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Philosophie und Leben. Jg. 6, H. 1 (1930)

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Academic year: 2022

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(1)

6. JAHRGANG + 1. HEFT + JANUAR 1930

„3 m £)tenfte öer Doiliaeintjett erftrebt unfere 5 e ttf$ r tft eine fach*

lic^r 2f « 0fpradje ber öerfthteöenen toettanf^atiltdjen E ic h u n g e n . “

‘’öorbemerfung gum neuen (Jed)ff<m) 3af>rgang

©etreu bem ©afte, ber am 2Infang jebes f>eftes fteht, will ich auch in biefem Jahrgang ben ßefern bie ©elegenheiten bieten, aus ben 2lufjäfeen

tote aus ber „Slusfprache" fxd> über bie f>auptrid)tungen bes gegen=

toärtigen ^Pbilofopbicrens au unterrichten. 2 )iefe Slnerfennung ber Viel­

heit ber Dichtungen bebeutet nicht ©feptiaismus, nicht Versieht auf bas

©uchen nach ber ei nen ‘Jßahrheit. (£s mufo eben bebacht toerben, bafe bie rein theoretifchen Probleme (bie ©einsfragen) in ber ^hilofaphie meift Io {chtoierig unb t>ertr>ictelt finb, bafe tmr — bei einiger ©elbftfrittf

— oft nicht in ber Sage finb, bie eigene 2lntroort für bie allein roahre anaufchen. SSKinbcftens tun it>ir gut, ihre SBahrheit immer tüieber burch bie oorurteilslofe Kenntnisnahme anberer 2lnht>orten erneuter Nachprüfung ausjufefeen. 2Bo es fich aber um‘Jßcrtproblcmc hanbelt, ba ift cs fehr toohl möglich, bafe oerfchiebene SRenfchentppen au Der*

fchiebener ^tangorbnung ber 2Berturteilc gelangen, ©crabe folchen Ver=

jehiebenheiten ber 3Bertfcha't3ung gegenüber ift cs nicht leicht, ben 5Billen

3ur 23oIfseinheit roirflicf) praftijch burchauführcn. fner gilt es, bie Sin»

beit als Sinheit ber Vielheit au oerftehen unb au bejahen. ®as bebeutet im einaelnen galt, ben guten 3Billen aum höchftcn 2Bert auch ba anau»

erfennen, too uns unfpmpathifche ober frembartige ^ßertjchäfcungen entgegentreten; bas bebeutet nicht in erfter ßinie belehren toollen, fon=

bern oerftehen unb ertragen roollen.

©olche tiefen unb geiftig jehtoer au übertoinbenben Verfchiebenhetten werben oorausfichtlich gerabe gegenüber bem groben Problem herfcor- treten, bas roir in biefem Jahrgang in befonbers eingehenber SBeife behanbeln: ber grage nach bem © i n n bes ß e be ns .

5Bie b e b c u 1f a m biefe grage ift, bas bat in ausgezeichneter 3Beife £>ugo Ringler in ber Einleitung ^u [einem neueften SBerfe: „SRetapbpfif als SBiffenfchaft Dom ßefoten"

(München, 'fteinharbt) ausgefprochen. 3m Einoerftänbnis mit bem 33erfaffer lafle ich bie ganje 6 teüe hier abbruefen:

2Benn mir ben einzelnen Sftenfchen anfeben, toie er ins ßeben hineingcftellt ift, toie er, teils oon äufteren, teils fon inneren Kräften getrieben, babtnlebt, mie er Stummer unb 6 d)mer3cn in reifem Sfftafte erfährt, bo6 auch manches ©lücfliche, roie er fich balb aufruärtsfteigen fühlt auf einer 33ahn, bie ihm Ccrfolg ju fein fcheint, balb ficb ipteber abmärtsfallen [eben mufo in einem (Erleben, bas ihm ilnglücf unb SRifolingen feiner ^ län e befchert, unb roenn mir uns bann Dergegenmärtigen, baft hinter einer

'Pbiiolopbi« unb Cebcn. V I. 1

(2)

2 S l l b e r t Schtoei feer

folgen fehtoanfenben £ebensbabn eine füblenbe Seele ftebt, bie bies alles halb als tooüenb in fcbulbbafter, felbftoeranttoortlicber Verftricfung felbft b^beigefübrt, halb aber als ihr unoerfcbulbct oon außen auferlegtes ©efd)id empfinbet — bann oerftehen tofr, baß otefe SSKenjchenfeele immer unb immer toieber 3U ber grage fommt: 3Boau bas alles, toas ift ber S i n n oon aUebem, muß bas fo fein, unb n>ie foll id) eigentlich roollcn, bamit es recht tofrb? 'Das ift bie große grage nad) bem lefeten Sin n biefes

©anjen, toas id) mein ßeben nenne, unb ber ganjen, großen SRenlcbemoelt, an bie mein Ceben gebunben erfebeint. (£s ift bie grage nad) bem „Seiten " in biefem allen, es ift auch bi* lefete grage aller „w lofo p b ie*.

3eber 2Ren|cb, er mag ber einfachfte jagelobner ober ein Äonig fein, bat $Iugen- blicfe unb Seiten in [einem ßeben, too er mit bem „ßefeten" in Berührung fommt.

2Rag oiefleicbt burch Wochen, 2Konate unb 3abre eine glüefliebe Stonftellation ber äußeren ilmftänbe, eine glücfliche Veranlagung unb (Erjiebung, bie ibm bas (Erleben feelifcher (Extreme auf lange Seit erfpart, ibm erlauben, oom Ceben fich tragen au iaffen, ohne große (Erfcbütterungen fojufagen oon ber §anb in ben SJtunb au leben — irgenb einmal fommt aueb an einen folgen ber Slugenblicf heran, too feine Sicherheiten ins SBanfen geraten, too feine Schufemauern, bie ibn oor bem barten unb roilben fieben btsber gelcbüfet batten, jerbreeben, unb too er fich bebingungslos ben Stürmen bes 'Dafcins, feien es äußere ober innere, gegenübergeftellt fiebt. ämmer toieber feben toir uns alle einmal in bie alte Urpofition bes 2 Jlenfcben bineinoerfefct, bem unoerföbn-

Iichen ‘Dafein gegenüberjutreten. Ömmer toieber läßt fich bas ßeben nicht mit ober­

flächlichen, (iebgetoorbenen ©etoöbnungen unb SJtajimen abfpeifen, greift es mit barter

§anb burch aUe unfere ängftiiehen Scbufcbüllen binburd), unb 3toingt uns, unfere lefoten 9teferoen b*n>orjubolen; immer toieber tritt es oor uns bin, äuge in 5luge, unb richtet bie lefcte grage an uns: „ 2 Bas toillft bu eigentlich?"

'Das finb bie Momente, too es fich aeigen muß, toas am tiefften oerborgen in uns fteeft, es finb bie Momente ber 9techen|chaftsablegung unb bes ©erichts oor uns felbft, too es um unfer ßefctes gebt.

Solche SJtomente finb, toenn toir flar feben, häufiger als man benft. Unb je tiefer, je etbiföer ein 3Ken|cb in feinem SBoüen ift, befto öfter fiebt er fich Dor bie grage geftellt: 2ßas toiUft bu eigentlich?

Unb bann erbebt fich bie große quälenbe grage nach bem S i n n b e s ß e b e n s . "

Stfbcrf ©<f)tDd£er

Von 51 u g u ft 9 R e f f e r

2Benn rnicb jemanb fragte, toeld)er ber aur Seit lebenben ^bilofopben am meiften meinem 3beal oon einem ^ilofopben entfpriebt unb n>en

id) barum als gübter au einem finnoollen ßeben Don allen empfehlen fönnte, fo toörbe id\) unbebentlicb 211 b e r t 6 d) to e i ft e r nennen.

Unb toarum biefen?

