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Neue Monatshefte für Dichtkunst und Kritik, 1877, Bd. 5, H. 2.

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Hnatghefte

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f- Neue M

F.l

- Eichtkunstnnd Kritik

Herausgegeben

Ogcar MumenthaL

v.Rand.Heft2.

Leipzig- Ernst Julius (I5ünther.

O

(2)

» Februar 1877.

Stamme Fiebe. Aus denPapiereneines Verstorbenen Becker...

ZweiGedichteanLreiligratlsVonEinil Rittersyans Literatnrbrieso VonJohannes Scherr Gedichtc.VonMax Heinzel pantheismnsnndpoesieVonS.Heller Die Grazer Poeten-Colume. PlandereivonP.ze.Rosegge r

BriefesvonCharlesDicken-;ang).C.Ändersesr J.Jonas.

Englisrl)-Deutfrh.Ein Sprachbildans denVereinigtenStaaten Von MaxHorwitz....·...

ZurCharakteristik JL jenerbarlya Von Julius Dnboe ClastelarüberElznschkinEinekritischeStudie von M.G. Conrad Dernltgermanischc SonnendiensiinEngland.

gleichendenSagenkunde.VonKarl Blind KritischeRundblikkc

EinSchimpflexilioikVonOrscar Vlnmentha l.

glittrarische Herzenssarthn Von Oscar Vln men tl)al- BojcnmVon Groß.

DerHändelioinnainVersen.VonOscar V lnmen thal.

»Mir-retten.

VonAugust

IVIitgetheiltvonEmil

Ein Beitrag znrver-

Die»Nimm Monatsl)este« erscheinenregelmäßigamEndejedesMonats imUmfangvonmindestens6Bogen Ler· eleg. geh.

Yersahe-gnugbestehtern-;2WändenZuje6Leiter-.

Seite

UT 113 115 121 123 130

1434 164

171

preispro Band 6Mark; proQuartal 3Marti; proHeft1 Mark.

AlleBuchlsandlnngenundPostanstaltennehmenBestellungenan.

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StammeJlicbr.

Aus den Papieren eines Verstorbenen.

MitgetheiltvonAugustBecker.

Werlängere ZeitinHeidelbergwar, jedenfallsaberwer dastudierte, hat sich wenigstenseinmal währendseines Ausenthaltesin dieberühmteFaulpelzgasseverirrt.

Dort, »demfaulen Pelze« schräggegenüber,stehtdaseinsame Wirthshauszum Bremer Eckvon Heinrich BartholomäindemGarten, welchen einst Kurfürst Friedrich seiner geliebtenClara Detten zumGeschenkegemacht,unddenman von demStückgartendes Schlossesganzüberschauenkann.

Jndergroßen halbdunkelnStube dieses Hauses hattenwireinstdenFriedrichs- tag, denfünften März, gefeiert,undaus demFriedrichstagewar unvermerkt einewahre Bartholomäusnachtgeworden.DerBodenlagvollvon Verwundeten undTodten. Jch allein saß noch aufrecht aufdemStuhle,dennnebenmeinenvielenUnartenbesaßich immer eineTugend,denAbscheugegenzu vielesTrinken. WeraberdenComment, dieses oberste GesetzbuchderStudenten, auchnur einigermaßenkennt, weiß, daßein Quantum Bier,wieman esbeidergleichenGelegenheitenzutrinkengezwungenwird, mehralshinreichend ist,dieLebensgeister,wonicht einzuschläfern,dochbedeutend auf- zuregen.

Vor meineraufgeregtenPhantasie stiegen nacheinander dieErinnerungen dessen auf,was noch kurz vorher so lebhaft verhandeltworden war. VorAllemeinehalbim Scherz halbimErnstausgesprocheneAnsicht unseresCommilitonen Zachariä, daßdie Menschenvon Schutzgeistern,inGestaltkleiner grauer Männchen, begleitet würden, weshalberin derDunkelheit jedesmal scharf aufschaue,obsein Grauchen nichtineinem Winkelsichtbarwerde undihmeinigeblankeGoldstückebeibringe.Eswar langedarüber gestritten worden,und densonderbaren Eindruck, welchendie vorkommenden Erzählungen inderGesellschaft hervorgebracht hatten,konntenur derlauteste Zechjubelwiederver- wischen. Jetzt,woich michallein aufdemSchlachtfelde sah,kamendieseunheimlichen Gedanken wieder.

