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Icar ElumenthaL
Iv.Band. Heft4.
Leipzig-
: October 1876.—
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Seite EinLiteratur-brief.VonJohannes Scherr . . . . . . . . 273 Gedichtc.VonFriedrich Bodenstedt undEmil Taubert . . . . 279 DieGeschichtevonBehntausendGulden. ErzählungvonAlfred Meißner 281 In einerWiege SoloscenevonErnestLegouves.DeutschvonGottlieb
Ritter...-...·.... ..292
DerTod desApostel-nVonAdolfFriedrich von Schack. . . . 296 HomerülierselzungenVonFerdinand Lotheissen . . . . 300 Wieich eFeuilleton studirteVonHansWachenhusen. . . . . . 305 ZurpolitischenLiteraturgesehichteVonWilhelm Goldbaum . . . 309 WilhelmJordanalsEpiker. EineStudie vonS.Heller . 325
KritischeRundbliekL . . . . . . . . . . . . . 352
DerUntttrgenuß.VonEmerichduMont- Mist-selten
Die,,Ueuen Monats-hefte«erscheinenregelmäßigamEndejedesMonats imUmfangvonmindestens6Bogen Lex.eleg. geh.
Der Jahrgang bestehtaus 2Windenzujes6 Lisetten Preispro Band 6Marte; pro Quartal 3Marte;proHeft1 Mark.
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Giutheraturbrirb 273
EinMicraturbrics
Von Johannes Scheu-.
Jm September1876.
Siehaben schonrecht,liebeFreundin: — esgeht bergabmitunserer dichterischen Hervorbringung.DerGipfelvon unserem Musenberg— altfränkischzureden— ist ohnehinlängst vereinsamtundauchseine Abhängegleichenmehrundmehreinemstark gelichtetenWalde,jamitunter einemniedergeschlagenen,wo nur noch Unterholzund Buschwerkstehen geblieben. Uhland,Rückert undPlaten,Grillparzer, Jmmermannund Grabbe,HeineundLenau, ScheferundMöricke, MosenundFreiligrath,Grün und Hartmannsind jatodt.Wann nochGutzkowundGeibel gegangen sein werden,wird derpoetischeReichthumdieserjüngstenVergangenheitgegen dieArmuthderGegenwart erst recht scharf abstechen. NichtanTalenten fehltesderjüngerenGeneration, auch nichtaneinzelnen glänzendenLeistungen, wohlaberaneinemtragendenundhebenden Princip. Darum istdas Dichteneinbloßes Experimentiren gewordenundalledie mancherleiExperimente sindimGrunde allesammt seellos.
Das Freiheitsprincip,welchesvomTode Göthe’san unsereLiteratur trugund hob- istVetbkaucht,wenigstensinderMeinungderTonangeberdesTages. Das nationale Pathos,wieesseit1866 aufkam, ist schonganzfloskelhast gewordenundso argmitServilismus verbleizuckert, daßesnachgerade jeden anständigenMenschenab- stVßeUMuß.Wenn unsere Fabrikantenihre Deutschheit dadurch erweisenzumüssen glauben-daß siedenBismarck undMoltkeimmerundimmerwiederinHolz, Bein, Thon-Leder,WachsundSeife nachbilden, so sinddiepatriotischenVerlautbarungen iUVerer und inProsa, welchediepatentirtenReichsfreundevomOrdonnanzschnitt ausgehenlassen,nicht weniger hölzern,thönern,ledernundseifig.Man merkt die Ab- sicht-sichzUempfehlen,doch allzusehrundgreiftin derVerstimmungamEndesogarzu den pfäffischenPetrolbücherneines Konrad von Bolanden, nur um denewigen Vismarcktabaks-UndMoltkeseifengeruchloszuwerden. Icherinnere Sieauch daran, lieb-eFreundin-daß verschiedenedergroßenPatrioten, welche heutevor demThrone Kalser Wilhelmsbyzantinern,vorkaumzehn Jahren ebensovordemThrone Napoleons des Drittenknierutschten.Ferner, daß dieselben großenPatriotenvordemCzarenthum ebensounterthänigkratzfußen,wie esnur jemalszurZeitFriedrich Wilhelmsdes Vierten inPotsdamderBrauchwar. Endlich, daßdassittlich-patriotischePathos Mäuschenstillewird, sobaldesgilt,dieGründereien undSchwindeleiendereigenen KameradschaftIV.4. zubrandmarken. Summa: dieserganzeofficiöseNationalitätseifer ist so19
274 III-neMonats-bestefürYirhtkmrkitundBrit-ils
hohlundverlogen, daßer esinder Literatur nur zu einementsprechendhohlenund verlogenenAusdruck bringenkann.
