• Nie Znaleziono Wyników

Neue Monatshefte für Dichtkunst und Kritik, 1876, Bd. 4, H. 6.

N/A
N/A
Protected

Academic year: 2021

Share "Neue Monatshefte für Dichtkunst und Kritik, 1876, Bd. 4, H. 6."

Copied!
84
0
0

Pełen tekst

(1)

»

. EirhtkungtU

hk uusgkgchkn

Ograr Elumenthai.

IV-Band. Heft6.

Leipzig-

(2)

-:-.———:December 1876.Its-.

Inhalt

Literatur-briefe.VonJohannes Schcrr . . .

älterverliebteWeise ErzählunginVersen.VonHansHerrig EinschwererTrannn ErzählungvonH.Wild .

Gedichtc.VonEmil Taubert.

Poll.EineDorfgefchichtevonP. Rosegger. . . . . . DieSprichivörterundihreEntstehung VonWilhelm Urbas Der Monat-lderIslovelle Von Groß. . . EinesranzösischeTendenztragödieVon Gottlieb Ritter . KritiseheRundblielie

KleinePächerschainVonOsca rBlunlentha l.

Migrellem

Die,,UeuenMonatohefte« erscheinenregelmäßigamEndejedesMonats imUmfangvonmindestens6Bogen Lex.eleg. geh.

Der Znhrgnxrgbestehtaus2Wändenzuje6Yes-klein preispro Band 6Mark; pro Quartal 3Mark; proHeft1 Mark.

AlleBuchhandlung-enundPostanftaltennehmenBestellungenan.

(3)

thrraturbrjrir. 457

Yiteraturbrich

Von Johannes Schere.

II. November 1876.

Ia freilich, verehrte Freundin,nur dieganz Gedankenlosen vermögen sichdem GefühledesUnbehagenszuentziehen, welches so schweraufderGegenwart lastet,und nur wenigen Auserwählten istesgegeben,über dieallgemeine Verstimmung, welche naturgemäßauchin derLiteratur ihrenAusdruck findet,sichemporzuheben »indieheitern Regioueu«,wo eskeineorientalische Frage,keineBörsenkrache,keineGründerprozesse undkeineGeschäftsstockungengibt. In Deutschland istzusallderSchwerenothzeitund Zeitschwerenoth nocheinegränzenloseErnüchterung hinzugetreten,seitdemkurzen Milliardentraum einjähes Erwachen folgte, welches unsanft darthat,dergeträumte Nationalreichthum seieitlesKatzengold gewesen.

Unbehagliches Gähnenundmürrisches Augenreiben ringsum. Die alteHutzel, Jungfer Kritik,kamaus demOfenwinkel, wohindieFanfarenvon 1870—71 siege- scheucht hatten,wiederhervorgeschwänzt,setzteihre schärfsteBrille auf,räuspertesich und sagte seelenvergnügt: »Ich dachtemir’s wohl, die Herrlichkeitwerde nicht lange währen.«

InWahrheit,dieHerrlichkeit hat nicht lange gewährt.Man habe sich keift sie

dasneue Reichgenauer angesehenundhabe gefunden, daßes,abgesehenvonder preußischenPickelhaubebedachung,eigentlich nochdiealte Lotterfalle wäre,unddaß diezwei DutzendVaterländer im Grundeso wenigeinwirklichesVaterland ausmachten, alsdiefrüherendreiDutzendeinsolches ausgemacht hatten.DieReichsverfassunghabe meisterhaftdasProblem gelös’t,alleSchädendesFöderalismusmit allenUebelndes Centralismus zuverbinden. DerReichstag seiwieeigens dazu gemacht,denSchein- konstitutionalismusundSchwatzparlamentarismusladoculos auresque zudemonstriren.