Zachariä’s lange, hagere, zitternde Gestaltin denkurzen Beinkleidern,den Lotter- stiefeln,den altenHut aufdemHaupte,stieg allmäligvormeinen dämmernden Blicken empor, undmitihrdiekleineSpuckgeftalt,dieerseinen Schutzgeist nennt,unddieer allerWeltaufbinden möchte.Wenn ichmirje Schutzgeister gedachthatte, sowaren es ganzandere,freundlicheGestalten, solchesuchte ichmirwiederheraufzucitiren,aber meinKopf schienordentlich schwachgewordenzusein, ichvermocht’snicht esblieb

v.2. 7

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98 Biene Monats-hefti-kiirYirhtlmustundBritikk

bei demGrauchen.Sohatte ich mich allmäligin denMittelzustand zwischenSchlafund Wachenhineinphantasirt,undsaßnun mitgesenktemHauptevordemdüsterbrennenden Lichte. Plötzlichstreichtmiretwas Eiskaltes über dieheißeStirne,alssei’seine kleine Hand,undwieichdieAugen aufschlage, seh’ ich gerade nocheinkleines, steinaltes, eisgrauesMännchen jenseitsdesTisches,wieeinen Schattenan der Wand ver- schwinden.

Mirgraute undich ging.

« Draußen erst,wodiekühleNachtluftmirüber dievon Tabaksdampsumnebelte Stirne strich, dachte ichderSache nach. Hatte ich geträumt,oderhatte Zachariä Recht, undmeinGrauchenwolltemirnur meineUngläubigkeitverweisen? Jch wußt’esnicht, neigte michjedoch überwiegendzurersterenAnsicht.

Da,wodie engeGassein eine andere mündet, welcheabwärtsnachderKettengasse, aufwärts nachdemalterthümlichenThorederVergstadtunddemLeonhardischen Hause führt, fiel,wievomHimmel herab,einGegenstand so dichtvormeinenFüßenzurErde, daß ichbeirascherem Gange unfehlbardarübergefallenwäre.

Verblüfftbleibeich stehen«

DerKnäuelregtsich, rafftsichauf,unddageradederMond ausden Wolkentritt, seh’icheinemkleinen,verwachsenenMännchenin dasalteverwitterte Gesicht,inwelches graueHaare langundverworren hereinhängen.

»BistDu’s?« sagtedasMännchenhastig,aberleise,undgriff nachmeinerHand.

Dabeisahesmichvon unten herauf so schlauunddurchdringendan,daßmirseine AugenimMondlichtewiegrünlichesFeuerzuleuchten schienen.

JchwolltemeineHandausseinen kalten, fleischlosenFingern ziehen,abererdrückte dieknöcherneFaust fester zusammen,hobden dürrenZeigesingerder andern gegenmich auf,undstieß schnelldie Worte hervor:

,,Still! fort! siekommen! hörstDu ?«

Mirschwindelte. Jch wußtenicht mehr rechtwer undwoich sei. Zachariä hatte Recht,daslagmirnun außerallemZweifel,undich ließ michwillenlos fortzerren,um somehr,daich nicht fernverworrene Stimmen hörte,unddiePedellenmiraufder Ferseglaubte,ummichalsNachtschwärmeraufzugreifen.

ImGrunde weiß ich heute noch nicht recht,warum ichmitdem Alten so schnell davon lief. Jch glaubte wohl, michgegenmeinenSchutzgeist nicht sträubenzudürfen, undstürztemitihm durchdasalteKlingenthor hinaus ausdenpariser Weg,der damals abernochnichtin diejetzigeAnlage umgeschaffenwar.

Vorderhalb zersallenen,kaumkniehohenMauer,über diemanin denkatholischen Kirchhof hinunter sieht, hieltderGraue an,lauschte nochmals gespannt NachderGegend- woherwirgekommen,unddasichabermals eilende Schritteundeifrig verkehrende Stimmen vernehmen ließen,schobermich raschgegendieMauer,undnachdemkurzen Ausrufe: »Da hinab!«war erwieweggestoben.