Wieja auchzurZeitderfranzösischenRevolution, so istwiederuminunsern Tagen dieMeinung, große Zeiten machten große Dichter, recht handgreiflich lügengestraft worden. Wäre eindichterischerGenius inDeutschland vorhanden gewesen,erhätte durchdieGeschichtederletzten zehn Jahre gewecktundzurThätigkeitangeeifertwerden müssen.Eswar keinerda.Talente genug, geschickteMacher,denkendeKünstlermeinet- wegensogar;aber nirgendseinSchöpfer, nirgendseineprometheische Hand,welche mittitanischer KraftundMacht das,was dieZeitimInnersten bewegte,dasFühlen undSehnen, dasDenkenundWollen derZeitgenossenzueinemtypischenKunstwerke gestaltetvorsiehingestellt hätte.
Oderdoch?Esistuns jaindiesen Tagenmitjener Unfehlbarkeitsmiene, welche Schöpfenköpsenso gut steht, verkündigtworden,dasTextbuchzuWagnersNibelungeu- musik seieinDichterwerk ersten Ranges,undwieesüberhaupterst seitdemBahreuther Augustvon 1876 einedeutscheKunst gebe, sokönneeigentlich auchvoneinerdeutschen Poesie erst seitderSchafsung dieses Textbuchesdie Redesein.Siefreilich,die Sieja ankeinerleiUnfehlbarkeitsdogma glauben, schriebenmir,essei Ihnen beiLesuug dieses ,,phänomenalen«Werkes gewesen,als führenSie stundenlangübereinenhinter- pommer’schenKnüppeldamm,undSie seien zuletztdavonganzseekrankgeworden. Ketzerin Sie! NehmenSiesichjavordenWagnernarreninAcht!Siewissen ja, dieseLeuteargu- mentiren admajoremMagistri gloria-mstattmitStabreimen mitStöckenoderBier- krügen.Wasmich angeht, so schämt’ich michbeidieser Gelegenheitwiedermaleinen ganzen Tag lang,einDeutscherzusein.UntereinemVolke, welchemderLessingden Nathan,derGöthedenFaustundderSchillerdenWallensteingeschaffen,könnenund dürfen Bursche aufstehen, welcheeinDingwiedasgenannteTextbuchzu einemPhä- nomeu vonMeisterwerk aufzuschwindelndiemärchenhafteFrechheit haben. Beweis’tdas nicht,wiewenigvon jenen ewigenWerken in dasFleischundBlutder Nation über- gegangen? Zeigtesnicht, daßwie der untere so auchder mittlereundoberePöbelvom wirklich SchönenundGroßen auch nichtdieentfernteste Ahnung habe? Geht dochmit eurem ewigen Fortschrittsgeleier!DieMenschenwerden jaimmerdummer .....
Warum sagenSie mir denn nichtsüberHamerlings»Aspasia«und Dahns ,,KampfumRom«, auf welcheBücherichSieaufmerksamgemachthabe?Odersoll ichIhre lakonische Bemerkung, ,,obeswohl überhaupt möglichsei, soalteZeitenwiederzu be- leben,« füreineabfälligeKritiknehmen? Ichdenke,auchSiemüßtenbeimLesender beidenRomane, diedochwieder keine Romane sind,dasGefühlgehabt haben, daß hier zwei mehroderweniger genießbare Früchte vorliegen,wiesie aufdemliterarischen Versuchsfeldegebautwerden. Natürlich hatesnichtauguten Freundengefehlt, welche dasTamtam desLobes rührtenunddiePaukederBewunderungschlugen;aberes dürfte auch hierWiespVielcroktenheißem »Blinder Eifer schadetnur«. Vielewerden diebeidenBücher begierigzurHand nehmen,aberwenige dieselbenzu Endeleseuund diewenigstenmiteinemGefühlederBefriedigungdavonscheiden.Warum? Weilbeide Werkezwarsehr häufig nachderStudirlampe riechen,aberdenDustderbekannten ,,blauenBlume« allzu oft vermissen lassen.Essind Leistungeneines bewunderns- werthen Fleißes undeines gründlichenDetailwissens, Reihenfolgenvon mitgroßer GeschicklichkeitzusammengesetztenarchäologifchenMofaikbildern,aberkeinefreiundfrisch
Eintheratnrlrrirf. 275
entworfenen,dichterischdurchkomponirtenGemälde.JnbeidenistdieErfindung sehr dürftig,dieEntwickelung lahm,dieSpannung gleichNull. InbeidenBüchernmerkt man zwar denDichter,aber erkommtnur selten recht heraus. Nichtalsobsesan
Glanzstellen fehlte.BeiDahn sind diese sogar zahlreich.DerUntergangderKönigin AMAIAfWiUthAz. V. ist eineSchilderung,wienur einwirklicherPoet sie entwererkann.
