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Neue Monatshefte für Dichtkunst und Kritik, 1876, Bd. 3, H. 2.

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NeueMonatsyeste

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szYirlgtknnstUndZäritik

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Herausgegeben

Oscar MumenthaL

111.Rand. Heft2.

Leipzig- rnot Iutiuo Günther.

IIII-'

(2)

: Februar 1876.

Inhalt

Seite Die KinderderVornehmen NovellevonFerdinand Kürnberger. . . 97 Der Elephani.EineindischeFabel.VonHans Herrig . . . . . 123 KarlGutzkomEinliterarischerDialogvonJohannes Scherr. . . . 125 DerartiflischeDirektor. Stoffzu einerwahren BegebenheitvonCe rb erns. 138 Gedichte ...143

Eürger’gCharakterinseinemLieber-leben.VonJulius Duboc. . . . 145 PariserTheaterdriefeVonGottlieb Ritter. . . . . . . . . . 161 tKur Scheffel-Feier-VonAlfredKlar. · . . . . . . . . . . 172 KritischeRundblicke . . . . . . . . . . . . . . . . . 175

Er.v.Schan Pisanen meinegüchekschan Mist-ellen.

Die Werten Monats-hefte«erscheinenregelmäßigamEnde jedesMonats im Umfangvon5—6BogenLex.eleg.geh.

DerZnhrgnngbestehtnur 2Windenenje6Zeiten«

preispro Band 6Mark; proQuartal 3Mark; proHeft1 Marte.

Alle BuchhandlungenundPostanstaltennehinen Bestellungenan.

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BisFinderderVornehmen. 97

Die KinderderVornehmen

Novelle vonFerdinand Kürnberger.

,,Kausenwir beimgoldenen Engel ein,« sagtenimletztenDrittel desvorigen Jahr- hundertsdieeleganten HerrenvonLondon, wenn sie ihreluxuriösen Putzwaarenan- schafften.Siemeinten aber damitkeinAushängeschild,sonderneineVerkäuserin.An einerEckevonPallMall befandsichdieMode-undWeißwaarenhandlungvon Herrn und Frau Rennie und unter den Ladenjungfern derselben servirteMißOlivia Element, dieschönsteEngländerin ihrer Zeit. Daswar dergoldene Engel.

MißOliviahattedasseinsteKöpfchen,denweißestenTeint undeinGesichtvoll jungfräulicherUnschuldbeieinemhinreißendenZugvonschwärmerischerZärtlichkeit.

UmihreformenschöneMädchenbüstefieleinschwereswallendes Haargelockvon jener dunkelfeurigen»undbroneeartigen Goldsarbe, welche schonvorzweitausend Jahrendie LeidenschaftderschwarzenRömerinnen war undwelches sie für ihre künstlichenTouren umdiefabelhaftestenPreisevonDeutschenundBriten erhandelten.Wenneskaum einer Uebertreibung bedurfte,diesanfte schöneOliviaeinenEngelzu nennen, sowar esvor allemdiesesbewunderte Goldhaar,umdessenwillensiedergoldene Engel hieß.

Olivia war dieTochtereines fahrenden Genies,welcherinseinemLebenAlles gewesen: Apothekerlehrling, Gärtner, Kammerdiener,Perückenmacher,Komödiant, Gesangenwärter,Ehaisenträger,Vogelhändler, kurz,einBachkiesel, welcher durchden wogenden Londonerstrom rollte,—- jede Umkugelungeinanderes Metier! Jndiesem Augenblickez. B.ernährteerseine FamilievomAnschlagenderTheaterzettelundeinem kleinen Muschelhandel.Diegute FrauRennie erschlug zwei FliegenmiteinerKlappe, alssiedie kleineOlivia zusich nahm.Siethateinevor Gott und derNachbarschaft geprieseneWohlthat, daß siedemarmen Adam, auch Meister Ehamäleongenannt, seine drückendeKinderlast erleichterteunddasMädchenbeherbergte;dabei aberhatte sie für sichselbstambesten gesorgt,denndaswunderschöneKindbrachte ihrbaldReichthümer