EinigeAugenblickewar ichunschlüssig;da aberdieIdee,der AlteseimeinSchutz- geist,wieder lebendiginmirward, so stieg ich schnellüber die Mauer aufdenGiebel dergroßenMauerblende, welchefastbis zu meinenFüßenheraufreichte,rutschte behende aufdereinenSeitedesDaches hinab,undwar mit einemleichtenSprungeamBoden, mittenunter NesselnundFliedersträuchenunddenResten zerbrochener Kreuze.Ebenso schnell schlüpfteichunter dieerwähnteMauerwölbung, setztemich aufeine derBahren,

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Stumm-eHieb-. 99

Welchedortihr Obdachhaben,undwartete mitangehaltenemOdemderDinge,dieda kommensollten.

Nicht lange, sohörte ichTritte geradeübermir,"undunterschied deutlicheinen WVVtWechfelzwischenzwei Männerstimmen.

»Da mußerverschwundensein,« riesdieeine, »und gewißisterin denKirchhof binabgestürzt.«

»Seikein Narr!« erwiderte dieandere. »Du meinst,ermüssenun lauter hohe Sprünge machen. HättestDumirgefolgt, so hättenwirihnjetzt. Jch gebemeinenHals zUmPsande,wasDufüreinenSchattenanderMauer gehalten,warniemandanders alser.«

»Thu’wasDuwillst,«sprachdieerste Stimme, »ichsteigenun dahinab,daunten mußersein.«

Schon hörte ichdenersten Fußtritt aufdemDacheübermir,undmachte michrüstig aufRed’UndAntwort, wohlgar auseinenStraußgefaßt,alsvon der Gegenddes nahen Riesensteineshereingellendes Gelächtererscholl, welchesdasEchovomStein- brucheunddem altenSchlosseherüber schwächerwiederholte.

,,Siehst Du, daß ich Recht hatteriefdie andereStimme. »Du bist schuld,wenn wirihnnun nicht mehr erwischen,oderesgareinUnglückabsetzt.«

Jch lachtein dieFaust,daich hörte,wiesichbeideschleunigst entfernten.

,,Demkönntihr lange lnachlausen!«dacht’ ich,undsagteinderStille meinem SchutzgeisteDank, der mir zumerstenmal so deutlicheinengutenDiensterzeugt,indem erdurch sein neckischesGelächtermeineVersolger auseinefalsche Spur geleitet hatte.

AusmeinemVersteckwagteich mich noch nicht hervor,ausBesorgniß, durch irgend einGeräuschdieSuchendenwieder anzulockenundvon ihnenimMondlichte,das zuweilenausden Wolkenbrach,bemerktzu werden. Jaselbstnach einiger Zeit,alsich sicher vermuthen konnte, siewürdennicht mehr zurückkehren,wollteich dochnichtden- selbenRückwegnehmen,dermich hergeführthatte. Jch hättenur eineBahrewie eine Leiteraufrechtandie Mauer stellen dürfen,umwiederausdasDachdes Gewölbes zu kommen. Jchzog vor, michnebenderThüreüber die Mauer zuschwingenundvon dortüber dieBrunnenkammer, welche draußenan der Mauer angebautwar, aufdie Straßezugelangen. Jch wünschte,zuHausezusein,dennwenn auchdieNacht nicht geradestürmischundunfreundlichwar,so stand ich doch erst aufderGrenzscheidedes fünftenundsechstenMärzes,undempfand aufdemRasendesKirchhofes größereFrische, als zUrKühlungmeineserhitztenBlutes nöthigwar.

. Ueber die Gräber weg eilteichzurThüre,undlauschte auch dort,ob keinFußtritt

inderStraße hörbar werde, schautenachdenFensterndernahen Häuser,ob keinLicht mehr flimmereundkeinAugevon dortherab mich belauschenkönne.Allestodtenstill,

Allesdunkel. Jch mache Anstalten,die Mauer zu erklimmen.

DaschallenTritte durchdieGasse.

. Jchlbleibezurück,umabzuwarten,bissievorüber wären. Aber,oHimmel! sie Smgenmcht vorüber,unddasleise EinsteckeneinesSchlüsselssetzteaußer Zweifel- daß Ichljderdie Todten einenBesuchzu erwarten hatten.Wie eingescheuchtesReh flog ich indie MittedesGottesackers zurück,schwang mich ausdasPiedestaldesgroßenCruci- flxes-UmWelchesfich,wiegewöhnlich,Maria, JohannesundMagdalena gruppiren, Umin derDunkelheitauch füreine Statue gehaltenzuwerden,oder beihervorbrechendem Mondlichtemich hinter eine derselbenverbergenzu können.