DieseUndähnlicheScenensindmitdemSeheraugegeschautunddarum auch soan-
schaulichwiedergegebenEtwas befremdet hat michdieGedämpftheitderFarbenin der ,,Aspasia«. Offenbar hat Hamerlingdiesonstige Ueppigkeit seinerpoetischenMalerei absichtlichbedeutend eingeschränkt.Obaber nichtzusehr?BeiderSchilderungder Kybele-Myfterienz. B.wären FarbentöneamPlatze gewesen,wiesieim,,Ahasverin Rom«nur allzu verschwenderischangewandt sind.DasWollenistin dem einenwiein demandern Werkegroß.Die,,Aspasia«willuns deninseinem Vollglanzstehenden unddoch schonVondemVorgefühledesVerfallsangekränkeltenHellenismus vorführen.
Jm,,KainpfumRom«solluns derKonfliktderversinkendenantikenWeltmitderauf- steigenden germanischen vorgesührtwerden. Aberdem WollenentsprichtdasKönnennur
stellenweise.An’s Ziel gelangtkeiner derbeiden Würfe. EhrlicheLeser werden sich gestehen müssen, daß ihre TheilnahmevonSeitezu Seite abnimmt. Andie Stelle der geftaltendenundveranschaulichenden Krafttritt allzu oftdasbreitspurig-schwatzhafte Referat, welches·andieEintönigkeitmittelalterlicherReimchronikenerinnert. Weitaus die meistendervorgeführtenFiguren entbehrenderplastischenBestimmtheit.Siehabenetwas Pappendeckeliges,etwas Marionettenhaftes. Ganz verfehlt istbeiDahn gerade dieFigur, auf welcheeroffenbardiegrößteMüheverwandt hat,derPräfekt Cethegus. Dieses nnerqnicklicheAmalgamvon AntikheitundmodernsterModernität erinnert ausfallend an dievornehmen, geheimnißvollen,virtuosischenAllerweltsbösewichte,wiesiein den SchriftenvonBalzae herumlaufen.Bedenk ich alles, so muß ich gestehen, daß ich für daseinzigeundeinzig-schöneLiedDahns:,,WeißeRosenicktanZweigen«(in »Sind Götter?«)gern denganzen Kampfum Rom dahingebe.DerhistorischeGehaltdes Werkesliegt ja dochin desVerfassers vortrefflichem BuchvondenKönigender Germanen reiner vorundgeradeumdieserReinheitwillenauch poetischer....Einenqualitativen Unterschied zwischenderAspasiaWielands (im ,,Aristipp«)undderHamerlingskann ich nicht finden. Des Kostiim (im weitesten Wortsinn) istbeidiesem allerdingsvier griechischeralsbeijenem,aberderVersuch,dasmoderneFrauenemaneipationsideal auf DieMikesierinzuübertragen,schlechtgelungen. Hamerlings Buchkannuns wiederein- MalrechtdeutlichdieUnmöglichkeitvergegenwärtigen,beiBehandlungantikerStoffe der ModerUeU
Anschauungsichzuentschlagen. SelbstderGöthekonntedasnicht: seine Jphigenie istweitmehreine moderne Deutschinalseine antikeGriechinKeinMensch kannAusfeiner Haut,keinDichteraus seinemVolk undausseiner Zeit heraus.Selbst diegrößtenSeherundKünstlerscheinennur ihrer ZeitundihremVolkeweitvoraus- zuschreiten,indemsiediehöchstenGedankenundWünschederGegenwart formuliren....
