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Neue Monatshefte für Dichtkunst und Kritik, 1876, Bd. 3, H. 6.

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Academic year: 2021

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NeueMonate-helle«

Eichtkunstund Kritik, l ,

Herausgegeka

Ogcar Mumentljai.

EI· Bank-.Heft 6.

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Ynlgnlt

vx .-

pikFastdesSchweigen-iEineSeelenstudieVonFerd.Kürnberger.

ClyticnLustspielVonHermann Lingg EinLrühlingsmiirchmVonHans Herrig Gedichtc.

Mittenunter Sündern. EineErinnerungausderJugendzeitvonP.K.

Rosegger. . . . .

Sinn nndUnsinn.Von A.Thrauenfeld. .

ZurfranzösischenKulturgrschichttVon J. J.Honegger.

DieUibrlungendichtungderRen-eit.VonReinhold Bechstein.

AdolfMildtandkg Glücke-wogtVon S.Heller.

Butwch letzteRomane VonHieronymus Lorm. .

PariserTheaterbriefeVonGottlieb Ritter. .

Kritiskyknuudvtickk . . . . . . . . Eineneue Knihologid VonOscar Blumenthal.

ButkleinenBücher-schau.VonOscar Blumenthal.

Ali-ereilen

Die»NimmMonatghefte« erscheinenregelmäßigamEnde jedesMonats imUmfangvonmindestens6Bogen Lex.eleg.geh.

DerJahrgang bestehtnun2Wändenenje6Zeiten.

Seite 473 488 496 506

508 515 517 523 532 538

551

preispro Band 6Mark; pro Quartal 3Mark; proHeft1 Marti.

AlleBuchhandlungenundPostanftaltennehmen Bestellungenan.

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Yje Yes-itdesSchweigen-. 473

Die JJagtdesSchwäche-.

Eine Seelenstudie vonFetdinanb Kürnberger.

Die Leutesagen, ich sterbemorgen aufdemSchasfot.Esist wahr,meineKrank- heit brachtemich auseinTodtenbett, welchesman Schasfotnennt. Meine Krankheit hieß—- Leidenschaft. Istesmeine Schuld, daß sie tödtlichverlies?Die Leutesagen, ich hättemeinSelbstarzt sein sollen.Womit? MitebendenKräften, welchevonmeiner Leidenschaftergriffenwaren? Kann ein brennendes Haus sichselbst löschen?Kanneine Wasserüberschwemmungsich selbsteindämmen? Aber die Leutesagen,derMensch hat einedoppelteNatur. Unddiegute Natur solldieböseNatur überwältigen. Ichver- stehedasnicht. IstdieguteNatur stärker, so unterliegt ihrdiebösevonselbst; istdie böse stärker, so forderndieLeute,dasStärkere soll überwältigtwerden von dem Schwächeren. Istdasmöglich?Aberdie Leutesagen,dasBösewird. Undich hätte diePflicht gehabt, seinWerden zuverhindern.Hier gemahnts michwieWahrheit.

Ia, ja, ich fühltewerden inmir. DasBösewurde. Alsichliebte,war meineLeiden- schaft gut;alsich glücklichzusein wünschte,war sie auch noch gut;aberich beneidete, ich haßte—- undmeineLeidenschaftwurde böse. Immerhin! war esdochnur eine ge- dachte Bosheit!Eh’ ichdenNebenbuhler tödtete,weidetensichanderVorstellung seines TodesmeineGedanken. Undglaubtman bösezusein,wenn man dasBösenur denkt?

Ich habedenPunkt übersehen,wodieGedanken zurThat nöthigen. Ich spieltemit meinen Gedanken meineGedanken spieltenmitmir! DieLeutesagen, ichbinein Mörder. Jch möchtesagen: ich habeden Mörder anmirerlebt!

UeberblickeichdenzurückgelegtenWeg, so sehe ich nichtwoeinNebenweg ausbeugte, womeinGeistmirgesagthätte: haltein!oder:kehrum!Esfloßeinsausdem andern.

