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Neue Monatshefte für Dichtkunst und Kritik, 1876, Bd. 3, H. 3.

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Academic year: 2021

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» YiclgtkunstUndZKritIkz» -

Herausgegeben

Ograr Blumenthai.

111.28and. cLöeft3.

Leipzig.

Ernst Julius Günther.

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TITTT

Inhalt

MU-

FX Seite

säue-derBauphinöeNovelle VonLudwigHabicht.. . . . . . . 185

ImStier. LustspielvonBauernfeld. . . . . . . . . . . . 204

DerJlohdesKaiser-enHumoreskevonOtto Müller. . . . . . . 215

FeichtsinnigeLieder.VonAlfredFrydmann . . . . . . . . 221

BoolyrischeErgüsse.VonRichard Schmidt-Cabanis. . . . . . 223

Ueber dieVerlagenheitdee modernenLebens. EsfayvonEd.v.Hartmann. 225 RobertHamerlingaleRomancien VonS.Heller . . · . . . . 237

Heinrich HeineunddieenglischeKritik. Von L.Kats cher.. . . . . 243

PariserTheaterbrieseVonGottlieb Ritter. . . . . . . . . . 249

KritischeRundblicke . . . . . . . . . 263

Die««ditku11ftdesdeutschenTheaters. VonHans Herrig. Kntikritischm VonErnstWichertundO. S.Seemann. KleineBücherschaw Wie-retten....«...269

Die,,UeuenMonatohefte« erscheinenregelmäßigamEndejedesMonats imUmfangvon5—6Bogen Lex.eleg; geh.

DerZnhrgang bestehtaus 2Wändenenje6Yeftem preispro Band 6Mark; pro Quartal 3Mark;proHeft1 Marte.

AlleBuchhandlungenundPostanstaltennehmen Bestellungenan.

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gingderYuuphinek 185

AugderBauphinte

Novelle vonLudwigHabicht.

»Aberwarum singstDuniemals einesDeiner deutschenLieder, Clotilde,über die ichdamals ganzentzücktwar, alsich siezumerstenMalhörte, obwohl ichkein Wort davon verstand.«Mit dieser Fragewandte sichein junges,kaum siebzehnjähriges Mädchen,das ebenindenSalon getretenwar, mitderganzen Lebhaftigkeitund liebenswürdigenAnmuthderSüdsrauzösinlächelndandie etwasältereGefährtin,die amFlügel saßundträumerischnur leisedieFingerüber dieTasten- gleitenließ.Bei derunerwarteten Anrede blickte dieKlavierspielerin erschrockenaus.Ueberihr ernstes, fastschwermüthigesAntlitz zuckteeinheftiger Unwille, dennochsuchtesiesichzubeherrschen undsie entgegnetenur ineinemgedämpstenTone,demman freilichdie innereErregung anmerkte: ,,Hortense!WiekannstDu mirso wehe thun? WeißtDunicht,wieschmerz- lichesmirist,nur andieunselige Vergangenheiterinnertzuwerden,dieich ohnehin nicht vergessenkann.«

,,Verzeihe mir, theureClotilde!«und die Kleineeiltesogleichauf ihre Cousinezu, schloßsie stürmischinihreArmeundsah bittend, zerknirschtwie eineSchuldigezuihr aus.»Ich vergesseimmer, daßDugarnicht vergessen kannst!«

»Wie sollte ich auch?Binich nicht dadurch heimatlos geworden,und istnicht meinemarmen VaterdasHerzdarübergebrochen!«Diesonst so ruhigenblauenAugen desjungenMädchenssunkeltenundumihre blühendenLippen zuckteesseltsam.

»Nein, Clotilde,dasmußtDu nicht sageu«, eiferte sogleichHortense. »HastDu hier nichteineHeimat gefunden?und Papa meint,derOnkelkönntejetzt noch leben, wenn eksichmehr geschontunddannseine Krankheit besser beachtet hätte.«

Clotikde schütteltetraurigdasschöneHauptundinjenem überlegenenTone,den eine etwas älteregegenihre jüngereVerwandte gernannimmt, sagte sie: »Nein,nein Kind,dasweiß ich besser.Deinguter Papa,meinlieberOheim, bemühtsichfreilich, mirdieSacheim andernLichtezuzeigen,um michvon meiner Schwermuthzuheilen;

aberichwerdedieunglücklicheVergangenheit nichtlos,alleserinnert michdaran!«

, »DusolltestdieSache doch nicht so tragisch nehmen«,sagte Hortenseundrichtete sichinihrerbeweglichenArtschonwieder in dieHöhe. ,,Papameintauch, Frankreich bliebenoch immer durchseinen Geist, durch seinen ReichthumdasersteLandder Welt."«

Die dunklenAugender Kleinenblitzten; trotz ihrer JugendundSorglosigkeitkonntesie

dielslklrgnzösinnicht verleugnen,dieihrVaterland liebte undstolz daraufwar.