Inbetreff ihrer wichtigstenAngelegenheiten habedie Nation zwardenBeutel offen, aberdasMaul zuhalten.Wann esanderZeit,werde man ihr schon sagen,was sie unter ihrer Ehreundunter ihren Interessenzuverstehen hätte.Die Siegeüberdie Franzosenwärensehr schön,sehr glorreich gewesen;schadenur, daß dieselbenweitmehr denRussenalsdenDeutschenzngutgekommen. Dochwas hättedaszusagen?Die liebenRussen,dievon ChristenthumundHumanitätstrotzendenRussenwärenja unsere ,,besten Freunde«. Wenigstens trompetetenundpauktendasdieberliner Reichstrompeter undReichspauker alltäglichundallstündlichAberhelfen unsere,,bestenFreunde«mittels ihrer Zollpolitik nicht unsere Industrieundunseren Handel systematischruiniren? Bah,

1v.6. 31

(4)

458 Brut ManatglgektrfürYirlgtlumrtundZritik

Kleinigkeiten,um diesicheine,,Weltmacht«wiewir,um diesichdasgroßedeutsche Reich nichtzu kümmernbrauchte. Zudem,wärenwirdennnichtnochvon desaller- höchstseligstenNikolaZeiten herderEhre gewohnt,derKolossin Matuschka Moskawia unterthänigstdieSchleppezutragen?Dergesunde Menschenverstandwärefreilichder Meinung, statt solcherSchleppeträgereizusröhnenmüßteGermania vielmehrbeiZeiten derschmollendenMadame La France dieUeberzeugung beizubringen suchen, daßeines wüsten Tages siebeide vereint,aufrichtigvereint kaumstarkgenug sein würden,der besagten kolossalen WeiblichkeitdieWegezuweisen,dieRückwegein dieasiatischen Steppen. Abersoeinarmer Kerl wie dergesunde Menschenverstand hättein derPolitik

bekanntlichnicht mitzureden. -

SoraisonnirtdieJungferKritik. Einböses Ding, nicht "wahr? Eigentlich sollte man siealsReichsfeindin verklagen.Denn sagt sie wirhabenesja so herrlich weitgebrachtinderOpportunitätskriechereiundimKompromißbettel,daß,wer nicht mitkriechtundnicht mitbettelt, ohneweiteresin dienationalfervile Reichsacht gethanwird.

Dochwas gehtuns beidedas allesan? Reinnichts, rechne ich,und wir,,danken Gottan jedemneuen Morgen,daßwirnicht brauchen für’s deutscheReichzusorgen«

dankenihmumso inbrünstiger,da allesundjedesReichlichevondemjetzoinHinter- pommern gelegenen ,,NabelderErde« aus so vortrefflichundunübertrefflichbesorgt wird,daßman meinen sollte,derewige Laskerunddernichtminder ewige Windthorst könnten nachgeradeihre reichs-und landtäglicheZungengymnastik einstellen.Das bißchenKlappern, welcheszumparlamentarischen Humbug willsagenHandwerkge- hört,könntenjadie lieben ,,Reptilien«sonebenbeiundfüreine kleineExtravergütung besorgen:eswerden ja wohl auch Klapperschlangendarunter sein. Jm übrigenwollte ichmit alledemnur bemerken,daßesdermalen inDeutschlandkeineKleinigkeit ist,bei guterLaune zusein,undzwarnichtnur für sichselber,sondern auch fürandere. Wer dasvermag, mußalseinöffentlicherWohlthäterwillkommen geheißenwerden undals solchen begrüß’ ich heutedenDichterdesRomans inVersen,betitelt,,Ebenbürtig«.

Adolf FriedrichvonSchackhat,wie Sieja wissen,liebeFreundin,vollwichtigen Anspruch darauf,unter denbestenAutorennamen derGegenwartmitgenanntzu werden. Abge- sehenvon allemanderen, schondarum,weilerdievombanausischen Speeialitätenkram mehrundmehr überwuchertedeutscheUniversalität höchstehrenhaftvertritt. Klassische Zeugnisse hierfürsind ja sein ,,Firdusi«undseine »GeschichtederdramatischenLite- ratur Spaniens«, welche Leistungenzu denbesten literarischenderletzten vierzig Jahre zustellenichkeinenAugenblick zögere.Ebenso reichundweltweit wieSchacks Wissen ist sein SchauenundFühlenalsDichter. JnderLyrik,EpikundDramatik hatersich mit Glückversucht. Schildereienvon einerFarbenglut, wieseine,,Nächtedes Orients«