anzulaufenderHerrenkundschclftein«Vielleicht hattedie»gute«FMURenniedieseVe- kechmmg ihrer»Woh1that«zu Grunde gelegt. Dafür muß ihraberauch nachgerühmt werden, daß siemithöchsterEhrbarkeitdasgroßeKapital ihresLadens verwaltete. Sie bewachteihren goldenen EngelmitMutteraugen undwenn einjungerGentleman etwa allzu andächtiginseinerEngelvekehrUUgwurde-so Verschmekztesielieber diebesteKund- schaft,alsdaß siedemVersuchernicht unbarmherzigdieThüre gewiesen hätte.

SoebenwarE duardWalpole ausdemLadengegangen, derSohndesberühmten

111.2. 7

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98 Xeni-MmmtshektefürDichtkimrstundRrithn

Robert Walpole,desallmächtigenMinisters,man darf sagen, RegentenvonEngland.

Gleichsagte FrauRennie zuihrem goldenen Engel: ,,Dieser Herrkommt mireinwenig zuoft. Ich glaube,erkauftjede seiner Manschetten einzeln.NimmDichinAcht,mein Kind, dieserGentleman scheintmirdergefährlichsteneiner. Dieandern gaffennur so blindlingsinDich hinein;diesindminder zufürchten,sie verrathen sichwieKüchen- geruch.Mein feinerSir Eduard aber,derschlaue Diplomat, unterhältdenganzen Laden,sprichtmitAllenzugleich, erzähltuns seine italienischenReisegeschichtenund denkt,dabeiläßtersichlieberselbst angaffenalsdaßerangafft.Wiehabendie Mam- sells Aug’undOhranihn gehängt!WasDich angeht,Duwarst rechtsittsam;ichhabe esmitVergnügenbemerkt. Seiimmerso,meineLiebe. DieWeltistarg undderTeufel reitetaufallenPferden. IchwillDirnichtsin denKopf setzen,aberVorsichtkannnicht schaden.Undbisich diesenSir Eduard ausstudirt habe, macheesimmer wieheute.

GibAcht auf Dichundbezeuge ihmkeineAufmerksamkeit.VersprichstDumir das?«

»Vonganzem Herzen, Mama,« sagtedasbescheideneMädchennndküßtedie mütterlicheHandderFrauRennie. Im nächstenAugenblickeaberließsiesichinsMagazin schicken,setztesichaufeineFakturirländischerLeinwand undlasmitMußedasBrief- chen,dasihrSirEduardzugesteckthatte.Es lautete:

,,Theuerstes Mädchen!Ichumarme undküsseDichundbinnärrischvor Liebe.

Wie könnteichanders? Ichschreibediese ZeilenvorDeinem Portrait. Gottsegneden alten ehrlichen Reynold, dessen MalerstubedasAshl unsrerLiebegewesen! Dafürwill ihn reich machen,wenn icheseinst selber bin,—- ihnundseineKindeskinder!

LaßDirsagen,meinHerzchem Ich habe soebenwieder einenSturm aufdasHerz meinesVaters gemachtunddergroßeRobertWalpole schütteltewie immerseine olympische Staatsperücke.sangpur, sagter, wieNeptun seinQUOS680gesagt hat,was Duzu Deinem Glückenicht verstehst,meinsüßes Schnäbelchen!DermächtigsteMann inEng- landundseine SchwiegertochtereinLadenmädchen—- nimmermehr!Guter Gott, welches Weibuntersteht sichdenn noch, Thronstufen hinanzusteigen,wenn einMädchenwie Du niedrig heißt?! Werwaren denndieKöniginnendiesesEilands,werwaren denn die Stamm- mütterdiesesstolzenAdels? Göttinnen ?WehdemAdel,dem die Edlennichtebenbürtigsind!