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186 Reue WonntghrktefürYirlgtliunstundKritik

»Ihr habtunter demunseligen Kriege nicht so furchtbar gelitten,wie wir imElsaß, unddasGlückgehabt,diedeutschenBarbaren niemalsin derNähekennenzu lernen.«

»Du gehstzuweit,Clotilde! AlleDeutschen sind gewiß nicht so schlimm«, entgegnete ihre Cousine lebhaft; »HättestDumeinenLebensretter gesehen,Duwürdest ihn gewiß nichtunter dieBarbaren zählen. Nein, gewiß nicht«-,setzteHortensemit großer Entschiedenheit hinzu. ,,Papawar auchganzentzücktvonihmundderist doch inBeurtheilung jungerMänner sehr schwierig.«Sielachteundzeigtedabeiihre kleinen, wohlgepflegten Zähne.Clotilde machteeineHandbewegung,alswollesie sagen: ,,sobald Jhr guten Menschen aufden Lebensretter zusprechenkommt, seid Jhrwieverblendet«, und um derUnterhaltung,diedann niemals erquicklichwurde,ein Endezumachen, vertiefte sie sichvonNeuem inihrSpielundjetzt WUßtesiedemInstrument dievollsten Akkordeabzulocken.Eswar die Ouvertüre zu Gounod’s,,Margarethe«unddiefür Musik schwärmendeunddafür auch sehr befähigteHortense hörte augenblicklichaufmerksamzu, dennbalddarauf sangClotildemitihrer klangvollenStimmedieherrlicheBallade vom Königvon Thule, ohnedaranzudenken, daßesdasLied einesdeutschenDichterswar, dasderComponistinMusik gesetzt.

Clotilde Erman war dieeinzige TochtereinesGutsbesitzersaus demElsaß.Bald nachdemFriedensschlusse hatte ihr Vater, umnichtunter deutscherHerrschaftlebenzu müssen,mitseiner TochterdieHeimat völlig aufgegebenundwar zuseineminder Dauphinåe ausässigenSchwagergezogen.

Michel Mercot, derOheim Clotildens, hattesich durch FleißundKlugheitzum reichsten FabrikantenGrenoble’s aufgeschwungen.Voreinigen Jahren hattederzum Millionär gewordeneMann dasnochimmer äußerst einträglicheFabrikgeschäftseinen beiden Söhnen überlassenund sichineinem jener herrlichen, romantischen Thäler angesiedelt,an denen dieDauphinåe fo reich ist, daß sie nochimmer eingroßer Anziehungspunkt fürMaler und Touristen bleibt. Es gibt wenige Provinzenin Frankreich,wodieGastfreundschaft noch so allgemeinundanmuthig ausgeübt wird,als in derDauphinåe; selbstdieFluthderReisenden,diesiealljährlichdurchströmen,haben darin nichtviel zu ändernvermocht. JndenThälernwieaufdenBergen,in denHütten wieindenSchlössernwirdderGastmitgleicherHerzlichkeitempfangenundeshätte nichteinmalderso nahen Verwandtschaft bedurft,umHerrnErman undseiner Tochter indemprächtigenSchlossedesehemaligen Fabrikbesitzersdieherzlichste Aufnahmezu sichern.Wurde doch durchdietheuren GästedasStillleben inSassenage angenehm unterbrochen.

Deraus seiner HeimatVertriebene hattesich wohl schwerlichdasUnglückseines Vaterlandes sozuHerzengenommen, alssichseine Tochter jetzteinbildete;wenigstens hatteer äußerlichvon diesem Schmerz nichtvielgezeigt.Erwar mitseinem Schwager eifrig aufdieJagdgegangen, hatte leidenschaftlichdemFischfang obgelegen, sichbei dieser Gelegenheit gründlicherkältetund, wieMichelMercot behauptete, seineKrankheit viel zuleichtgenommen. EinplötzlicherRückfall führtedasrascheEnde dessonst so rüstigen,lebenslustigenMannes herbei.