sie enthalten, hat unsere erzählendePoesie nichtebenübermäßigvieleaufzuweisen.Als Lyriker huldigt Schackdem»altfkänkischen«Grundsatz, daßGedankendasLied keines- wegsbeschweren,sondern zieren,unddarumistin dervielgestaltigenSammlung seiner lyrischen GedichteeinGedankenreichthum enthalten,wieerunsseitRückert undSchefer nicht mehr gebotenwurde. Seine Lieblingsform,denRoman inVersen, handhabt SchackmitVirtuosität. Schon zwei frühereDichtungen dieser Art, ,,Lothar«und,,Durch alleWetter«, bezeugten das,aber der neue,inprächtigenAchtzeilern geschriebeneRoman ,,Ebenbürtig«schlägtdie beiden vorhergegangenen.EineFabelvollprickelnder Schalk- heit,vollendete Formsicherheit,einmühelosesGeströmeundGestrudelvon Vers und

(5)

Yitrruturbrirkr. 459

Reim,einvon unerschöpflichguterLaune getragener Vortrag,einemehr lachendeals geißelndeSatire,dassinddieVorzüge dieser Dichtung, welcheman mitwahrem Behagen vonderersten Zeilebiszurletzten genießt.Jch hoffe, auchdieStandesgenossendes Dichters,dieHerrenvon undzu,werdenHumorgenugbesitzen,umdiese lustigeVer- spottungderEbenbürtigkeitsichgefallenzulassen.DemAberglaubenvomblauenBlut spielt freilich Schack, welcher ja überhaupt nichtzumTroßderScheinliberalen gehört, sonderneinwirklich freigesinnter Mann, einrechter Freiherr ist, verteufeltmit. Der Fürst Friedrich,einUrjunkerausPommern, mußeserleben, daßseine Söhne Nikolaus, Max,Ottoganzaus derSippe schlagen, Freidenker, Demokraten, Revoluzerwerden undschauderhafte ,,Mesalliancen«schließen,dereinemiteinemBürger-,derandere miteinemBauermädchen,derdrittemiteinerCirkustänzerin.Und dieTöchter, hilf Himmel, machenesfaftnochärger: Aslauga heirateteinen simpeln Maler, Sieglind undGertrud gehengarmitzwei ,,ungetauften«Juden undZukunftsmusikanten durch.

DieironischeKroneabersetztSchack seiner Dichtung auf,wenn schließlichderUrjunker und Fürst Friedrich selber mißheiratet, nämlichdieGouvernante seiner Tochter. So lös’t sichamEndeallesinWohlgefallen aufundzwaraufdemRigikulm,allwoder alte Herr seinen Söhnenund Töchtern sammt ihren Frauen, Männern undKindern ein Stelldichein gegeben hat. Sieglind

,,Sieglind hebtan: Seiuns,«oliebfter, bester Papa,undunsernMännern holdgesinnt!

DieLiebewar,die mirund meinerSchwester DenRechten zugeführt,diesmalnichtblind.

Undstolzer machtes uns,daßimOrchester DieBeidenwack’re Musikanten sind, Alswenn sie Fürstenwären.Hiermit führ’ ich Dirmeinenzu;eristCellistinZürich.«

,,Gertrudedrauf:Zwarvom Israeliten Durchaus nicht lassenwillmeinLevyson, Ersagt,dieGlaubenslehren seien Mhthen Undgleichviel tauge jede Religion;

Allein,draufwillicheine Wettebieten, DesallerchristlichstenMonarchen Sohn Jst nicht so gutwie er, derdemokrat’sche Freigeift, noch solcheinMeister aufderBratsche«...

Voneinemnoch frischenGrabe her,demesanheißenThränen nicht fehlte,kommt unseine edleGabe,einVermächtnißvonAnastasiusGrün. ,,Jnder Veranda« ist diese ,,dichterischeNachlese«betitelt und, nochvon desDichters eigener Handvorseinem Heimgangezum Druckegeordnet,in deralsmustergiltig anzuerkennendenGrote’schen ,,Sammlungvon Werken zeitgenössischerSchriftsteller«erschienen.Wirschlagendas zierliche Büchlein aufund wie ein ,,Salve!«begrüßtuns am Eingang die ,,Läuterung.«—-

»Wo war,woist,wowirdsiesein DieStunde, wahremGlückerlesen?

