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Philosophie und Leben. Jg. 7, H. 7 (1931)

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Academic year: 2022

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(1)

unb Heben

?. J A H R G A N G + ?. H E F T + JU L I 1931

3m iDienfte ber Oolfcgeinheit erftrcbt unfere ?e itf$ rift eine faf»

lithe 2tue(fprache 6er berfthteöenen toeltanfdjaulichen Stiftungen.“

Das H eft ist dem

Problem des K r i e g s gewidmet

<Sin ©cfprad) über ^Pagijismus

[33orbcmcrfung. Sie @<$rift meines »eref)tfen ÄoIIegen Profedot Dr. (trnft £orneffer

„Pajifism us. Eine pbilofopbifcbc Unterfud)ung", »urbe mit »on bem 35et(ag 35oigt*

länber, Seipjig mit bem btingenben Srfucben um „eingef)enbe ‘Sefprecfjung" jugefanbt, ba bie 3ltbeit für bas 6cf)ic([a[ bes beutfeben 33oIfes oon befonberer 93ebeutung (ei.

3cf) Ijabe biefem ötfucfjen in bet SBeife entfproeben, bafe icb ben einen Unterrebner (335 e b xm a n n) bie fiauptgebanten bet Scbtift Dortragen (affe — meift im toortliiben Slnfc&lufe an ben Sejt, um jebe Srübung burd) bas 9/tebium ber eigenen 3luffaffung

«u »ermeiben. — ®em anberen. ( S t i e b w a l t ) fällt bie Aufgabe ju, eine fadjlicbe SBürbigung in guftimmung wie Stitif freimütig ju oerfudjen. 21. 391.]

SEßehrmann: Kein ©ebanfe unb 3ßunfd) befeelt bie gegenwärtige SDlenfd>i>eit mit einer folgen Stärfe unb Siefe wie ber ©ebanfe bes grie=

bens. ®as ift nad) ben erfd)ütternben Erfahrungen bes Söetttriegs unb angefidjts bes unheimlichen ©rauens, ben bie noch fthlimmeren Vernich- tungsmittel eines sufünftigen Krieges erweden müffen, durchaus oer- ftänbtid). Slber bie p a 8 i f i ft i f d> e 33 e w e g u n g , bie unfere 3eit er- griffen hat, hat gormen angenommen, bie fchwere Vedenfen erregen müf­

fen. ®iefe 5tid)tung fdjeint allju ausfdjweifenb, atlgu hoffnungsfelig einer gefät)rlid)en Einfeitigfeit und Unbedingtheit 3U oerfalien. Ein ausgebrei- tetes Schrifttum bient der Verfechtung diefes fchroffen, oöllig unbebingten unb oertrauensfeligen ^aaifismus. SRod) ftärfer aber unb wirffamer ift bie mündliche Ausbreitung biefer 3bee oon 3Renfch 3U SRenfcf).

g r i e b w a l t : Es mufe oor allem tlargeftellt werden, ob Sie felbft bas 3 • e I ber ^aaififten anerfennen ober nicht.

W e l t m a n n : Äuf ©rund meiner Kenntnis ber gegenwärtigen 3u=

ftänbe bin ich allerbings ber äberaeugung: Eins der bebeutenbften, wert- oollften, unentbehrlichen 3»ele ift der griebe. Ser 9luf „3tie wieber Krieg!" ift berechtigt und notwendig, er war ju allen Seiten berechtigt unb notwenbig unb ift es boppelt und dreifach gegenwärtig, ba wir eine fo furchtbare |jeimfud>ung burd) ben Krieg erfahren haben.

g r i e b w a l t : S o f i nb w i r benn in bem l eftten 3 i e l e , ber §>erftell ung e i n e s b a u e r n b e n g r i e b e n s , ei ni g.

^büofopbie unb Seben. V IL . 13

(2)

182 S i n ©c(präcf) über P a z i f i s m u s

3<h darf alfo aud) ©ie als „ “^asififten" begrüßen. ©ie fördern nur biefe Bewegung, toenn ©ie Mängel, bie ©te an ihr finben, aufbecfen, unb

»enn ©ie 9Bege aufioeifen, auf benen bas 3iel bes ^aaifismus fixerer unb rafdjer erreicht werben fann. 3ch wäre 3hnen alfo fehr banfbar, wenn ©ie 3i)re fritifd>en Bebenfen gegen bie heutigen Vertreter ber paji- fiftifchen 3bee näher barlegen wollten.

V S e h r m a n n : 3ch aiehe es oor, nicht in Sinjelheiten einjugehen.

®as griebensproblem ift eines ber fchtoierigften unb bunfelften ‘’Pro»

biente bes ntenfchlichen Sebens. Man muß bis in ben innerften Kern ber 2)inge oorbringen, wenn man über biefes 9lätfel jur Klarheit gelangen will. An bas griebensproblem heftet fid) notwenbig, wenn es nur einiger*

maßen ernft genommen wirb, eine ganje S B e l t a n f c h a u u n g , unb nur oon bem fjintergrunbe einer allgemeinen umfaffenben 2Beltbetrad)=

tung läßt fid) biefer rätfeloolle ©egenftanb abheben unb beleuchten.

§ r i e b w a 11: 3)a ©ie gegen bte heutigen ‘’Paaififten fo fchwere Ve- benfen geäußert hatten, hätte ich erwartet, baß ©ie biefe auch begrünben würben. Ss ift ja gegenwärtig in weiten Kreifen, bte bie griebenstbee überhaupt ablehnen, üblich, auf bie ^ajififten ju fchelten unb ihnen alles mögliche Üble nachäufagen. 3d) bächie, ©ie würben 3ßert barauf legen, mit biefen Kreifen nidht oerwechfelt ju werben, ba ©te ja felbft Vertreter ber ßeitibee bes ''Pazifismus finb ...

Übrigens bin ich auch gern bereit, bie w e 11 ä n f d> a u l i <h e n

© r u n b l a g e n ber Stellungnahme jurn griebensproblem mit 3hnen 3u erörtern.

2öe hr nt ann: ( £s finb nad) meiner Anftcht gwei große, bebeutenbe, mad>toolIe Begriffe, mit benen bas griebensproblem aufs engfte unb unablösbar oerbunben ift, jwei Begriffe finb es, bte bte Sntfcheibung fällen über bie griebensfrage, bei benen wir allein Antwort auf biefe fchwere 9tätfelfrage einholen fönnen. £s finb bies bie Begriffe „© t a a t"

unb „2 e b e n". Sine oolle unb tiefe Srfaffung biefer beiben Begriffe muß erfolgen ober oorangehen, wenn man ju ber griebensfrage etwas SBertoolles beitragen will.

g r i e b w a 11: 3cf) bitte ©ie alfo über biefe beiben Begriffe fich ;$u äußern. Als ber allgemeinere unb grunblegenbe oon ben beiben erfcheint mir ber bes ße be n s. ®enn ber ©taat ift ja nur eine ber gormen, bie bas ßeben aus fich heraus erringt.