Einen VorschrittderhistorischenRomandichtungüber Scott,Manzoni, Hugo (,,N01-re- Dame«)-Spindler,RehfuesundAlexis-Häringhinaus hatwederHamerling noch Dahn bewerkstelligts Ich bezweifleauch entschieden,daßmittels derAspasiadesletztgenannten demArchäologischeuRoman inderLeseweltein breiterer Raum gewonnenwerde. Mit dernovellistischenDarstellungantikerCharaktereundEreignisse istesüberhaupteine eigene Sache· GroßeTalente sinddaran gescheitert.Man denkenur anBulwers
19’I«
276 ReueManutslgrktrfürerlgtkmrgtundKritik
,,LastdaysofPompeji«. Esgibtnur einen Novellisten, welchereinenantikenStoff mitdemHauchdesLebens zudurchdringen verstand.Esist— o,schlageeinKreuz, heilige Teutschdümmelei!— derFranzos Gustave Flaubert. Seine ,,salammb6« ist etlicher groteskerAuswüchseungeachteteinwirklichesGedicht,keinegelehrt-mühsäligeGe- schichtsklitterung,sonderneinRoman, welcher HandundFußundeinschlagendes Herz hat,einWerkaus einem Gußundvon strömendemFluß. Flaubert beschreibt nicht bloßdas alteKarthago,ermachtuns förmlichheimischin derPunierstadtundbewirkt, daßwirselbstdasFremdartigsteund UngeheuerstealseinNothwendiges, ja Selbst- verständlichesfühlenunderkennen. Seine Gestalten tanzen nichtanDrähten, siebe- wegen sichaus eigener Machtvollkommenheit,sie athmen, sieleben. DerKünstler ist ganzaufgegangeninseinem Kunstwerk Und überwas füreinegestaltungsmächtige Phantasie gebietet dieser französischeRealist!Seitlanger Zeit istkeine Scenegeschaffen worden,inwelcherdietragischenMotiveSchreckenund Mitleid zuso gewaltiger Wirkung kommenwie inFlaubertsgroßerMolochopserscene.....
,,And’re Vögel,and’reLieder«. AberZeisige, RothschwänzeundSpatzen sindeben keineLerchen, AmselnundNachtigallen. Gestern traf ichbeimAufschlageneinesBuches auf Gustav Pfizers edelgefühltes,formschönes,tiefergreifendesLied»Der sterbende Kosmopolit«undgedachtederZeit,wo dieses Gedicht auf michundmeineJugend- genossenmächtiggewirkt hatte.Werin derJugendvonheutekenntnoch dieseundähn- liche OffenbarungeneinesJdealismus, den dergelehrteundungelehrte Banausierpöbel unsererTage für ,,abgethan«erklärthat?Wersollte noch auf solcheStimmen horchen, wer wolltesienoch auf sichwirkenlassen? WortführerdesidealistischenTonesinunserer LyrikwieFontane,Lingg, Bodenstedt, Meißner, Schack, Storm, GottschallundLorm habengerade für ihre besserenundbesten Leistungendenwenigsten Beifallerlangt.
Natürlich!Unsere geprieseneRealpolitik hatesja glücklichsoweit gebracht,eineStimmung zuschaffen,welcheesangemessenfindet,diegedankenloseBummelei inVersen,einerohe
— (entschuldigen Sie,Verehrte,denderben,aberpassendenundgerechtfertigtenAus- druck!)— ja,einerohe Saufaus-Poesie fürdasHöchstezuhaltenundalssolcheszu bejubeln.Esistwahr,diepolitischeTendenzlhrikderdreißigerundvierziger Jahre hat Poesieund Rhetorik vielfachmit einander verwechseltund von denanfgebauschten ,,Tyrannenerschütterern«haben sichviele, sogardiemeistenbeinäheremZusehenentweder alslächerlichePhrasenheldenoderalsgeborene Hofräthe ausgewiesen, welchenur eine Zeitlangdie malkontenten Bombalobombaxespielten,um diebezüglichenKreise aus- merksamzumachen, daßundum wie vielsiezuhabenwären. Abertrotzdem hat jene Polemikin Reimen an derEntwickelungder nationalen Sache redlichundnicht erfolg- losmitgearbeitetund ihre Hervorbringungen stehen, ethischundästhetischangesehen, thurmhochüber derKneipenliederlichkeitvonheute,5deren einziges JdealdasHeidelberger Faß sein würde,wenn esnb.voll wäre.