Sieist nichtundsiewirdnichtsein, Dennsie iftimmernurgewesen!

3178

(6)

460 III-neManatslgrktekiirÆjchthmstnndBrit-ils

Wirmäkeluviel,bissie entrinnt;

Siedäuchtunsschön,wennwirsie missen, Unddaßwirglücklichwaren ,wissen Wirerst,wann wiresnimmersind.

»Wo istderMann,wann wirderkommen, DenalleTugendzierdenadeln?

Stehterdirnah, noch so vollkommen, Doch weißtdudiesunddaszutadeln;

Erstwennerschiedundnimmerkehrt, Erglänzen helldirseine Gaben, UndeinesMenschenganzen Werth Zu kennen, müßt ihr ihn begraben.

»Waslieb’dir,wirddir liebersein, NochschmerzlichlieberdurchdieFerne;

Blick auf!wieschlingt sie glänzendrein Dengoldnen Zauberumdie Sterne!

Siewebtdie blaue Schleierluft Um desGebirges schroffeZinnen, Daß eingehülltinweichen Duft DieHärtendesGesteins zerrinnen.

,,Blick nieder,wovonihrem Gruß DieFriedhofshügel wogend schwellen, DesdunkelnStromes grüne Wellen, DersovielLiebesscheidenmuß!

SiespülenMakelweg undFehle, Und wie einSchwanbeimWellenschein ImDrüberflug ahntdeineSeele:

Hierbad’ich einstdenFittigrein.«

Wie wahr,wie vertraut, wieschöndasist!Dasehenwirwiedereinmal deutlich daßeinechter Dichter nichtzuraffiniren, nicht ausdieSensationssuchezugehen braucht, UmMenschenherzenzubewegen,zu erregen oderzuberuhigen.DereinfachsteGedanke genügt ihm.Aberersieht denselbenmitseinenAugenanundunter diesemBlickever- wandelt sichdasAltbekannte ineiniiberraschendneues und schönesBild. Wenn wir von demdichterischenGehaltvon Grüns Vermächtnißganzabsehen wollten, müßteuns dasselbe schondarum theuer sein,weilesin daswüsteGebellundGegellder wilden JagddesMaterialismus unserer Tagewieeinvoller Harfentondesidealiftischen Glaubens hereinklingt. Durchweg habenwir,,JnderVeranda« auchdaswohlthuende Gefühl, daßuns hierkeinepoetischenStilübungen geboten werden, sonderndieHerzens- laute undBrusttöneeinesDichters, welchereinerderbestenMänner unserer Zeit gewesenist. Ja,indieser Zeit,wodieschamlosesteApostasieunddasfrechsteRenegaten- thum für ,,realpolitische«Tugenden ausgefchrieenwerden,hatderGraf Auerspergun- wankbar treu an derFahne gehalten, welche sovielePlebejer verrathenuudverkauft haben.Undwiewar erdeutschinjeder FaserundFiber! AllesGuteundBeste,was Deutsch-Oestreichfühltundsinnt,die ganzeGegenwarttrauerundalleZukunfthofsnung derDeutschen-in -Oestreich hatinGrüns poetischemTestament Gestaltund Stimme gefunden.

(7)

