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Neue Monatshefte für Dichtkunst und Kritik, 1877, Bd. 5, H. 6.

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v—Band. Heft6.

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Juni 1377.———

Inhalt

Sudiegkkscr.. ...

EineEngel-Ehe NovellevonErwin Schlieb en EirdusiindeutschemGewand. VonHans Herrig LkscfrüchtaPlaudereienvonF. Groß Zur philofophirdeg-UnlicwußthnVonO. S.Seemann KritischrRundblikkc . . . .

IohithIotlk1). VonHans Hex-rig- Wie-retten

Seite 44 1 443 473 483 486 490 493

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AndieJIescix

Mit demvorliegenden Heste beschließendie,,Neuen Monatshefte für Dichtkunst undKritik« ihren fünftenBand und mit ihmnehmen sie überhauptvom Leser Abschied.

Diezahlreichen journalistischenundschriftstellerischenArbeiten,mitwelchender Unterzeichnete überlastet ist, gestatten ihmtrotz dereifrigstenHingebung nicht mehr,den ,,Neuen Monatshesten« diejenige ununterbrochene SorgfaltundEmsigkeitzuzuwenden, dieerforderlich ist,wenn sichdasUnternehmen auf seinerbisherigen literarischen Rang- stufe erhaltenunddenstrengen AnsprüchendesHerausgebers selbst genügensoll.Ein frischererundnicht soinAnspruchgenommener Ersatzmann hätte sichwohl finden lassen.

Aberda dieVerlagshandlunginfreundschaftlicherUeberschätzungmeinerKraftein ent- scheidendesGewicht aufmeinepersönliche LeitungdesUnternehmens legte, soblieb nichtsübrig,alsnachmeinemAusscheidenaus derRedaktiondie,,Neuen Monatshefte«

abzuschließen.

Nicht ohneBefriedigung dürfenwiraufdievorliegenden fünfBändezurückblicken.

Jnihrem poetischen Theil enthaltensiezahlreiche gehaltvolle Beiträgeaus ersten Federn,undwenn auchdaneben manchesnur Mittelgutemituntergelaufen ist,wie das beikeinemperiodischen Unternehmenvermieden werden kann,so dürfte dochüberall unserBestrebenzuTage getreten sein, nichtdergedankenlosen Unterhaltungsgier der MassedaserwünschteLese-Futterzureichen, sonderndenvornehmerenundkeuscheren Kunstgeschmackzubefriedigen.Wirhabenuns dabei niemals vomTage dieParole geben lassen daswahllose Nachhasten hinterdem,,Aktuellen«,dem»Zeitgemäßen«

überließenwirbereitwilligdenSensationsmachernumjeden Preis. JnderMeinung, daßetwas innerlichTüchtigeszujederStunde zeitgemäßist, fragtenwirvorAllem nachdemgeistigenGewichteeinesBeitragsundnicht danach,oberaucheinemAugen- blicksinteressegefällig entgegenkommt. Unserekritischen Spaltenaber bestanden nichtaus ReklcunenfürdieMitarbeiter, von welchenwirBeiträgeentweder schon empfangen hattenodernochzuempfangen wünschten,sondernausehrlichen wahrheits- liebenden AeUßekUUgMFürAufklärung ästhetischerund philosophischer Fragen kämpftenwirin ausführlichenallgemeinen Darlegungen, währendindenBücher- besprechungender,,NeuenMonatsheste«stetseinwohlüberlegtesLobzuWorte kam, wenn esmöglich einunbarmherziger Tadel,wenn esnöthigwar. InFolge dessen sindwirauchnichtvonkameradschastlichenHändengroßgehätschelt,geschwegedenn als

v.G.

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alleinseligmachendedeutscheMonatsschrift ausgetrommeltworden. Wohlabergenossen wirdieFreude, daßdieredlichstenundbesten Schriftstelleruns häufig ihrer Zustim- mungversichertenunduns zurBethätigung ihres Beifalls durch Ueberlassungvon werthvollen Beiträgenehrten.

Mit den,,Neuen Monatsheften«schließtsich somiteinumfriedetesAsyl für so manche gute Bestrebung,dieanderwärts als ,,inopportun«verworfen,als ,,unzeit- gemäß«ausgeschlossentvird. Ich verabschiedemichvonmeinenMitarbeitern mit einem herzlichenWortdesDankes vondenLesernmit einemfreundlichen Lebewohl.