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100 Reue MonatshrktefürYichtkunstnndertik

Noch stand ich nicht recht sicherhinterder Mutter Jesu,alsschondieThüre knarrte, unddreiGestalten aufdenFriedhoftraten, von denen sovielvermochte ichim Mondlichtezuunterscheiden zweiinweiteMäntel gehülltwaren unddemandern Geschlechteangehörten.Diedritte trugeinekleineLaterne,undwar wohlniemand anders, alseinTodtengräber.ErschloßdieThüre hinter sichab, kam mitseinen Begleiterinnenetwas näher, stelltedie Laterne aufeinGrab,undsagte dumpf:

,,Dies ist’s!«

Dann traterandieThürezurück,umdieFrauenalleinzulassen.

Sogleich sankdie Einenieder,unddrückte dasGesichtin denfeuchten Rasendes Grabhügels.Kein Wortkam überihre Lippen, ichhörtesienur leise, schmerzlichweinen.

Die Andere stand unbeweglichdaneben,undobgleichichkeinenZugihres Gesichteszu unterscheiden vermochte: so ergrimmte ich dochimJnnern übersie ich hielt sie für hart.Jch hatte mich nicht getäuscht.

,,Mignon,«hörte icheinetiefe,kalteFrauenstimme sagen,aus der keinGefühl für denSchmerz sprach, welcherdie Andere ausdasGrabniedergebeugt hatte: ,,Mignon, esistgenug,stehe aus!«

Siebücktesichmechanisch,zogdie Weinende in dieHöhe,unddiese lehnte sichan die kalteBrust,ausder diekalte Stimme gekommenwar,wohlnur weilsiekeine andere hatte,andersie sich völlig hätteausweinen können.Noch hatte ichwederGestalt noch Gesichtvon ihrgesehen;aberich hätte ihrmeinwarmes Herzbietenmögen,umihr Wehundihre Thränen hineinzusenken,undbeiGott! ich hätte siealsheiligeSaat bewahrt.Eswaren Kindesthränen.Eswar derSchmerzeinerWaise,dashörte ich ausden Worten dereiskaltenFrau.

,,Mignon,« sagte siewieder: »ichhabeDirDeinenWillen gethan, noch ehewir weggehen. Jch thatesindieserStunde. Dusiehst, daßich Dich liebe,wie eine Mutter.

Aber amGrabe Deiner Mutter mahne ich Dich nochmalsanihren letzten Wunsch,an ihr letztesWort. Dumagst wählen, ihnoder

Sieredetenichtaus,denndasMädchen so viel vermochte ichbeimScheineder Laterne zuunterscheiden drücktesichnoch festeranfie,und weintenochschmerzlichen Unddochlagin derHestigkeitdieses Schmerzes nichts Unzartes. Desto tiefereWunden rißdasMitleid mirin dasHerz.

DasWeibstandunbeweglich. Hieraus schobsiedie Weinendeleisevonsich, nahm dieLaterne von demGrabe aus, ließeinen StrahlausdiesteinerneKreuzesgruppe fallenundsagte:

»Dort bete,dieheiligeMutter undihr Sohn mögen Dich stärken!«

Während siemitderLeuchtegegendieThüre schrittundmitdemTodtengräber verkehrte,wankte dasMädchen näher,undsankvor demKreuze ausdie Kniee.Der Mond trataus denWolken, warf seinvolles Licht aufdenLeichenackerherab,undich sahineinblasses, engelschönesAngesicht,in zwei großevon Thränen heißüber- quellende Augen.

IchwerdediesenBlickewig nicht vergessen,der mit einerJnnigkeitandem Bilde desErlösers hing,wieichesnochniegesehen.Erhatsichmirso tiefindasHerz gegraben,daßkeineZeitihn verlöschenwird,undselbstwenn meineignerBlicklängst trübegeworden, jameinAugeschonhalb gebrochen sein wird,werdeichdieglänzenden ThränenimMondlichteund dasgroßedunkleAuge dahinter noch sehen. Ich hättein

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Stumm-eZieht-. 101

diesem AugenblickemeinLebenhingeworfen,wenn ich diese Thränenzutrocknen, diesen großem heiligen Schmerzinselige Freudezu verwandeln vermocht hätte. DerNacht- windtriebwiedereinegroße schwarzeWolkevordasNachtgestirn,nnddieGestaltwar

nur nochin dunkelnUmrissenerkennbar. Sonothwendigmir in meinemVersteckedie Dunkelheitwar, so ungeduldig harrte ich doch ausdieEnthüllungdes Mondes. Aber die Wolkewarzugroß,esblieblange finstere Nacht.