Seitdem war über Clotilde einenoch größere Schwermuth gebreitet,alssiezu ihrenVerwandten mitgebracht hatte;obwohl auchbeiihr zuweilendieJugend ihr Recht forderteundsiein demheitern, glücklichenKreise,dersie umgab,dieBleigewichte vergaß,dieauf ihrerSeele ruhten.HerrMercot besaßalljene Eigenschaften, durch

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InnderYnnyhjnår. 187

diesichdieechten SöhnederDauphineeauszeichnen.Erwar stets gutgelauntzsprach

gern und nicht ohne Geistundderfeine Spott,derallseinenLandsleuten eigenist, wurdebeiihm durcheineaußerordentlicheGutmüthigkeitgemildert. Hortensewar ganz dasEbenbildihres Vaters, leicht erregt, geistig beweglichundtrotz ihrerJugendschon

mit dem Talent begabt,über alles brillant zuplaudern,undnicht ohne Bewußtseindieses ihresTalentes.

DieGattin desHerrnMercot war, wiedies denFrauen allerStändeinder Dauphinee nachgerühmt wird, eine ausgezeichneteHausfrau; sie sorgtemit bewunderungswürdigemGeschickfürdieAnnehmlichkeitendesalltäglichenLebens,was sie durchaus nicht abhielt,in den Stunden gemeinschaftlichenZusammenseinsdurcheine fast jugendlicheHeiterkeit,diesiein ihr jetzigesAlter hinübergerettet,dieohnehin fröhlicheGesellschaftnoch mehrzubeleben. Die kleine,etwas zurWohlbeleibtheit UeigeUde Frau,mochte den ganzen Tagin Hausund Kücheherumgewirthschaftet, manchen Aerger gehabt haben, sie brachte dochzuTischedasfreundlichste LächelnUnd dieangenehmsteLaune mit.

Unterdiesen glücklichen,liebenswürdigen Menschenwären auchselbstderschwer- gedrücktestenBrusteinwenigdieFlügel gelüstetworden und dann der behagliche Aufenthaltin einerGegend,über die mitverschwenderischerHand soviellandschaftliche Schönheiten ausgestreut! WennClotilde immer wiederinihrealteSchwermuth zurück- fiel, so lagesanihrem ernsten Charakter,dernichts leichtzunehmen vermochte.Sie war mitganzer SeeleFranzösinundhattedasUnglück,dasihrVaterland getroffen, wohl noch schwererempfunden,alsihrVater. Dazukamnoch, daßder Bruder desselben für Deutschland optirt hatteundruhigimElsaß gebliebenwar. Ja, einSohndes Oheimsdientebereitsbeim Militair undschriebbeständigdieselbstzufriedenstenBriefe

an seine Cousine, obwohlervon ihrkeine Antwort erhielt.GeradedieserVetterwar ihrvon Kindheitan ein liebertreuer SpielgefährteundKamerad gewesen; sie hatte seinentüchtigenCharakter stets geschätzt,undjetzt beugteersichso leichtunter dasharte Jochund wieClotilde meinte,nur desschnödenVortheils halber. Dem feurigen Herzendesjungen Mädchens thateswehe,wenn siean dieAbtrünnigkeit ihrer Verwandten dachte. Hatte dochderOheim vorherinwilderLeidenschaft tausendmal erklärt, daßernimmermehr preußischwerden wolle,unddann war erdoch geblieben.

Ganzinihr Spielundihren Gesang vertieft, hatte sie nicht gehört, daßderOheim leisein den Salon getretenwar. ErbliebanderThür stehenundmachteseiner Tochter einZeichen, daß sie seine Anwesenheit nicht verrathen solleundlauschtenun ebenso andächtigdemGesange seiner Nichte,wieHortense. HerrMercot war einschlanker, mittelgroßerMann, das volle,blühende Gesicht zeigte ebensovielGntmüthigkeit wieIntelligenzunddiedunklen, leicht anfflammenden Augen verrietheneinenbe- weglichen Geist.