Berlin, imJuni1877.

WgcarBlumenthai.

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EineEngel-Ehe 443

EineEngel-Ehe

Novelle von Etwin Schlichen.

Es gingmunter zuinVater Böhmer’s·Behausung. Tanzbeinewurden ge- schwungen,undlustige Röckchenflatterten durchdasausgeräumte Zimmer. Eswar lauter jungesVolk, zumTheil nochKinder;nur einPaar ehrwürdigeMütter saßen aus steifen StühlenanderWandundstrickten träumerischihre Strümpfe.

DieältesteTochter feierte ihren siebzehnten Geburtstag. JedesKindvom Hause hatte sein Fest,unddasmachte zehnimJahr. Mutter Böhmer sagte,daswärenöthig, derLeutewegen. DazukamendieKafsees,diesie geben mußte, Tanz, Punschund Kuchen gingen nichtaus unddie Leutefragten einander, wodenn beiBöhmer’sdas nur allesherkäme.DerMann,dereinegroßeKasseverwaltete, bezogzwar einaus- kömmlichesGehalt, hatteabersonstkeinVermögen;dieFrauwar ganzarm,und dabei zehnKinder aufzubringen eswarunbegreiflich!DerältesteSohn studirtebereits auf einerkleinenUniversität,dasjüngsteTöchterchenbeganneben zulaufen. Zwischen diesenbeiden standendieübrigen Geschwisterinlieblicher Abstufung,alles hübsche, dunkelhaarige Sprößlinge,undallegesundundhungrig.FrauGeorgine Böhmerwar zwareinestattliche,immer geputzte Dame,abereinetüchtigeHausfrauwar sie nicht, davon wußtenihreFreundinnen zuerzählen.DieFamilie hatte Schulden,daswar bekannt;unddochdauertedaslustigeLebenschonJahre lang,undVaterBöhmerwar einrechtschaffenerMann.

DerStolzdesHauseswar dieältesteTochter Ottilie, unddasmitRecht.Sie war einanmuthiges schlankesKind,immerhübschangezogen, nur mitetwas zuhoch gethürmtenHaar. Antlitz,Nacken undwassonstinFrage kommt,waren mit allenReizen aufblühenderJugend umsponnen,undwenn nichtGeist, soblicktedochSchelmereiaus denAugenundschlängelteumdierothen ungeprüftenLippen.Die kleinenHändewaren wierosig weißerAtlasundwußten sichbeiseinenStickereien zierlichzubewegen.Man sah ihnendiehausfräulicheTüchtigkeitnichtan,und dennoch kochtensie allabendlich, wenn keinBesuchdawar, fürdieFamilieeineSuppeaus Brotschnitten, Salzund Wasser, welche,,Bettelmann«genanntwird.

Ottilie hatte zahlreicheFreundinnen, Töchteraus dengleichstehendenFamilien, beileibenichtaus höherenodertieferen;denn man lebteineinerkleinenherzoglichen Hauptstadt.SieallehattenamGeburtstagsmorgen ihrekleinenGeschenkeüberreicht

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444 Reue MonatslgeftefürYirhtkunntundYrjthn

undwaren zumTanze geladenworden. VaterBöhmer mochte seufzen;aberesmußte

sein.Bruder Ernst,derStudiosus, brachteeinPaar ausgelassene Gesellen mit,und selbstdiejüngeren Kinder, aufdemTanzboden schon geübt, erhielten ihre Tänzer.

DasgabeinenJubel! SogardasjüngsteKind,von denKlängendesPianino wach erhalten, strampelteinseinem BettchenmitdenBeinchenundwurdeerstgegenMitter- nachtmüde.

AberdasGeburtstagskind,dassiebzehnjährige,hatte währenddesTanzes auch ernsteGedanken. Es befand sichunter denGästeneinjunger Forstmann,grünwie Frühlingsgebüsch,vielleichteinWenig verkneiptund verliebt,imGanzenabergesund wiederWald undlustigwie einjunger Edelhirschinseinem ersten Liebesherbste.Vor Ottilienwar seinHauptverdienst, daßerihr erster Verehrerwar,undschonausdiesem Grunde hielt sie ihn füreinenausgezeichneten jungenMann. —- Tanz giebt Muth.

