinen lebhaften Wunsch gestanden, Dich dieSeinezunennen. Wirerlaubten ihm,sichDirzunähern,um DeineLiebezu werben. Beiseinem Charakter, seinen Verhältnissen, seinen Aussichten erschienuns Deine Verbindungmitihmnur wünschenswerth.Eserfreuteuns,alswirbemerkten, daßDu seineGefühle erwidertest.Du thatestes, Duliebst ihn,Helene. Jst es nicht so?

Esist so, seufzte sie leise. Eswar fo,verbesserte sie sichzusammenschaudernd, indem ihre Thränen reichlicher flossen.

Der Vaterzogsieaus ihrerknieenden Stellungwieder nebensich aufdenSitz.

Eswar so? sagteer. HastDuetwas erfahren,waseurer Verbindung entgegentreten müßte?

Siebejahteesschweigend.

Soisterverläumdet worden, riefderPräsident lebhaft. Jchkenne ihn,ich kenneseineganzeVergangenheit. Er isteinEhrenmanninjederAderundjedem Nerv. Werhatesgewagt,etwassoNachtheiligesvonihmzureden?

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Das Geheimnis-m 5

Niemand! Niemand! Ich weißnur Gutes vonihm, sagte Helene.

DerVater stand aufundschritteineZeit langimZimmer umher, währender dannundwann einen BlickausHelenewarf, welchedieAugenmit derHandbedeckt hatte. Das wirdimmer räthselhafter,sagteerendlich,indem ervorihr stehenblieb.

OGott, mögeesdasbleiben! sagte Helene,beideHände zusammenschlagend.

Jchkannnicht mehr sagen. Jch darf nicht mehr sagen. JchbitteDich, ich beschwöre Dich, Papa, laß michdiesallein tragen,aberzweifle nichtanmeinem vollstenVer- trauen ausDich, nichtan meiner innigstenLiebezuDir! Erstdas würdemein Unglückgrößer machen,alsichzuertragenvermag,undichwürdedennoch schweigen müssen.

Er preßtedieLippenzusammen,schütteltemitdemKopfe,aberdieThränen drangen ihmindieAugen. Duschließestsehr fest ab, sagteerdann, undich sehe mitSchmerzen, daßwiruns nicht mehr verstehen. Aberwas esauch seinmag, dasDu vormirverbirgst,esmacht Dich unglücklich;undhartgegenDichzusein, mein Kind, widerstrebtmeinem ganzen Wesen. Jchwillfür jetzt nichtweiter in Dich dringen, ich fühle, daßesgrausam wäre;aberich hoffe,DuwirstmeinerWorte gedenken, ich hoffe, siewerden nicht ohne Fruchtbleiben. Sowieesjetzt ist, läßt Dumichnur inquälender Ungewißheit,in peinlicher Furcht, nichtblos über den AnlaßDeinesKummers, auchüber den Grund Deines Schweigens. IchwillDir Zeitlassen.Jchwillsehen,ob meine Liebe zuDir, obDeine Liebezumirnicht

überwindet. .

Erreichte ihrdieHand,diesie küßteund mitihren Thränen benetzte.Dann wandte ersichund ginglangsamzumZimmerhinaus, währendsie ausgestandenwar und mitstummer KlagebeideArmeihmnachstreckte,alswollesie ihmalleihreLiebe nachsenden.Alser aberdieThür hinter sich geschlossenhatte,alssie sichalleinsah, sank siemiteinemschmerzlichenWehelaute aufdenSitz zurück,bedecktemit beiden Händen ihr Gesicht,und eswar ihr,alsobeinzerstörendesWetter überihrhänge, einAbgrundunter ihr klafse, Schreckenvon allen Seiten bereit wären auf sielos- zubrechen. Auf sie? Ach Gott,eswar jaebenihr heißgeliebterVater, dessenLiebe und Gütesie gerade jetztwiederinjedem seinerWorte empfunden, fürdensievor Allem zittertebeiihrem unseligen Geheimnisse.

Undwas war diesGeheimniß?Osie dachte daran, sie dachtetäglichdaran, Tag, Stunde, Minute, alleUmstände,unter denensieeserfahren, leuchteten auch jetztwiederbrennend inihrer Erinnerung. Ojene Nacht! jene Nacht!