S ö e h r m a n n : Söenn ©ie oon „gormen" fprechen, fo haben ©te ba=

mit gerabe ben Begriff genannt, ben ich brauche, um bas 2ö e f e n b e s ß e b e n s ju djarafterifieren: ich fet>e nämlich bie t i e f ft e VSef ens- t e n b e n j b e s ß e b e n s , foaufagen feinen Inbegriff, in einem „3B i I - le n 3 u r gor m" . Mag ein 3rrationaIes tn bem 3Beltgrunbe unb in bem tiefften 2öeltgeJd>eben oorhanben fein, eine tragifche ©pannung, bie

(3)

(Ein ( S e f p r ä<$ über ^ a j i f i s m u s 183

K a m p f u n b N in g e n b eb eu te t, benn o d ) ift w en ig ften s ein 21 u f ft r e b c n u n b | j i n 3 i e l e n 3 u r g o r m u n » e rfe n n b a r.

Schon N ie fe f d>e hat »on einer „Selbftüberwinbung bes Sebens" ge- fprochen. Sr meinte bamit bie 2atjad)e, bafe bas Seben »on gorm ju gorm fd>reitet, ftets bie gewonnene gorm einer 3U gewinnenben gorm opfert. SCßährenb Nieftfche bies als „Steigerung" bes Sebens beutet, hat

©eorg S i m m e ( in feinem 93uch „Sebensanfdjauung" („Vier meta- phpfifd>e Kapitel") in ber gormauflöfung als folcher gerabegu bas Sßefen bes Sebens erblidt. Sas führt 3u einer wahrhaft grauen»oIIen 3öelt=

anfehauung. Senn (Simmel beutet alte gormen nur als „Stauung", „Er- ftarrung", „3urüdbiegung" bes Sebens; nad) ihm gehen alle gormen aus bem raftlos rinnenben Sebensftrom nur her»or, um aerfefct unb jerfchla»

gen ju werben. Sie gormgerf törung wäre fonach bas „Urphänomen bes Sebens überhaupt", feine „wahre 2lbfolutheit". 3n biefer rabifalen 'Phüofophie ift bie gormoerneinung unb gorn^erfeftung fdjlechthin als metaphpfifches 3Befen ber 3Belt, als tiefftes ©efefc ber 2Birflid)feit ge­

beutet.

3ch für meine ^erfon lehne biefe Seutung ab. Sie gorm gilt mir nicht als eine „Stauung", eine „Sadgaffe", eine „3urüdbiegung" bes Sebens, überhaupt nicht als ein SBiberfprud) 3um Seben, fonbern als S i n n unb E r f ü l l u n g b e s S e b e n s , als bas, worin es feine wahre Veftim- mung finbet. Sie gorm gilt mir nid)t als Hemmung unb geinbfd>aft wiber bas Seben, fonbern als beffen Erlöfurtg.

Sie gormauflöfung beute ich mir als eine STatfache aweiter Orbnung, als eine Vegleiterfcheinung, als etwas, bas 3um Seben „hinsufommt" unb unentbehrlich ift als Surchgangserfcheinung, auf bafe bas Seben ber Un=

erfchöpflid)!eit feiner gormbilbung froh werbe, um immer neue unb aber­

neue gormen 3u fdjaffen. Senn in ber gorm finbet unb offenbart fich bas Seben in feiner eigenften Siefe; bas Seben ift wefenhaft VS i 11 e au t g o r m .

g rTe b w a 11: Stefer 3hrer Sluffaffung bes Sebens fann ich burch- aus 3uftimmen. Von Sntereffe ift es mir auch, 3U fehen, wie für 3hre Stellungnahme gegen Simmel, für 3hre »on jenem abweichenbe Seutung ber tatfäd)lid)en Sebenserfcheinungen eine Verfchiebenheit lefjter SB e r t - fd)äfeungen mafegebenb ift. Sas beutet barauf hin, bafe wir n i d) t »on ber Erfenntnis ber VMrflichfeit 3u Sßertibeen unb ben baraus absulei- tenben Normen fortfehreiten, fonbern bafe unfere Söertfchätjungen mafe­

gebenb finb für bie Seutung bes in ber Erfahrung „©egebenen", alfo für bas, was wir als „2Birflid)feit" 3u „erfennen" meinen.

Sod) bies nur beiläufig! Von befonberem 3ntereffe wäre es mir, 3u er­

fahren, welche g o l g e r u n ge n Sie aus Shrer SBefensauffaffung bes Sebens für bas griebensproblem ableiten.

13*

(4)

184 S i n ©efprätfr iiber P a j i f i s m u s

3B e b r m a n n : Siefe golgerungen ergeben fid) leicht, toenn man baran benft, bafe bie mächtigfte, bebeutfamfte gorm bes Sebens ber 6 1 a a t ift, unb gwar ber Staat nicht nur nach feinem inneren Aufbau, fonbern aud) in feinen Regierungen gu anberen Staaten.

g r i e b w a 11: Aud) id) erblicfe im Staat eine bebeutfame Sebens=

form; aber bafe Sie ihn fcblecbtbin als bie bebeutfamfte erflären: bies SBerturteil fdjeint mir bod) näherer Vegrünbung ober wenigftens Gr=

Läuterung gu bebürfen.

S B e b r m a n n : 2Rit biefer meiner Ginfcbäfcung bes Staates nehme id) bewufet Stellung gegen eine 3eiterfd)einung, bie id) für einen ferneren Orrtum |>altß. Sas A3ort „f o g i a 1" bat einen wahrhaft oerfübrerifcben unb beftricfenben Mang für bie ©egenwart. SJlan fiebt in bem fogialen Gbarafter bes SOtenfchen, in feiner fogialen Steigung unb (Entfaltung ben beftimmenben SBefensgug bes 3Renfd>en. SJtan überfielt babei, bafe ber SERenfcf) in bemfelben SJtafee aud) a n t i fogial, ber Vereinigung mit feinen SRitmenfchen wiberftrebenb unb abgeneigt ift. Siefe antifogiale Steigung unb Stufeerung bes SERenfd>en ift feineswegs franfbaft, fein Abtoenben oon ber Storm, fein feltener Ausnabmefall, ber mit feinem eigentlichen unb tieferen SBefen feinen 3ufammenf>ang hätte. Siejer antifogiale 3^9 gehört mit berfelben Äraft unb 33ebeutung ber urfprünglid)en unb inner=

ften Vefdjaffenbeit bes 9Jlenfd>en an. Ser SDtenfd) will fü r f i cb be*

fteben, in feinem eigenen, perfönlichen SBefen beruhen unb oerbarren.

©ewife brängt es itjn gleicbgeitig aud) gu feinen 3Ritmenfct)en, oon benen er fid) anbererfeits wieber abgeftofeen füblt, gegen beren Ginflüffe unb gorberungen er ficb gur SBebr fefct. Siefer bauernbe innere 3 ® i e * f p a 11 ber Sriebe fenngeidjnet ben 3>tenfcben.