Yiteraturbrieke. 461

WennindenDichtungen dieses Oestreichers stetsdiegroßenFragenderZeitden Hintergrund bilden, so läßt sichdagegenin den,,Melodieen«desRheinschwabenLudwig Eichrodtdie alte undimmerjunge deutscheLiederlust sozusagenganzvoraussetzungslos gehen. Das schmuckeBuch enthältdieErnte einerLiedersaatvon fünfundzwanzig Jahren,eineährenschwereLiedergarbe,inwelcheman nur auf’s Gerathewohl hineinzu- greifen braucht,umWohlgesälligeszufassen.Eichrodt strebtmitBewußtsein,wie das Vorwort ausweis’t, nachderUnmittelbarkeit desLiedes under hat sie auch häufig vollständigerreicht.Er dichtet ,,wiederVogel singt«.Liederwiedasfröhliche»O HeimatamRhein, alemannischesLand« oder daselegische,,OrionsSternbild kommt gezogen« athmen dievolleUrsprünglichkeitdesechten Liedes,daselementarisch Quillende, welchesdemWorte schon unwillkürlichdieMelodiegesellt.Wiegernich aberEichrodtalsechtenLiedersänger anerkenne, sowillmirdoch scheinen, daßerals ParodistundTravestirernochbedeutender sei.DieSammlungen seiner Parodieenund Travestieen (,,LyrischeKarikaturen« und,,Lyrischer Kehraus«) sind unseren Zeitge- nossen, welcheja nahedaran sind,dasLachenganzzuverlernen,nichtgenugzuem- pfehlen.Eristeinfeiner Spürer imAuffindendesLächerlichenundeinMeisterim Veranschaulichen desselben.Dabei keineswegs boshaftund giftig, sonderngutmüthig undharmloswiesein berühmterGottlieb Biedermaier undseinkaum minder berühmter Horatius Treuherz.Eichrodt solltedieNaturgeschichtedesdeutschenPhilisters schreiben.

DaßdieseinklassischesBuchwerden müßte,verbürgenschondiezwei Strophen seines ,,LetzenburgerNationalliedes« vomJahre1866: —-

«Jch sag’ nicht svundsag’ nicht so- Dennwenn ich so sagtoderso, Sokönnt’man später sagen Ichhätt’sooderso gesagt, Undpackte mich,Gottsei’s geklagt, BeimKragen.

»Drum sag’ ichwederso noch so, Brennt auchdieFrage lichterloh.

Binnicht französisch,nicht holländ’sch, Geschweige deutsch, ichbinein—-Mensch, Dazueindurchunddurcher Geborner Letzenburcher.«

Sieschriebenmirneulich,liebeFreundin,beimLesen mancher Hervorbringungen unsererderzeitigenNovellistikkämeIhnenmitunter vor,alswärenSie,,eine vierzehn- jährigeTochter gebildeterStände.« Verstand ichSierecht, sowolltenSiedamitsagen, unsere NovellistenundNovellistinnen gingenderMehrzahl nach darauf aus,die Back- sischeliteraturzu kultiviren. Nun istesallerdings wahr,dieUeberführungder dreieng- lischenGötzinnen,,Delic-acy«,,,Fashion«und,,Respectability«in dendeutschenRoman ist glücklichzuwegegebracht,und wiesehresdiesenJmportirten gelungen ist,in den,,gebildeten Ständen«UnseresLandes allenSinn für Natur, OriginalitätundGenialitätauszu- treiben,dashatunlängstdieSimplicissimus-Episodein denVerhandlungendespreußischen Landtags barbarisch erwiesen.Wiehaben sichbeidieser GelegenheitdieHerrender ,,gebildetenStände« blamirt! AmärgsteneinberühmterProfessorderNaturwissenschaft, welcheraus demSimplicissimuslernen könnte,daßeszwischenHimmelundErde doch

(8)

462 Jene WonntslgeftekinYirlgtkunstundRritiln

auch noch etlicheandereDinge gäbealsdasSkalpell,dasMikroskopunddie Retorte.

Wäreesdenkbar, daßineinerfranzösischenNationalversammlungvom Rabelais oder Montaigne so stupid gesprochenwürde, wie impreußischenParlamente von unserem prächtigenGrimmelshausen gesprochenwordenist? Gewiß nicht!Unddoch glaubt jeder richtigedeutscheHochschulmeistervomhohenKameelseinesDünkels aufdie,,unwissenden«