©einer ^tyflofopfefe !ann id) nad) gorm roie 3nbalt in allem 5öefent«

lieben 3uftimmen; fobann fd)äfee id) ooraüglid) an ibm, bafe er feine

^ilofopbie nict)t blofe t^eoretifd)e (Erfenntnis fein läfet, fonbern ba& er fie in feiner ^erfon unb in ber ganaen ©eftaltung feines ßebens unb

$uns in aufeergetoöbnlicbem SRafee oerroirflicbt. (£r ift alfo toirflid) ein

„ßebenspbilofopb" im beften 6 inne bes SBortes, ein „ejiftentieller" ^bt- lofopb, ber nad) einer bas ganae ßeben unb bie gefamte (Sjriftena burd)- bringenben ^bilofopl)ie nid)t bloß ficb fefjnt — rote fo mancher ber heu­

tigen „©enfer" —, fonbern fie in feiner perfönlicben ßebensfübrung unmittelbar barfteOt.

(3)

U l b e r t 6d)tt>eifoer 3

60 toiberlegt er aud) burd) bk £at bas nod) fo m it Derbrettete Vorurteil, als fübre bas ^büofopbieren au einem ungefunben über»

n>ud)ern bes 33erftanbes, bes fogenannten Nationalen unb 3ntelleftuel=

len, als laffe es ©efübl, 3ßille unb STatfraft oerfümmern. 91id)ts t>on allebcm bei ©ebtoeifter! (£r, ber Io nüchtern, fo obne allen „genialen"

Überfcbroang, fo „Derftanbesma'&ig" pbilofopbiert tr>te nur ein Vertreter ber — oon ibm mit 9tecbt gefd)ä't3ten — „Slufflärung", er ift augleid) eine begnabete Slünftlernatur, ber fongentalfte Interpret “Sachs, ber burd) lein Orgelfpiel laufenbe aufs tieffte bewegt. Unb berfelbe Menfd), ber als ©elebrter unb gorfeber auf bem ©ebiete tbeoretifeber 2Biffen=

febaft unb ‘’Pbüofopbie f)ert>orragenbes geleiftet t>at, er ftebt als ein M ann ftärfften Mitgefühls mit mcnfd)lid)em 2eib unb 3ät>efter 3Billens«

fraft t>or uns, ber unter Übertmnbung unfagbarer 6 d)tmerigfeiten fein

©pital im afrifanifcf>en Urtoalb gcfd>affen bat als ein 3Berl tätigfter Menfcbcnliebe. (Näheres barüber in feinen „Mitteilungen aus 2am- barene", bisher 3 f)efte, München, Sed .)

60 fann biefer M ann ben Jaufenben, bie heute unficher, ängftlich, ja oeraagt unb ocratoeifelt nad) bem (Sinn bes 2ebens fragen, eine 2lnt«

wort geben, bie nicht nur tbeoretifd) überzeugt, fonbern bie in fd)tt>ierig- fter Eebensprajis il>re Setoabrung unb Seftätigung gefunben bat unb

ftnbet.

®arum begrü&e id) es aud) — id) barf tt>of)l fagen: im tarnen aller

6 ud)enben unb 23efinnlid)en in unferem 3?olfe — , bafe Schweißer fi<^>

entfd)Ioffen bat, eine ®arftellung feines ßebens unb 5Bir!ens au geben.

6 ie ift im V II. 33anb bes Don 9tapmunb 6 d)mibt b^ausgegebenen

2Berfes „S ie ^büofopbie ber ©egenmart in 6 elbftbarftellungen" er»

Jebienen; ift aber auch g e f o n b e r t au b^en (Verlag gelij Meiner, ßeipaig; 44 6 . mit einem Silb e Schweißers, fart. 2 M ., geb. 4 M .).

Siefe ©elbftbarftellung, in it>rer fcblichten Sacblicbfeit fein 2ßcfen wiberfpiegelnb, gibt mir aud) ©elegenbeit, bie Slnerfennung, bie id) feiner ^büofopljte nad) gorm unb 3nbalt oben gefpenbet habe, näher au begrünben.

2Bir beginnen mit bem dufteren, ber g o r m oon Schweißers philo- fopbifcben Schriften. greilicb aeigt ftd) bier fofort, bafe biefes Säufeere nichts Sufterlicbes unb gleicbfam Zufälliges ift, fonbern eebter Slusbrud feines tiefften Söefens, feiner Menfcbenliebe. S r pbilofopbiert nicht iebiglid), um nur feibft aur (Erfennfnis au tommen ober um einem engen Ärcts oon „gacb'^^bilofopbcn Mitteilungen au macben über „neue"

ßinfiebten, beforgt um bie eigene „Prio rität", nein, er ift wirflid) ge­

leitet oon bem ©ebanfen: ,,‘JBarum fud)f id) ben 2Beg fo febnfud)tst»olI, wenn id) if>n niebt ben 53rübern aeigen foll?" über fein 33ud) „Kultur unb (£tf)if (München, 53ed 1923) febreibt er: „ M it 2lbfid)t oermieb id)

l*

(4)

4 G i l b e r t Scbtoei feer

in biefem “Suche alle pt)tlofop^ifcf)en gachausbrüde. 3ch fchrieb es für benfenbe 2Jien[chen. 2 s follte toieber e l e m e n t a r e s ©enfen über bte in jebem SKenfchentoefen auffteigenben gragen bes ®a[etns toeefen."

3Jtit gutem ©runb [chreibt er einen grofoen STeil ber (Sc^ulb an bem üfttebergange ber Äultur ber ^bilofophie bes 19. 3af)rbunberts ju. $)iefe habe es nicht oerftanben, bas ?lacbbenfen über Äultur unb S?ulturgc[in=

nung, tote es im 18. 3ahrhunbert, im Zeitalter ber „Slufflärung" auf*

gefommen mar, lebenbig au erhalten, (Statt bte Äulturgejinnung tiefer

3U begrünben, als es bte 2lufflärer in ihrem Optimismus oermocht ^at=

ten, habe fich bie ^bilofopbie t>on ber SSJlitte bes 19. 3abrbunberts ab immer mehr ins Unelementare verloren.

„S ie liefe bas in ber Stenge naturgemäß oorbanbene fudjenbe Denfen oerfümmern unb tourbe ju einer SBiffenfcbaft Don ber ©ef<$id)te ber ‘’Pbilofopfcie. 3lus ©efefciebte unb Naturtoiffenfcfraft gebaute fie ficb eine 3Beltanfcbauung aufammenauftellen. Diefe fiel natürlich gana unlebenbig aus unb fonnte feine ftulturgefinnung unterhalten. Die

^>bil£>fopbie ber jtoeiten £älfte bes 19. 3al?rbunberts bat fi<$ überhaupt nic^t mebr mit bem begriffe ber Kultur befd)a'ftigt.

Des ?>altcs bes Denfens beraubt, oerlor ber moberne SKenfd? bie (£inficf)t in bas roirflid)c 3Befen ber Kultur. (Sr glaubte Äultur o b n e (£ t b i f unb bei berabgefefcter 5Belt« unb Cebensbefabung aufrec|terl)alten 3u fönnen. S o fam er, of>ne es au afcnen, immer me&r in bie Unfultur hinein.

Die fulturljcmmenben Umftänbe bes mobernen toirtfcbaftlicfjen unb geiftigen Cebens roirften fid) in ibnen aus, olpne bafe er ficf> gegen fie jur Söebr fefcte. Der über- befcfcäftigte unb ungefammelte SDtenfd) oerfiel ber geiftigen ilnfelbftänbigfeit, ber 3&r«

äufocrlicfcung, einem falfcben 3Birflicbfeitsfinn, einem furjficbtigen Nationalismus unb einer erjebreefenben ipumanitätslofigfeit. Darin toirfte ficb ber Niebergang ber Kultur aus.

21uf ben $Beg jur Kultur fommen toir erft n>ieber, toenn aufs neue ein Denfen über uns 9Kad)t getoinnt, bas bas e t f? i f cf) e SBefen ber Kultur einfie^t. 3Bie bte 9Dtcnfd)en bes 18. Öafrrbunberts, muffen roir toieber etfrifdje 9lationaliften toerben. Die benfenbe 3Beltanfdjauung, bie jene ©eneration niebt 3u (Enbe benfen fonnte, muffen mir toeiterfüfcren. Söenn bie elementaren Probleme ber 33egrünbung ber Crtbif unb ber 2Belt- unb ßebensbejabung uns toieber toirflid) befebäftigen, finb roir roieber auf

bem 2Begc, ber aus ber Unfultur 3ur Kultur aurücffü&rt."