3n biefem SBiberftreit ift es ber S t a a t , ber ben Ausgleich ber ent=

gegengefefcten Triebe berftellt. Senn biefe innere Spannung fann felbft*

oerftänblid) nicht immer unb unoeränbert beftehen unb toirffam bleiben.

Sann fehlte bem SRenfcben jebe Ginbeitlichfeit. Gr fäme nie gu einheit­

lichem unb gefchloffenem f>cmbeln, er würbe fid) in biefem inneren 3®>ie=

fpalt oergehren. Sie SRacbt aber, bie biefen inneren Ausgleich ber ©egen=

fäfce im SRenfchen herftellt unb burchführt, ift ber S t a a t.

g r i e b w a 11: SBohl mag es fein, bafe im Sftenfcben eine innere

©egenfäfelichfeit befteht: etwa gwifdjen bem fogialen jrieb, anberen gu helfen, unb bem egoiftifchen, nur bas eigene Sntereffe wahrgunehmen.

Aber bafe gerabe bet S t a a t , biefe 3nftitution, bie an fich nur mit äufeeren SKachtmitteln arbeitet, fähig fein [oll, ben Ausgleich in einer fo innerlidjen ©egenfäfclicbfeit in bes SDtenfdjen Seele felbft berguftellen, bas fann ich boch nicht glauben. Sagu fcheinen mir eher bie grofeen gei=

ftigen Grgiehungsmächte Religion unb Sittlichfeit berufen gu fein.

■JBebtmann: Sie ASirffamfeit biefer inneren Grgiehungsmächte

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S i n ©efprä<h ü b c i ' P a j i f i s mus 185 will id) nicht t>erlleinern. Aber bei bem unbeugfamen Srofc, mit bem jeber einzelne f e i n e Angelegenheiten, gorberungen unb »ermeintlichen 9ted)te vertritt unb »erficht, fönnen biefe rein geiftigen 2Räd)te niemals für fid) ihr 3iel erreichen, wenn ihnen nicht ber ©taat mit feiner ©e»

malt ju f>ilfe fommt. Öd) benfe babei nicht etwa nur an bie Befämp=

fung oon Verbrechern, aud) wohlgefinnte Bürget geraten oft in 3wietrad>t, wobei jeber oon f e i n e m Siechte innerlichft überzeugt ift unb feine Sache mit reinftem ©etoiffen oertritt. Stur bie ftaatlidje Swangsgewalt ftellt ben Ausgleich her. Ser SKenfd) i ft nicht fojial, er wirb erft fojial g e m a ch t , unb jroar burch öert ©taat unb feine ©e- roalt. Ser ©taat ift ber ©djöpfer bes fozialen 2ebens mit allen feinen1 Ausprägungen unb (Erfcheinungen.

g r i e b w a 11: 3n 3hren früheren Ausführungen hotten ©ie be=

tont, ber ©taat fei berufen, ben i n n e r e n Ausgleich atoifchen fozialem unb antifojialem £>ang im SERenfchen felbft herbeizuführen. 3d) hatte bemgegenüber eingewenbet, bajj ich ben ©taat für berartige innere fitt- lidje Aufgaben, bie bem (Einzelnen unb feinem fittlichen ©treben geftellt finb, für nicht guftänbig halte. Aus 3f>ren weiteren Sarlegungen erfehe ich, baß ©ie eigentlich gar nicht innere fittliche Honflifte i m einzelnen SWenfchen meinen, fonbern Äonflifte 3 w i f d) e n ben Sftenfchen. Safe h i e r in ber Sat ber ©taat burch ©trafrecht wie 3toilrecht für Aus=

gleich unb Orbnung forgen mujj, bas ift ja eine allgemein zugeftanbene Satfadje. ©ie rechtfertigt aber nid)t Ohre Behauptung, bafe ber ©taat ben 3Renfd)en erft fozial macht. ©ie hatten ja felbft anfänglich bie fozialen jenbenzen im 2Renfd)en für ebenfo urfprünglich unb ebenfo mächtig erflärt wie bie antifozialen.

S B e h r m a n n : Siefe Anficht will ich auch nicht zurüdnebmen; ja, id) gebe fogar zu, bafj man ben ©taat felbft auf ben fozialen STrieb zurüdführen fann, aber es ift boch bemerkenswert, bafe biefer ©efellig=

feitstrieb juerft unb oor allem bie ftaatliche ©ewalt aufrichten mufe, um bie ungebänbigten (Einzelwillen mit ihren Anfprüchen einzubämmen unb in ©chranfen zu weifen, woburch erft bas foziale 2eben begrünbet unb ermöglicht wirb. Übrigens ift ber echte ©taat zugleich frnter ber g r e i - h e i t ber (Einzelnen; er ift berufen, au$ bie inbioibuelle Äraft unb beren Bewegungsfreiheit zu erhalten unb zu fchtrmen. Sarin liegt bie irratio­

nale, ich »age es auszufprechen, bi eme t a pbpf i f d) e Bebeutung bes Staates, bafc er aus ben lebten, geheimnisvollen Siefen bes SQtenfchen- lebens auffteigt unb eine ©tellung über unb jenfeits ber beiben natür=

liehen ©runbtriebe, bes fozialen unb inbioibuelien Sriebes einnimmt, behauptet unb burch führt, inbem er ben Ausgleich unb bie Verbinbung biefer gegenfäftlidjen Iriebe herftellt. ©0 wirb ber © t a a t aum 3n*

b e g r i f f bes ß e b e n s in f e i n e r ©a n z h e i t . Alles bies aber

(6)

186 E i n ©efptöcf) über ' P a j i f i s m u s

leiftet i>er Staat nur burch feine ©ewalt. Siefe STatfache oerleiht ber ftaatlichen ©ewalt bas fittliche Recht, bie fjoheit unb SBörbe. Ser Staat ift 9Kad)t unb jtoar eine Sftacht, bie jeberaeit aur Slnwenbung fchreiten fann unb barf mittels ber ©ewalt. 2In biefer SERadjt aber hän=

gen alle ©fiter unb 5Berte bes SKenfchenlebens.