Ichwar gutundmenschlich,undichwar böseundauch menschlich.Ich sehedie Stelle desUebergangs nicht, ja, ich glaube, sie istgarnichtda. Ich gingimmer in derMensch- heit. Ich gingimmermirselbst nach. BrächteeinGottmichandenAusgangspunkt zurück,ich gingedennämlichenWeg. Ja, iEh glaube sogar, ich fändedienämlichen Fußtapfenwieder. Ist LeidenfchtlfteineKrankheit- fD ist siedieeinzig folgerichtige.

KeinKrankerwillseine Krankheit,Aber derLeidenschaftlichewillseine Leidenschaft.Die Krankheitkommt aus demLeiblichen, sie thutdemSeelischeninuns einruchlosesoder albernes Unrecht.EinKnochen,ein Darm leidet, undKopfundHerz müssenhinab in dieGrube! DieLeidenschaftkommtaus demSeelischen selbst; sie thutuns unserge- rechtestes Maß. Ichwerdeesmorgen aufderPlattformdesSchaffots sagen: Ich sterbe dienatürlichsteallerTodesarten!

in.6. 31

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474 Beut Monats-heitrefürYichtkunxtUndKritik

Zuvoraberwillichinmeiner Zelle nochaufschreiben,warum ich mich selbstver- rathen. DieLeutemöchtensonst sagen,meinGewissen thats. Mein Gewissen thats nicht, ichbin eingerechterMann. Esliegttiefer.DiemenschlicheSeeleist räthselhafter alsMenschen ahnen. Undwer eineSylbedesvielsylbigen Räthsels gefunden,derist seiner Gattungschuldig,esmitzutheilen.Vielleicht daß so einstdieganzeAuflösung gelingt.Dann wirdkeinRechtundkeinUnrecht mehr sein,dannwird keinSchaffot sein.

DieTodesftrafe,wenn siedasLebenkennen gelernt,wird sichselbstzumTodever- urtheilen.

.

Höret michan.

Ichsprechenichtvon meinerLiebe. IhrAndern würdetdoch glauben,esseieure Liebe.Meine Liebeentstandundvergehtmit mir. Sieistzumersten-undletztenmale

«in der Welt. WehedemLiebenden,derseineLiebenicht für unaussprechlichhält! Irma, duInbegriffmeinesBegriffes! Allenwirstdugefallen,Vielewerdendich lieben,aber geschaffenwarftdunur für mich. JedesWeib istnur füreinenMann geschaffen.

Selten lernt sie ihn kennen, noch seltenerliebenHundamseltenstenkommteszurEhe.

Unddochwollensie heilig sein,diePaarungen, welchesichEhennennen. Henker,bereite dich,meinKopf ist.dieserWeltmüde!

Alsesentschiedenwar,daßIrma,diesichselbstnicht kennt,demraschen glänzenden Tänzer,dersie auchnicht kannte,die TourdurchsLebenzugesagt;alsichinjenerun-

vergeßlichenNachtdesletzten Casinoballstrunkenvon meinemUnglückaufmeinLand- gut zurückjagte;alsichmeiner Dogge,diemich freudewinselnd ansprang,dasMesser insHerz stieß,umdiegräßlicheKunstzulernen,welchezu lernen mirjetzt bevorstand, dieKunst,LiebezuentbehrenundgegenLiebe zuwüthen;alsdasschöne,seelenvolle Thiermitbrechendem Auge mich vorwurfsvoll ansahund seineGlieder streckteund zuckend verendete;dawar’swomirzuerstderGedankekam! damals dacht’ich zuerst:

Wenn Oedönsovordirzuckte!

Spielend mitdiesemGedanken schlief ichein.DieNachtwurdesomartervoll nicht alsich gefürchtet. Holder, freundlicher Mordgedanke!-dich hätt ichverbannen sollen?