Siehatteam Vorabend derselbendieEltern ineineGesellschaftbegleiten sollen, war aberdurchein kleinesFehlanderKleidung verhindert worden, pünktlichfertig zuwerden,und derVater hatte nocheinHalbstündchenmit eiligenGeschäftenzu thun. DieMutter war dahervorausgesahren. Da Heleneabergleich nachderen Entfernung ihreToilette beendethatte, sowar siemiteinem BuchezudemVater indessenGeschäftszimmerhinuntergegangenundhattedort still gelesen,bisauchder Vater fertigwar undBeide sichdannindieGesellschaft begaben.Jn dieser,wie siegewünschtunderwartet hatte, traf sie auch Seethal, dersichdenganzen Abend liebenswürdigerundaufmerksameralsjeum sie bemühte. Ja, er hatte ihreinige

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6 Reue WanntslgektekiirYirlgtliunstund Tätitjh

Worte zugeflüstert,Worte, diesie längstvorausgeahntunddiedoch,alssie gesprochen waren, ihrganzes Innere entzündetundesso aufgeregt hatten, daß sie noch lange nachderHeimkehrkeineRuheundimBette stundenlangkeinenSchlaf findenkönnen.

Dafiel ihrein,sichmitdemBuchemüde zulesen,dassieindes Vaters Geschäfts- zimmer hatte liegen lassen.BeidemSchimmer,den diegegenüberbefindlicheStraßen- laterne inihreKammer warf,stand sie aus,zog einige Kleidungsstückeüberund suchte nach Feuerzeug. Siefand keins, bedachte aber,daß sie dergleichen aufdem ArbeitstischedesVaters findenundvon dortmitbringenkönne. Soging sie,um Niemand imSchlafezustören, aufdenStrümpfen, durchdieDunkelheitdenwohl- bekannten Weg,dieTreppehinunter,denGang entlang. Als siedieThürdes Vor- zimmers öffnen wollte, sielesihr aus, daß diesenur angelehntwar, undalssieein- trat,-zeigte ihreinLichtstreifinderetwaeineHandbreitgeöffnetenThürdesGe- schäftszimmers,daß Jemand darin sein müsse.Werkonntedassein?undum diese Zeit? HattensichDiebeeingeschlichen?Esstanddort einGeldschrank,inwelchem sich ansehnlicheSummen öffentlicherGelderbefanden. Aberes war drinnen sostill, daß sienur ihre eignen Athemzüge,dasKlopfen ihres HerzensunddiePendelschläge derWanduhrvernahm. Sollte derVater noch wach sein? War er vielleichtüber derspätenArbeit eingeschlafen?Das dünkteihrdas Wahrscheinlichste.Sieüber- legteeinenAugenblick. Jedenfalls mußte sie sich erst überzeugen,was drinnen vor- gehe. Waren esDiebe einGedanke,dersie anschreckte—, dann wollte sie rasch dieThür abschließen,fortlausenunddieHausbewohnerzuHülfe rufen. Waresder Vater, sokonntesie ihn veranlassen,zuBett zugehen. Vielleicht hatteerauchnur einebrennende Lampestehenlassen,diesiedann mitsich nehmenkonnte.

So schlich sie unhörbarandieSpalte derThürundblicktehinein. Aberwas sie sah, traf siewieeinBlitz. Ja,derGeldschrankwurde bestohlen,erstand offen, Papiergeldund Geldrollen wurden vorsichtig herausgeholtund in ein Körbchen gelegt derGeldschrankwurde bestohlen—- aber vonwem? vonwem? Großer Gott, eswar ihre Mutter, ihre eigneMutter! Da stand sievor demoffenen SchrankeimNachtanzuge,mitunbekleideten Füßen,dasKörbchenam linkenArm, dessen HanddasLichthielt, währenddie andereHanddasGeld herausholte, unddieSchiebladeam Schreibtische,inwelcheder Vater dieSchlüsselzum Geld- schranke einzuschließenpflegte,war aufgeschlossenund herausgezogen,und an ihr hingdasSchlüsselbündlein,dasderVater nievon sich ließundjede Nachtvorsein Bett legte. Dies Alles sah Helenewiemiteinem einzigen Blick,und was ihre Mutter, ihre eigneMutter that,überkamsiemitfurchtbarer Klarheitund wieein Todesschrecken.EinenAugenblickstand siewiegebanntund gelähmt,einAngstschrei erstickteinihrer Brust, eheerhörbar wurde,einjäher Schwindel packte sie.Dann aberrißes sie fort, fortvondemschrecklichenAnblick;eswar alsobeinefremde Gewalt siehinaufinihr Zimmertrüge, so wenig fühlte sie sich selbst.Siewußte sich späternur nochzuerinnern,daß siedenNachthimmel durchdieFenster ihres Zimmers gesehen;dann hatte siedieBesinnungverlassen.