g r i e b w a 1 1: Von „irrational" unb „metaphpfifch" au reben ift beute oielfach üblich. Slber ich fann nicht finden, bafe burch bie Verwen*

bung foldjer unbeftimmter, oielbeutiger 3Borte bie Klarheit unb STicfc einer Erörterung geförbert toirb. ^ebenfalls mfifete genau angegeben toerben, was mit biefen Söorten gemeint ift. 3ch beftreite natürlich nicht, bafe uns an ber 3Birflichfeit und insbefonbere am Seben oieles geheim- nisooll bleibt, aber warum foll nun gerabe bem S t a a t e biefer Gha=

rafter bes ©eheimnisoollen in befonberem SÜRafee aufommen? 9Benn Sie wenigftens oom „53 o l f e" fo hohe SBorte gefprochen hätten, bann hätte ich augeftimmt; benn bas Volf ift jenes geheimnispolle Sebensganae, aus bem auch unfer Seben ftrömt. 2lber ber „ S t a a t". 3ft er nicht etwas fehr Nüchternes, fehr Sachliches, fehr Verftanbesgemäfees? Volf wächft, Staat wirb gemacht. 2Ran fehe fich nur bie ©efefeesmafchinerie an unb ben Kampf unb bie Propaganba ber politifchen Parteien unb bie Pfiffigfeiten ber Siptomatie! Safe ber Staat etn 9Jtad)tapparat ift, barin finb wir einig. 2lber eben barum fann ich 3hnen nicht auftimmen, wenn Sie ihn — gleichfam überwältigt pon feiner angeblich „irratio­

nalen" unb „metaphpfiiehen" 93ebeutung — aum „3nbegriff bes Sebens in feiner ©anaheit" emporfteigern unb Pon ihm „alle ©üter unb SBerte"

bes „SRenfchenlebens" abhängig erflären. gür mein Söertgefühl hat alle SSTlacht nur ben Eharafter eines Rlittets; fie empfängt alfo erft pofitioen ober negatioen Sßert oon bem 3»ecf, bem fie bient. 2lu<h bie Staatsmacht fann in ben Sienft oerwerflicher 3*»ecfe geftellt werben;

ihr 33eftehen unb ihre Slnwenbung ift erft baburch gerechtfertigt, bafe fie geiftigen SBerten bient, bie wie Sittlichfett, Erfenntnis, Kunft, Religion als Selbftwerte uns unmittelbar einleuchten. 2ln liefen Söerten inner»

lieh Slnteil au gewinnen unb fie au forbern, ift aber Sache ber greifyeit unb fchöpferifchen Betätigung ber Einaelnen. „2llles f)öcf)fte, es fommt f r e i pon ben ©öttern herab. SBie bie ©eliebte bi<h liebt, fo fommen bie himmlifchen ©aben." Sarum fann ich 3hnen wenigftens in bem Punfte beiftimmen, bafe Sie bem Staate auch bie Aufgabe aufprechen, bie greiheit bes Einaelnen au fchüfeen. 3n einer Seit, ba uniperfaliftifche baw. folleftioiftifche Senbenaen in ber gorm bes Volfchewismus ober gafchismus ober Rationalismus ben Einaelnen au erhrüefen ober aum gleichgültigen 2ltom au machen brohen unb es üblich ift, jeglichen 3nbioi=

bualismus aum Egoismus umaufälfehen unb au oerbammen, auch ben Siberalismus als etwas enbgültig Abgetanes htnsuftellen, empfinbe ich

(7)

(Ein ©efprätf) über P a z i f i s m u s 187 es als mutig unb »erbienftooll, bafe Sie für bas ewige Stecht auch &es 3nbi»ibualismus unb Stberalismus Zeugnis ablegen. —

Snbeffen, wir finb »on unferem eigentlichen $hema, bem ^Pajifismus, allju »eit abgefommen. SBollen wir nicht ju ihm jurüeffehren?

3 B e h r m a n n : 3Bir finb in 3Birfltcf)feit ihm ganj nahe. Senn ba bie 2Racf)t, bie ©ewalt gum 3Befen bes Staates gehört, fo ift bas fj e e t b er e i ge n t l i c h e H e r n bes © t a a t e s »on Anbeginn. 3Bo geinbfehaft gegen bas f>eer fd>lecf)thin befteht, ba fann man ficher fein, bafe ein Snftinft wiber ben Staat überhaupt am SBerfe ift, bafe ftaats=

feinbliche anardjifche ©efinnung bie eigentliche Sriebfraft biefer f>eeresfeinbfd)aft tft. Sas f>eer mufe jeberjeit im fiintergrunbe ber poli*

3eilid)en Sicherheitsorgane ftehen; es ift notwenbig aur Abwehr ber 9te»olution. 2Bte bie 5t e » o l u t i o n eine innerftaatliche (Erfd)ütterung unb Hataftrophe ift, fo ber H r i e g eine äufeere, 3wifcf>enftaatliche. 9te=

»olution unb Hrteg gehören eng pfammen, fie ftehen auf einer unb ber*

felben Ebene ber Beurteilung unb fittlichen Bewertung. SBenn 9te»o=

lutionen erlaubt finb, wenn es ein fittliches Anrecht aur 5te»olution gibt, bann gibt es auch ein fittliches 9ted)t 3um Hriege. ©egenüber ber un­

erhörten begrifflid>en Hnflarheit unferer 3eit, fcheint es mir befonbers bringlich unb wichtig, biefen 3ufammenhcmg flarjuftellen.

g r i e b w a 1 1: 9te»olution unb Hrieg hohen ben SBefensjug gemein*

fam, bafe fie einen beftehenben Slechtssuftanb — innerhalb eines Staates ober 3Wifchen Staaten — burchbrechen unb bie ©ewalt an Stelle bes Rechts fefcen.

3Benn nun bas Seben 5öille 3ur gorm ift, alfo auch 3ur 9tecf)tsform, fo bebeuten 9te»oIution wie Hrieg fchwere Sebensftörungen, unb wer ben SBillen 3ur gorm bejaht, mufe 9te»olution wie Hrieg grunbfäfjlicb

»erwerfen.

S ö e h r m a n n : Sem fann id> guftimmen. Aber wenn aud) has Seben bie gorm fud)t, fo fann bod) feine gorm bas brängenbe, quel*

lenbe Seben bauernb einfangen unb einfaffen. Hönnen nicht auch hie 9ted)tsformen 3U unhiegfamen Srabitionen, 3U legalen ©raufamfeiten werben, bie bem wahren Seben ben unerträglichen 3wang gumuten?

Hann nid)t bie träge ©ewohnheit, ber altoerjährte SSefift überfommener, ehemals jwedmäfeiger, lebenentfprechenber 3uftänbe mit jäher Hraft

»erharren, bis eine tiefe, jähe Hluft gwifdjen Seben unb gorm fid) auf*

tut, bis bie gormen ber internationalen Regelungen, Beftimmungen unb Abgrenzungen ben wahren Sebensfräften f>ofm fprecfjen, bis fie nichts mehr gemein haben mit ben wahren Sebensbebürfniffen unb Sebensnot*

wenbtgfeiten ber »on biefen gormen graufam gefeffelten unb gefnech*

teten 33ölfer? 3ft ber Staat, bie ftärffte Sebensform, nicht gegen bie

^-Resolution gefeit, fo finb wahrlich bie leichtbeweglichen, fdjwanfenben,

(8)