LassenSiemich,liebeFreundin, mitErquicklicheremschließen.Siesind jaMit- glieddesVereins für deutscheLiteratur undfolglichimBesitzeeinesBuches, welcheszu denerfreulichstenErscheinungengehört,die in denletztenJahren aufdemBüchermarkte sichbemerkbar machten. Ichmeine dieVerdeutschungder,,versi« desGiuseppe Giusti durch PaulHeyse,einUnternehmenundVollbringen, das,wieichaufrichtig glaube-, lange nichtgenug gewürdigtworden ist.
Seitdem mein allzufrüh heimgegangener Freund Ludwig SeegermitErfolgeine
Gir-Yiternturbrjek 277
VerdeutschungderChansonsvonBåranger unternahm, isteinähnlichesWagniß nicht wieder versucht worden,bisHeysesichdaran machte,dengroßen erzitalischenLyriker UndSatiriker GiustiindeutschenLauten reden zumachen.Denken Sie sichdas ,,erzitalis ch«dreimalunterstrichen,berücksichtigenSieauchdenaußerordentlichknappen Stil Giusti’s, welcher,einTodfeindderPhrase, seinen quellendenGedankenreichthum inmöglichstengenSprachkanäleneinherrauschenzulassen liebt, rechnenSiedazu noch diegroßenSchwierigkeiten,welchedie mitProvinzialismen,mit lokalenWorten und Wendungen reichlichdurchwirkte SprachedesDichters selbstdemgewiegtestenKenner desitalischenIdioms entgegenstellt, sowerden Sieungefährimstande sein,zuerkennen, welchesWagnißeineDeutschdichtungder»Versi«war undwietrefflichesbestanden wurde. DerwirklicheWerthvonHehse’sLeistungkannIhnenjedochnur klarwerden, wenn Sieeinegenaue VergleichungderVerdeutschungmitdemOriginal vornehmen.
Thutman das, sowird man bewundernd sagen müssen, daß Heysemitseinem Giusti unsereLiteratur um einUebersetzungsmeisterstückersten Ranges bereichert habe.
Lohnte sichaber auchdiejahrelange Mühe,Ausdauer undKunst,welchetder deutscheDichter aufdenitalischenverwandte? Sehr! Giuseppe Giusti (geborenam13.Mai 1809 zuMonsummanoinToskana, gestorbenam31.März1850zuFlorenz) isteine der edelstenCharaktergestaltenderLiteratur unseres Jahrhunderts, eingroßer Dichterund zugleicheinMann derThat.DennunterdenMöglichmachern,BegründernundAuf- bauern desRegno d’1taliamuß GiustiinersterLiniemitgenanntwerden. Derbe- scheidene,nur 361Seiten starkeOktavbandseiner »Versi,edjtiedinediti«,wiesiezum erstenmal1852 gesammelterschienen,muß geradezuals einerderGrundsteinedesneuen Italiens anerkannt werden. WersichderZeit erinnert,wodiese,,Verse«,einerargus- äugigen,brutalen undstupiden CensurundPolizeizumTrotz,inItalienhandschristlich vonHandzuHand gingen, weißauch, daß ihre WirkungundWirksamkeiteinegeradezu unberechenbare, ihre Popularitäteineungeheurewar. MitRecht.Denn indiesem Manne verband »sichdasreichsteTalent mitdemweisesten Maßhalten,die Genialität mitderGesinnung,derLyrikermit demSatiriker,derPoetmit demPatriotenzu einer Persönlichkeit,welchediehöchsteAchtung einflößteundwachhielt. Giustiverdient einen Vorragenden Platzin derVerehrunggebildeter Menschen schondarum,weildieser echte Trägerdes Genius unter denvielengenialthuenden LumpenundStrolchen unserer Zeit einewahrhaft wohlthuende Erscheinung ist. Spottet immerhin, ihr LumpeundStrolche, überdie,,Gesinnungstüchtigkeit«,unddu,gedankenloserHaufe, lachemit denLumpen UndStrolchenüber die»Tendenzbären«.Deßhalbbleibtesdochnicht weniger wahr, daß selbstdasgrößteTalent nur dann reinigend, befreiendundbefruchtend auf seine Zeitwirkenkann,wann