Ottilie erwartete längsteinGeständniß.Siewar siebzehn,also berechtigteinGeständniß zu erwarten,undderheutige Tag, ihr Geburtstag,konntenicht ohne Entscheidungvor- übergehen.BeimKehraus,unter demKnallen derBonbons, erfaßte Richard seinen Augenblickundsagte ihr,vom Tanz athemlos,was sie schon wußte.Siewarfeinen Schelmenblicküber denFächerfort,unddann,alsgäbeeskeinebessereAntwort, flog sie mitihremVerlobten aus’sNeueüber denTanzboden.·..Siewar verlobt!Ihr Herz jubelte. daß sievor allenihren Freundinnen, sie,dieJüngste,denGeliebtenzuerstge- funden,undnahm sichvor,ihn rechtlieb zuhaben.NachdemTanzewolltesie Richard ihrenEltern zuführen,um ihrGlücknochanihremGeburtstagebekannt zumachen;

aberebengingVater Vöhmer so gebeugtundmiteinemso blassen, verstörtenGesichte durchdenSchwarmderTänzer, daß Richard erschrak.

,,Papawirddoch nichtkranksein!« riefOttilie undeilteaus ihnzu. Derblasse, schon ergrauteMann strich ihrmitzitternder HanddenScheitelunddie Wange, sagte abernur: »Mir fehlt nichts,mein Kind«,und entferntesichinstrasfererHaltung.

Hinter ihm schlossen sichneue ReigenderFröhlichen,und kaumfragteEiner beim AbschiedenachdemHausherrn.

Endlichwaren dieFesträume leer,dieGeschwisterzuBette,nur Ottilie halfder Mutter nocheineStunde langdaszerbrechlicheGeschirrzubergen.Dann zündetesie eineKerze,und nach kurzem Bedenken,obnicht nocheinGeständnißzumachenwäre, sagte siemitgeheimnißvollenLächelnguteNacht.MitdemflackerndenLichte stieg sieeine schmale Treppe nachdem Bodenraum hinauf,wosieeinStübchen für sich hatte. Jhr Herzwar vollvonjungem Liebesglück,undleisevorsichhin summte siedieverklungene Musik,dieihrenBrauttanz begleitet.

Daplötzlich was erblicktesiebei demnnstäten LichtscheinezwischendenDach- fparren? Schwarzundlanggestreckthingesnieder. Ueberdie Seele desMädchenszog eswie ein kalter Schatten,dasLicht entfiel ihr,undnur vom Schauderaus einer Ohnmacht aufgerüttelt,tappte siedie dunkleStiege zurück.

»Mutter!Mutterl« schriesie durchdasHaus, daßdieBewohnermitHerzklopfen erwachten...

Man fand sieblutend unten vordenStufen.

DieMutter, schon bestürztüber dasleereLager ihres-Gemahls, stand rathlos nebenihremKinde.

»Ich habeetwas gesehen«,ächztediejunge Braut,»etwasgesehen—«

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GineEngel -(IBI,2e. 445

Siedeutete nur mitstarremBlickdieTreppe hinauf.Hausgenossen, Gesinde, Allesdrängteempor,unddafandman wasalleGesichter entftellteundjedenMund Verschloß.Zwanzig Händewaren geschäftig,auch Aerzte kamen;aberman bemühtesich UmEinendernicht mehrzu retten war ...

Frühmorgens fanden sich etlicheBüttel undSchreiber ein, warfenbleierne Blicke aufdenEntseelten, drangenin dasArbeitszimmer, rasseltenundrascheltenmitGeldern undPapieren;danngingen sie achselzuckendund mit Mienen wieWeltenrichter.

VaterBöhmer hatte sich erhängt,unddasErbeseinerKinderwar der Kummer unddieSchande, sonst nichts.Kaumwar derTodte verscharrt, sokamendieguten Freundinnenundseufzten:

»UULIU«IcincheFrau,was werden Sienun beginnen?«

DieAntwort abergabderZwangdesSchicksals.