Abergenug. SirRobert willnichtund SirEduardwill ganzaußerordentlich.Hier trennen sich-alsodieWegedergroßenWalpole’s.Sir Robert fährtin denSt.James- palastundSirEduard fährt-— nachGretna-Green!

EingroßesWort,meinesüßeKleine, nicht wahr? In diesemWorte bistDuBraut, bist Du Frau, bistDu Stammmutter dergroßenWalpole’s,welcheKönigen ihre Gesetze diktiren. WirstDunichtzu kleinsein fürdiegroße Aufgabe?DasLadenmädchenist esvielleicht,aberdieLiebe desLadenmädchens?MögederOeeanaustrocknen,wenn sie nichteineRiesin ist!

DieStraße nach Gretna-Green,meinTäubchen-,wandelstDunicht zuerst.Esist einWeg,welchenderkleineblinde Amor diegroßenLöwen unsererWappenschilder schonoft geführthat. Mehrere Herzogstöchter,vieleGräfinnenundunzähligeLadies haben diesem Wege ihre Fußtapfeneingedrücktundes waren nichtimmerEngelsfüßchen wie Deine.Dasbedenk undsei muthig. Wie, istesnicht rühmlichereinLadenmädchen gehtmit einemWalpole durch,alseineHerzogstochtermit einem Ladendiener?

Icherwarte DichAbendsSchlagfünß Stelldichein:Maler Reynold,wie immer.

Nimmmit,was DirvonAndenkenundKleinigkeitenDeinerMädchenzeitliebist,denn

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DieMutterderVornehmen 99

gleichvonGretna-Green weggehts nach Deutschland.DeinenEltern undGeschwistern magstDueinfchriftlichesLebewohl"sagen,amliebsten außerdenGrenzen Englands.

Fragenicht,wovon wirleben. Jch habezu Geldgemacht,was ichkVUJIte-Und

den Creditbenutzt,deneinSohn Walpole’s hatunddenich bishernicht-mißbraucht

habe.Es wirdreichen füruns undwohl auch füreine kleineLadyundeinen jungen Gentleman. Deutschland istwohlfeil, ja seine schönstenGegenden sind just seine wohl- feilsten.UndItalien? Wie vieleFreunde habeich nochdort! Kind, Weibchen,Mütter- cheU,inwelchen Paradiesenwerdenwir leben! Anf, nachGretna-Green!

.

UndnunhinwegDeinekleinefixe Jdee, süßesNärrchen!Sage nicht,DUWillsttht feindlichzwischendieWalpole’streten. Ueberlaßdasmir,kleineStaatskünstlerin.

MeinEhrenwort,Sir Robertgibt nach,wenn ererst sieht,dasSirEduard ein Mann ist!WirEngländer vertragen einwenig Trotz, jawirlieben ihn.Esist nicht dek, schlechtesteZug unsers Nationalcharakters, daßwirdenMann anseiner Widerstands- krafterkennen. Undzuletzt,meinPüppchen, Robert Walpole ist docheingroßer Mann! Magerseine Schwächen, seine Standesvorurtheile haben;wer hat sie nicht?

Wäre ichmeinSohn, vielleicht gäbe ich selbst nichts aufmeine Worte, abermeine Thatenwürdenmirimponireu! Handelnwiralso,meineErwählte!

Jch schließe,dennmeineVorbereitungen drängen mich noch. Deß ungeachtetüber- bringe ichDirdiesesBlatt noch persönlich.Keinerfremden Handmagichsanvertrauen.