Undwarstmein einziger Freund,meineinziger Trösterinjener Nacht! Saßestan meinemLager, kühltestmeineSchmerzen, unterhieltest michmitgenußvollenMöglich- keiten,die demAlltagskopfe schonaufgehörtunddie mirnicht aufhörten,wenn ichkein Alltagskopfwar. GibtesdennEtwas, sagtest Du,dasIrmanicht werthwäre? Ist Irma nichteinesMordes werth?DeinLebengäbstdufür sie,warum nichtdeinGe- wissen?Kann LiebeLiebeseinund dochetwas behalten wollen,dassie nicht opfern könnte?DeinLebengäbstdufür sie,warum nicht auchdaseinesAndern? Stehtdir derAndere näheralsdu? Existirtdie Welt auf diesem Fuße? Sieh siediran, diese Welt! ihreGesetzeundSittenbegriffelHeilig dasIch! predigtdir Alles. Imkleinen-- lwinselndenKindeliebtdie Mutter dasIchundimgroßen ewigenGotteidecrlisirtder Menschwieder dasIch. DerGottsoll ihm helfen, dienen, seine Wünfchebefriedigen, und wenn ers aufErdenversäumt hat,eineganzeEwigkeit langesnachholen.Der Gott istdaskolossal geschmeichelteIch.Undwenn esdemIch schmeichelte,zutödten, so wehrteesGott? Dusollst nicht tödten, hatergesagt. Wohl,aberdassagteerals Parteimann dessen,dergetödtetwerden soll, nicht dessen,der tödtenwill. Demsagt erander-s frag Irma’s Augen!

Dusollstnichttödten. Washeißtdasanders als: ich setzevoraus, duwünschest

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YjeZeigtdesSchweigen-n 475

zutödten? AlsoderWunsch, nichtdasVerbot istdieOriginalstimmeimMenschen.

LangevorSinai war Kain.

Natürlich!derNaturmenschtödtet.Der gesellig-lebende,wieerin Stamm und VolkaufSinaisteht, soll nichttödten,dennerist ringsvonNachbarn umgeben; allzu vieleAugensehen auf ihn.ErfordertdieBlutrache heraus,erkönnteselbstwiederge- tödtet werden. Daisteswieder,dasJch!DieRücksichtausdasJch,nichts Höheres verbietet zu tödten.Aber was dasJch verbietet,kanndasJchwieder erlauben. Jn einergroßen Leidenschaft trittstduin denNaturzustand zurück,nimmdir dieRechte desNaturmenschen heraus.Tödte!

Somütterlichumarmtestdumich, süßer barmherziger Mordgedanke!Undwenn dufromm bist, sagtest du,undnichtswillstalsdie Natur undimGutenundBösen ihr folgstwieeingehorsames Kind’, sowillichdich noch glücklichmachen.Undich horchte dir zu undschliefein.

Alsich erwachte,war die ganzeHöllenlogikderNacht vergessen.Aberausmeiner Schwelle lag Molly,dietodteMolly,diesichsterbenddahin geschleppthatte. Dieser Anblickbezauberte mich.Wiederdachteich:WäreesOedön!

DerTodeinesNebenbuhlers hat mehr SchönheitalsallesLeben. Undje fremder mirdieThat nochwar, destozuversichtlichermeinGedankenspiel. Wozuesaufhalten?

sagte ichbei mir. DasGewissen sprichtimmerfür sich; hör auch einmal, wasdagegen spricht. LaßdieParteiensichstreiten. Behältstdudoch freie Hand!Kannder Mord- gedanke seine Sache durchfechten, sowar esFeigheitundAberglaube, ihn ungehörtzu verdammen;behältdasGewissen Recht nun so hat dichderschwarzeGeselle doch unterhalten,wieesdeiner Stimmung gemäßwar. Laß ihn gewähren!