$5 ift alfo feine äu&erltche unb ncbenfächliche grage, um bie es fich hier banbelt, feine ‘’PriDatangelegenbett ber ^btlofopben. Sßte fie fd>ret=

ben, in welchem SKaße fie ficb ibrem 3?olfe gegenüber 3ur gübrung, Anregung, ftlärung oerpflichtet fühlen, bas ift für ben ©rab tt>irflicher Äultur unb Humanität, ber erreicht toirb, oon erheblicher 'Sebeutung.

©etoife laffen ficb nicht a l l e philojophijcbcn gragen in einer (Sprache behanbeln, bie unmittelbar jeben 3)enfenben auch ohne pbilofopbtfchc 53orfenntniffe, insbefonbere hinfichtlich ber gachausbrücfe, Derftänblich fein fönnte, aber anbererfetfs befteht fein S^eifel, bafe hier noch fehr Dieles beffer merben fönnte, ipenn man biefen ©ebanfen ©chtoeifeers be=

herzigen toollte. 9^och immer ift es bei Dielen unferer '’PhiloIophen „Don gaef)" fo, bafe fie ficb für 3U vornehm halten, um „populär'' au [chretben;

bafe populär in ihren Sitfeln für gletchbebeutenb mit ^oberflächlich" ober

(5)

U l b e r t 6 d ) m e i n e r 5

unbebeutenb gilt, unb bafe man meint, fid) entfcbulbigen au muffen, toenn mon toirfltd) einmal ben 2J?ut finbet, etrc>as „populäres" 3U oerfaffen — toobei freilief) burchaus noch nicht gefagt ift, bafe foIrf>er 33erfud) aud)

gelingt!

3Bas ben 3 n h a 11 t>on Schweizers ^^ilofopbie angelt, fo ift er im

2 aufe feines philofophifcben gorfchens unb ^achbenfens 3U einer grunb»

legenben Unterfcf)eibung gelangt, bie fid) mir aud) als fachlich notmenbig unb als höchft bebeutjam unb roeittragenb t>erausgeftellt l)at, 3U ber

Unterfcheibung 3tt>i[d)en „?ß e 11 anfehauung", als bem Inbegriff unferer

2Infid)ten über bie „Sßelt", als ber ©efamtheit bes 2ötrflid)en, unb

„2 e b e n s anfehauung" als ber grunbjä'ölichen inneren Stellungnahme

3U bem 2eben, feinen 2Berten unb Unwerten, Problemen unb Aufgaben.

3n feiner „Selbftbarftellung" fpricf>t fid) Schweizer über biefe Unter»

fcheibung folgenbermafeen aus:

flrofee freuaenbe 3rrmege ber Vergangenheit gilt es hinfort au meiben.

ir bürfen nicht meiterbin in bem aus anfehauung aus einer erfennenben 3ln

'ichfslofen bemühen oerbarren, unfere Cebens- chauung unb einem miflenben ^Begreifen ber 3BeIt gewinnen au mollen. SInbererfeits bürfen mir nicht meiterbin bas betrügerifebe Unternehmen fortfefeen mollen, burd) fü n fte bes $)enfens ßebensanfehauung als 3Belt- anfehauung, bas b^ifet öls etmas aus (Srfcnntnis ber SBelt ©emonnenes, ausaugeben.

3Bir haben uns au bem grofcen Veraidjte au e n tflie ß e n , bie bisher oorausgefefcte Einheit r*on 2Beltanfd)auung unb 2 ebensanfd)auung aufaugeben. 3^id)t burd) ein (£ r - f e n n e n ber 3Belt, jonbern bureb ein E r l e b e n ber SBelt fommen mir in ein Verhältnis au ihr "

11

(öanj in abstracto, bas Reifet allgemein ausgebrüeft, fönnte man ben Unterfchieb aud) fo formulieren: ®ie 333 e it anfd)auung beftebt aus Seins= (nämlid): 2Birflid)feits=) urteilen, bie 2 e b e n s anfcfyauung aus

erturteilen, bie in einem gefühlsmäßigen 2Bert=(£rleben grünben.

2Ius biefer grunblegenben Unterfcheibung ergibt fid) — abgefefyen Don melemanberen — , bafe wir nicht erft burd) religiöfe „Offenbarung" ober metapt)Pfifd>e Spefulation über bie „Siefen" bes ©eins ober über ein

„3enfeits" ber (®rfabrungs=) 335 e it belehrt 3u werben braunen, um über ben Sinn (bas Reifet Sßert) bes 2 e b e n s 3ur Klarheit 3U tommen:

bas bewertenbe Grieben ber erfaßbaren SBelt felbft reicht aus 31t einer

Stellungnahme, bie es mir ermöglicht, meinem 2eben unb Tun wert=

Dollen ©ehalt unb bamit „Sin n " 3U geben.

Se i Schweißer ift jene entfd>eibenbe Stellungnahme 3U cf>arafteri«

fieren als eine B e j a h u n g , bas h^ifet eine pofitioe Bewertung t>on

?Belt unb 2 eben unb als ßh^furcht oor bem 2 eben.

Seine Bejahung ift wie bei Jtiefcfcbe burd) eine Slnerfennung unb tfberwinbung Schopenhauers hinburebgegangen. $as erhebt ihn auch über ben Optimismus ber „ 2Iuftlärungs3eit". ©amals fuebte man bie bejahenbe Stellungnahme 3U begrünben burch bie Über3eugung, biefe

(6)

6 G i l b e r t Scbroeifoer

3Belt Jet bie befte ber SBelten, fie fei aufs ^errlicbfte eingerichtet, wahr­

haft eines alleroollfommenften 3öefens, eines ©ottes als ibtes (Schöpfers toürbig. gür jeben tiefer ‘öliefenben unb feiner gühlenben ^at Schopen­

hauer biefen augleid) oberflächlichen tote „rüchlofen" Optimismus enb*

gültig erlebigt. 2Iber toährenb e r nun 3U einem peffimiftifchen Vertoer- fungsurteil über bie 3Belt unb 3u einer grunbfäfclichen Verneinung bes SBfUens 3um ßeben gelangte, hot fich ©chtoeifeer — ebenfo tote Stiefcfche

— bei aller 2lnerfennung ber büfteren ©eiten ber SBirflichfeit boch 3u

einem tapferen „3 a" gegenüber ber 3Belt burchgerungen.

^Praftifchen 3nhalt aber gewinnt biefes „3 a" oon einem grunblegenben SEBerterleben fyzr, bas ©chtoeifcer bie „®h^furd)t oor bem ßeben" nennt.

®ies SBerterleben bleibt aber bei ihm fein paffioes, untätiges ©efühl, fonbern ift ihm 3ugleich Quelle eines ftarfen 3Bollens, eines f i 11 -

( t d> e n SBollens, beffen leitenber ©runbfafc lautet: ,,©ut ift: ßeben erhalten, ßeben förbern, enttoicflungsfähiges ßeben auf feinen höchften

2Bert bringen. 33öfe ift: ßeben vernichten, ßeben beeinträchtigen, ent=

toicflungsfähiges ßeben hentmen."

SBenn es 3um SBefen ber 31 e l i g i o n gehört, bafe ber SKenfch in einem inneren Verhältnis 3u einem als abfolut gefchäfcten Sßert fteht, fo erfennen toir hfer, baß bie Ch^f^rcht oor bem ßeben ben Äern t>on

©chtoeifcers (Ethif unb R e l i g i o n barftellt. (Sr befennt felbft: „ 2Uler

Nationalismus, toenn er in bie Stefe geht, enbet in SDlpftif. 3n ber 6 ht=

furcht oor bem ßeben erhebe ich mein ©afein auf feinen höchften 3Bert unb gebe es ber 3Belt hin. 2Ius ber SKpftif ber ®hrfurcf)t oor bem ßeben fommen bie 2lnfriebe, bie 3Berte 3U fchaffen unb 3U erhalten, bie 3ur

Vollenbung bes SKenfchen unb ber Sftenfchheit 3toecfbienlich finb unb in ihrer ©efamtheit bie Äultur ausmachen."

f)ier erfennt man auch beutlich, toie fich bie fittlich-religiöfe Haltung

©chtoeifters mit ihrem grunbfäfclichen „ 3 a" 3ur Äultur abhebt oon ber toeltflüchtigen unb fulturoerneinenben f>altung eines Äierfegaarb unb feiner heutigen Verehrer (33arth, ©ogarten unb ihre Anhänger). 9ftir fcheint in bem tapferen unb tatkräftigen „ 3 a" ©chtoeifcers toeit mehr echte ßiebesgefinnung 3U walten als in Dem harten Säburteilen über Äultui unb SSKenfchenleben, bas toir bet ben Vertretern ber bialeftifchen

ST^coIogtc finben.