AlsClotildebeendigt, klatschteersogleichin dieHände,die zuseinemLeidwesen nicht aristokratisch geformtwaren, sondern durch ihreBreite unddiekurzendicken Fingerdaran erinnerten, daß HerrMercot aus einerFamiliestammte,inderein schweresundmühseligesTagewerk fast Jahrhunderte lang erblich gewesen.Soweit- nur dieFainilienerinnerungen hinaufreichten, hattenalle Mercot’sdasehrsameSchmiede- lJandwerk getriebenunderstdemVatervon Hortensewar esgelungen, sichvom armen Handwerkerzn einemderreichsten Fabrikanten aufzuschwingen.

139k

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-188 BirneMonatsheftefürYitlztlumstundKritik

»Ah,vortrefflich,Clotilde!«begannderOheimmitseiner gewohnten Lebhaftigkeit.

,,,Undtrank keinenTropfen mehrt·Daskonntedem altenKönig freilich nicht schwer fallen,daerschonimSterben lag«,undderOheim stimmte sein helles glückliches Lachenan, bei demman stets vergaß, daßerbereits sechzigJahr erreicht hatte.»Und nicht wahr, Kinder, diese Musik ist kostbar«,fuhrer,ohneeine Antwort abzuwarten, fort. »Wir haben unstreitiganGounodunserenhervorragendstenComponisten, aufden wirstolz seinkönnen.«

»WeißtDunoch, Papa,wie derdeutscheMusiker,denwirimvorigen Jahrein derSchweiz trafen, fortwährend behauptete, daß ihr großer Meister Wagneralle Componistender WeltüberrageundunserGounod auchnur bei denDeutschenin die Schulegegangen sei.Was sagstDuzusolcherKühnheit?«wandtesie sich lächelndzu ihrer Cousineundnoch eh’ dieseetwas darauferwidern konnte, rief HerrMercot: »Ah, dahätteichbaldvergessen,EucheinewichtigeNeuigkeitmitzutheilen. HerrvonGuerinber wirdendlichsein gegebenes Versprecheneinlösenundunsbesuchen. Jch habe soebeneinen Briefvonihm erhalten.«

»Das ist prächtig!Wiefreuei mich,meinen Lebensretter wiederzusehen!«

Hortense schlugwie ein KindvorVerxügendieHändezusammen.

Clotildedagegenwar AnfangsbeidieserNachrichtsprachlosvorBestürzung. Wohl hattederOheimdavon geplaudert, daßerdendeutschenHerrn,derbeiihrer Alpen- wanderung durch sein rasche-sundkühnes Dazwischentreten Hortensevor einemSturz in denAbgrund gerettet,zueinemBesuche mehrmals eingeladen habe,aberdieNichte hatteniemalsgeglaubt, daß dieser Menscheinesolche Einladung annehmenwerde. O, wiehaßte sie ihn schon jetzt,von demderOheim sowohl,wieHortense,mitsolcher Begeisterung sprachen! »

,,Sobald dieser Deutsche kommt, geh’ ich fort«, sagte siemitgepreßter Stimme;

aberdochmiteinerEntschiedenheit,dieeskeinenAugenblick zweifelhaft ließ, daßesihr mitihrem Entschlufsebitterer Ernst sei.

»Das wirstDudochnicht thun?«riefenVaterundTochtererschrocken,fast gemein- schaftlichund derErstere setztemitgroßerBeredsamkeithinzu: »Sei vernünftig,Clotilde!

WirsindwirklichdemHerrnvonGuerinber zugroßemDankverpflichtet,undalsdas Pferd Hortensens scheuteundsieimnächstenAugenblickin denAbgrund stürzen konnte, dahatderwackereMann auchnicht nach unsererNationalität erst gefragt, sondernmit Gefahr seines eigenenLebensdasmeinerTochter gerettet.Wiehätte icheinRechtdazu, michjetztvonderPflichtderDankbarkeit zuentbinden,weilesgeradeeinDeutscherwar, deruns diesen unvergeßlichenDienst geleistet hat? Herrvon Guerinber sprach schon damals davon, daßereineReiseindassüdlicheFrankreich unternehmen wolle,aber noch fürchte,einemzugroßenVorurtheilzubegegnen. Ichredeteesihmausundbürgte fürdengesundenSinn meinerLandsleute,die demfriedlichen ReisendenkeinenNational- haß nachtragen; ichbinglücklich,daß ich ihmmeinHausalsfreundliches Asylbieten kannundDuwirstmirnichtdenKummer bereiten unddurchDeinen Deutschenhaß Allesverderben.«

»Dasbeabsichtigeich durchaus nicht; ichwillihmnur dasFeldräumen,dennich kann mitdiesem MenschenunmöglichuntereinemDache wohnen.«

»HastDuihndennschon gesehen,daßDueinesolcheAbneigunggegenihn hast?«

fragtederOheimverwundert.