Keinböser Zufall spieleuns Streiche. Zufall? Ach,wenn esnur derWille nicht thut! WirstDuauchkommen? O könnteichdenFlammenstrommeinesMuthesin Deine schüchterneMädchenseelegießen!Seistandhaft, Mädchen,sei standhaft!MeinGlück, liegtin Deiner Hand,meinHimmelundmeineHölle.Wasliebteich noch,wasglaubte ich noch,wäre nichtLiebe undGlaube beimeiner einzigenundewig angebeteten Olivia?!«

Dasschöne MädchenließdieHandmitdem Blatte in denSchooßsinken.Siesah starrvorsichhin.EinschwimmeudesFeuchtüberwölkteihrblaues Augeundihr Antlitz entfärbte sich.Eswar ihre Eigenart, daß sie erbleichte,woAndere errötheten, im Augenblickeiner großen Freude,einesgroßen Gedankens,einerAufregung. Sosaßsie, imgeistigen Anschauen, überdachteihreLiebeundihr wagendesSchicksal.

Schritteerschreckten sie. Sieraffte sich auf, verbargdasBlättchenimBusen undeiltezurückin den Laden.

,,Kind,wie Dublaßbist!«sagteFrau Rennie. »HastDuBallengewälzt?DieSpitzen lagen doch rechtsneben denHutschachteln. HastDusieweitergesucht?«

Oliviaantwortete nichts.Sie schlugdieAugennieder undstotterte zaudernd:

»Mamachen,esistmirsoebenderGedankegekommen, heute beimeinen Eltern zu speisen. Darf ich?«

»Seitwauu mußtDubittenum deineRechte?«antwortete diegute Frau fastge- kränkt.»Geh,meinKind, geh; ich lasse sie grüßen,ElternundGeschwister.«

»Wie gutSiesind!«seufztedasMädchen.Sieküßtedie HandderFrauRenuie zärtlicheralssonst. »Warum hatSiederHimmel nicht«...wolltesiemit der Ueber- eilungeinesguten Herzens sortfahreu,abersie hieltmitZartgefühlinne.

,,...nichtmiteigenenKinderngesegnet?«lächeltewehmüthigFrauRennie. »Das dachtestDudoch,nicht wahr? Nun,weil derHimmel voraus-gesehenhat, daßmeinOlivchen michliebenwirdwie diezärtlichsteTochter.«

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100 TreueWanntslgrftefürYichtlmngtundYrjthr

Das war zuviel. Das gefühlvolleMädchen riß sichmiteinerBewegung los, welchesie fast verrathen hätte.Siegingauf ihr Zimmer, warf sichanihrem Bettchen niederund weinte ausvollemHerzen.

Alsihr Gefühl sich ausgestürmt hatte, ging sieanihreSchräukeundSchachteln undfingan,ihr Reisebündelzusammeln.Baldwar sie einig.Sienahm soziemlich Allesmit. AberdasBündel wurde vielzugroßundnun standdasarme kindische Mädchenerstinseiner Verlgenheitda!Siemusterte, wählte, überlegte,unddieNoth wuchsihrüber’s kleineKöpfchenhinaus. KanndenneinMädchenden Gedankenfassen, ein Kleidist unnöthig?·Einschmuckesfrisches Kleidchen, welches fünfGuineengekostet hat? Unmöglich!Jetzt erst ging ihrdieAhnung auf, welch ungeheure Opferdie Liebe fordert. Siesetzte sich hinundweintevonNeuem.

Nachundnachsing ihrkleinesHerzan,sicheinengroßenMuth zuzusprechen.Sie entschloßsich,Alles zurückzulassen.Siewollte fortwiesie gingundstand.Alssie diesen Entschlußgefaßthatte, fühlte sieHeldengefühlelSiefühltesichgrößeralsKarlV.

daerdieKronen zweierWeltenvomHaupte nahm.

Dochnein! Wenigstensumkleiden willsie sich.Man kannsichmiteinemWalpole doch nichtalsLadenmädchentrauen lassen!Siezieht also ihre ,,besseren Sachen«und Lieblingsstücke,kurz ihren Sonntag an. Weniger groß,aberumVielesglücklicherals KarlV.lächeltsie,alssiedamit zu Endeist.