188 E i n © e f p r ä cfr über P a j i f i s m u s

fchwebenben gormen ber internationalen Sebensbegiehungen ber Staa=

ien noch *>Ccl weniger oor bem Bruch, oor ber Kataftrophe gefiebert. Ob man biefen Bruch, bie reißenbe ©ewalttat wünfeht ober oerwünfeht, billigt ober mißbilligt, preift ober ächtet, banad) fragt bas allmächtige Seben nicht.

g r i c b t o a l t : Sie betonen gwar bie SBefensgleichheit r>on 9teoolu=

tion unb Krieg, aber Sie fcheinen mir ein fehr oiel entfdjiebenerer ©egner ber Steoolution als bes Krieges ju fein. Unb boch bürfte bie ©efahr, bie heute bem Seben ber Kulturmenfchheit oon feiten bes Krieges broht, fehr oiel größer fein als bie oon feiten ber Steoolution. ©ie Erfahrung geigt, baß im allgemeinen bie Steoolutionen unblutiger, bie Kriege ba=

gegen fehr oiel furchtbarer geworben finb. Unb Sie haben mir fchon gu=

gegeben, baß Kriege in 3u!unft noch entfetjlicher, noch oernichtenber. fein werben. Angefichts beffen fann ich 3t>re paffioe f>altung nicht billigen, in ber Sie jtth oor bem angeblich „allmächtigen Seben" beugen, wenn es eben Kriege herbeiführe. Schon 3hre Unterwürfigfeit gegen*

über bem metaphpfifchen geheimnisoollen Söefen „Staat" unb feinem

„eigentlichen Kern", bem fjeer, fonnte ich nicht teilen — ich erinnere Sie nur an bie ficher nicht unbegrünbete Kritif, bie Sliefefche an ber mobernen oon f>egel unb STreitfchfe oerbreiteten Staats» unb f>eeres=

oergöftung geübt hat! — Ebenfotoentg fann ich es billigen, baß Sie oor

„bem Seben" , gleichfam wie einer göttlichen 2ftad)t, fich bemütig beugen. 5ß i r SRenfchen finb es, bie ben Staat unb bas f)eer geftalten unb bie Kriege oerurfad>en, unb bie bie Steoolutionen unb Kriege gu o e r <i n t wor t e n haben. SBir wollen uns nicht biefer fittlichen Ber=

antwortung entziehen, inbem wir bie Schulb bafür auf irgenbwelche ge- heimni&oollen 2Räd)te abfehieben. Eben barum fehe ich auch eine ber be=

beutfamften unb bringlichften Aufgaben ber religiös=fittlichen 3ugenb=

unb 23olfsergiehung barin, baß fie allen gum Bewußtfein bringen, wie fehr Steoolution unb Krieg ber tiefften gorberung bes Sebens, bem SBillen gur gorm unb bamit ber Söertibee bes Rechts, wiberfprieht unb wie fehr bie unheimlich gefteigerte Kriegstechnif einen neuen Krieg gwifchen Kulturoölfern gu einer Art Selbftoernichtung geftalten muß.

SB e h r m a n n : 3ch bin fein Sobrebner bes Krieges, ©ie ©eftaltung bes Sebens erfolgt nur im grieben. 3cf) fehe auch in ber oon ben Ber­

einigten Staaten geforberten fittlichen Achtung bes Krieges eine hoct>=

politifd)e, bebeutfame Anregung, ©elangt fie gur allgemeinen Anerfen*

nung, fo bilbet fie einen gewiffen Schüfe oor bem Krieg unb wirft nicht unerheblich gur Aufrechterhaltung bes griebens. ©ie innere Berurtei=

lung bes Krieges bewirft in Seiten ber Spannung unb Berfeinbung eine gewiffe Hemmung, baß bie entfeheibenben ^erfönlichfeiten bebenf=

lieber unb oorfichtiger hanbeln, länger unb länger oor ber Entfeffelung

(9)

(Ein ©efpräd? über ‘•pajif istnus 189 bes Krieges jurüdfFreden. Aber eine © e » ä h r für 6ie griebens- erhaltung ift aud) bie fittliche Achtung bes Krieges nid)t, felbft »enn biefe ©efinnung tief in bas Ve»ußtfein ber Völler einbringen fotlte.

®enn »enn ber ©egenfafc Don Seben unb gorm bie hödjfte ©d)ärfe ge- toonnen hat, »enn bie gormen unb Orbnungen ber internationalen Ver- hältniffe für ein ober mehrere Völfer fd)Ied)tf)in unmöglich, unerträglich geworben finb, bann »irb ein oeroegener Staatsmann als Vollftreder bes Sebens aufftehen unb eine ftttlicfje Umtaufung, „Umwertung" bes Krieges, in eben biefem Augenblid unb fü r eben biefen Augenblid, für bie beftimmte Sage feines Volles oornehmen, er »irb bas hohe, ftolge Ausnahmerecht gegen bie allgemeine 93e»ertung bes Krieges oerfünben, unb er »irb bamit bei feinem Volte ©lauben unb Anerlennung finben.

g r i e b » a 11: 3hre fjaltung ;um Pazifismus fommt mit — Der-

3eihen ©ie bas offene 3Bort — bod) etwas fd>»anfenb oor. 3f)re V e r ­ n u n f t führt ©ie baju, ben Krieg grunbfäfclid) au oer»erfen; g e ­ f ü h l s m ä ß i g fd>einen ©ie aber nod) »on ber fwehfehäfeung bes Krieges nicht losaufommen; ©ie erflären ihn für ein „hohes, ftolaes Ausnahmerecht". ©ie beaeidjnen ihn aubem für unoermeiblid); bamit lähmen ©ie aber bei allen benen, auf bie ©ie Einfluß haben, eben ben energifdjen, fittlichen Söillen, für bie Über»inbung bes Krieges fich mit aller Kraft einaufefcen. Sie Vielen, bie uns immer roieber oerfünben:

eine Vefeitigung bes Krieges »äre fehr fd)ön, läßt fid) aber leiber nicht erreichen, bie machen fid) bamit f dhul bi g am nächften K r i e g .

Natürlich muß die fittliche sächtung bes Krieges fid) oerbrübern mit bem Vemühen, folche Verhältniffe, bie au Kriegen führen fönnen, in ihrer Unhaltbarfeit aufaubeden unb mit frieblidjen Mitteln, b. h- mit faßlichen Darlegungen, auf ihre Abänberung au brängen.

3B e ht ma nn: 3c h »ollte ja nur fagen, baß id) ei ne einigermaßen auoerläffige ©e»ähr für ben grieben in ber „Kriegsächtung" unb felbft in bem „Völferbunb" nicht au erbliden oermag. M it Kampfftoff unb Kampfreia ift Europa »ie jemals auoor gefch»ängert. ®ie Abrüftung

»irb nicht oor fid) gehen, ja, faum ift anaunejjmen, baß fie nur um ben fleinften ©d)ritt oorrüden »erbe.

SBorin liegt ber tieffte ©runb für bie bisherigen Mißerfolge aur Ve- grünbung einer bauernben griebensbürgfehaft?