esvon einemgroßenCharakter getragenwird. Geradedas machtediedichterischeArbeitGiusti-s für seinLandzu einerwahrhaft schicksaksmachtigeu, erhob siezueinem dieGeschickeseinesVolkesmitbestimmendenMotiv. Wieschönauch stichtesObvon dergrößenwahnwitzigenSelbstbeweihraucheraugdesHaupt-undErz- gaUkleVsUnserer Tage,wenn Giustiübersichselbst,überseinWollenundKönnenmit jener SchlichtheitundaufrichtigenBescheidenheitspricht,wiesiedieechtenalten Meister zierte. So,wenn erz. B. indenberühmtenStanzenanGinoCapponi seine satirische Thätigkeitentschuldigend,sichselber fragt:
»F«chiseitueheil liberoHagello Ruoti,accennanclo dummen-te il vero,
278 BeutKlonutshektefiirerhtliunstnndYrjtik
B eheparco di locleal buonoealbello, Ätna-roearme intuoni avitupero? Cogliesti tu, segnendoil tuomoclello, IIsegreto(lell’ arteeilminister0?
Diradicasti da te stessoinpria Blavana superbiaelafollia, Tueherampogni,ealtruimostri ilsentiero ?«
Das ,,Modell«,von welchem Giusti hier spricht, istDante und,fürwahr,einen würdigerenNacheisereralsdenDichterder»Versi«hatdergroße Florentiner nichtge- habt.DieganzeLiebeundderganzeHaßdesSchöpfersderGöttlichenKomödie sind inGiustiwieder ausgelebtund dasErgreifendebeidiesemwie beijenem istdieWahr- haftigkeit.Wirfühlen, jedesvon Giusti gesprocheneWort ist empfunden.VonFrido- litätkeineSpur. Erverstehtzuscherzen— undwieattisch!— aberderScherz istbei ihmnur dasRosengeschlingeum denernstenGedanken her.Erselbst hatessoaus- gedrückt:
,,In quantuguerra ilipensiermipone Questoeheparsorriso edeclolorel«
Wirdürfen ihm auf’sWort glauben!wasseinen Zuhörernwie einLachen klang, ihmwar eseinSchmerz.NureinDichter, welcher seinLandund Volksoin der Seele trugwieGiusti,konnteüberdiesesLandundVolk,wiesiein dendreißigerundvier- ziger Jahren gewesensind, so spottenwieer. SeinZürnenwar dasder Liebe und kein sühlenderJtalienerkonnte selbstdasbitterste Satirisiren Giusti’s füretwas anderes nehmenalsfürdieAuslassungdesinnigsten Patriotismus. Das war soundmußte so sein,weildurchdiesatirischeSchneidigkeitderlyrische Herzenslaut hindurchklang, welcherdemDichter auchdanicht versagte,woerseinem HassederöstreichischenFremd- herrschast slammendenAusdruck gab.Auchdasprichtaus demHasserimmer noch der PoetundauchderhöchsteGrollträgtdenZügelderGrazie.WollenSiesich,Verehrteste, davonüberzeugen,so lesenSiedas1846 geschriebeneGedicht ,,Sant Ambrogio«.Ein Jahrzuvorhatte Giusti seinedemberühmtenNeapolitaner AlessandroPoerio gewidmete Meistersatire Verfaßt,den,,Gingilljno«, welchesWort ichanderwärts undzwar, wie ich glaube, sinngemäßrichtigmitdemschweizerischen»Aemtlischnapper«wiedergegeben habe. In diesem Gedichte, welches übrigens auch aus Deutschland, auf Europa, ausdie ganze»civilisirte«Weltpaßt,weilesmititalischen Farbeneinnur allzu wahresGemälde dermenschlichenNiedertracht entwirft,indiesemGedichte hat Giusti’ssatirischesGenie seine schärfsteSchneide hervorgekehrt.Aber auchhier trägtderDichter sein Schwert
»inMyrthen«.Umihn recht verstehen, genießennndwerthenzukönnen,mußman sich beimLesen stetsdieZustände Jtaliens vergegenwärtigen,wiesievon1815 bis1850
waren. Abereswäreeingroßer Jrrthum, zumeinen,mitdemVerschwinden jener
ZuständemüßteauchdasInteresseanGiusti’s politischerLyriknndSatirik dahin sein.