UndTagundNachtkein anderer Gedankemehr!Stand ich aufdemAnstandund hört’ ichdas Knallen derJagdum mi herundSignaleundHundegebell, so hört’

ich noch deutlichermeineeigeneinnereS "mme.Dunimmst ihmdasLeben,würde der Sprachgebrauch sagen.Aberdasistja fa sch!Denn einmalnimmstduihm jenesLeben nicht,daserschon gelebt hatunddasihmeinGottnehmenkann. Sodann aber die Jahre,dieernochzu lebenhat,woexistiren sieanders alsin deinereigenen Vorstellung?

SiesindeinBegriff,eineJdee.Dunimmst ihm nicht zwanzigodervierzig Jahre, du nimmst ihminWahrheitnur einenAugenblick.Ueber diesen Augenblick hinaus,sind jene zwanzigodervierzig Jahre nicht mehr seine Vorstellung sonderndeine. Ueberdiesen Augenblick hinaus, weißernicht mehrwas erverloren hat,undso haterwirklichnur einenAugenblickverloren. Erhat nicht mehrverloren alsjener Hase, welchervordem SchußdesJägerszugleichistundnichtmehr ist. Thor,der dubist! Welchein Wider- spruchüber deine eigenenzwanzigodervierzig JahredieEmpfindungeinesunvergeß- kichen Unglückszuverhängen, bloßweilduübereinenAndern nicht jenen Augenblick verhängen willst, welchemkeineEmpfindung Mehr folgt-

Beim Nachbar Lißkarwird mirzumKasseeeineUntertasse präsentirt,welche NapoleonsUebergangüber den MontBlanedarstellt.Wieoft hatte ichdieVignette angesehen, ohnewaszudenken; jetzt dachte ich:dasistderAttila, welchersichrühmte,

erhabe monatlichdreißigtausendMannauszugeben.MitwelchemRechtegabersieaus?

Seine politischeLage erfordertees. Aberwarum war feinBarbier undsein Kochnicht indieser politischenLage?Warum war sieweder vorihm noch nach ihm da, diese politische Lage?« Weil sieeinAusfluß seiner Persönlichkeitwar. Seine Person

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476 Year ManutnlgrktefürYirhtkunstundZritiln

brauchtemonatlich dreißigtausendMann. Und weilersie brauchte, sonahmersieund verbrauchteer sie.Er verbrauchtedieAltersklassendeswehrfähigenFrankreichsund Rheinbunds,wieseinLeibseineHemden verbrauchte.EineGeneration umdie andere zogeranundvernutzte sie.SeineLeidenschafthatteeine WeltzurVerfügungundhieß Weltgeschichte.MeineLeidenschaftnimmt einPrivatlebeninAnspruchundheißtCriminal- geschichte.»Das istderUnterschied.EinUnterschiedderGrößenverhältnisse.Thor,der dasnicht weiß! RechtundUnrecht sind mathematischeProportionen, nicht sittlicheVe- griffe. Jeder Mensch folgt seinem NaturgesetzeunddiesesGesetzistwedereinRecht nocheinUnrecht. Unrecht wirds,wenn esdieMenschen überwältigenkönnen; Recht bleibts,dassieanerkennen undihrer übrigen Rechtsordnung einfügen,wenn esgrößer istals derWiderstand. »Machtist Recht;« besser gesagt:ausMachtwirdRecht; undambesten gesagt: Leidenschaftist Recht,undLeidenschaftmitMacht behält Recht!