9lad) meiner Auffaffung gibt es S ) a u e r f r t e b e n nur im

© t a a t e. ®er augenbiidlid)e ©ch»ebe= unb ©pannungsauftanb ber

©taaten mit ber Kriegsgefahr b l e i b t , trog aller ©chufemaßregeln unb Hemmungen äußerer unb innerer Art, ober man entfchließt fich aum ü b e r n a t i o n a l e n © t a a t , au einem ©taate, ber oerfchiebene Volfsförper mit oerfd)iebenen Kulturen umfaßt. Ein fleines ©taats- gebilbe biefer Art ift bie ©cf)»eia, unb bie grage lautet, ob bas, »as

(10)

190 g u t r e l i g i ö f en S i n n b e u t u n g bes K r i e g e s

hier im fleinen SöZafeftab fich möglich erroeift, im »eiteren SDtafeftabe mit bem (Einfchlufe großer Kulturoölfer möglich ift.

3Jtan follte mit aller Kraft auf eine Z o l l u n i o n ber toichtigften

§eftlanbsmärf)te hiuftreben, bie oor allem Seutfchlanb unb granfreid) unb bann not»enbiger»eife auch Italien unb bie fleinen europäifchen geftlanbsftaaten umfaffen müßte. Siefe »irtfchaftliche Bereinigung roürbe bie 53orftufe einer engeren ftaatlichen ©emeinfchaft bilben*).

Sftittel* unb SBefteuropa finb auf eine engere »irtfchaftliche unb ftaat»

liehe ©emeinfchaft angewiefen. Sßiffen fie biefe nicht gu finben, fo opfern unb oerfpielen fie ihre gefamte Sufunft.

g r i e b to a 11: Siefe 3f>re 33orfchläge halte ich für burchaus be=

achtenswert, unb ich glaube, Sie »erben in ben Kreifen ber ‘’Pagififten oiel Zuftimmung finben. Nur mufe eine folche 2ßeiterent»icflung (Europas geiftig oorbereitet »erben. Sas gefchieht aber nicht, »enn man immer nur SSebenfen äufeert unb bie S<h»ierigfeiten einfeitig betont, fonbern aus freubiger ^uoerficht heraus, aus bem ©lauben an bie fittliche ©el- tung unb fieghafte Kraft ber 5tecf)ts= unb griebensibee, als einer Dom

Seben felbft geforberten gorm. 21. 351.

3 u r refiglöf<m ©mn&eufung fo s Krieges

Von einem Scfet würbe mir ber nachfolgeiibe SHuffaß „3um ©ebächtnis unferer

©efatlenen" jugefanbt mit ber Sitte um Stellungnahme, ©er 2luffaß ift »erfaßt »on bem Konfitorialrat D. Dr. ©. Don Stobben; er erfd)ien in ber Bremer Kirdjenjeitung, 4. 3ahrg., Str. 2, com 10. SDtärs 1931.

„3ch mufe gur gront. SÖiufe »ieber hören, »ie bie ©efchoffe röhrenb emporfteilen unb im Sal ber 23eröbung Derhallen. 3<h mufe gu meiner Kompanie, fie finb alle jefot fehr gefch»ächt. 3ch mufe gühlung mit bem geinbe nehmen. 3<h fenne übertrieben beutlich bte ©efahr. 3ch mufe aber

*) 3n ber gorberuna eines übernationalen Staates ftimmt “prof. §orneffer überein mit 'Prof. griebrich 3BSlbelm goerfter. ®od) meint biefer, bafe bie ftaatlidje (Einigung ber gollunion Dorausgefjen muffe. 3n feinem Organ „$ ie Seit", 1. 2lpril-|jeft, 1931, 5 . 203, begrünbet goerfter feine 2lnficht alfo: „3Barum mufete bie europäifcfje S°H ‘ fonferenj in ©enf mit einem geblfcfjlag enben? ©enau aus bem gleiten ©runbe, aus bem bie Slbrüftungsfonferenj feinen Erfolg baten fonnte." Slbbau ber ßollgrenjen ift 2Ibbau ber M ittel ber Selbffoerforgung für ben gall eines neuen Krieges, ©ebt Sicherheit gegen ben Krieg — unb Slbrüftung, unb 3lbbau ber Sollgrenjen im ©efolge internationaler 2lrbeitsteilung Bolljieben fid) faft automatifd). Ser SDerfailler Vertrag war in biefer Beaiehung burchaus togifcf). „® as ©enfer 'Protofoll war unabweisbar in feinen Bestimmungen betreffend gegenfeitiger §>ilfe ber Volferbunbsmitglieber gegen einen Singreifer enthalten. Solange biefe Beftimmungen niebt in Kraft gefeßt unb mit aQen ©arantien umgeben werben, ift bie ©enfer Organifation feine .societe des nations', fonbern ein .debating club' ber Stationen. Unb fein Staat wirb feine Souveränität auch nur in fleinen Singen wirtlich preisgeben unb auf bie Völfer- bunbjentrale übertragen, folange biefe ihm nicht ben Schuß garantiert, ben er bisher in feiner Sigenoollmacht gefunden hat."

(11)

8ut t c [ i 9 i ö f e n © i n n b e u t u n g b e s8riege_B 191 wieber unter bem Sobe leben." — Sas ift wohl bas ftärffte SBort aus ben „Äriegsbriefen gefallener Stubenten"*), bas SBort eines blutjungen Philologen, bes Helmut Sfchoppe aus 5Bien, ber es im gelblagarett nirfjt mehr aushalten fann unb hinausftürmt in bie Schlacht. Sticht im flber- fdhioang ber allgemeinen erften Äriegsbegeifterung, fonbern im Septem­

ber 1917, als bie ©elfter fd>on ermattet waren, fehenben 2luges bem 2obe entgegen, in bem er bann acht Sage fpäter fein Schicffal erfüllte.

Sas heilige SJtufe reifet ihn fort.

„Unter bem Sobe leben", ein SBiberfprud) in fich, eine „^Parabojie".