Die Betendeerhob sich, lehnte sich ausdasPiedestalderKreuzesgruppe,undich hörtenur leise, himmlischsüßeLauteüberdiese Lippen gleiten, Laute,wieich sienur in meinenschönstenJugendträumen gehört, vielmehr geträumt, Laute,dienochjetztin meinenseligstenAugenblickenwach werden,wenn dieNachtlustüber Saiten streift,oder leise durchdie Wälder meiner Heimath zieht.SomögendieEngelbeteninunaus- sprechlichenWorten. —-

Lächeltnicht, daß ich schwärme,wenn ich jenerStunde gedenke; sie hatdenJüng- ling bezaubertundin derErinnerungdes Mannes nochnichtsvonihrem Zauberver- loren. DieheiligeWelt eines weiblichen schmerzerfülltenBusens hatmir dieAchtung vordemGeschlechtebewahrt,dieohne jenen Augenblick vielleichtindenErfahrungen desLebens untergegangen wäre. Ich halte jeneStunde füreineGnade von Gott, obgleichich seine Wege nichtin allenStückenbegreife.

DasMädchenhattelange stillundtiefsinnig gebetet,aberihre ausgeregte Stimmung schien sichehergesteigert,alsgelegtzuhaben,dennnacheinerkurzen Pause lispelte sie, nicht ohne einige Hestigkeit:

,,Jhnnimmermehr!Jstesrechtodernicht,DusüßeschmerzenreicheMutter?«

Jch hätteimNamen derMuttergottes, anwelchedieseWorte gerichtetwaren, mit,,Ja!«antworten mögen.Eskochtewildin miraus,wenn ichmirdieses Herz zwischenzwei Molochsarme gepreßtundvonihnen zerdrücktdachte. Jmmer mehr schien dieSchwärmerei sich ihrerzubemeistern. Flehendwendetesie sichnochmalsgegendas Steinbild, hinter welchemich stand,mitleisgehauchten,aberdochvonschwärmerischer AndachtglühendenWorten:

,,Gibmir einZeichen, heilige Muttergottes! gibmir einZeichen,ob meinEnt- schlußDirgefällt!«

Durchmeine Seele zuckteblitzschnellderGedanke: Wenn Dudiesem zerrissenen Gemütl)eetwas vonseinem Frieden wiedergeben könntest!

Eswar Nacht,ebentiefe Nacht;meineHand,diesichandem Steine gehalten, so kalt wiedieser Stein,dasMädchenausdemgewöhnlichenJdeengeleiseherausgetreten kurz- ich neigte michetwas vor,undberührtemit meinerkaltenHand flüchtigdieheiße Stirne derBetenden,dieichleicht unterscheidenkonnte, weilsie selbstdurchdieschwärzeste Nacht Weiß,wieElfenbein, geleuchtethabenWürde«

MiteinemSchrei sank sie zusammen. Jhre Begleiterineilteherzu. IchlittHöllen- qUalInmeinemVerstecke,wenigerweil dieLeuchte sichnäherteundichentdeckt werden

konnte-alsweilich glaubte,derSchreckhabedasMädchenniedergeworfenundsei ihr gesahrllch-Wohlgartödtlichgeworden.

«

· Trotzmeinereigenen Gefahrlebteichwiederaus,alsdasLicht sie beschien,und Ich sah, daßsienur, mitgefaltetenHändenin die Knieegesunken,amBodensaß.

Jetzt c1Est,imScheinedesLichts, gingmirdie ganzeHerrlichkeitihrer Schönheit aus.AlleUmstände,Ort, Zeit,dieMitleid heischendeLage dieses lieblichen Wesens,