Nun kommen dieAndenken. Natürlich seineAndenken. Zuerstjenes kostbare DutzendvonMedaillon-Taschentüchern,verziertmitSpitzenundgesticktenSträußchen von VergißmeinnichtundDreifaltigkeitsblumen. JedesderTaschentücherenthältin einemderMedaillons ihren gesticktenNamenszug Dann derBandona-Shawl, das asiatischeModewunder derNabobs,der-engoldenes Zeitalter ungefährin derJugend unsrerkleinenHeldin angebrochen. HieraufderSchleiervon Chantilly-Spitzen, der neuesteGeschmackderaristokratischenDamen von Westminster. AlldieseKostbarkeiten hatderritterliche Walpole seinem angebeteten LadenmädchenzuFüßen gelegt,alssiein derMalerstubedesgutenReynoldSt.James-Palastspielten.NamentlichdenSchleier verpackt siemitgroßerAndacht.DasthörichteKindbildetsichein:erkönneihrBraut- schleier seinundscheintnichtzuahnen,wieprunklosderSchmiedinGretna-Green traut.

Nach diesemkommendiekleinerenSachenan dieReihe, ihre Fingerringe von Similor, ihreemailbemalten Bonbonnieren nndParsümdöschenvonCharles Muß, ihre croches coeurs, goldeneHaarringe, welchedieLöckchenandenSchläer verzieren,und wassie sonst nochwaren undhießen,jene zahllosen Mode-Bijoux,womitderzärtliche Eduardseine Besuche,wenn nicht gewürzt, dochbegleitet.DasAllesnahm schonweniger Raum ein. KeinePerle ließsie zurückvondenWeihegeschenkenseinerLiebe.

Ernsterwurde derAugenblick,alsdasjunge Mädchenanihre Sparbüchse ging.

Siehatte sichin vierJahren hundert Pfunderspart-,mitdemsüßen Gedanken,wenn die Summe vollsei, ihrenVaterzumGeburtstagdamitzuüberraschen.Wietöchterlich hatte sie sich aufdieStunde gefreut, ihmdasKapitalzueinemneuen Geschäftezu spenden! Jetzt fühlte sie mütterlich.Ihr weibliches Herz überlegtegarernst,wasder Mann ihrerLiebevonderkleinenLadyunddemjungenGentleman geschrieben.Und sie wußte,die Mittel derTrutz-Ehewürdenfürs erstenur knappsein. Scheu hastig alsobsieeinenRaub beginge,stecktesiedasGeld zusich fürihreKinder!

Dergoldene Engelwar nunmehrreisefertig. Ohne sichumzusehen,wie im Traume

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DieKinderderVornehmen-. 101

verließ siedasHausihrer Mädchenjahre.SiewarfsichineinCab undjagtezUM Maler Reynold.

Schonhatte siedieRiesenstraßedes,,Strand«zurückgelegt,ebensoFleetstreetUnd Ludgatehill,hattediePaulskirche schon hinter sich,war überCheapsideundPoultry gefahrenundhattedenHafen fast schon erreicht, Bishopsgate,wo Maler Reynold wohnte: dascheiterte ihr Schiffchen.

An der Eckevon Cornhillund Finchlane gabeszujener Zeitein schmalesv schmutzigesGäßchen,überwelchesnun längstdasWinkelmaßdesArchitektenNash hin- weggegangen,der dieseganze Gegendverändert hat«Damals aberstandeingroßes viereckigesHausin dem engenGäßchen,welcheseinenTheil seiner ungeheuren Fagade auf Finchlaneund auch auf Cornhill erstreckte. JndemAugenblickenun, alsdasCab unsrerflüchtigenSchönenandiesem Hause vorbeifuhr, erscholleinherzzerreißendesGe- schreiausdemletztenStockwerke desselben.Man saheinFenster aufreißen,undein kUrzesabergräßlichesSchauspiel beginnen. DieGestalteinesMannes erschienindem Fenster, Frauenarme hielten ihnmitderKraftderVerzweiflung zurück,derMann riß sichlos,