EingetauchtindiesePhilosophie stählteich michund wurdehart,wieweicheGegen- ständeinKieselsinter verhärten. Daß ich durfte, fühlte ich mehrundmehr,abernoch einmal durchprüfteichs,obich mußte. Jch prüfte strenge, gewissenhaft. era, Oedön undich ich maßalleProportionen dieses Verhältnissesaus. Ach, siewaren längst gemessen.Oedönwar nichtera’s erste Liebe,er war ihre letzte Puppe. JhreSinne waren ihrem Herzen vorausgeeilt. Sie verwechseltejenemitdiesemundder Ausdruck dieses Jrrthums hießOedön. Waresmöglich,diesen Jrrthum ihrzuentreißen? Jn Gütenicht.Einem Volkeist seine Freiheit tnichtanders zuschenken,alsindemman seinenTyrannen tödtet,denn so langeerlebt, schöpfterseine Machtauseben dem Volke. EbensoeinerSeele. OedönwarderTyrann ihrer spielendenundtändelnden Seeleundsie wußtenicht, daß.eseinedenkendeundfühlendegabundhattekein Be- dürfniß darnach, so langeOedön seineEracovienne mitihr tanzte! Dasist«jadas Unglück:derTyrann tödtetnichtdieFreiheit, sonderndieFähigkeitunddasBedürfniß derFreiheit.DerdeutscheKlassikerSchiller schreibtmitzermalmender Wahrheit: »Mittel- mäßigerUmgang schadet mehr,alsdieschönsteGegendunddiegeschmackvollsteBilder- galleriewiedergutmachenkönnen.Auch mittelmäßigeMenschenwirken.«Hörtes,ihr Pedantendergeistigen SelbstüberschätzungJeder GeistwirdanPunkte kommen,wo esderphysischenMittel bedarf,um zugelten.GegenOedönhalfmireinBüchsenschuß besser,alsalleVortheilemeines Geistes.Warertodt,dann wurde era geboren.

Siemußteerstaunen,wieseinTodgarkeine Lückeriß.Siemußtezutrauern glauben undsich selbst überraschen,daß sie eigentlich nichttrauerte. Oedöntödtenhieß era lebendig machen.Sein Lebenfür ihres eswar eingewinnreicher Tausch.Sterben soller,erdemsie fluchen wird,wenn eszuspät ist. Auch mittelmäßige Menschen wirken. Weh ihnen!

Jch fingjetztdieAusführungdesMordes zuüberlegenan. EsmußteeinPlan sein, welcherwedersich selbst noch weniger mich verrieth.KeineThat, sondernein Ereigniß.Etwa einunvorsichtiger Schuß aufderJagdoderaufeinemSpazierritte.

EinSchußaus seiner Umgebung·—von gedungener Hand. Jch dachte hinund her über den Mann meinerWahl. Oftging ichindiesemGedankenamUferdesPlatensees, welchermeinLandgut begrenzt, spazieren. Sah ichdann aufdemSeedieschmalen winzigen Kähne ziehen Seelentränker nennen wirsie wie verlockendwar mirder Anblick! Wenn .soeinHolzstreifen sich überschlägt,so sinkteinMenschenlebenindie Tiefe!Still und verdachtlos verschwindetes; derFährmann schwimmt,derAndere

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DieJustdesSchweigen-. 477

verunglückt.WäreOedönaufsolcheinenKahnzu locken! Wäre einFährmann für meine Absichtenzugewinnen!" Vorsichtig streckte ichmeineFühlhörneraus. Mein Zigeunerbekammanchen Auftrag auszurichten welchenernicht verstand.

UndhierwillicheineBemerkung niederschreiben, welchederMenschheit nichtver- lorensein soll.Solangeichüber die Natur desMordes nur philosophirte,war ichim Zustandeeiner vollkommenen Gemüthsruhegeblieben; jetztwodieThatin mirkeimte, woichdieScene dramatischmirvorstellte,woichindieverschiedenenLageneines Mörders mich handelnd versetzte,—- jetzt verursachtemirderGedankeeinphysisches Angstgefühl,welchesmeinen Athemebeklemmte undmichzuerstickendrohte.Sooftich dasBildmeiner Thatmirsinnlich vergegenwärtigte,schoßein Strom von Blut nach meinemHerzen,wie imAugenblickeeinesheftigen Erschreckens,undda keineDruckkraft vongleicherGewaltseinen Rücklan forcirte, so stauteessichinLungenundHerzen undbenahmmir denAthem. Jch athmete schwerundschwerer.Dietiefsten Züge füllten meineLungennicht mehrmitLuft.Mein Athemwurde zueineranstrengendenund vergeblichenArbeit. WieeinCentnergewicht lags aufmeiner Brust. Das Gewicht erdrücktemichundich vermochtenicht mehr,esabzuwerfen. Eswar ein martervoller Zustand.Jchwurdekörperlichunglücklichwieichesgeistigwar. EineMuthlosigkeit ergriff mich,diemichamLebenverzweifeln machte. In diesen Tagen kauft’ ichmirGift, dennoft dacht’ich daran,meinem eigenenLebennoch eheralsdem einesAndern ein Endezumachen. «