Franzosen mitleidigherabsehenzumüssen.Wirwerden esnoch erleben, daßinBerlin oderLeipzigeinästhetischesKetzergerichtüberGöthe’sWilhelm Meister abgehalten wird;

dennfreilichunter diejetzo modischeSchablonederhöherenLangweilereiundtieferen Scheinheiligkeitder ausgebeinten Vor-,Um- undRücksichtsnahmeundderhohlpathe- tischen Teutschdümmeleipaßt dieser Meisterroman nicht.DankdenGöttern,gibtesin Deutschland noch ErzählernndErzählerinnen,welchedieherrschende novellistischeKon- venienz fürdasnehmen,wassie ist, fürdasFeigenblattderImpotenz,undwelcheden Muth haben, aufdiekritischenOrakeldämpfederleipzigerundberliner Theekesselgar keineRücksichtzunehmen.Daistz. B.Erwin Schlieben,indessen ,,Judenschloß«ich Sieführen möchte,liebeFreundin. Ichbinüberzeugt,Siewerden dasdreistöckige,will sagen dreibändigeBauwerk theilnahmevoll durchwandeln. Hier isteinleibhaftesStück Gegenwart, keck,festundsicheraus dem Lebenherausgegrisfenundresolutvorunshin- gestellt.KeineSchönfärberei,keinVerdüftelnundVertuschen.DerGeldteufel unserer Tage gehtzwarnicht brüllend, wohlaberkalkulirend um indiesem packendenZeitbild, zusuchen,wen erverschlinge.DerVortragderspannenden Fabel ist außerordentlich frisch,dasPathosecht,derHumordrastisch,mitunter etwas zuzerrbildnerisch;aber freilich,derDichterkannnichts dafür, daß sovieleZerrbilderin derGegenwart herum- laufen. Warum das,,Judenschloß«todtgeschwiegenwurde? Ei,daskann Sienicht wundernehmen:esist jadarin weder derJuden-nochderChristenheit geschmeichelt.

AuchderIournalistiknicht.AberlesenSiejadasBuch!Siealseinegefunde, wissende undehrlicheLeserinwerden ihreFreudedaran haben.Mir habenSieFreudebereitet dadurch, daßSiedaskleineSkizzenbuchvon AdaChristen, »Ausdem Leben«über- schrieben, soliebgewonnen haben. Auf diesen198Seiten istin derThatmehr Poesie zufindenalsinvielen vielbändigenundvielgepriesenenRomanen. DieEigenartder Verfasserin gehtganzgegendenStrichdesHerkömmlichen,insofern siegarnichtdaran denkt,der konventionellen Anschauungs-undDenkweise sich anzubequemen.Sie wandert abseitsdernovellistischenHeerstraße,bricht sichBahnmitderKrafteinesMannes,be- wegtsichaberdabeimitderAnmuthdesWeibes. Scharfumrissen, greifbar anschaulich, in derVollbeleuchtungderLebenswahrheitlebenundhandeln ihreFigurenvorunsern Augen. Wenn siesprechen, glaubenwirihreStimmen zuhören.Essindnur kleine Werktagsgeschichten,welchedieVerfasserin skizzirt;aberdiese anspruchslosen Skizzen eröffnenuns einenAusblickausdieHöhenundeinenEinblick in dieTiefendesDaseins.

Auchliegt daraufeinAbglanzvom SonntagssonnenscheinderPoesie, welcher wohl empfunden,abernichtbeschriebenwerden kann...Dochgenug undübergenug für heute.

Selbst Ihre Geduld,liebeFreundin,hat ja ihreGränzenundich fürchte sehr,Sie möchtenfinden, daß ichdiesmalden dritten ParagraphvonDr.Martin Lutherskurz- gefaßter AnleitungzurBeredsamkeit (,,Tritt fest auf,thu’dasMaul auf, hör’bald auf!«) allzuwenig beachtet hätte.

Nachschr·ift.«EsgeschiehtIhnen recht,wenn ichSienoch nachschriftlichbehellige.

Siewollenja Ihrem soebenangelangten Briefe zufolge schlechterdings wissen,was ich

(9)

Zittrnturbrirfr. 463

,-,von demwunderlichenGebaren desaltenCarlhleinSachenderTagesfragehielte.«

DahabenSiees!

Burgen- undKlösterruinenkönnen unter Umständenrecht hübschseinundwahre ZierdeneinerLandschaft abgeben.MitMenschenruinen verhältessichanders. Jm günstigstenFalle siehtman siemitMitleid an. WennsieaberdenAnsprucherheben, nochetwas RechtesundGanzeszusein, soerregen sienur Widerwillen. Ihnen ziemt ResignationundSchweigen.Wollen sieimhellen LichtedesTagesmitreden undmit- handeln, sowerdensie lächerlich.Alleshat seine Zeit,dasRedenund dasVerstummen.