Soch war nicht ber gange Krieg ein grofeer Sötberfpruch, ja, eine flauer- liehe Sinnwibrigfeit? Slber eben in feiner gurchtbarfeit, bie alles SDten- fchenmafe überftieg, war er bas gewaltigfte (Erlebnis: „Siefer Krieg ift eben bas gröfete (Erleben, bas es geben fann," meint ber Sheologe Johannes Haas aus Schleswig, ber nach bem germanifchen ©pru<f>

„Sreu leben, tob=troßenb fämpfen, lachenb fterben" möchte, in „furch- barem SHingen mit uns felbft." Unb i n f o f e r n „ o e r r o h t " ber K r i e g , w i e man i hm fonft mi t © r u n b nachf agt , bas e b I e r e © e m ü t n i < ^ t , f o n b e r n l ä u t e r t u n b o e r t i e f t e5. S r l e h r t ben © i n n bes S e b e n s , ber f erliefe lieh n u r u n t e r bem © e f i d j t s p u n f t bes S e i t e n , bes ( Enbes, bes STobes 3 u o e r f t e h e n i f t **). Senn „Seben unter bem Sob", bas ift fein fummeroolles, oerängftetes Seben, bas ift oielmehr Seben in feiner höchften Steigerung. „Unter bem Sobe" lernt man bas Seben erft richtig erfennen unb fchäfeen. „2ßie fchön bas Seben ift, erfennt man erft hier braufeen, wo es auf bem Spiel fteht", heißt es ba. ©erabe bann, wenn man „ben Verluft bes Sebens nicht hoch einfdjäfct", gerabe ba, wo „bas Seben einen Srecf gilt", wo man einem „bas Seben nehmen will", ba wirb, fo wiberfprudjsooll es auch Hingen mag, bie rechte

„Sebensfreube gelernt". Sas grauenooll furchtbare ift gugleich bas locfenb 9leigoolIe. Sie Solbaten, bte ftänbig oor bem 2obe ftehen, finb

„glücflicher" als bie ©eficherten. Senn fie leben hier naturhafter, un­

mittelbarer, intenfioer, erfaffen inbrünftiger bas „herrlich fd)öne Seben".

„( Ei ne u n b ä n b i g e g r e u b e ftecft bod) in a l l u n f e r e n K e r l s . " Kinbliche greube. Sorglos wie bie Kinber fönnen fie im

©ranatenhagel auf bie 33irnbäume flettern, um bie reife grucht her- unterguholen.

S i e g r e u b e gunächft an ber S t a t u r geht i h n e n fo

*) firiegsbriefc gefallener ©tubenten, tjetausgegeben oon Prof. Dr. phil. Sßitfopp in SRänchen bei ©eorg SKüller, 342 ©., bie umfaffenbfte berartige ©ammiung.

**) ®iefc unb bie im goigenben gcfperrt gebiudten ©äjje waren Dom Sinfenber angeftricben; fie f)aben, wie feine 93emerfungen aeigen, f>auptfäd)Iicb feinen SEBtber- fprudj) erregt.

(12)

192 g u t t e l i f l i ö f e n S i n n beutung bes S t i e g e s

r e cf> t im Ä r i e g s l e b e n a u f , » o fi e ben ganzen S a g b r a u fe e n » e i l e n unb beobacht en, bi e g r e u b e an ben b l ü h e n b e n B l u m e n unb f i n g e n b e n V ö g e l n , ben

„p r a ch t o o 11 e n ©egenben" , ben » e c h f e l n b e n S a n b = f c h a f t s b i l b e r n , an ber S i e b l i ch f e i t bes A i s n e - unb O i f e - S a l s , ber © r o ß a r t i g f e i t ber Ä a r p a t h e n , an ben S ü n e n »on Of t enbe unb ber © t e i l f ü ft e bes

© d > » a r j e n Sdeeres. „Ser Ärieg bat herrliche Augenbiide", be­

zeugen fie. „Auf bem SJtarfd) genofe ich bie ganze greube bes SBanber- oogels." Sie Schönheiten »on ©ottes Erbe »erben ganz neu oon benen gefefjen, bie ftets bereit fein muffen, oon biefer frönen Erbe Abfcf)ieb zu nehmen. 3umal in ber einzigartigen ftoljen greube bes Suftfämpfers, bes gliegers. Ser Äontraft fteigert bie Empfänglichfeit für ben ©enufe, aud) für bie Hunft. Unb ebenfo lernt ber ©olbat feine SSJtitmenfchen mit oöllig neuen Augen anfdjauen, aud) bie geinbe! SBas ber „gute Äame=

rab" bedeutet, erfährt et bod) erft richtig braufeen im gelbe, »enn er unter ben ©trapaaen bes 9Rarfd)es unb bes ©djüfeengrabens, im Äugel- regen auf bie fjilfsbereitfchaft unb Sreue bes Sameraben ange»iefen ift. S a » ill man es nicht beffer haben als bie anberen, „man fd)ämt fich", mit ©oben ber f>eimatfenbungen reiflicher bebaut zu »erben.

3Ran lernt SOtenfchen fennen, »ie jenen Pionier, ber bie noch nicht ejplo- bierte ©ranate nicht, »ie er gelonnt hatte, oon fich »irft, »eil fie bann ben Äameraben ben Sob gebracht hätte, fonbern fid) felbft oon ihr zer­

reißen läfet, ober jenen fchwer Verwundeten, ber bie Sanitäter bittet, Zuerft ben älteren Hanteraben aus ber geuerlinie fortzutragen, unb ge=

bulbig »artet mit ber 3u»erftcht: „S u läßt mich ni<$t im ©tich, Äamerab!" — Sticht minber fteigert bie Verantwortung ber gührerfchaft bie Sebensfreube, bas Bewufetfetn, Seben unb Job eines ganzen 3uges oerant»orten zu müffen, ber eble ©folg, burch eigenes Vorbilb bie Seute im entfcheibenben Augenbiide mitreifeen zu fönnen, für fie einjuftehen, fo bafe fte „wie Hinber an bem gührer hängen". Sazu eine lautere, innige Vaterlandsliebe, bie ihre Echtheit im Ernft ber Sobesbereitfchaft bewährt. „S ie Begeifterung für unfere heiligfte Pflicht nimmt mich ganz in Anfpruch", fchreibt ein Sihebtztnet. „Sürfte "id) (mein Seben laffen für unfer Seutfchtum, für mein Vaterlanb — ich »ürbe als ein ©Iücf- licher fterben." — „Seutfd)lanb mufe leben, auch »enn » ir fterben müffen."

Siefe Sampfesfreubigfeit »irb nur zum geringften Seile oon Aben­

teurerluft unb bem altgermanifchen friegerifchen Onftinft genährt. Unfere gelbfolbaten haben feines»egs ihr Auge gegen bas Entfefeliche bes pflichtmäfeigen SJtenfchenmorbens oerffloffen. „Sas Schlachtfeld", helfet es, „ift eine oiehifdje Barbarei unb unsägliches Elenb." „E s ift fchaurig,

(13)

g u t r e l i g i ö f e n @ i n n b e u t u n g bes K r i e g e s 193 in ftodbunfler Rächt bas Seben in einem ftarfen Strom binwegraufchen 3u böten." 2Iud) bie natürliche 3Tobesangft wirb burebaus nicht Perfchwie- gen, fie fommt ergreifenb au ibrem Recht. (Es ift alfo nicht friooler Sci<htfinn ober brutale Stumpfheit, bie an ber grauencollen Jobeswirf*

liebfeit Porbeifteht. 3m ©egenteil, bas Kriegsleben swingt 3U einer tiefen

„Slusetnanberfefcung mit bem 2obe", bem „immer gegenwärtigen 2obe".