über ©chtoeifters Äulturphilofophie1) h^be ich fchon im 1. 3ahrgang oon „^büofopbte unb ßeben" (1925, £eft 3) mich ausführlich geäufcert.

f>ier fei nur nochmals ein prin3ipielles 33ebenfen h^toorgehoben, bas ich

*) 1. 93anb: „Verfall unb 3Bieberaufbau ber Kultur". 65 6 . 3. 5lufl. 1928. (Verlag 93ecf, SUüncben.) — 2. 93anb: „ffultur unb (Et&if". 280 6 . 1923. 2. 2lufl. 1925.

((Ebenba.) — 93anb III |oll bie „Sttpftif ber (Ebrfurc&t öor bem ßeben", 93anb IV bas SBefen bes Äulturftaates bebanbeln.

(7)

I b c r t 6 d)tt>eit3er 7

bamals fct>on anbeutete: $)ie (£t>rfurc^t oor bem 2 eben — fo fehr ich bie barin enthaltene 2Bertfd>ät3ung teile — fd>eint mir als ©runbgebanfe für

bie Sthif nic^t ausreichenb.

©chtoeifcer hält aber aud) in feiner ©elbftbiographie baran feft. Sr fd>reibt: „®ie Stt>il fragt nicht, ob biefes ober jenes 2eben als toertooll erhalten unb geförbert roerben foll. ® a s 2 e b e n a ls f o 1 cf> e s [oon mir gesperrt!] ift bas geheimnisvoll Vkrtoolle, bem ich in ©ebanfen unb Sun Shrfurcht au ertoeifen habe."

JDtan benfe nun baran, bafe uns bas 2 eben felbft oor ein frf>tr>eres Problem ftellt: 2Bir fönnen nicht leben, ohne anberes 2 eben 3u oer=

nichten. 6 clbft toenn tt>ir uns ber tierifchen Nahrung enthalten, fo müffen toir boch, um uns au ernähren, bas 2eben oon aahllofen ‘'Pflanaen opfern.

Sbenfo müffen toir liere töten, bie uns fchäbigen unb bebrohen ober — toie Ungeaiefer — läftig finb, fo bafe fie uns in unferer Kulturarbeit ftören.

2Benn toir alfo überhaupt unfer 2 eben unb unfere Kultur befehen, fönnen toir nicht fchlechthin a l l e s 2 eben erhalten unb förbern {wenn

toir auch an bem ©runbfafo fefthalten follten, nicht ohne Not 2 eben au

hemmen ober au acrftören).

3Benn toir nun aber ben 6 inn biefes unferes praftifchen Verhaltens (bem auch ©chtocifeer felbft fich unmöglich entaiehen fann) theoretifeh in Söerturteilen uns flarmachen, fo ift bamit gefagt, bafe xr>ir boch 2 ebcn

nach feinem höheren ober geringeren 2Bert beurteilen unb je nad)bem behanbeln. ®as gilt auch für unfere (fittliche, äfthetifche ufto.) ‘Sctoertung oon SKenfchen unb menfehlichem Verhalten unb für unfer baraus hcroor- gehenbes fmnbeln. 2luch alles menfehliche Sun, bas toir als leben- hemmenb, als fchmarot3erifd>, ausbeuterifch, fura, als „böfe" oerurteilen, ift ja 2ebens=3ufeerung. SBerben toir oor 2 ebetoefen, beren Kraft im toefcntlichen im ‘Böfen fich äufeert, „Shrfurcht" haben fönnen, ja auch nur bürfen?

3ßenn uns bie Sthif 2Inttoort geben foll auf bie immer toieber — ge=

rabe angefichts ber Probleme unb Konflifte bes 2 ebens — fich aufbrän- genbe grage: 2Bas follen toir tun?, fo toirb bie 2lnttoort nicht genügen:

'Du follft Shrfurcht oor bem 2eben haben, bu follft nicht 2eben abtoerten, fonbern alles 2eben als folches erhalten unb förbern. Vielmehr müffen toir nach bem oerfchiebcnen 2ßertrang oon 2 ebensaustoirfungen (unb ihrer Präger, ber 2 ebetoefen) fragen; toir müffen uns beshalb über bie 2Irten

ber Vierte unb ihren Nang flarautoerben fuchen. daraus ergibt fich:

©chtoeifecrs ethifches ^rinaip ber Shrfurcht oor bem 2eben mufe feine Srgdnaung finben in einer Vkrtethif, toie fie in oorbilblicher Sßeife Nicolai fmrtmann in feiner Sthif (1926) aufgebaut hat.

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8 „ ^ k i l o f o p b i e unb ß e b e n " bei CE r n ft £> a e cf e I

, , ^ P ^ l{ o J o p ^ ic u n b £ e b e n “ b e i C r r n f l J p a e c f e l 33on (Eberfcarb B e n n e r t

333fr machen oft bie Beobachtung, bafe Wlofophie unb geben eines SRannes nid)t in Sinflang ftehen, fonbern oft genug einen getmffen

©egenfafc feftftellen laffen. $as foll heifeen, bafe bas 2eben bes Betref=

fenben gana anbers ausfieht, als bie Äonfequenaen feiner philofophifchen Cehren erwarten laffen. SDtan füt>rt als Beifpiel — ob mit 5ted)t? — gewöhnlich 6 d) ope nha ue r a n. Oefct entfd)leiert ftd) uns ein Beifpiel, bas (ebenfalls jene geftftellung beir>at>rF>eitet. (Es betrifft ® r n ft

£> a e d e l. 3ch f)abe 3wei Sahwhnte binburch in frf>ä'rfftem ©egenfaft unb Kampf au ihm geftanben1), unb id) fef)e mich gerabe besbalb um ber f)iftorifd)en ^Baf^r^eit willen oerpflichtet, jefet au bem Problem bas SBort 311 ergreifen.

(£5 war im Safcre 1898. ©a ftanb £>aedel auf ber §)öhe feines Nuhmcs.

©er Sturm, ben feine „Natürliche ©rf>öpfungsgefd>id>te" erregt hatte, hatte ficf) gelegt; man fchä'fcte ihn als bebeutenben 3 oologen unb roufete, bafe er nach feiner 3Be(tanfd)auung SRaterialift ober — beftenfalls — Anhänger einer 2lrt SUlbefeelungslehre war. 3Ran fannte ihn als eine bei Singriffen heftige Natur unb Braufefopf, aber bet feiner ©egncr=

fchaft gegen bas £()riftcntum hatte er bocf> immerhin noch SKafe gehalten.

(Embrpo=„8 a'lfchungen" 3ugunften feines „biogenetifchen ©runbgefefces"

unb ber Slffenabftammung bes 2RenJd)en hatte ihm § )is fchon in ben 70 er fahren fcorgeworfen. SIber, wie gefagt, man bachte fefet ruhiger über ihn. £s mar jeboef) 9tuhe oor bem Sturm; benn im lebten Öahre bes [fahrhunberfs erfchienen bie „ £JBelträtfel" unb entfcffelten

einen Sturm, wie feiten fonft ein Buch.