einfurchtbarer Schreioben,

einfurchtbarerFallunten undwernicht Nervenvon Stahl hatte, sahundhörte nichtsweiter. Nichteinmal Cabpferde hatten dieseNerven. Oliviens Pferdwurde scheu, warfdenWagenum,schleifte ihn,underst nacheinpaarDutzend SchrittengelangesdenMenschen,dasverunglückteFuhrwerk anzuhalten.

Diejenigen unserer Leser, welchedesSchauplatzes kundig sind, wissen, daßdas Unglückunsernder Banksichereignete.Aber mittenimBezirk dieses Goldtempelsund dichtanreichenundgroßenStraßenwarFinchlane, noch heuteeineschwarzeundtraurige Winkelgasse,damals eineSpelunkederArmuthunddesElends, worin existenzlose BettlergestaltenvonderNäheder Bankzu lebensuchten,gleichsamalsSperlingeunter ihrem Dacheoder Ratten inihrenKellern. AuchAdam Element, vulgoMeister Chamäleon,lebtehier,dennunter seinenvielenGewerben war ernochvorkurzemder Makler eines Maklers gewesenund dieBank eines jener Luftschlösserworin seine Phantasie schwelgte,abersein Magen verhungerte.

Alsnun derUnglücksfall sich schnellin derNachbarschaftlautmachte, denneswar zurStunde desGeschäftsschlussesundalleStraßen belebt,dakam derMann wieeine Falconetkugelgeflogen,um dasverunglückteMädchenzusehen. »SchönwieeinEngel mit einemHaarwie diegoldeneSonne«hattedersiebzehnjährigeLehrlingderDroguen- handlungin Clementslane gesagt, nur Ein Vater lebteinEngland,derdarinseine Tochtererkannte. Er, Mr.Adam,war es! Erschoßhinweg, stürmte fastden Bader- laden, wohinman sowohldenMann, dersichaus demFenstergestürzt,alsdiever-

unglückteMißundihren gleichfalls verunglücktenCabkutschergebrachthatte.Erhätte esnicht ertragen, daßder,,EngelmitdemSonnenhaar«eines Andern Tochter gewesen,unddochzitterteer,daßsieessei.Wo? Wo?schrieerfieberhaftalserdie OfficindesChirurgenerobert. MitEinem Blickverschlangerden Raum. Aberersah nichtsals das Nebel-undSchwindelgrau seines eigenen Augesundroch Spiritus,womit man Wunden gereinigt.Menschen, blutige Handtücher,SchwämmeundWaschbecken flirrten tanzendvorihmherumnnd mittendarin packteihndieFausteines Mannes, um ihn hinauszuwerfen.Aberjust dieserMann machte ihmden BlickaufdieVerunglückte frei,VOUwelcher Jener hinweggesprungen.Ersahetwas Weißes liegen, einMädchen

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102 ReueMonatslgrktrkiirYirlgtkmrgtundKritik

demman soebendieKleiderlöste, bleichwie eineLeiche,Blut in dengoldenen Haaren, der linkeschonentblößteArmblauundblutrünstig,entweder gequetschtodergebrochen

es wargenug! »Sie ist’s,sie ist’s!«rieferundstürztevorihre Füße. ,,Olivia,meine Tochter, isttodt!«