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glitt-drrVuuplzineh 189

Clotilde schütteltedenKopf: »Es genügt mir, daßereinDeutscherist!

,,NärrischesKindl« riefderOheim lachend: ,,Lerne ihn erst persönlichkennen, dannistmirgarnicht bange, daßDeinVorurtheil schwindenwird.«

,,Nie!« entgegnete siemitgroßerEntschiedenheit.Ich willihngarnicht erstkennen lernen,nur fort, fort!«SiespranginungewöhnlichleidenschaftlicherErregung auf, alsseidergefürchteteDeutsche schonvorderThürundsie müsse ihm aufderStelle entfliehen.

»Duwillst alsozu Onkel Erman nachdemElsaß zurück?«fragte HerrMercot und

einüberlegenesLächeln spielteumseine Lippen. .

DieFragedesOheims brachteClotildezurBesinnung,denneserinnerte sie,wie esihrindiesem Augenblicke schien, freilichmitgrausamer Schärfe daran, daßsie hier dieeinzigeZufluchtsftättehatte,diesie nicht aufgeben konnte,undvondem bittern Gefühl ihrer Verlassenheit überwältigt, brach sieinThränenaus.

Hortensekonntegarnicht diese schmerzlicheErregung ihrer Cousine begreifen;aber HerrMercot ahnte sogleichdieQuelle ihrer Thränenunder sagt-e beschwichtigend:

»Liebe Clotilde, ich habe sonstimmer Deinen klaren Verstand,dasruhige Gleichmaß Deines Temperamentes bewundert; aberjetzt kenne ich Dich nicht wieder,«undmit der ganzenBeredsamkeit,dieihm eigenwar,suchteernocheinmal dasVorurtheilauszurotten, in demseine Nichte befangenwar.

WennderOheimsein bewundernswürdigesRednertalent entfaltete,dann war ihm nicht leichtzuwiderstehen; auchClotilde mußtedie vielenGründe,dieeranführte,ein- sehenundsichselber sagen, daß sie nicht thörichtdieneue Heimat aufdasSpiel setzen durfte,dieihr hier gewordenwar. HerrundFrauMercot behandelten siemit dergleichen Zärtlichkeitwieihre Tochterundsielebte inso angenehmen, behaglichenVerhältnissen, wieselbstdasVaterhaus sie ihrnichtzu bietenvermocht hatte.

ClotildesahkeinenAuswegundnacheinigem Schwanken sagte sienur: »Dann gestattemirwenigstens, daß ich mich währendderBesuchszeitdesFremdensoviel wie möglichzurückziehendarf.«

,,Gern,wennDuallesAuffällige vermeidestund nievergißt,daßHerrvonGuerinber unser lieber,uns hochwillkommener Gast is ,« war die Antwort desOheimsund damitderFriedevorläufig hergestellt.

Nach einigen Tagen traf wirklich Herrvon GrünberginSaffenageeinund die Herzlichkeitund Wärme, mit derervon seinen liebenswürdigenWirthen empfangen wurde,bewiesambesten, daß ihre Einladung sehr ernst gemeint seiundsie nochimmer dieinnigsteDankbarkeit fürdenihnengeleistetenwichtigen Dienst empfanden.

HerrMercot sowohl,wieseine Gattin,erschöpftensichinAufmerksamkeiten,um ihrem theuren Gastedas Lebenso angenehmwiemöglichzumachenund die kleineHortense zeigte ihremLebensretter diezutraulicheFreundlichkeiteinerSchwester.

Nur Clotilde hattegegendenverhaßtenDeutschenkaumdienöthige Höflich- keitaufzubringen vermocht; sie verbarg freilich ihre tiefe Abneigung hintervor- nehmerKälteundzogsich stetsunter irgendeinemschicklichenVorwande sovielwie möglichzurück.