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102 Reue Monate-bestekinerhtkunstunderthn

meineeigeneaufgeregte StimmungundselbstmeineJugend mögen vielleichtbeigetragen haben,denEindruck, welchen diese Erscheinung auf mich machte,zuverstärken;aber obgleich ich unterdessen manche StraßederErdegezogen bin, somuß ich dochimmer wieder sagen: Jch habe ihres Gleichen nichtwieder gesehen.Eswar einliebliches, durchsichtigzartes Gesichtmit einemgroßendunkeln Augeundmit braunemHaar.Ihr Mantel war von denSchultern geglitten;dieschöneGestalt umschloßein einfaches Kleidvon schwarzer Seide; ihr Kopfschmuckwar einschwarzerSchleier,undum den blendend weißenHals liefeingoldenes Kettchen,anwelchemeingoldenes Kreuz auf dieBrustherabhing.Eslagetwas Nonnenartigesin derganzen Erscheinung,was michganz besondersanziehen mochte,dameinHangzumUngewöhnlichenvon jeher überwiegendwar. ImAnschauen versunken vergaß ich beinahe, daß ichalleUrsache hatte,mich wohlzuverbergen.Die Anredederstolzen Frau, diejetztmit derLeuchte vordemMädchenstand, mahnte mich erstwiederzurBehutsamkeit.

»Mignon,«sagte sie,»wasistDir?«

Diese hob erst jetztdenBlick zuihr aus,raffte sichin dieHöhe, fiel ihrumden Hals,undriefim Tone deshöchstenEntfetzens:

»Die heilige Jungfrau hat mich hoherGnadegewürdigt,ichbinentschlossen.«

,,Mignon,Duschwärmftwieder.«

»Sage nichts, Taute, eheDuweißt,was mirbegegnet ist. Doch komm,der Boden istzuheilig füruns,komm. Draußen sollstDueshören.«

Sie zogihre Begleiterin fort. DochanjenemGrabe warfsie fich nocheinmal nieder, küßtedenRasen,undschluchztelaut:

»Mutter!Mutter, segne mich,wiesie mich segnete!

»Weil nochkeineBlumen blühen,« sagte jeneAelterekalt undruhig,»sowillich wenigstensein BlattvondiesemJmmergründesGrabhügelsin meinPorteseuillelegen.«

Siethat’s, hobdann dasMädchenaufundführte sie fort.

DerTodtengräber hatte schondieThüregeöffnet—- sie fielinsSchloß,undich standwiederallein.

Jch durfte ja nicht folgen.

Langebliebich unbeweglich stehen. TausendGedanken wogtenin miraufund nieder. ZudenFragen:Wermochteesgewesen sein? welche Verhältnissemögen hier obwalten? gesellte sich jetztdie andere: Was hastDugethan? Hatteich michnicht unbefugtin das Schicksal dieserunbekannten Menschen gemischt? HattemeinMitleid mich nichtzueinemSchritte verleitet, dessen Folgen nichtinmeiner Handundganz außermeinerBerechnung lagen? Daß jene BerührungvonMignon’s,Stirneein Wende- punktinihremLebengeworden,dasiedieselbe nothwendigfürwunderbar haltenmußte, lagmiraußerZweifel, ob aberzuihremGlücke odernicht,werkonnte das beantworten?

Mitten inmeinequälenden FragenundVorwürfetratplötzlichwiederdieGestalt des grauen Männchens.War ichnicht selbst durcheinWunder zudiesemAbenteuer geführtworden? Gotthattenur meineHandalsWerkzeug gebraucht, ichwar fürdie Folgen nicht verantwortlich.DiedumpfeGlockeaufdemUniversitätsthurmschlugEins.

Sieerinnerte michanOrtundStunde;schnelleilteich aufdemWege,denichmir früher schon ausersehen, nach Hause,undwarf mich nochlange aufdemLager hinund her, ehemeineaufgeregte Phantasie michinSchlaf versinkenließ.

q- J-

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Stummrerbh 103

DieSonne standlängstamHimmelalsichausverworrenen Träumen erwachte, in denenMignon’s flüchtigeErscheinungdieHauptrolle gespielt hatte. Jch besann mich über das Abenteuer der vergangenen Nacht,undeswar mir immerzweifelhafter,obich eswirklich erlebt,odernur geträumt habe. Ichwar wohlmitschweremHaupte,oder dochungewöhnlichaufgeregt,aus demBartholomä nach Hause gekommen,undmeine Phantasie hattemir im Traume etwas vorgespiegelt,waswieWahrheit aussah.Bald standmeineUeberzeugung fest, daßesnichtanders seinkönne«

Das Eintreten meinesStiefelwichsers unterbrachmeineGedankenreihe.Daich früh MorgenskeinCollegium hörte, so hatte ich ihm befohlen,vonallenseinenKunden zuletztzu mirzukommen,weilerdann diemeistenNeuigkeitenderStadtschon gehört hatte,und mirdieQuintessenzalleswährenddervorigen Tageundder NachtVor- gefallenenerzählenkonnte.