Sllfo: in biefer Seit war es, am 29. Januar 1898, ba erhielt £>aedel ben Brief einer 30 jährigen abltgen ®ame, bie ein Buch &on ihm gelefen h^tte unb nun bat, ihr weitere 2 eftüre in ber Dichtung 3U

empfehlen. §>acdcf antwortete ihr fehr freunbltch unb fanbte ihr einige entfprechenbe Bücher, daraus entfpann fid) ein lebhafter Briefwechfel, ber 3U greunbfehaft unb, nachbem bie ©ame §aedel in &na auffuchte,

3U großer Ciebe führte. SIHein fchon 1903 erfranfte bie ®ame, wohl an Scbwinbfuchf, unb ftarb am 1 1 . Nooember. £aedel überlebte fie noch 16 Oflhre- Nunmehr ift ber Briefwechfel beiber unter bem $itel „ftran»

3tsfa Don Slltenhaufen, ein Noman aus bem ßeben eines berühmten Spannes" (46.—60. laufb., ffocblcr u Slmelang, 2 eip3ig) erfd)ienen unb

ersä'hlt ber 3Belt oon einer erfchütternben (Spifobe aus bem ßeben

*) 33gl. meine 6d)riften: „'Die ‘Jßabrbeit über (£. §>aedel unb [eine Söeltanfdjauung“.

6on>ie „(£. £>aecfels 5öeltan[d)auung", beibe (£. (£b. SKüller, £alle a. b. 6 .

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„ ^ b U o f o p f M e u n b C e b e n " b e i ( £ r n f t £ ) a e c f e l 9

f)aedels, oon ber bisher faum jemanb eine Slhnung hatte. Sonberbar mutet es an, baß alle tarnen in bem Sud) geänbert finb: §>aedel wirb

3u ,/^aul Sfämpfer", $ena au „Hochburg", jene ®ame au „granaisfa t>on Slltcnbaufen". ©abei errät man aber fofort, baß es fid) um (Ernft

£>aecfel banbelt. (Es gefchaf) wohl aus 9tüdficht auf bie gamilie ber

©ame, obwohl ja nichts (Ehrenrühriges für leßtere in ihrem Verhältnis ju §>aedel liegt, im ©egenteil.

'Diefer Sriefwechfel nun ift geeignet, bas Silb , bas fich oicle t>on bem berühmten SÜRann gcmacht haben, au änbern; benn hier tritt uns nicht ein rüdfichtslofer Kämpfer, fonbern ein weicher, liebebebürftiger unb liebefpenbenber SERann entgegen, mit beffen fchwerem Schidjal man

nniges SDlitleib empfinben muß. 35aß |>aedcl eine fehr liebenswürbige Statur war, beaeugten fchon früher Diele feiner Schüler, unb ein (Ehepaar, bas mit ihm unb feiner ©attin in Italien aufammentraf — es muß wohl gerabe am (Enbe jenes Liebesromans 1903 gewefen fein —, fchilberte mir

bie rührenbe Sorgfalt, mit ber §acdel feine tranfe grau umgab.

Öaedel war auerft mit einer Äufine oerheiratet, beren fehr früher Sob ein furaes (Eheglüd beenbete. (Er hat fie nie oergeffen; benn feine aweite grau war nicht geeignet, ihm für bas oerlorene ©lüd (Erfaß au fchaffen.

Obenbrein erfranfte fie balb unb bereitete ihm bann Sahwhnte hinburch ein qualvolles ßeben, bas burd) bie Schwermut einer Sochter noch jehwerer au ertragen würbe. 2öas ?öunber, baß ber baburd) in ber gamilie fo fchwergeprüfte ©elehrte fich nun, faft menfehenfeheu, mehr unb mehr in fein aoologifches 3nftitut au 3 ena aurüdaog unb mit feinen Schülern nur ber 2ßiffenfd)aft lebte.

So ftanb es um ihn, als 1898 jene hochgebilbete unb geiftig be*

beutenbe junge Dame in fein innerlich oereinfamtes ßeben eintrat unb es nun noch einmal mit neuem fpäten ßiebesglüd, aber auch mit fchwerem Äampf erfüllte, ©er 21ltersunterfcf)ieb awifchen beiben betrug ein 2Renfcf)enalter. S e i f)aedel war es ja oerftänblicf), baß er trofc feines Alters noch einmal in jugenblicher ßiebe entflammte, allein auch in

„granaisfa" erwuchs fchließlich eine wahre, große Siebe au bem ergrauten SERann, bie unabhängig war t>on ber Verehrung, bie fie au ihm geführt

hatte, ßernen wir nun fie aunächft tennen.

Sie entftammtc einem aftabeligen unb fchon bem £>erfommen ent- fprechenb fehr religiöfen ©efd)led)t. Sic lebte mit ihrer tieffrommen unb jehr geliebten SERutter unb einer Schwefter aufammen, muß aber innerlich bod) wohl fchon eine anbere Stellung au SReligion unb (Ehriftentum ge­

wonnen haben, bie fie au f)aedel trieb; aber auf ber anberen Seite behielt fie bod) auch troft ber fchweren (Erjchütterung, bie nun ihr ©laube erlebte, oon bemfelben einen gewiffen Äern, eine religiöfe ©runb«

ftimmung unb einen verborgenen ©ottesglauben. So fommt in ben

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10 „ s7 ) b i l o [ o p f ) i e unb C e b e n " bei Gcrnft $ a e cf e l

Sriefen immer wieber bie ?ßenbung t>or: ,,©ott fegne S ic " ober ,,©ott fd)üt3e Sie", unb cs war bies feine leere Lebensart; benn fie befchwert ftrf> einmal, bafe §>acdcl barüber gelächclt habe.

©er Sinbrud, ben man oon granatsfa aus ben ^Briefen erhält, ift ber eines fchr fpmpathifchcn, innerlichen unb tief=fittlid)en Menfchen. ®er Äonflift, in ben fie burd) ihren Srief an f)aedel mehr unb mehr geriet, griff ihr 3nnerftcs an, fie fuchte ihn ernft=etl)ifd) au löfen, unb er war es aud) wohl, ber mit baau beitrug, bafe fie fo früh Dom ßeben 2lbfcf)ieb

nehmen mufetc unb ohne bas ©lüd, bas fie tief im £>cracn immer noch erfchnte unb erhoffte.

Unb £>acdcl? — 2lud) er tritt uns in biefem merfwürbigen Such als ein ernft=fittlicher Sharafter entgegen, beffen ethifchcr Ginftellung jene grioolität fernliegt, mit ber er bem ©lauben in feinen Süchern entgegen»

trat. 3)as ift es, was uns hier au einem beachtenswerten Problem wirb,

„^hilofophic unb geben" follen bocf> in enger Seatehung aueinanber ftchen unb tun bies auch gemeinhin in ber ^rayis. ^hilofophie foll ja boch eine 2Belt= unb ßebensanfehauung aeitigen, ja, in einer folchcn gipfeln, ©ana gewife helfet es auch hier: „ 2tn ihren grüchtcn follt ihr fie erfennen " Sas ßeben foll unb wirb aeigen, wes philofophifchen ©elftes Äinb fein Träger ift.

Scbarf es nun noch eines Scwctfcs, bafe ber Materialismus, ben

£>aedcl prebigte — unb im tiefften ©runbe auch ba, wo er etwas pan=

pfpchiftifd) oerbrämt war —, eine fittliche 3ßeltorbnung unb bamit eine echte Sthif ausfchlofe ober bod) wenigftens nicht au einer folchcn führte?

golgerichtigcr Materialismus, ber ben ©eift als befonbere 2Befenhcit

leugnet unb bem baher ber Menfd) nur ein „befferes Tier" ift, barf nur finnlfches Trieblcben, aber feine mcnfd)liche Gthif anerfennen. (Es ift ein SBahn, oon „matcrialiftifcher ®tf)if" au fprcchen, unb wenn ber Mate=

rialtsmus — wie 3. S . bei §>acdel — mit ethifchcr Sinftellung oerbunben ift, fo banbelt es fich babet um altes Srbgut ober um Slnleihe feitens einer religöfen SBeltanfchauung. Unb wenn £acdcl felbft barin flarer gefehen hätte, fo würbe er, ber ja manchmal, auch granaisfa gegenüber,

btc grömmigfeit feiner Eltern unb bie feinige in ber Öugenb betont, feinen eigenen ethifchcn Stanbpunft als „Sltamsmus" beaeichnct haben.

So fehen toir benn alfo, bafe bei §aedel awifchcn ^hilofophie unb geben eine ©ioergena befteht, welche letzteres als infonfequent ober aber jene als unaurcichenb erfchcincn Iäfet. prüfen wir bies nun nach feinem Verhalten in biefer ihn fo fpät im 2 ebcn nod) ergreifenben ßiebe, beren tragifchc Seite barin liegt, bafe er an eine ungeliebte franfe grau gebunben war.