AberderSchreckendieses Augenblicks ging vorbei,alsman ihn überzeugte,daßsie lebe. Ihre Verletzungenwaren nicht tödtlichundderfanguinischeMann glaubteimNu, daß sie auch nicht gefährlichseien.Esfehlte wenigunderjubelteüber das Glückseines Unglücks.ErließdenChirurgen seineVerbände vollenden,eineTragbahre holenund dasbewußtloseMädcheninsein Haus schaffen.DasVolkmachtemusterhaft Platz,als dieThüre ausging,undeingroßer Theil begleitetedieBahrein tieferfeierlicher Stille. Sogroßwar dieTheilnahme fürdasschöneMädchen, daß wenig mehr übrig bliebfürdie beidenandern Verunglückten,denSelbstmörder,dersichaus demFenster gestürzt,unddenhalbgerädertenCabkutscher. Ersteine ScenedergrellstenArtgabder öffentlichenSensationwiedereine veränderteRichtung.

WährenddieBahre nämlichsichin dasGäßchenhinabbewegte, stürzteander oberen Ecke ein Weibin dieGasse, dasselbe,demsichderSelbstmörderimkurzenundungleichen Kampfe aufderFensterhöheentrungen. Mit JammergeschreiundrasendenGebärden kamsiedaher gerannt,verfolgtvon Einigen, welche siezuhaltensuchtenundumdrängt von einemSchwarm gaffender Zuschauer. Sieballteihre FaustgegenHimmelundbe- schworGottes ewige Rache aufdasHauseinesBischofsherab,densieden Mörderihres Mannes nannte. Das war einSchauspiel fürdieMassen. Augenblicklichwar die untere Gasseleerunddie oberegefüllt.Nur Einer schlichsichderBahreOliviens nach,der romantische Lehrlingvon derDroguenhandlung. Er übergab HerrnClement das ReisebündelunddieSparbüchseseiner Tochter,dennerwar es,welcherdasMädchen unter demzerbrochenen Fuhrwerkundihr Eigenthumvor denBewohnern derver- dächtigenGasse gerettet.Der jungepoetischeSchwärmer machte sich großeGedankenan diesem Tage.

»Was istdieUhr?« riefOlivia erschrocken,alssieaustiefer,todtähnlicherOhn- macht erwachte.Sieblickteaufgeregtumsichher, sahverwundert dieLampe brennen, sahsichineinemRaum,derihr so wohlbekannt, achundjetzt so fremdwar, sahVater undMutter anihremBette, sah ihreGeschwister,vonwelchen sie doch wußte, daß sie zu keinerStunde desTageszuHause sein konnten,denndie kleine Maudlin verkaufte Brunnkreß aufdemFaringtonmarkte,derkleineDaniel war Kellnerburschebeieinem Vetter inWhitechapelundJohn,derälteste, sammelte Abfälle aufdemLondoner Dock, derenWerthman damals nochnichterkannte unddiejetzt, freilichvonallenDocks zu- sammen,um20,000 Pfund Sterling verpachtet sind,wobeiderPächter nochMillionär wird. »Was istdieUhr?«war dasersteWort und derersteGedanke ihrer zurück- kehrendenLebensgeister. »Mein Kind,esschlugneun aufderFinchkirche, sagteder Vater, aberduhast ja«...,,Neun Uhr!«schriedasMädchen,,«,heiligerGott was hastdugethan!«Siemachteeineheftige Bewegung nachvorwärts,aberseies,daß-sie dieSchwächederOhnmacht,odereinGedankederHoffnungslosigkeitüberkam,sie sank zurückundseufzte ergeben:,,neunUhr!«

Olivia gehörtezujenen tieffühlendenNaturen, welchendieResignation stets nahe liegt.SiehattedasGlück der Liebeempfunden,alsseieszugroß für ihr sterbliches Herz,alsseieseinHimmel, welchendieErdenichtfassenkönne. Siehatteimmer

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Die FinderderWar-nehmen. 103

gezagt,ihre Hand nachderhöchstenKroneauszustrecken,gleichsccnlals hakjesiedas Maß ihresGlückesundalles Andere sei Uebermaß. ,,Nlcht femdllchzwlscheIJdIe