Heute schieneretwas Besonderesinpettozuhaben,dennsogleichbeiseinemEin-

.tritte begannersein Referatmit derspannenden Vorbemerkung:

»Diese Nacht istaberauchetwas Schönes passirt.«

»Nun?« fragte ich gedehnt.

»EinalterMann istaus demJrrenhause entsprungenunddiesen Morgen erst unter denFelsendesRiesensteinstodtwiedergefunden worden.«

»Nichtmöglich!«fuhr ich heraus,undsaß aufrechtim Bette.

»Ganz bestimmt!«erwiderte das Faktotum. »Siewerdens hören,wenn Sie ausgehen.«

MeinAbenteuer war also dochkein Traum! Undwieschämteich michvormir selbstum meines Aberglaubens willen,dermicheinenJrrenfürmeinen Schutzgeist halten ließ.Jetzt begriff ich nicht,wie mirderGraue nicht gleichalsdaserscheinen mußte,was erwirklichwar;wieichdenUmstand soganzübersehenkonnte, daßer geradein derGasse hinterdemJrrenhausezu meinenFüßenniedergesallenwar.

DochwaskümmerteesmichamEnde,ob dieWeisheit selbst,oder derWahnsinn Mich aufdenFriedhof geführt hatte;derErfolgbleibtimmerderselbe· Hatte ja doch dieeine MitternachtstundeanSchmerzundSeligkeitallemeinevergangenen Tage aufgewogen. Jch hätte sie nichtumeineWeltzurückgegeben.

Meindienftbarer Geistkam wiederherein,tratvordasBett, undreichtemirein Papier,zusammengefaltetwie einBrief,aberohne Adresse, ohne Siegelundbedeutend beschmutzt

»Sie müssenauf feuchtemLehmbodengegangen sein,« sagteer, ,,dies istander Sohle Jhres Stiefels hängengeblieben-

Neugierigenfaltete iches. Eswar französischgeschrieben,undichlasFolgendes:

Heidelberg,den 5.März18..

»MeinlieberTM

MorgenressenwirvonHeidelbergweg. JchbemerkeDirdiesnoch vorher,damit DuDeer folgendenBriefe nicht mehr hierher sendest. Mignon ist durchdenhiesigen Aufenthaltetwasstillerundträumerischer,ich möchtesagen schwätmerifcher,geworden FürDeinenFreund scheintdieHoffnungimmer schwächerzu werden. Jch müßte mich sehrtäuschen,wenn nichteinneuer Umstand seiner Bewerbung nachtheiligwürde. Hier meineVermuthung.Uns gegenüber wohnteinStudent, einausgezeichneterKlavier- spieler, dessen Spiel Mignonbisweilen Stunden lang zuhört.Siescheintentzücktvon

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104 Jene MairutgheftrkiirYirhtliuthundZritiln

ihm.Seiteinigen Tagen glaube ich sogar beobachtetzuhaben, daß sie sichdieStunden, in deneneraus- undeingeht, gemerkt hat.Siesitztdann gewöhnlichamFenster hinter denVorhängen,die kaumeinenBlickaufdieStraße freilassen,dasFenster öffnet sie nie,esmüßtedenn in dertiefenDämmerungsein,umden TönendesSpieles Eingang zuverschaffen. Gewiß istesihr selbst nicht klar, daßersie interessirt, ichabermußes nochauseinemandern Grunde schließen.Jch ließmirnämlichjüngstdenAdreßkatalog bringen,um etwas darin nachzusehen. Mignon nahm ihn zufällig auchzur Hand.

Später sah icheinen Namen darin durch mehrere Strichemit demNagel angestrichen, was sie ohne ZweifelinGedankengethan. Jch sah nachderWohnung,eswar richtig unservisä- vis. Erheißt ——«

WermaltmeinErstaunen?AufdemPapier standmeinName! Jch muß blaß undroth nacheinander geworden sein,denn eswirbelte mirimKopfe, daßmirdas Sehen verging.

Jch fuhrmit derHandüber dieAugen,starrtewiederaufdasPapier,obichmich nicht getäuschthabe.AberderName war zudeutlich geschrieben,alsdaßerein anderer seinkonnte.

Einunbeschreibliches Gefühlvon Freude undBeschämungbemächtigtesichmeiner.