2lm 17. Ouli 1899 hatten bie beiben gelegentlich eines gemetnfamen Sefuches ber 3Bartburg ihre „feelifche Verlobung" begangen; in bem

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„ ^ b i l o | o p b i e unb £ e b e n " bei ( J r n f t accfc 1 11

barauf folgenben Sllltagsleben aber wuchs nun ber Äonflift in ihnen, ben ber ©ebanfe an bas eigentlich Unmögliche ihrer Sage ertoeefen mufete.

6 d)on in einem <23ricfe oom 5. Sluguft rr>irft §aecfel bie grage auf, was nun geliehen foll, ob in ihrem greunbfchaftsbunb auch „bas Jüfeefte aller SBorte: Siebe" Plafe finben bürfe. 3n bem „fchweren Äampf awifchen bitterer Pflicht unb füfeer Neigung" erfcheinen ihnen fchliefelich nur brei gälle möglich: erftens 3tücffehr auf ben früheren objeftioen unb rein freunbfchaftlichen 6 tanbpunft, aweitens gebulbigcs Slbwarten einer 3ßen=

bung bes ©efehiefs (b. h- bes Tobes feiner jefcigen grau) unb enblid) brittens: aufammen in bie weite ?ßelt aiehen, in irgenbein fernes Parabies, wo er frei [einen wiffenfchaftlichen Slrbeiten unb fie beibe ihrer Siebe leben fönnten.

£>aecfcl gefteht ber ©eliebten, bafe er bie britte Sftöglichfeit lange ernft erwogen, bann aber aufgegeben habe — aus Pflichtgefühl. „5Bir würben", fchreibt er (6 . 91), „unfere Pflicht gegen ©eine unb meine gamtlte oerlefeen, unb ich würbe meinem mühfeligen Sehenswerte bie=

jenige ©tüfte nehmen, beren es als me i n 3Berf burchaus bebarf: bie

6 tütje eines fledenlos reinen Sharafters." 2 s blieben alfo nur bie beiben anberen gälte, unb ba möge fie, granaisfa, entfeheiben.

®iefe ethifche 6 tellungnahme §>aerfels oerbient heute betont au werben, in einer 3 eit, in ber bie 2luflöfung ber 2 he, felbft in noch angeblich

„chriftlichen" Greifen, fo leicht genommen wirb, faft wie ber SBechfel eines Slleibungsftücfes.

©ie Antwort granaisfas ift nun für fie fehr fennaetchnenb (6 . 94):

Sen 1. unb 3. gall fönne fie überhaupt nicht in ‘Setracht ziehen, ber 2.

aber bebürfe einer wefentlichen Äorreftur, um einen möglichen 2öeg au

eröffnen. Ss fei peinlich, gefährlich unb unrecht, auf ben Tob feiner armen grau au toarten, ja, auf ihn au hoffen. Ss würbe bie 6 eele ihrer greunbfehaft oergiften. Ss gebe nur e i n e n 2Beg für fie: er müffe feiner grau offen bie 2Bahrheit fagen unb baburch ihre greunbfehaft fanf=

tionieren. (Seine grau müffe feine fchweren 6 eelenfämpfe unb fein Opfer ber fintfagung erfahren; bann fönne er oon ihr forbern, bafe fie

ihre greunbfehaft ehre unb achte unb ihm baburch etwas mehr 6 onnen=

fchein in feinem freublofen f>eim gewähre. Sicht Tage barauf gibt £aecfel ber ©eliebten bas ©elöbnis, in ber bunfel oor ihnen liegenben 3 ufunft

ftets ben borncnoollen 3Beg ber Pflicht au gehen; aber feine grau auf=

auflären, fei bei ihrem leibenben 3 llftanb unmöglich, auch würbe fie bafür gana oerftänbnislos fein (6 . 10 1 ). Sr wolle feiner „armen grau alles ©ute unb gröfete ©ebulb" erweifen (6.103). Unb bartn beftärft granaisfa ihn (6.126): „Srweifen 6 ie ber Äranfen alles ©ute unb Siebe, tragen 6 ie alles in ©üte unb ©ebulb! SDtit bewunbernbem SSRit»

leib benfe ich baran, wie fchwer biefe Pflichterfüllung für meinen greunb

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12 „ sl) b i 1 o f o p b i e unb ß e b e n " bei (Ernft £> a e cf e l

ift. ©enn roa^rtld), tragifd) ift bas ©efchid, bas auf uns liegt: bort eine arme, franfe SQZärtprerin, bie mit müben 2lugen nur ben ©chatten auf (Erben ficht unb gerne fd>Iafen geben möchte; aber fie inufe an ber ©eite bes Slünftlers, ber überall blüt>enbe 9tofen erblidt, toeiterleben — unb hier eine grau, bie ihm 33tüten bieten fönnte unb ihm oerftänblich ift in jeher SKeroenfafer, unb fie mufo ihm fernbletben!"

« 1s beibe fich bann gegenfeitig „greunbfehaftsringe" fenben, fchreibt

§>aedel (6.133), er habe fid) gefragt: „33erftöfet biefer 9tingtoecf)fel nicht gegen bie Wicht ber 2 reue gegen meine grau? 2Iber er ift ja nur eine Seficgelung befTen, toas uns lä'ngft oerbinbet, unb ich fann ehrlich fagen, bafe meine grau burd) meine greunbfehaft mit 3hnen nichts eingebüfet hat, bafe ich vielmehr feitbem oiel gebulbiger unb nachfichtiger gegen bie arme Äranfe geworben bin. ©o nehme unb gebe ich ben 9ltng als ein äufoeres Reichen unferer ©eelengemeinfchaft unb 3ugleich als eine 33ürg*

fchaft, bafe mir gemeinfam, ohne unfere Pflichten au t>erlet3en, ben rechten 3Beg toanbern wollen." 2Ran tr>irb biefe 3Borte nur mit Führung unb Verehrung für ben, ber fie fchrieb, lefen. ®as fage ich, ber ich ben

©chrciber aus ©ewiffensgrünben atoei ^ahraehnte hinburch toegen feines materialiftifchen SDlonismus fcharf betämpfen mufete.

©etoife totrb bei allebem auch &er tief=ethifche (Eharafter granaisfas baau beigetragen haben, f>aecfels Stellungnahme au befeftigen. 9tur mit

©etoiffensbiffen benft fie an ein 3 ufammcntreffen mit f>accfel; benn es mufete heimlich erfolgen, toeil ihre SWutter über bie ganae ©ache fo unglüdlicb war. ©ie fchreibt (©.132): „3n ber greunbfehaft atoifchen SSJlann unb grau ift es eine fo feine, aarte ©renae, bie bie geliebte, hoch=

geachtete grau oon ber ,©eiiebten‘ (SWä'treffe) fcheibet. ©ie müffen mir helfen, bafe ich in ber fchwierigen Sage, in ber ich mich burch meinen greunb befinbe, gut unb rein unb toahr bleibe." Unb fpäter (6.138):

„Safe uns alles tun, um biefe große, reine, ibeale 2 iebe, tote fie nur toenigen Sluserwa'hlten auteil toirb, au erhalten unb oor allem Übel au fchüften! 2Birb fie uns genommen, bann finb toir arm. Solange toir fie haben, fönnen toir alles tragen. §>ilf mir, bajj fie gut unb grofe unb fchön unb toahr bleibe!" — Sin anberes SDtal (6.155) lehnt fie ein 3Bteber=

fehen ab, folange feine grau noch lebt, weil es fie in ein 9teft oon 33er=

ftellung unb ßüge oerftriden würbe. ©chon bas ^Barten auf ben Tob feiner grau fei ja ein Unrecht.