Walpole’streten« nannte siediefe Scheu,wenn fieesnennen mußte,abererfuhktfi

daßesnichtdasrechteWort seiunddaß selbst Eduard sieMißverstandsJVelchekes»fur

niedereKleinmüthigkeithielt.UndalssiedieStunde ihres letztenundschönstenGlückes

indiesem Augenblickeversäumt sand, so fielessie nichtmit derWuthderVerzwelfkung

an,sondern sie hattedasGeführ,alsmüsseesso sein,alshättedasLetzte-undSchPUfte

sichgarnicht ereignenkönnen. Sentimental nennt man inDeutschland dieseGemuths-

art,aberOliviahattesie doch alsEngländerin.Siebliebnicht thatlosdabei. Nach einerPausewinktesieihrenBruder Daniel zusichundflüsterteihminsOhr: »Dan- lieberDan, geh aus Bishopsgatezum Maler Reynoldundfrage nacheinemGentleman welchenerkennt.Sagihm,DuseistmeinBruder, underzählihmmeinUnglück. Geh gleich-lieberDan, ichbitteDich.« Undals»der Knabe zurückkammitderBotschaft- derGentleman habe zweiStunden gewartetundseidannimgrößtenZorne verreist,da schloßsiedieAugen,kreuztedieHändeüberHdieBrustundhauchtemiteinemtiefen Seufzerk »Führe wohl! Jch verzeihe Dir, daßDunicht geglaubt hastanmich!«

AberschonbeimnächstenEisumschlag, dersieaus ihrem traumartigen Zustande erweckte, rief siedenVater ans Bett-und sagte: »Vater,wirmüssen reisen.Sobald ich heil bin, reise ich ihm nachunddumußtmeinFührer sein.« »Ganz recht,meinKind, wirreisen,« sagteMr. Adamäußerstzuvorkommend. DasMädchensah ihn scharfan.

,,Bin icheinKind,demman einSpielzeug verspricht?VonwelchemGeldewollen wir reifen?Das hättestDufragen müssen,wenn Duesernst meintest.«Siegriffandie Brust,abererschrockenfuhr sie zusammen.

»Da,dal«riefderVater,dersie verstandundhieltihr ihrGeldtäfchchenvor dieAugen.

»Gott feiDank!« lächelteOlivia. »SehtliebeEltern,dasiftmeinSchatz. Jch habemirin vierJahren hundertPfund erspart. Ach, Jhrwerdetmich oft für geizig gehalten habenindiesenvierJahren,weilich Euch nicht unterstützte,wieichwohlkonnte.

Aberich dachtemir«...

»LiebesKind, sprich nicht foviel.«

»Ich dachtemir,imKleinenhilftesEuch doch nicht;essolleinSümmchenwerden- umesin einemGeschäftanzulegen.«

,,Engel,meinEngel,DubistderErzengelaller Engel!«

»Ach,dasbinich nicht,Vater. Jch nehmedasGeld wiederzuleihen.Wirmüssen reisen, Vater, reisenbiswirihn wiedergefunden haben.Dann sollstDueszehnfach, hundertsachwiederhaben.Eristeingroßer Herr,undwenn uns feinVater verzeiht, der einnochvielgrößererHerr ist, sokannichEuchAllereichmachen.AberdieseProbe hatmir derHimmelauferlegt. Jch mußausharreninGeduldundihn suchenbisans Ende derWelt.«

»Sehr wohl,meinKind,dasistdasMindeste. Bisans Ende derWelt.« Aber derMann, dermitfeinen nervöfenbeweglichenZügen fünf Jahre gefchauspielert,ver- rieth sichmit einemsatirischenSchmunzelnbeidiesen Worten, so daßOlivia aufmerk- samwurde.

,,BisansEnde derWelt,« wiederholte fie nachdenklich.»Da reicht wohl auchmein Sparpfennignicht!«Undauseinmalbrach siein lautes leidenschaftlichesWeinenaus.

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