Das ebenkennzeichnetihnalsschöpserischenGeist, daßerdasZeitlichezuEwigemzu gestalten wußteunddemVergänglichendenStempeldes Bleibenden auszudrückenver- stand.Die»Versi«werden dauern,so langeeseineitalischeSprache gibt.
arti-hin 279
Gedichtc.
Im Zimmer geh’ ich hinundher.
DerKopf ist voll,dasHerz ist schwer, BlosweilamTischeinPlätzchenleer... AmTisch saßeineholdeMaid Mitschwarzem HaarundschwarzemIKleid Undauchmitschwarzem Augenpaar- Doch großundleuchtendwunderbar.
SiehieltdieFederin derHand Undhielt aus michdenBlickgespannt— Und wie die Erdetreibtnndblüht, WennihrimLenzdieSonne glüht, Solöste sichauchmeinGeniüth, Wennichdiekleine Julia Mitihren großenAugen sah.
Jm Zimmer ging sie herundhin, Undwasmirfuhr durch HerzundSinn, Dashaucht’ichansin kleineLieder Undsie schrieb Allesmunter nieder.
WennHerzen sich verstehen, Damußkein drittessein, Kein KommenundkeinGehen— Wahr liebt sich’snurallein!
Intiæ
eAllein.
Sieschrieb auch längere Gedichte, Selbsteinetragische Geschichte, Mitganzvergnügtem Angesichte.
Siewardnichtmüdeundnichtmatt.
So«reihte siedennBlatt für Blatt, Diejetzt aufmeinem Tische liegen Undbalddurchalle Landefliegen.
Doch wie,wenn unsder Brunnen tränket, Manseines Urquells nicht gedenket, Sowird,wennkünftigin der Welt Einneues Liedvonmirgefällt, WohlkeinervondenklugenLeuten Versteh’n,desLiedesQuellzu deuten.
Mandenktnichtandie kleineHand Diezierlich schrieb,wasich empfand— NichtandasdunkleAugenpaar, DasmeinesLiedesLeuchtenwar.
Friedrich Bodenstedt.
WennHerzen sichverketten, Damuß keinAndres sein, Kein Suchen,Jugen,Wetten, AlstreueLieb’allein!
WennHerzen sichverschlingen, Damußkein Mittler sein.
Jhr Paradies erringen DieLiebenden allein!
Emil Trutbert
UmMitternacht
Jm scheuen FlimmerstrahlderSterne Ersehn’ich— underblick’ ich Dich!
DieMitternachtmitGeistergange Schwebtin meinZimmer ernst herein.
EsbrenntmeinPuls,heiß glühtdieWange,
Stilllösch’ichmeinerLampeSchein. HO bdichamTag verhülltdieFerne,
;—UmMitternachtbeglückstDumich.
280 Brut Monats-hättefürLichts-crustunderth
anrünstigbreit’ichausdie Arme— Undsieh! Es istkeinSinnentrug!
DeinOdemwar’s,dersehnsuchtswarme, DerglühendandieStirn mirschlug.
Onicht, daß ichdieLuft umfangen, Nicht wesenlosen, frost’gen Schein!
Dubistesselbst,D eindiesVerlangen, Unddiese tausend ReizeDein!
DerSehnsucht glücktes,Dichzuhalten;
DeinBusen wirdmirzumAltar, DaraufdieHände stumm sichfalten;
Undmich umfließtDeinduftend Haar!
GottschufdenMenschenausderErde.— O«LustdesnächtigenGesichts!
Kühn sprichtdiePhantasie ihr »Werde«
Undschafft Dich, Freundin,ausdemNichts!
Undhätte Dichmit dunklenHänden DerFreierToddem Lichtentrückt:— DusteigstausDeinesSargesWänden, Daß mich Dein Liebreizneubeglückt!
DerSeh nsucht mußtDuauferstehen, Sie gräbt DichausdemTodesschachtl Undmuß ich TagsinSchmerz vergehen,— Mein bist Du,meinumMitternacht!
Emil Trutbert