©iefe ethifche (Einleitung beiber ift gana geroife noch religiös begrünbet, benn eine Äonfequena ihrer materialiftifchen ^hifofophie ift fie, toie fchon ausgeführt, nicht. Set f)aedcl ift es ein (Erbteil bes (Elternhaufes, be- fonbers ber oon ihm fo bochoerehrten SWutter. Se i granaisfa aber ruht boeb noch im tiefften Untergrunb ber (Seele ein ©ottesglaube, auch bies erwähnten toir bereits. (Es fei ba auch noch auf eine toertoolle ©teile

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„ ^ b U o f o p p i e u n b 2 e b e n " bet E r n ft £>ae<fel 13

ihres Briefes Dom 25. 3uli 1899 hingetoiefen (6.84). ©ie bcmcrlt Dorier, toie tounberbar es boch UL ,/bafe fie beibe fiel) fo gefunben hatten.

S t roerbe cs ja toohl alles gana natürlich aus ber Konftrultion ihrer Körper, aus Anlagen unb Vererbungen ertlären; aber", fährt fie fort:

„ich fcerfichere 3hnen, bafe m ir bas mel fchtoieriger unb unnatürlicher

3U glauben tft, als bie 3bee eines großen, allumfaffenben SBefens, oon bem am lefcten Snbe boch alle gäben bes fo mannigfaltig oertoicfelten

©etoebes auslaufen. 5B i e biefe gäben getnotet unb gefchürgt »erben, — bas au erfennen, ift nicht 9Jtenfd)enfache; aber es gibt eine f>anb, bie fie lenft. Sieber greunb, 3hte ganae Sntioicflungsgefchichte . . . entjueft mich — ich glaube an fie unb ich glaube gern an alle baraus gezogenen Konfequenaen. 2lber hinter ber erften Urzeugung i ft ettoas, bas toir nicht au erflären oermögen — es rebet au uns, roenn toir einanber ins 2luge

fchauen, es fteht bei ©eburt unb ©rab hinter uns, es ift au groß, um fein

®efcn au erfaffen, aber es ift i n unb u m uns, unb auch ©ie, mein greunb, glauben baran."

granaisfa geht aber noch roeiter, felbft bem Shtiftentum fteht fie noch freunblich gegenüber. ©ie geht noch (©• 135) aum Slbenbmahl, freilich aus Siebe unb ©chonung für bie SJlutter; aber (©.172) fie toürbe auch als feine grau ab unb au in bie Kirche gehen, fo toie fie bei ber SJtutter SRorgenanbacht unb Sifchgebet gern bie £änbe falte, greilich nennt fie es eine „füfee 3nfonfequena" unb fpricht oom „Kinberaauber" ber Religion, oon bem fie fich nur fehr fchtoer unb mit 93etrübnis losreifeen tonnte.

(Es ift au oerftehen, bafe granaisfa unter biefen Umftänben bas Sr«

fcheinen ber „2Belträtfel" ungern, ja mit 93etrübnis erlebte. ©chon oor»

her hatte fmecfel ihr bas elenbe unb fchmufcige Pamphlet bes Sng«

länbeTs „©alabin" (in bem Such „Netoman") gefchieft, bas ja feine einaige Quelle für bie Sntftehung bes Shnftentums in ben „SBelträtfeln"

toar, ein ^unft, ber ein pfpchologifches 9tätfel ift, noch mehr nach bem Srfcheinen biefes 53rieftoechfels. 2Bie fonnte ein 2Jtann toie fmecfel mit bem tiefen ©efühl für Pflicht unb SBahrheit, bas uns h i e * entgegen­

leuchtet, baau fommen, biefen ©chmufc fich 3U eigen au machen, ftatt beutfehe Sheologie, unb toäre es bie liberalfte, au befragen!

granaisfa lehnt ©alabin als „apnifch" unb „unoornehm" ab unb bebauert es, bafe fmedel fich &on ihm fooiel habe beeinfluffen laffen (6 . 110 ). gür fie oertörpere fich in ber ^Perfon Sefu bas hoffte menfch*

lid)e 35eal, unb feine ^rebigt oon ber Siebe unb 33armberaigfeit fei ihr bas 33ollfommenfte, toas je ein SSlenfch ausgefprochen hat. Kein 2Bunber, baß ihr unter biefen Umftänben auch bie „SBelträtfel" felbft ©chmera bereiten, ©ie beflagt (©. 121) oiele Schroffheiten unb Sinfeitigfeiten, ja, manches toirft auf fie „gerabeau oerlefcenb". „S s gab Slbenbe," fdjrieb

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14 „ ^ P b i l o f o p b i e unb ß e b e n " bet (Ernft £> a e cf e l

fie, „an benen icf) bas Such fehr beprimiert fortlegte unb mich fragte, roie es möglich fei, baß ich Sie fo lieb haben fann." — 3ch benfe, biefes Sefenntnis eines SKenfchen, ber §>aecfel mit fo großer Siebe anhing, rechtfertigt es vollauf, baß anbere, bie ihn nicht fo gut fannten, bie

„SBelträtfel" mit größter Schärfe angriffen. Sie vermißt (S . 63) in vielem bie Objeftivität, tvo fein ©cmüts= unb ©efühlsleben hineinfpiele unb tabett feinen „beißenben, verleßenben §ot)n", obtvohf er viel <25e=

rechtigtes gegen (Ehriftentum unb Religion fage.

So ift fie benn auch ber Sache nach mit feiner Sehre einverftanben (S. 63) unb bervunbert feinen untverfellen Verftanb, fotvie bie Klarheit unb Sicherheit, mit ber er bie tiefften 9tätfel au löfen fuche (S . 121).

Dabei erflärt fie auf ber einen Seite, feine Sehre fei nur für bie Starten, betont anbererfeits aber ben verebelnben (Einfluß bes (Ehriftentums auf bas ©emüt — unb fittliche Seben, tvährenb §aedels Sehre ben SKenfchen eine Religion ber Vernunft gebe, bie nur ben Verftanb befriebige; „aber bas f)era geht leer aus" (S . 64). Mehrmals meint fie, baß unfer ©e=

fehlest für §>aedels Materialismus noch nicht reif fei unb ftellt (S . 48) bie im ©runbe bei ihr bod) fehr befrembenbe grage, ob unfer ©efchlecht bafür fchon ben „erforberlichcn Silbungsftanb", ja bie Stufe „fittlicher Steife" habe. Dies letztere ift boch eigentlich nur fo au verftehen, baß fie im tiefften §>eraen es fühlt, baß f>aedels Sehre nicht au fittlicher Steife erheben fann. Dies ift bann aber boch eine vernichtenbe Äritif feiner

„^hilofophie", ba fie bem inneren Seben nichts bieten fann.

2luf £aedel felbft hat biefe Äritif bes von ihm fo fehr geliebten 3Kenfd)en offenbar boch tiefen (Einbrutf gemacht, unb er banftc ihr (S. 148) für „bas fräftige ‘’Pfui", bas fie auf bie Slorrefturbogcn ber

„SBelträtfel" gcfchrieben unb „baburd) mehrere Derbheiten bes U n = g l ü d s b u c h e s verhütet habe". (Er nennt bas 2ßerf alfo felbft ein

„Unglüdsbuch". (Er fchreibt ber greunbin bann auch (S . 149), tvie fd)tver ihn bas Verhalten feiner Senenfer Kollegen träfe, bie ihn mit „eiftgem Schweigen" behanbelten, ja, fich von ihm aurüdaögen. 2lm tiefften ver=

lefcte ihn aber, baß er infolge ber „SBelträtfel" feinen beften greunb ver=

lor. (Es war ber Slnatom ©egenbaur in §>eibelberg (in bem 23rief=

wechfel „Schloffer" genannt). Sr fchreibt barüber S . 179 ff. 2lls §>aedel 1900 au ©egenbaurs Jubiläum nach f>etbelberg fam, empfing biefer ihn fehr fühl unb nannte in bem folgenben fehr erregten ©efpräd) bie

„ ‘ffielträtfel" „ein elenbes Machwerf". (Er fügte hinau: „Solches 3eug fehe ich nicht an." Der ©runb war freilich boch etwas fonberbar, benn als f)acdel fagte: „Sieber greunb, bu haft ja boch biefelbe 5öelt=

anfehauung wie ich" — antwortete ©egenbaur: „S o was läßt man aber nicht bruden."

9tod) ein ‘’Punft fei aur Sennaeichnung biefer beiben Menfchen erwähnt.