Siehe da,der Druckdesbösen Gewissens,werdendie Leutesagen. Siehe da,wie einSophist seine Bosheitsichläugnetundthatsächlichersticktin derBosheit.

Jch gestehe,daßicheinenAugenblickselbstso dachte. Jch hatteden Druck desbösen Gewissens schonlängst erwartet; ichwar verwundert, daßerso spätlsicheinstellte.Aber ebendieser Umstand machte mich stutzenWenndas,was ich empfand, bösesGewissen war,warum empfand ich’snichtschon,alsichden Mordmirgeistigzurechtlegte·?Warum empfand-ichs erst,alsmir derGedanke zumsinnlichenBilde wurde? Mein Gewissenwar ruhig geblieben-,warum bliebmeine Phantasie nicht ruhig? Jch dachtedarübernach und dieErklärungmeiner Sinnesempfindungdurchdasböse jGewissenbliebnicht stichhaltig.

EineliebendeFrau hat ihrenGatten imFelde stehen.MitHerzklopfen empfängt siedieFeldposten,mitHerzklopfenerlebtsiedieSchreckendesKriegsinihrerEin- bildungskraft. Ihre Einbildungwandelt beständigzwischenBlut undLeichen, Kugeln undSäbelhiebeneinher. Jedes dieserBilder begleiteteinHerzklopfen,dasihrdenAthem benimmt. Jhr Zustandwirdzuletztganzdermeinige.Unddochist sie unschuldigund ich schuldig.Werden ihre Angstgefühleauchvombösen Gewissen verursacht?

DerMensch hateinenaußerordentlichdürftigen Stoff,woraus seine Begriffswelt sich aufbaut. Dieser Stoff sind seine Sinneseindrücke,wozusein VerstanddieUrsachen sucht.Aber dernämlicheSinneseindruck kannverschiedeneUrsachen habenunddie nämlicheUrsache verschiedeneSinneseindrücke bewirken. Daherkommtes,daß unsere Begriffe so wenig GewißheithabenIunddaßdasDenken eineWissenschaftist.Die MengederMenschen ahntdasnicht.Mit einer erschreckendenFlüchtigkeitschließtsie überUrsacheundWirkungundfastdieRegel ists, daß sie soschließt:post hocergo propter hoc. EineErscheinungkommtnachderandern, folglichkommt eineErscheinung aus der andern. Aus verkehrten SchlüssenbautsieeineverkehrteWeltaufunddiese

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478 greu- YrmmtshkktkkiixÆichtkimstundYxixik

Weltist ihrdie WeltdergöttlichenOrdnung. DieseWeltläßt sie sichgarantiren durch Religionen,Gesetze,Soldaten, —- esistihre offiziele, ihre sittlicheWelt.