Als siewieder zusich kam,fand sie sich aufdemFußboden liegenund der beginnende Tag eswar imJuli leuchtetebereits durchdie Fenster. Sie bedurftekeinesNachsinnens,wiesie dahin gekommen. Das schrecklicheBild der Nacht stand sofortwieder vorihren Augen. Bedenken konntesie noch nichts. Nur

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get-; Geheimnis-L

die entsetzlicheThatsache,derenZeugin sie gewesen,zogwie einStrudel all’ihr Sinnen insich hinein. Abersie bemerkte, daß siebeiihrer RückkehrdieThür ihres Zimmers hatteweit offen stehen lassen. Raschundnichtohne Anstrengung stand sie aus, schloßUndverriegelte sie. Denn eserinnerte sie, daß auchandre Menschen daseien, nichtallein ihre unglücklicheMutter. O derVater! derarme, betrogene, geliebteVater! Wie liebteerdieschöneFrau! wiehing seinganzesLebensglückan

ihrunddemGlauben ansie!EinunaussprechlichesErbarmen mitdemtheuren, nichts ahnendenVater erfaßte Helene. Siesankwieder ausdenBodenhin,vondemsie ausgestandenwar;abernun konntesie weinen, bitterlichundlange weinen,unddas gab ihr einige Erleichterungund verminderte dieSpannung, dieihr Gemüthwie ihren Körper gefesselthatte. Wie langesie so gelegenundgeweint,wußte sie nicht, alssieimHause Thüren gehen,Stimmen undSchritte hörte.Obesschonentdeckt sei?daswar ihr ersterGedanke. Sie horchte.Dann sprangsie ausundsah nach derUhr. Es war halb Sechs. Es war alsonur dieDienerschaft,diesichim Hause regte. Nochwar jakeine Entdeckung möglich.Aber auchbeiihr sollte Niemand etwas Ungewöhnlichesentdecken,was sie später vielleichtzueinerZeugin gegen dieMutter,zueinerAnklägeringegendieselbe hätte machenkönnen. Sieschob denRiegelwieder zurück, gingindieKammer undlegte sichin’sBett, nicht um zuschlafen,nur um dortzusein,wieimmer, und um zusinnen,zugrübeln, was sie thun solle,was siethunkönne,was siethun müsse.Aberihr sonst so klares, sicheres Wesenwar aus allen Fugen gekommen.Nurimmer neue ängstliche und furchtbareFragen tauchtenin ihraus, fürdiesiekeineAntwortenzufinden wußte,undsiewirrten sichzueinem dunklenKnäuelzusammen, ausdensie hinstarrte und hinstarrte, bisdenn doch endlicheinmitleidiger Schlaf sich ihrererbarmte undsiederschmerzlichenWirklichkeitentrückte-

Spät erst erwachte siewiederunddasErlebte trat auf’sneue vorsiehin. Es war einegünstige Fügung, daß sieeinpaar ziemlich einsame Tagevorsich hatte.

DerVater war inDienstgeschäftenabwesend,dieMutter war zueiner befreundeten Familie aus’sLandgefahrenundhattediejüngereTochter,dieelfjährigeAnna, mitge- nommen. Guidonahmen SchuleundSchularbeitenundSpaziergängemit Kameraden in Anspruch. Als Helene ihnbeim Mittagessen sah,konnte sie aus seine Nachfrage ihrverändertes Aussehen ohne Unwahrheit aufKopfschmerzenschieben.Denn freilich littsienun auch körperlichunter denFolgendernächtlichenErfchütterungen.Sieging umherwie imTraume,unvermögendüber dasnachzudenken,wasihr dochunauslösch- lichin derSeele stand,undwiederholt fragte sie sich selbst,obnichtAllesnur ein schrecklicherTraum gewesen sei.Siehätte ihrLebendafür hingegeben,daßdemfo sein möchte.Abernein,nein! eswar nur zugewiß,zuwirklich.EinigeMal fiel ihr Seethal einunddergestrigeAbend undsie fchauderte zusammen. Alles,was sie gehosstund mit geheimerWonne vorausempfunden, eslagnun zertretenund zertrümmertda. Das war erstrechteinTraum gewesen.Abersieverweilte nicht dabei. Was war ihrkleinerSchmerzgegendasUnglückdesVaters, dasja schon dawar, wenn eresauch noch nicht kannte, nicht ahnte!Unddann dieunglückliche Mutter selbst!Was sollteaus Beiden werden, wenn nun dieunausbleiblicheEnt- deckungeintrat? Siesahden Vater infeinem Jammer, die Mutter inihrer Schande, siedurchlebtedann wieder dieGeschichteder ganzen Nacht. So wechseltendie

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