Dersüßenodersauern GewohnheitdesSprechensoderSchreibenszurrichtigen Zeit entsagen, heißt gegenüberdemPublikumalsMenschvonGeschmackund Lebensart sich erweisen.DiegeistigeZeugungskraftdes Mannes erlischtin derRegelmit derphysischen.

Ausnahmen gibtes,abersehr wenige. SelbsteinemGöthekann man eineAlters- schwächewiedenzweitenTheilvomFaustebennur nachsehen.Mitunter sindschrift- stellerischeAltersschwächengeradezu Alterssünden, unverzeihliche noch dazu.

Daistdie Ruine Thomas Earlyle.EineverehrungswürdigeRuine ohne Zweifel, so sie sichin Nr.5Cheyne-Row, Chelsea,London stillhielte.Dasieabernochmitreden will, so mußsie sichauch gefallen lassen, daßman ihrantwortet, undich fürchte,die Antwort könnenichtübertrieben höflichausfallen.

Carlyle hat Geisteszeugungen aufzuweisen, auf welche jederMann von Genius stolz sein dürfte.,,Thefrench revolution«,dieSammlungder,,Critical and mis- cellaneous essays« und der,,01iverCromwell« bezeichnendieHöhenpunkteseiner schrift- stellerischen Laufbahn. Dann ginges bergab. Jn den ,,Lectures on heroes«

erschiender gesunde Menschenverstand schon sehr angekränkeltund war an die Stelle geschichtlicher Wahrheit und Gerechtigkeitbereits die genialeMarotte getreten. Dercarlyle’schesogenannte »Heldenkult«(hero-w0rship) sahderAnbetung brutaler Gewalt denn dochzumVerwechselnähnlich.Die Marotte wurde dannzu der fürchterlichviel-unddickbändigen,,I-Iistory of Frederik theGreat« ausgefponnen.Wer sichwieich rühmen kann, diese WalburgisnachtvonBuchvonAbisZdurchgelesenzu haben, darf sichanGeduld jedem Heiligenderchristlichen Martyrologie gleichstellen.

Wersichaberrühmen kann, dieses Buch verfaßtzuhaben, hatsicherlichdermalen an Sitzfleischseines Gleichen nicht aufErdenunddarum derköniglichpreußischen,,Pour le met-ite«redlichst ersessen.Wenn man derpsallirenden Verhimmelung Friedrichs durch Carlhlevom Anfangbis zum Ende mitgehörigerAndachtfolgt, so hatman zuletztdas Gefühl,deraufgeklärteDespotundkynischeStockskepterträgersei eigentlicheinhimmel- blaues Lämmerschwänzchengewesen, fehl-undschuldlos, auch geschlechtslos,kurzein Engel,einErzengelaus demff.Stellenweife fehltesdem barockdurcheinanderge- worfeltenundgewurstetenWerkekeineswegsangenialenBlickenundBlitzen,aber das isteineGenialität,wiesie auchinJrrenhäusernvorkommt.

Dierussophilen Lorbeern, welche sichMr.Gladstone, diesercantor cantorum —- (nichtvomlat.canere, sondernvomenglischen,,cant«herzuleiten) unlängst erworben, scheinendenSchlafin Nr.5Cheyne-Row-Chelseagestörtzuhaben.Oderauch hatder gute CarlylediegroteskeKomik der Seene inder londoner Guildhall,allwoder alte ClownD’Israelidenbritischen Dreizack schwang, für Ernst, PathosundTragikange- sehen. Demzufolgehingerdie,,Heldenanbetung«einstweilenandenNagelund ver- legtesich aufdieRusfenanbetung.Ersetztesicham24.November hinUndadressirtean

(10)

464 Deut Monats-hefti-fürYjchtkungtUnderth

seinen ,,DearHoward« einenSchreibebrief,worin esvonCarlyleismenundsonstigen Raritäten wimmelt.Dieargverknotete orientalische Fragewirddakurzweg gelös’t.Das Ding ist ja so einfach: ,,vollständigeundalsbaldige Vertreibungder TürkenausEuropa!«

orakeltunserDruide vonEheyne-Row. DieFrage: Wohinmitden zu Vertreibenden?