Herrvon Grünbergschien,zurgroßenHerzenserleichterungdesHerrn Mercot,die kühleZurückhaltungderjungenDamenichtzubemerken;erfühlte sichschonnach wenigen Tagenbeiseinen liebenswürdigenWirthen völlig heimisch.MitHerrnMercot ritter

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190 Biene ManntglgektefürÆiclgtkungtundRritik

aus, odergingmitihm aufdenFischfang; fürdieausgezeichneteKüchevonFrauMercot hatteer die aufrichtigsteBewunderung und damit allein schonwürde er sichdie ZuneigungdergutmüthigenFrauerworben haben,undHortense begleiteteeraufdem Flügel, lachteundscherztemitderKleinen und Allezusammen machtenkleineAusflüge in dieUmgegend,vondenensie stetsinglücklichsterStimmungundbesterLaune zurück- kehrten.Clotilde erfanddannimmerirgendeinenVorwand,umsichbeisolchenGelegen- heiten zurückzuziehen.

DieSöhneausGrenoble fanden sich ebenfalls aufeinenTag ein,umdenwerthen Gast ihresVaters zubegrüßen, zuweilenwurdenauchguteFreundeausderNachbar- schaft eingeladenundAllemußtenbekennen,daßderjunge Deutscheganzangenehmwar.

Erhattegarnichtsvonjener Schwerfälligkeit,jenem Eigensinn,den dieFranzosen stets beiihren Nachbarn jenseitsdesRheins voraussetzen. HerrvonGrünbergwar so heiter, so lebenslustig,wiediese glücklichenSüdfranzosen selbst;erkonnte in dasLachen seines Wirthes so hellundfrischeinstimmen, daß dieses Lachduett stetsalle Andern ebenfalls zustürmischerHeiterkeit unwiderstehlichmitsortriß.

AuchdiePersönlichkeitdesGastes stimmtenichtmit derVorstellung,diesichFranzosen gewöhnlichvonDeutschen gebildet haben.Erhatteweder dasblonde lange Haarund die breiten Schultern,nochdasPflegmaundall’jene Eigenschaften,dieihnen für germanisches Wesen geläufig sind. Herrvon Grünbergwar einschlanker,wenn auch kräftig gebauter Mann, diegebräunteGesichtsfarbe,daskastanienbraune Haarunddie dunkelblitzenden Augen gaben seiner ErscheinungweitehereinsüdlichesGepräge,und dazukamdieRaschheitund Lebhaftigkeitinallseinen Bewegungen,dieFrischeund Heiterkeit seines Geistes.Wenn ihm nicht seine Aussprache nochimmer alsAusländer verrathen hätte,würdenihnAllefüreinenLandsmann genommen haben.

Deshalbgewannder Fremdeauch Alle,mitdenen erinBerührungkam, wie ein Sturm. Dieohnehin leicht erregbaren Südfranzosenwaren vondemliebenswürdigen Fremden bezaubertundselbstdiewüthendstenDeutschenhasser vergaßendemharmlosen, hübschenjungenManne gegenüberihrenationalen Vorurtheile. HerrMercot behandelte denliebenGastwieseinen Sohnundließ nicht undeutlichhindurchblicken,daßerselbst dann nichtdengrausamenVater spielen würde,wenn sichHerrvonGrünbergeinmal um dieHand seiner Tochterbeiihmbewerbenwolle.

ObHortense schon jetztetwas für ihrenLebensretter empfand? Jhrjunges Herz nahm sich noch nichtdieZeit,überihre Gefühleklar zuwerden; sie überließsich ohne RückhaltderAnnehmlichkeit,diein demtäglichentraulichen Verkehrmit demjungen Manne lag,der sie sohübschzuunterhalten wußteunddabeiweiterkeineAnsprüche machte. Jn seiner Gegenwart brauchte sie nicht geistreicherzusein,alssie wirklichwar, sich nichtdieMühezugeben,überDingezusprechen,diesie doch nicht verstand. Der Gastwar ihr sehr bequemundsiekonntestetsmitihmwie mit einemguten Freunde harmlos plaudern.

"

WährendAllesichvon derliebenswürdigenHeiterkeitdesjungenDeutschenan- gezogenfühlten,beharrteClotildealleininihrer Zurückhaltung.DerGastbliebdabei,die auffälligeKältederjungenDamenichtweiter zubeachten;erfragtemit keinem Wortnachihr, wenn sie sichanden kleinenAusflügen nicht betheiligteunderzeigte nichtdasmindeste Befremden, daß sieaneinemso hartnäckigenKopfschmerzlittundsichnach jeder Mahl- zeit regelmäßigzurückziehenmußte.