EinTheilder Kinder wurde mürrischenVerwandten übergeben, fürdiejüngsten solltedie Mutter mitungewohnterArbeiteintreten,derStudent mußte zusehen,wieer sichdurchdieSemester schlug,Ottilie endlich entschloßsichunter Fremde zugehen.Sie durfte nicht wählerischsein, sie mußte annehmenwassichbot.

Bruder Ernst hatte dasGlück,inseiner UniversitätsstadteineStellungfürfeine Schwester auszuspüren.

III V

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Eswar einFabrikantinWollenstoffen,der dasunglücklicheMädcheninsein Haus aufnahm.Erbesaßvor derStadt einPaargroße verfallende Häuservollelender Arbeiter nebst nothwendigem Schornstein,und inderStadt eingroßes Waarenlager.

Nundenn, HerrKarlWilhelm Wechselmann galt füreinesehr achtungswerthe Firma, hattevieleFreundeimGeschäftundbeiTischeundführteeingroßesHauswesen.Eine kränklicheFraumitachtKindernbedurfteeinesBeistandes,unddafür sollteOttilie eintreten. Eswar einEreigniß,dasdieHaussreunde,zuletztdasStädtchen, wochen- langbeschäftigte.Ein blutarmes Fräulein, dessenMutter ihre Familie durch unzweck- mäßigeWirthschaftzuGrunde gerichtet, dessenVatersichderStrafefürUntreue mit eigenerHand entzogen,einsolches Unglückskinddurfte dasbehaglicheLebendesHauses K. W.Wechselmannnicht verfinstern.Einefromme Kirchenräthinwar nach reiflicher Rücksprachemitihrem GemahlderAnsicht, daßman sichfern halten müssevon-Jenen, diesGottgezüchtigt,unddaßeshießedenHerrn versuchen,wenn man demUnglück Einlaßinsein Hausböte.DieserSatz, aufdemBodendesbesoldeten Christenthums eigenthümlichentwickelt,wurdedengottesfürchtigenJungfrauenderStadt zueinem Theile ihres Evangeliums.

SohattendennHerrWechselmannundFraugegeneineFlutvonVorurtheilenzu kämpfen,und ihre Unentschlossenheitwich erstvoreinerPhotographie,diesievondem Fräuleinerbaten. Eswar ein gar zu liebes Gesicht,unddaskamauchden Kindern zu statten,diesichanhübschePersonen leichteralsangarstige anschließen.Dieweibliche Weltaber sahderneuen ErscheinungmitstummenUnwillen entgegen,weilman von einemsoreizendenWesenherzkränkendeEinbuße befürchtete.

OttiliekamendlichmitihrenkleinenBündelnundKoffern,dieHerr Wechselmann nebst FraunndHausgesindemitstummer Geringschätzungbetrachteten.DieKinder warfensich sofort aufdashübscheFräuleinund durchstöbertenihren Anzug nach

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446 Year MonatshrktefürYirlgtkungtundFirjth

Schmucksachen,umsichdannenttäuscht,beinahe schmollend, zurückzuziehen.Aberdas besserte sich schoninkurzer Zeit;dennOttilie brachteden Willen mit zugefallenund sichnützlichzumachen. Jhrjunges Herz hatte Demuth gelernt,und dieSchelmerei ihres blauen Augeswar tiefermitErnstundEhrbarkeit gemischt,alsesbei einemjungen Mädchensonst gefällt.Siehatte so schwer gelitten, hatte sichdemlieblosen Urtheilder Weltso völlig untergeordnet, daß sieunerwartete ZeichendesWohlwollensmitRührung wieetwas Unverdientes hinnahm. Die Kindergewannen dasFräuleinbaldsehr lieb, unddamitwar auchderWegzu denHerzenderEltern gesunden.Dieleidende,etwas weinerlicheHausfrau fand sichdurchOttiliens EiferundPflichttreuevon empfindlicher Last befreitundschenkteihr, schonausBequemlichkeit,unbeschränktesVertrauen. Die Besucher,dieihr eignes Hauswesennur mit vielemPoltern beherrschten,erklärtensich mit demgeräuschlosenAuftretenOttiliens sehrzufrieden,undselbstdiefrommeKirchen- räthinAurelie Gottgetreu ließ sicheinesTages,alsdasunglücklicheMädchengarzu rührend aussah, soweithinreißen,daß sie ihre Hand liebkosteundunter Blicken, welche dieVertraulichkeitmitGott undsämmtlichenWürdenträgerndesHimmelreichsver- riethen, sich also vernehmen ließ:

,,WenderHerrliebhat,denzüchtigeter. AbererführetAllesherrlich hinaus, undesist unmöglich,daßersovielDemuth, EiferundTreue unvergolten lassen sollte.