kümmertihngar nicht. Nur fortmitihnen!Siesollen ,,ihrAngesicht nach Osten wenden«!Punktum. Die ,,friedlichen mongolischen Bewohner«derTürkei dürften dagegeninEuropableibenund,,würden natürlichinRuhe gelassen.«Weraberdiese friedlichen mongolischen Einwohner eigentlich seien,das wissenwederMenschen noch Götter,dasweißnur Carlyle.Wenigstens sollteereswissen, fallsernicht·in den

.Verdachtkommen will,mitBewußtseineinepureblankeFaselei niedergeschriebenzu habenjJm übrigenwird dieTürkei ganznett undsauber zwischen Rußlandund Oestreich ausgetheilt, basta! Oestreichmuß ja dochmehrundmehrein,,slavischesund magyarisches Reichwerden«—- daklingteinemwahrhaftigderschöneReimausdem ,,BuchdeshöhernBlödsinns«indenOhren: »WenndasFeuermitdemWasser, König Saul undSalmanasserdieVermählungspolkatanzt« alsoeinmagyarischesund slavischesReich muß Oestreichwerden und beidieserGelegenheit schlagensich »dieneun Millionen DeutschöstreicherzuihrenLandsleuten imgroßendeutschenReiche«.Keine Hexerei, bloße Geschwindigkeit! Selbstverständlichhatder Careinen ,,gerechtenAu- spruch aufGebietserwerb« indervon ihm ,,befreiten«TürkeiundCarleristaugen- scheinlichderMeinung, daßEuropa gutthäte,sichebenfalls durchden Earen ,,befreien«

zulassen,von,,Wahlurnen«,»Freiheit«unddergleichen unpraktischen Dingen mehr,die sichnichtmit dem,,TalentdesGehorsams«,mitder,,schweigendenBefolgung gegebener Befehle«vertragen, um welcher TugendenwillenEarlyledieRussenalseinen,,edlen Bestandtheil«Europa’s preis’tundverherrlicht.Das Zukunftsidealheißt also Russi- ficirung.KinderundNarren sagen,wassiedenken. Unser RussennarrinCheyne-Row ist aufrichtiger,alsdieberliner Russeneswünschenkönnen. Siehaben daherdem ProphetendesEarismus einsauersüßesGesichtgemacht.

Cytaty

Powiązane dokumenty

bildet und in ,,Fernande« Alles glücklich löst, verwickelt in ,,Dora« ganz bedenklich die Sache. namentlich am Hochzeitsabend! Andre möchtebeinahe, als ihm seinejunge Frau in einem

ihnen entschlüpftist. Sie werden sich daher gewiß nicht wundern, daß ich so lange als möglich von dort fern bleibe und die Absicht habe, nicht vor dem Spätherbst

Jn den Brieer an seinen Freund Karl Mayer schreibt Lenau einmal: ,,Jn Amerika werden der Liebe leise die Adern geöffnet und sie ver- blutet ungesehen.« Und so wissen wir auch, wie

Was speciell den für uns wirklich letalen Ultramontanismus betrifft, so kann ja weder bei Mickiewicz, noch bei Slowacki von diesem die Rede sein, er war zu jener Zeit wenig expansiv

Bald sind es hundert Jahre, daß Voß mit seiner metrischen Uebersetzung der Odyssee hervortrat, und damit der Nation ein Werk von hohem Werthe bot. Mit dem Erstarken der

»aber zehn von Jhren Werken gingen ja schon über die Bretter: Zampa, Haidee, dle Hugenotten, Pre aux Clercs!« — ,,Schlechter Beweis: Wohl sind diese Operntexte aus meinen Romanen

er im Moment seiner diplomatischenReise wohl nicht in Paris zurücklassen dürfte. Die Poraussicht des geniereichen Natars wird verwirklicht. Chåteaufortkehrt freudig zurück, gibt

veraltet. Es sind übertriebene Leidenschaften, verzerrte Gefühle. Der Anflug von ritterlicher Höflichkeit und Courtoisie erscheint ihm jetzt so lächerlich, wie er früher