Jchlebteunter Bildern desMordes,welchemeineNerven erschütterten.Aber wenn diese NervenerschütterungeinWahrheitsbeweis für irgend welchenVorgangim Gewissen wäre, so müßtenauchdieTheaterthräneneineWahrheit beweinen,dasie doch einebewußteTäuschungbeweinen. JchbinamMordeWallensteinsoderKönigDuneans gewißunschuldig;aberdieVorbereitungen dieser Mordthatenbeklemmen mirdasHerz wieesmeineigener Mordvorsatz that.DieErfahrungerlaubt euch alsozusagen:Die sinnlicheVorstellungeinesMordes erschüttertdie Nerven. Wasabergibt eucheinRecht, dieUnterstellungzumachen:Esmußdiesinnliche Vorstellungeines Mordes sein, welchen ich selbst begehenwill? esmuß Gewissensangstheißen,wasichalsNerven- erschütterungempfinde?DasisteinfalschesGliedineurer Schlußfolgerung.Für diese Behauptung habt ihrkeinenGrund. Esist behauptet,abernicht bewiesen.

Inzwischen—- ichlitt. MitoderohneGewissensursachenlittich.Unddasists, was die Moral gegen dasgefährlicheSpielmeinerGedanken einzuwenden hat:meine Mordgedanken griffen mich selbstan! siewaren ungesund.Sofand ichdieWahrheit wieder,dieichbeiderBetrachtung der menschlichenDinge schonso manchmal geahnt:

sittlich heißt,was dasLebenbejaht; unsittlich,wasesverneint. Mansprechenichtvon dentugendhaften AufopferungendesEinzelnlebens; sie bejahendasGattungsleben.

Dusollst nichttödten dusollst fürsVaterland sterben esistdasNämliche.Das Dasein,alshöchsterGegenstand seiner Selbstanbetung. Das Gewissen istder Jn- stinktdes Lebens. Man könnteeineArtillerie ersinden, welche jedes Trommelsell zerriße;dieErfindungwärenicht strafbar,aberschädlich.Darum beschränktder Er- findungsgeistsichselbstundunterläßtdieErfindung. AusebendiesemGrunde aber keinem höheren! sollich auchmeineLeidenschaften beschränken.Nur bildetmirnicht ein, daßdieschrankenlosen strafbar!Nurbildetmirnicht ein, daßSelbsterhaltung mehr alseinTrieb, daß sieeinePlicht,einGottesgebotund Sittengesetz! Machtausder LebenslustkeineReligion-!

Ich erzählekeinenRoman,ich erzähleeineSeelengeschichte.Jch führedaher nicht aus,wieFamilienverhältnissemancherArtdieTrauungder Verlobten bistiefin den Frühling hinausrückten.Allzu günstigfürmeinelangwierige Prämeditation! Jch erhielt Frist auf Frist. Ja, eskamenAugenblicke,wo mirdieHoffnung schmeichelte,-ein WechselderGesinnungenoderUmständekönne den ganzen BrautstandwiederinFrage stellen. InzwischenwarderTagderHochzeitanberaumt undrückteunerbittlich näher.

Oedönhattesich ausderSchnepfenjagdeine kleineErkältungzugezogenundwenn ich nicht so thörichtsein wollte,einenSchnupfen füreinEhehindernißzuhalten, sowar ich mit meinemWähnenundWarten zu Ende. Waswollteessagen,wenn etwaderAuf- schubeinerWochedabeiherauskam?

Dumpf rasft’ ich mich auf. Jch fühlte, daßeineThatimAnzuge sei,aberich fühlte michkaumnochalsihren Autor, höchstensalsihr Werkzeug. Jch folgte müde, fast verdrossen.

Oedönlag seitderSchnepfenjagd,dieich selbst mitgemacht hatte,mitseinem Schnuper aufeinerTanya, wenigeMeilen vonmeinem eigenen Landgut.Eswar mir nicht gelungen auf dieser Jagdmeinenzweideutigen Schuß anzubringen,wieüberhaupt alleGelegenheitsfälle,dieichmirausdachte,in derWirklichkeitganzanderslagen,als

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Æie MistdesSchweigen-n 479

in derPhantasie.DasLeben einesMenschen ist dochvonSicherheiten umgeben, welche soleicht nichtzudurchbrechensind!