Jch prophezeie Ihnen nochvielGlück,liebesFräulein,undwerdemich freuen,wenn diesemeineAhnung rechtbaldeintrifft.«

Sowandten sichDutzendevon Damen an dieschweigendeDulderin, diesiemit ihren gefühlvollenRedensarten zubegnadigenmeinten. SiekostetendieWollust,aus ihrem Allerweltsglückherauseinverwundetes Herzzubesprechenundkitzeltensichmit ihrem eignenMitleid. Aechtes Wohlgefallenaberwar in all’ihren Gemeinplätzennicht sovielenthalten,wie in dem einenUrtheildesHerrn Wechselmann: ,,SchwarzesHaar undblaueAugen sindeineSeltenheit!« EineAeußerung,die Mütter undTöchter empfindlich kränkte,weileineJededarin Gefahr für·ihre eigenen WünscheundAus- sichtenwitterte. Undwar esnureinunbedeutender bunterMusensohn,derseineAugen- gläservon einemdünnhaarigenFräulein ablenkte,um dasreicheGelock Ottiliens zu verehren, sowaren derAermstenStichelredenundbitterböseSeitenblickegewiß.

DerwohlhabendeFabrikmann hielt gastfreies Haus.DerEhrgeiz,vornehme Leute zuempfangen,bewegte ihn so lebhaftwieirgendeinenandren Handelsmann,under hieltzudiesem ZweckeeinengroßenKellervoll derbestenWeine. Auchfeine Frau hatte ungeachtet ihrer KränklichkeitdieLustan geschwundenen Jugendsreuden nichtganz eingebüßt. Dazu kam, daßdieältesteTochter heranwuchsUndbildenden Umgangbe- durfte. FragwürdigeToiletten erhieltman unerschöpflichausdemeigenen Waarenlager, undso gabesfürdasHausK. W.WechselmannkeineSchwierigkeit,dieKunst, Wissen- schaftund Amtswürde desStädtcheninseinenRäumen zuversammeln. Tanz- vergnügungenundTafeleien wechseltenmitDilettantenconcerten undlebendenBildern, undderZudrangderGesellschaftwar um so mächtiger,alsdieVerpflegung gutwar.

DiesesLebenbrachtederarmen Ottilie mühevolleTageundschlummerloseNächte.

JhreGesundheit mußte sichunter derAnstrengung erst kräftigen, ihre hausfräuliche Umsicht sichanhundert Sorgen ausbilden,bevordasGefühlderUeberbürdungvonihr wich.AndenVergnügungenundGenüssenverlangte siekeinenTheil. Ihren Liebreiz in Trauerkleidern verbergend,waltetesie geräuschlosihrerPflichtundvermiedsichunter

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EineEngel-nge 447

dieFröhlichenzumischen.Sieübertrug ihreinnere Anmuth aufdieUmgebungund brachte erstdasBehagenindie derbeFülle,worin dasKaufmannshaussichbisdahin Wohl gefühlt.Unterihren HändenschienderHaushalt aufzublühen,unddieGemüther derHerrschaft vermochten sichdiesembelebendenEinflufse nichtzuversagen.

Nebenihrer Pflicht hatteinOttilien nur nochderGedankeRaum,ihrerMutter zuhelfenund zurErziehung ihrer jünsten Geschwister beizusteuern. Jhr Lohnwar reichlich bemessen,Unddasie für sich felbstkaum nocheinenWunsch hatte, sowar der Beistand,densiedenAngehörigenleistete, nicht ohne Bedeutung. SelbstBruder Ernst benutztedieNähederSchwester,um die kleinenVerlegenheitendesakademischenLebens mitihrerHilfe auszugleichen.Sieabergab ohnevieles RechnenundBedenkenhin, was sie erwarb, biseinmalderMangelam Nothwendigen sie auchandiePflichten gegen sich felbsterinnerte. Deseigenen Vortheilskaumeingedenk, fast ohneeinIch, OhUeWunsch, Ohne Hoffnung, ersticktesie auchdie KeimederLiebe,die bereitsinihrer jungenSeele gehaftet,undwenn ihrdieErinnerungdaran einmalnahetrat,sogleich fielesvorihrwie einschwarzer Vorhang nieder,derden-freundlichen Jugendtraum von ihrem verfinstertenLebentrennte.