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gingderÆnuphinår. 191

Trotzdemwar demgutmüthigenHerrnMercot diese HartnäckigkeitseinerNichte

peinlich,er konnteesnicht unterlassen, ihr zuweilenunter vierAugen hieruberVor- würfezumachenundzugleicher ZeitdieFeinheit seines Gasteshervorzuheben»dersich

denAnschein gäbe,alsbemerke erihreUnart nichtundniemalsdiesauffälligeVer- schwindenbelächle,oderverspotte,wozuerdochallenGrund habe.

»WennesdendeutschenHerrn nichtweiterunangenehm berührt,dannbrauchtes Dirauch nicht peinlichzuseinund Dukannstmir meinefriedlicheEinsamkeit auch ferner- gönnetl«, sagteClotilde zwarmitgrößter Ruhe;aber sie hättekeinjunges, schönes Mädchensein müssen,wenn ihr diese GleichgültigkeitdesGastes nicht zugleichempfindlich geweerwäre. Jhre Schönheit, ihr Geist hatte nochüberallBewunderung erregtund besonders dieselebhaften Südfranzosenbrachten ihrvonallen Seitendieschwärmerischesten Huldigungendar. Wenn sie einmal,aus irgendeinerLaune,ihnen ihre Gesellschaft entzog-dannhinterbrachte ihr Hortense stets,wiesehrundschmerzlichman siein der Gesellschaftvermißt habe,unddieser deutscheBarbar fand ihre geflissentlicheundkühle Zurückhaltungnichteinmal auffällig! Oft durchzucktesiederGedanke,denverhaßten Menschendoch auszurütteln, ihn durchalleKünstederCoquetterieansichzufesseln,um ihn dann,wenn eransie sein Herzverloren,verächtlichvon sichzustoßen. Wardas nichtdieköstlichsteRache,diesieandem Feindenehmenkonnte?! ...

Eines Tages, alsnacheinem trefflichen Mahle,indessen ZubereitungsichFrau Mercot beständigzuübertreffen schienundbei dem derherrlicheWeinvon L’Ermitage im Cötesamt-Andre dieheitere Stimmungderkleinen Gesellschaftnoch erhöhthatte undHerrMercot bereits zuplanen begann, wohin sichheutderAusslug richten sollte, fragte Herrvon Grünberg nachder GrottederMelusine. »Sovielich weiß, ist siein Ihrer schönen,anWundern reichen Dauphineeundin derNäheGrenobles.«

»Nochnäher«,rief Hortense lächelnd. »Wir haben siejaganzin derNachbarschaft vonunsermSassenage.«

»Und dahin habenSiemichnochnicht geführt?« entgegnete Grünbergmitscherzen- demVorwurf.

,,Jndie GrotteeinerZauberin?! Durstenwirdieswagen?«antwortete Hortenfe, aufdenscherzendenTon eingehend,aberHerrMercot setzte sogleichhinzu,umseine moderneAufklärungzuzeigen: »NichtsalsSageundSchwindel.Jch habeAllenver- boten, Jhnen erstdavonzuplaudern;inunserm Jahrhundert dürfenwirunsdochnicht mehr dadurch lächerlichmachen, daßwirsolchenDingen noch irgendeinenWerthbei- legen.Und dann, Grotte derMelusine!—- DerName istdasBeste daran, ich versichere Sie, dieGeschichte istganzunbedeutend undlohnt nichtdenbeschwerlichen Weg dahin.DieGrottede la Balme istweitgroßartiger,diemüssenwir einmalauf- suchen;aberheut schlageichdasKloster Chartreusevor,das wirschonlängstbesuchen wollten und dasjaeineWeltberühmtheitist,diesie sehenmüssen.«

»Ichmerkeesaberunserm theuernGastean, daßerheutdieZaubergrottevor- ziehen wird«, sagte Frau Mercot,derenkluge scharfeAugenindemAntlitz Grünbergs wirklich richtig gelesenhatten.

»Dann brechenwirdahin auf«, rief ihrGatte sogleich,deraugenblicklichmitge-.

wohnter Liebenswürdigkeitseine eigenen WünschedenendesGastesunterordnete.

HerrvonGrünberg wußterecht gut, daß sein Wirthviel zuhöflichundaufmerksam war,um nur einenVerzicht seinerseits anzunehmen;erbekannte deshalb offen, daß

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