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„ T J b i l o f o p b i e unb ß e b e n " bei (£ r n ft $ a e cf e l 15

f)aedel befennt fid) (6.145) aum Selbftmorb. 9lebet er biefem ober ber

„Selbfterlöfung", wie er befchönigenb lagt, bod) aud) in ben ,,3Belt«

raffeln" bas 2Bort. 9tad) ihm hat man burd)aus bas 9kd)t, ein eienbes, ausfid)tslofes ßeben fura entfd>loffen au enbigen. ßs ift bies einer ber fünfte, an benen fid) fo red)t beutlid) aeigt, wie wenig feine atheiftifche

^tylofopbie für bas ßeben leiftet, ja, bafe fie fogar lebenaerftörenb ift.

§>acdel bringt es bann aud) fertig, ber ©eliebten offen au fehreiben, bafe er auf allen feinen Seereifen 3panfali unb Morphium behufs „Selbft=

erlöfung" mit fid) fübre. Übrigens oerfpreche er ihr, nicht ohne ihr SBiffen aur „Selbfterlöfung" au fchreiten; folange er es oermag, wolle er auch fämpfen; aber noch einen folchen SBinter wie ben lefeten (1899/1900) in 3 ena werbe er faum aushalten.

ßs ift erflärlich, bafe folches Sefenntnis bie arme granaisfa fehr er=

fchredte, unb es ift wieber fehr fennaeichnenb für fie, was fie ihm auf eine erneute berartige Slnbeutung antwortete (S . 171): „ßs befümmert mich tief, bafe bu mit bem ©ebanfen an ben freiwilligen 2Ibfd)ieb Dom ßeben fo leichtfertig umgehft, bei jebem grofeen Schmera, ber bir wtber=

fährt ober wiberfahren fönnte, fofort an bas Säufeerfte benfft. ®a lobe id) mir bod) unfer ßhriftentum, bas ben SRenfchen ftarf macht für ben Kampf gegen bas ßeib biefer ßrbe!" — ®arin liegt bod) wieber eine

oerniebtenbe Kritif oon f)aedcls „^bilofophie" unb Sßeltanfchauung.

3 um Schlufe fei noch berichtet, wie §aedel fid) in biefem intimen 'Srief*

wechfel felbft fennaeichnet. (Sr fchreibt (S . 109): „3ch bin eine feltfame Statur. 2luf ber einen Seite reiner 3bealift, auf ber anberen Seite be=

fiße ich einen feltfamen finnlichen Realismus feinfter 2Irt. 3ch empfinbe beim SInblid eines herrlichen Sonnenuntergangs, einer lieblichen ^flanae, einer reiaenben Siphonophore, eines fchönen Stäbchens eine innige Jßonne, wie wenige anbere SKenfchen... 3d) füffe gern fchöne Slumen, liebe Slnbenfen ufw., ich empfinbe beim Schwimmen im blauen StReere

— eine befonbere ßeibenfehaft oon mir — ein ßntaüden, welches mir als Sltaoismus an unfere gifd)«2lbnen erfcheint."

?Beshalb nun fonnte er bei folcher 2Beid)bcit bes ©emüts in ben ,,‘JBelträtfeln" bas ©efühl anberer fo ungeheuerlich oerlefcen unb oer­

höhnen? ßr gibt bafür granaisfa (S . 62) eine wenig cinlcuchtenbe unb befrtebigenbe ßrflärung: bie Sitterfeit, bie ihn angefichts ber 3erftörung feines erften jungen ßheglüds ergriffen. ®a habe er oft mit Salabin gerufen: „ 2 )u oerftehft bich barauf, bie ßrbe aur f>ölle au machen, o

©ott!"

f>at er nun, ber fo weich empfinbet, wtrflich gar nicht ein ©efühl für bie tieffte unb innigfte 9tegung bes SDZenfchenheraens, bie Religion, ge­

habt? ®a ift boch ein Srief fennaeichnenb, in bem er (S . 123) granaisfa glüdlich preift, bafe fie noch an eine höhere ßeitung unferes Schicffals

(16)

16 ( S e i n unb g c i t

glaube. $as fei eine rr>crtt>oHc unb tröftficf)e 2Infirf>tr bic über oiel

6 d)toeres t)intocg^>dfc. Sr fönne fie Iciber nicht mehr teilen; aber er bäte fie bringenb, fidb ntrf>t fo fehr oon ihm beeinfluffen au (affen. ilnb bann fährt er fort: „3d> bilbe mir wirtlich niebt ein, in biefem ‘Suche (toie es wohl nach manchen allau 3ut>erfirf>tltd>en 9Iusbrücfen fcheinen fönnte) ben ©ipfel ber Staturerfenntnis erflommen au hoben. Vielmehr behalte icf) immer bas unbefriebigenbe ©efühl, baft e i n grofeer gaftor in ber „?ßcltorbnung", eine Urfache in ber (Entwicflung uns noch gana unbefannt ift. $as fann mich aber nicht beftimmen, bic Sinheit ber 9la=

tur unb bie ©eltung ber mechanifchen Äaufalität für alte Srfchetnungen aufaugeben!" — 2llfo auch biefer, in feiner moniftifch=materialtfttJchen

?Beltanfchauung fonft fo ficf>ere unb felbftbewu&te SERann empfinbet im tiefften ©runbe bod) ein Unbefriebigtfein unb ahnt eine grofee, letzte ilr=

fache.

6 0 tritt uns biefer ?ftann, ber fo fchroff unb rücffichtslos bas angriff, toas SJlillionen bas §eiligfte ift, in feinem intimen ßeben entgegen unb beroeift babei bie Unaulänglichfeit feiner SBeltanfchauung. 3Bir aber, bie roir im ßeben feine ©egner toaren, beugen uns oor bem Srnft feines Pflichtgefühls, mit bem er ben großen Äonflift feines ßebens trug, toie auch mitfühlenb oor ber Schwere bes 6 cf)icffals, bas ihn im tiefften 3nnern einfam unb — verbittert machte.

6dn unb 3 ^ (nach SJtarfm Jpei&egger)

Von u g u ft 2 K e f f e r

Vorbemerfung.

2 Kartin §>eibegger, ein 6 d)ülcr £>ufierls unb [ein Nachfolger auf bem ßehrftuhl an ber Unioerfität greiburg i. 33r., bat 1927 ben erften 33anb feines ‘JBerfes „(Sein unb 3 cit" (£>alie, 9iicmeper) veröffentlicht. Die fad)toiffenfchaftlid)e ftritif bat fotoobl bie bobe Vebeutung biefes SBerfes anerfannt, roie anbererfeits betont, baß es aufcer*

orbentlich fchtoer 3u oerfteben fei. Der Verfaffer felbft fpricht t>on ber „Umftänblichfeit ber Vegriffsbilbung unb ber £ärte bes Slusbruds". $lber burd) eigenes 6 tubium habe ich micb überzeugt, bafo es ficj) in biefem galle lohnt, bureb bie barte (Schale 3U bem ft'ern hinburchaubringen; benn es f>anbclt fid) um eine burchaus originale unb eine hochwertige ßeiftung.

Die ^^ilofop^ie pflegt einen 6 d)ritt oormärts 3U tun, toenn ber ^hilofopb einen Schritt 3urücfgef)t. 6 0 trat ftant einen 6 d)rilt aurüd, nämlich oon ber bis babin in (Selbftoerftänblid)fcit getoaebfenen mobernen 9Zatunoiffenfchaft, inbem er fragte:

toie biefe benn eigentlich möglich fei.

£>eibegger tut einen 6 d)ritt aurücf aus ber ganzen theoretifchcn Haltung jur SBelt (in ber auch ftant noch verblieb), um flarauftellen, loie biefe benn eigentlich möglich fei.

Unb er [chreitet babei aurücf in bas „forgenbe", bas praftifche ßeben. 3n befjen 6 elbftoerftänblichfeiten entbedt er gragmürbigfeiten unb burd) beren Klärung bringt er bie ^Phitofophte ein gutes 6 tüd oortoärts.

Der^lüdgang insfieben ift es auch, ber biefem fchtocTen unb bunflen pbilofopbifdjen

'S e rf für unferen 2 eferfreis befonbere ^ebeutung oerleiht.

Cytaty

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