Jchkammirvorwie einLiebender,dersoebendasGeständnißderGegenliebeüber die Lippen seiner Angebeteten gleiten hört; jawie einMädchen,dasindiesemAugenblicke zumerstenmale süßbetäubtundfreudig verschämtanderBrustdesGeliebtenlehnt.

DieJugend ist kühn, ja übermüthiginihren Wünschen,HoffnungenundAnsprüchen undnur zusehr geneigt, sichzuüberschätzen,aberwas vormiraufdem Blatte stand, hätte ich selbst nichtzuträumen gewagt.Unddochwar Alles ersteinehingeworfene, unverbürgte Vermuthung, doch hatte ichvordieser Nachtweder Mignon,noch ihre Tante je gesehen.

Umnichts hatte ich mich weniger gekümmert,alsummeineNachbarschaft,in der ich freilicheinensolchenEdelstein nicht vermuthet hatte. Jch wußtenur, daßeineeinzelne alteMatrone dieBesitzerindesgegenüberstehendenHauses sei,undso oft ichanmeinem Fenstergestanden, hatte ichanjenem Hausenie etwas anderes bemerkt,alsdichte,zu- gezogeneVorhänge.DerAnblick desHauses hatteimmerdasGefühlder Oede in mir erzeugt.Clavier hatte ich zuweilen gespielt,mitunter auchphantasirt,wieesebengehen mochte, besondersindenStunden derAbenddämmerung,woichvonjeheretwas me-

lancholisch gestimmtwar, so fröhlich,jaausgelassen ichzu anderer Zeitundunter meinen Freundenseinkonnte. Aber daßmeinSpieleinesolcheZuhörerin gehabt,daß siees selbstdesZuhörens werth gefunden,wiehätte ichdasahnenkönnen?

Ichwollte weiter lesen,dasBillet war jedoch nicht vollendet,undenthieltnur nochdie Worte:

»WennDumich anfangsMai aufmeinem Gutebesucheniwillst,können wir Alles dasnäher besprechen. Ich habe nocheinenGangmitMignonzzum Grabe ihrerMutter vor,undhoffe,dortsoll sie sichentscheiden...

Jetzt fielmirerstwieder ein,daß heutederTag ihrerAbreise sei,undmittenin meinerneuaufgeblühtenFreude faßtemicheinnamenloser Schmerz.

Schnell warf ich michinmeineKleider, rißdasFenster auf,undstarrte nachdem grauen Hausedadrüben. Essahaus wiesonst, so öde,so verlassen, so verschlossenwie immer. Jch hatte nichts eiligerzuthun,alsdenStiefelwichserwiederhereinzurufen,

Cytaty

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Evelyn und Kingston gerufen. Jch wußte damals noch nicht, daß die Creatur schon in Chantilly von ihm bestochen, zu meiner Verführung erkauft war. Ein mehrtägiges Fieber folgte

bildet und in ,,Fernande« Alles glücklich löst, verwickelt in ,,Dora« ganz bedenklich die Sache. namentlich am Hochzeitsabend! Andre möchtebeinahe, als ihm seinejunge Frau in einem

Jn den Brieer an seinen Freund Karl Mayer schreibt Lenau einmal: ,,Jn Amerika werden der Liebe leise die Adern geöffnet und sie ver- blutet ungesehen.« Und so wissen wir auch, wie

gedeihen, der all’ seine abgedanktenMaitressen in Wachs nachbilden läßt und in diesem ,,Museum«sein Leben verbringt und endet? Wo anders als im verkirchlichten Süd- spanien die

Was speciell den für uns wirklich letalen Ultramontanismus betrifft, so kann ja weder bei Mickiewicz, noch bei Slowacki von diesem die Rede sein, er war zu jener Zeit wenig expansiv

»aber zehn von Jhren Werken gingen ja schon über die Bretter: Zampa, Haidee, dle Hugenotten, Pre aux Clercs!« — ,,Schlechter Beweis: Wohl sind diese Operntexte aus meinen Romanen

er im Moment seiner diplomatischenReise wohl nicht in Paris zurücklassen dürfte. Die Poraussicht des geniereichen Natars wird verwirklicht. Chåteaufortkehrt freudig zurück, gibt

veraltet. Es sind übertriebene Leidenschaften, verzerrte Gefühle. Der Anflug von ritterlicher Höflichkeit und Courtoisie erscheint ihm jetzt so lächerlich, wie er früher