Eswar vorbeimitderersten Liebe, fürimmervorbei! Richard Hagedorn hatte sichin denverhängnißvollenTagen theilnehmendundhilfreich erwiesen,dannabersich verstummend zurückgezogen.AuchbeimAbschiedevonOttilien hatteerihre Herzensfache mitkeinemWorte berührt,unddashatte sie auchkaumerwartet. Wiesollte sie ihm zumuthen,fein Schicksalan eineFamiliezuknüpfen,diedurcheineentehrendeKata- strophevorderWeltgeächtetwar? Daskonnteseine Laufbahn, seine Stellungin der Gesellschaftgefährden;einsolches Opfer stand außer Frage. Still,arme Qttilic! Ver- lange nicht, daßesdirbesserzuTheil werde,alshundert Anderen,denendieersteLiebe verlorenwar!

Sofloßdenn dieböseZeitinstiller Pflichterfüllungdahin.DasTrauerjahr ging vorüber;aberesführtenur in einzweites Trauerjahr;dennkeinFunkederfrüheren LebensfreudewollteinOttilien erwachen.Sieweigertesichdie Trauerkleider abzulegen, derenAnblickderHausfrau unbehaglich wurde,undbeharrte dabei, daßdasschwarze Gewand für ihr unscheinbare-s Daseindaseinzig pafsendewäre. AeltlicheDamen mit Giftzähnenbehaupteten,dasFräuleinwüßte,wievortrefflich Schwarz ihr stünde; dochwar dasnur galligeKundgebungdereigenen Scheelsucht.Für dieWohlwollendenwar es einrührenderAnblick,dasschlankeKind,dasnur für SonnenscheinundBlumenkränze geschaffenschien,vonschwarzenSchleiernwievon Todesschattenbedeckt zusehen;denn unter dieser Hülle ründeten,veredeltensichinquellender Lebensfülle ihre Formen, und einrosiges Antlitz verlangte durchdenschwarzen Flor hindurch nacheinemneu auf- blühendenLebensfrühling.

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Unter den vielenGästendesWechselmann’schenHauses befand sich wenigstens einer,derGemüth und Menschenkenntnißgenugbesaß,um diearme Ottilie inihrem stillen Werthezuwürdigen.Eswar ein Mann, derselbstetwaserlebtunddaherein Herz hatte fürdasUnglück;ein Mann, derdurchStudium undErfahrung gewöhnt war,nicht flüchtigund gleichgiltigüber dieErscheinungen fortzublicken, sondern siein ihrem Wesen gründlichundliebevoll zuerfassen.

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448 Bette Monate-hellekiirYichtkunetundKritik

Professor Eckmühl,obschonkeinervon denHochherühmten,war einMann von ungewöhnlichenGaben. Seine Commilitonen, dieProfessoren nämlich, bezeichneten ihnalseinOriginal, wohlgar alseinRäthsel,weiler,wiegewöhnlichgeistersüllte Männer,von Schabloneund Schlendrian abwich Er stammteaus einer alten preußischenFamilie,diedemStaate Menschenalter hindurch tüchtigeOfsiziereund Beamte geliefert hatte,unddiemeistenvon ihnen haben ebenso für Originale gegolten, wiederProfessor.Seine Erziehungwar einestraffe, beinahe soldatischegewesen,wie esdiezahlreichen Beziehungenzur Armee mitsichbrachten,undseinbedeutendes Haus- vermögen hatte ihmalleseltenen BildungsmittelzurVerfügunggestellt. Große Reisen hatten seinenBlickerweitert, eingehende BeobachtungderGesellschaftvielerLänderihn über dieEngherzigkeit fortgehoben,inderseine Umgebung sich wohlundsicher fühlte, undsowaren dennstrengerOrdnungssinn, Geradheit, Unerschrockenheitundeinegewisse GroßartigkeitderAnschauungendieHauptseiten seines Charakters.SeinFachwar das Recht;daerindessen schonin denersten Jahren seiner BerufsthätigkeitheftigenWider- willen gegen denRichterstand faßte, so entschloßersich,imWidersprüchemitseinen Verwandten,die imProfessornur einenHochschulmeistersahen,zurakademischenLaus- bahn.ErspürtedieFähigkeitinsich,aufdiegebildete Jugendzuwirken, obschoner dieselbenvon seiner akademischenZeit her besser hättekennensollen,undnachdemer zwei Jahre langalsPrivatdocentinGöttingenmitgeringem Erfolgegewirkt, erhielter einenRufalsaußerordentlicherProfessorandie kleineUniversität,woernunmehrfest- gewurzeltwar.