Ietztrittich aufdieTanya hinaus. MeinZigeuner hattemirnicht sagenkönnen, ob Oedön zuseinem KatarrheinenArztzugezogenundwelchen. Ichwollteselbst nach- sehen.WarderFallärztlich,sowollteichversuchen obcrnicht tödtlichwerdenkönne.

,,Medicina estars jmpunenecandi.« Ich fülltemeineBrieftaschemitBanknoten und rittmeinesWegs.

AufdiesemRittebegegnetemirfolgendesAbenteuer.

AmHeckenrandeines einsamen Weinbergs fand icheinenMenschen schlafen.Ich kannte den Mann. Eswar der alteAbraham,derehrlicheHausjudeOedöns. Erhatte seine Reisetascheumhängen,undeinaufgeschlagenesBüchlein,worinervielleichtgelesen hatte,war seiner HandimEinschlafen entglitten.Aus demBüchleinwar einweißes BlattPapier gefallen, welches unsern danebenlag.Esregteundrührte sichunddoch war dieLuft stille.Ein großer Käferkrabbelte darunter, welcher sich endlichhervor- wühlte.Er wendete dasBlattum, eswar aufder anderen Seitebeschrieben.

EinePersonaus OedönsUmgebung!Nachdenklichrittichweiter. Ich empfand, ich weiß nicht welchen ReizvondemBegegniß. Der Judekonntemirvielleichtmanches fagen,woraus ichetwas zumachen wußte.Erplaudertegernundarglos. Ichlenkteum.

Ich riefdenSchlafendenan. Erantwortete nicht.Erschlief festund schwere Tropfen standen ihm aufderStirne. DasBlättchen, schienmir, lag jetztetwas ent- fernter.

Vielleichtwar eswichtig. Ich stiegabund nahmesauf. Eswar einRecept.

MeinLateinließesmichleicht entziffern.EineArtMandelshrupmit ein paarTropfen Opiatwar dieVerordnung. AlsoeineArznei,wiesieetwafür Einen, welcherwegen KatarrheineschlafloseNacht fürchtet,lindernd undschlafmachendverschriebenwird.

EineArznei fürOedön. Auch trug siedasDatum desTages.

Inzwischen fielesmirauf, daßder alteMann, welcher so eifrigundpünklichwar, einenGangindieApotheke verschlaersollte.Auchdasfielmirauf, daßerschon so früh aufdemWegemüdegewordenwäre, dennerwar vonderTanyaOedöns,welche seitwärtsindenVorlanden desKaphegy lag, höchstenseinStündchen entfernt. Ich dachtenachund baldglaubte ichdenZusammenhangzuerrathen. Erwar ausder Stadt wohl schonzurück.ErhattedieMüdigkeitdesDoppelwegsinseinenaltenKnochen.

Undjetzt fielmirein,essei Freitagabends. Zwardie Sonne stand nochamHimmel, abersie;standin einerschwarzen gewitterischenSchichtwolkeundseinaltesblödesAuge mochtedieSchichtwolkefürdenHorizont gehalten haben.Ermochte wähnen,seinSab- bath sei schoneingegangen,dahatersich hingesetztundausdemBüchleinseineGebete gesagt. Ich hobdasBüchleinauf,eswar wirklicheinjüdischesSidur. Erhitztund müde wieerwar, wurdeihmdasSitzengefährlich,die Naturforderte ihr Rechtunder schliefein. Soerklärteichmir daswasich sah.

Erwar also schonzurückausderStadt! ErhattedieArznei schonbeisich!Beidiesem Gedanken ergriff micheinTaumel. JchblickteringsindieLandschaft siewar menschenleer.Damachte ich michüber dieTaschedesIuden her,durchsuchtesie,und fand, nebstandern Gegenständen,dieerin der Stadt eingekauft,dasArzneifläschchen.

ImNuwar eszurHälfte entleert,unddasGift,dasich seitdenTagenmeiner Brust- beklemmungenfür mich selbstbei mirtrug,ander Stellederselben eingesüllt. Ich bestieg

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