Eswar sein Unglück.Erfandeinunsauberes, seuchtkaltes, rauchgesülltesStädt- chen zwischenkahlen, ausdringlichen Hügeln,eineBrutstättevonSeuchen,die den Ort kaumjemals verließen. Dazueinedurchalle Ständehindurchverkommene Bevölkerung, dieseit JahrhundertendenEinwirkungeneinesmehralsrohenStudentenlebens unter- lag. Die kleineStadt lebtefast ausschließlichvon denBedürfnissenund Lasternder Musensöhne,unddiese beherrschtenmitihren unsaubereuFahnendasLeben der kleinen Stadt bisnahezurOhnmachtderBehörden. Studentenwirthschastin derVerwaltung, Studentenwirthschaftin derRechtspflege,imHandel,imGewerbe,imHaushalt,in den Familien,wodieUnterhaltung oftimStudentenjargon geführtwurde. Unrath überall, UnzuverlässigkeitundPslichtwidrigkeit,verbunden miteinerKriechereivordenreichen Studenten, von welcher sich nichteinmal alleProfessoren ausschlossen. Solchen Zu- ständenvermochte sichnur derEinheimischeoder derStumpssinnigegeduldig hinzugeben;

für jeden Fremden, der das gewöhnlicheMaaßvon Ordnungssinnund sittlichem Bewußtsein mitbrachte,waren sie aufdie Dauer unerträglich. Auchkamfastkein be- deutender Lehrervon auswärts, dernichtdieersteGelegenheit ergriffen hätte,Lebe- wohlzusagen,unddieEingebürgertenwaren, mitwenigen werthvollen Ausnahmen, durch äußerlicheVerhältnisseoderdurchihre Unfähigkeitandie kleineUniversitätge- fesselt,derenFackel übrigens schondamalsimErlöschenwar.

Professor Eckmühllittheftig unterdemDrucke vonVerhältnissen,dieseinerun- würdigwaren. Seine ehrliche, tüchtigeNatur sträubte sichgegendieHalbheit,den Schein,dieUnfruchtbarkeitderKathedergelahrtheit, vorzugsweise auchgegen die UnzuchtdesakademischenLebens,durch welchedieJugend größtentheilszuGrunde gerichtetundihre KräftederZukunftdesVaterlandes entzogenwurden. Eswar sein ausrichtigesBestreben, hier nach Vermögenbessernd einzutreten,undnur diese Rücksicht

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GiveEngel-Ehe 449

bewogdenredlichen Mann, deneinmalübernommenen Platzbis zurGrenzederMög- lichkeitzubehaupten.Aberweder dieakademischeJugendnochdieGesammtheitder Lehrerwar geeignet,dieBestrebungendesProfessorszuunterstützen.DasLotterleben, das denBesuch derVorlesungen verhinderte,beraubte ihn seiner Zuhörer,undwasauf denBänkenausdauerte, war mitwenigen Ausnahmen so armselig, ideenflüchtigund brotgierig, daßersichsolcher Schüler schämte.

Diese akademischenVerhältnisse,dieErbitterungüber denStumpfsinnderCollegen, mitdemsiedieJugendverkommen ließen, diegesellige Unbrauchbarkeitsdermeisten Professoren, dazu anstrengende Studien,mit denen erseinen Mißmuthzubeschwichtigen suchte,wirkten nachtheilig aufdesProfessors Gemüth.Einsonnenloser,regenkalter Herbstvollendete daskrankhafte Unbehagen,und inder-Thatwar zudieserZeitdas Lebenin derwissenschaftlichenStadt so schwer erträglich,daß währendwenigerMonate sichneun Leute verschiedenerStände denTodgaben.Eckmühl befand sich durchzu- nehmendeAufregung aufdemWegederSelbstvernichtung Nacheinerlangen Zeitder SchlaflosigkeitundUeberreizung,stellte sichbeiihmeineErschlaffungderSeelenkräfte ein,diealsVorstufedesWahnsinns geltenkonnte. Ermußteseine Vorlesungenaus- setzenund sich füreinige Zeiteinem Asylanvertrauen, dasProfessor Hofmeier,ein gewaltiger Psychiater,in derselben Stadt eingerichtet hatte.Mitdem Eintritt derguten Jahreszeit, durchdenAufenthalt ineinem blühenden Garten,und besonders durch streng bewachteSeelendiät wurde dasUebelinwenigenMonaten beseitigt; indessen verhehlte Freund HofmeierdieBesorgniß nicht, daßdermelancholischeZustanddes ProfessorsbeiGelegenheitwieder eintreten, vielleichtineingefährlicheresStadium vorrückenmöchte.

NunlagderGedankenahe, sichdemabstumpfenden EinflussedergelehrtenStadt

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undihrer Gesellschaftzuentziehenundaufeineranderen Hochschuleinerfreulicher-er Wirksamkeit Ersrischungzusuchen.AberseinGemüthszustand,natürlichvon seinen NebenbuhlernundMitbewerbern alseinhöchstbedenklicherdargestellt,trat ihm jetzt hinderndentgegen, undermußte nach mehrfachen Versuchen aufeineBesserung seiner Lageverzichten.Soblieberdennjahrausjahreinin derkleinen verrotteten Universität, lasseine Pandekten, entschloßsichkaumeinmalzueiner Ferienreiseundunterschied sich zuletztnur inglücklichenStunden von derMasse seiner Collegen,diemitihren abge- griffenen Heftenundihrer näselndenKathederweisheitstetsbeihocherleuchtetemVerstande gebliebenwaren. SeineverstäubteWissenschaftführte ihmerfrischendeQuellen nichtmehr zu, undso erschöpftesichsein Geistbis zurUnempfindlichkeit.DerakademischeVerkehr wurdeihm widerwärtig,erbegann sogar seinAeußereszuvernachlässigenundgeriethan denWhisttischdesHerrnKarlWilhelm Wechselmann. Schließlichbliebdennauchdas Bedürfniß nichtaus, inErmangelungbelebenden VerkehrsmitMenschengeistern sich durchdenGeistdesWeines anzuregen. ...

Dieser Weg führte vielleichtzueinemAbgrunde, undder Geistdesbegabten Mannes,schon angewölkt,hätteinVerfinsterungendenkönnen,wäreernichtzurechter Zeit nochvon einemLichtstrahle durchdrungenworden. AlsOttilie zumerstenMal inseine Nähe kam,bemerkteersiekaum,so nnscheinbar schlichdieschwarzeGestalt durch dasZimmer,woerüber demKartentischedasGähnenunterdrückte. Siemachte ihm ihreVerbeugung, ohne daßernur aussah,unddasBluttratihrin dieWangen,weil sie so völlig unbeachtetblieb. Erst später,alssieingeräuschloserGeschäftigkeitab und

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bildet und in ,,Fernande« Alles glücklich löst, verwickelt in ,,Dora« ganz bedenklich die Sache. namentlich am Hochzeitsabend! Andre möchtebeinahe, als ihm seinejunge Frau in einem

ihnen entschlüpftist. Sie werden sich daher gewiß nicht wundern, daß ich so lange als möglich von dort fern bleibe und die Absicht habe, nicht vor dem Spätherbst

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veraltet. Es sind übertriebene Leidenschaften, verzerrte Gefühle. Der Anflug von ritterlicher Höflichkeit und Courtoisie erscheint ihm jetzt so lächerlich, wie er früher