S a gibt es nun wohl einen fto^en Jobestrofc: „Job, hier hoff hu mich, aber aufrecht unb nicht 8U billig follft bu mich haben." 2lber was fo oon

„Jobesoerachtung" ober gar oon einem „Raufch ber Sobesluft", ber burch bas junge Seutfdjlanb binburchgebe, gefchriftftellert würbe, bas wirb oon ben gelbgrauen als blofee „Literatur" gefenn3eichnet. „Seben wollen wir, bewußt ober unbewußt, mit unerhörter Sntenfität." „3öo aber fteht es gefthrieben", fragt folrf) ein tapferer weiter, „bafe ich oon allen übrigbleiben foll, ein anberer für mich fallen foll? SBer immer oon euch fällt, ber ftirbt gewife für mich, unb ich follte übrigbleiben? SBarum ich?" ©enug, man fteht nun mit bem 2obe auf Su unb Su unb hat ihm gelaffenen “Slicfes ins 2luge gu fchauen. „S a wirb bann bie Seele im 2lngefid>t ber (Ewigfeit gana ftille." (Es gilt, bem Schicffal 3U gehorchen, aber eben im ©ehorfam es unter bie güfee au awingen. „Senn", jagt ber Theologe Robwebber, „ein SOlenfch fühlt fich erft felbftänbig unb frei, wenn er fich baau gebracht hat, fein Seben jeberaeit miffen 3U fönnen."

Sas ift es. (Es geht im Kriege um bie höchfte Sebensfunft, um bas

„Sterbenfönnen". Sann erft wirb man im Vollfinne feines Sebens inne, wirb feiner £err, wenn man oor ber Aufgabe fteht, „es in greiheit 3u laffen." Sas ift bann ber echte „Kriegsfreiwillige".

Unb bies bebeutet nun nicht ein blofees Vergiften auf bas Seben unb feine ©üter, ni<f)t nur eine pflichtgebotene Refignation. Sie Reifften ge=

langen pielmehr in bem gefteigerten Sebensgefühl 2luge in 2luge mit bem Jobe 3U einem neuen Sebensinhalt. Ser lob eint fi<h mit bem Seben.

„©laubt mir", fd>reibt ber junge Otto 35raun an feine (Eltern, „nie hab’

ich mehr gewünfd)t, weiter 3U leben, ftärfer unb glühenber bie Schönheit bes Safeins, feinen Sinn gefühlt unb geahnt als hier, wo ich 3um erften 3Jtale in meinem noch finb liehen Seben bem 2obe ins 2luge blidte. 3um Seben gehört ber Job unb 3um Kampfe gehört ber Job, es wollen aber beibe nur ben fieghaften Triumph, unb ber Job erfcheint weniger furcht- bar, wenn man feine Rotwenbigfeit fürs Seben begreift." Ober wie gran3 Sibelius fingt:

Kein Rätfel ift fo grofe, fo bitter feine Rot,

2lls bafe fich alles Seben mufe heben aus bem Job.

So felig ift fein Sos, fo heilig fein ©ebot, 2lls fich für oieler Seben au geben in ben Job.

(14)

194 g u t t e l t g i d f e n © i n n b e u t u n g bes K r i e g e s

60 rangen unfere 33eften im fteltoertretenben Seiben mit ben 3Hät=

fein »on Sob unb Seben, unb aus tieffter Schau fprad) es einer »on ihnen, Norbert »on f>ellingrath, aus: ,,3d) glaube, fo furchtbar t»ar bte SBelt nod) nie, als in unferen Sagen, aber aud) nod) nie fo gu geheim*

ften Söunbern bereit, heimlich auftonenb gu einem Efjor bes 2Bunber=

baren." 3a, es ift fo, wie ber 9teid)sfunftt»art Ebt»in 9tebslob in feinem foftbaren 33ud) „Vermächtnis"*) einleitenb fagt: „9lte bat auf einer Seit bas SBiffen »om Sob beftimmenber getaftet, nie bat fid) ein ganges

©efd>Ied)t früher unb tiefer mit ben lebten Singen auseinanbergefefct als bte ©eneration, auf toeld>e bie Opfer bes SBeltfrieges fielen. Sem Sterben fid) entgegenbrängenb t»ie einem Vorrecht, fo fanb bie Suflenb bes SBeltfrieges SBorte ber lefcen unb tiefften ‘'Prophetie, in benen fid) Srang unb 9tuf ber grübe heilig »erbinbet mit bem freien Schauen, t»ie es fonft nur bem Alter guteil toirb, bem Enben unb Vollenben in eines t»äd)ft." E r bebt bann tnsbefonbere bas 9Bort bes Zünftlers grang SJlarc ber»or: „Es gibt nur einen Segen unb Erlöfung: ben Sob, bie 3erftörung ber gorm, bamit bie Seele frei toirb." — |jöf)er hinauf aber greift bod) wohl Söalter glej, ber bies ungeheure Sebens* unb Ster*

bensrätfel bes Krieges unter bas lefete Sicht, unter bas S?reug fteHt, in*

bem er unfere teuren Soten anrebet: „Ein paar regen»ert»afd)ene Sei*

len, ein paar febtoarge Settern geben uns Äunbe »on Eurem fernen Sterben. Unb feither fühlen toir Euer ftilles, getfterhaftes Arbeiten an uns unb in uns. 3öir fpüren, tote ihr uns beffer unb gottest»ürbiger mad)t, 3ht heiligen SBerfmeifter, bie 3ht bas gute Erg aus bem Schacht unferer Seelen losbrecht unb gutage forbert. 3Bir toiffen, bafe es bie 25eften unb 9teinften finb, benen ber Völlerfrteg am liebften bte Sornen- frone blutigen SPtärtprertums in bie lichten Stirnen brüdt. SBir toiffen es unb fpred)en es aus, ohne bte itberlebenben unb f>etmfehrenben fränfen gu toollen, unter benen toir ja alle um lieber Sebenspläne toillen, trofc aller Bereitfchaft ber Seele, gu fein hoffen. Aber es finb boch bte 33eften, bte nicht heimfehren, unb id) fühle, ©ott t»ill es, bafe es fo ift. S e r K r i e g ift ei ne ber h e i l i g ft en unb grofeten O f f e n b a r u n g e n , mi t benen er S i d>f t n u n f e r S e b e n fchüttet. S e r O p f e r t o b ber 33 e ft e n u n f e r e s 33 0 l f e s i ft nur e i n e g o t t g e t » o l I t e 5 B i e b e r h o l u n g b e s t i e f ft en S e b e n s t » u n b e r s , »on bem bi e E r b e toeife, »om ft e i l *

» e r t r e t e n b e n S e l b e n 3 e f u (E h r i ft i."

*) Vermächtnis, Sichtungen, (e(jte 2Ius(prüd)e unb SSriefe ber Soten bes 3Belt- trieges. gufammengeftetlt unb eingeleitet »on $b»in 9tebs!ob. Seutfche Sicf)ter»©e- bäcf)tnis-©tiftung. SBilbetm Cimpert, Sresben. Vergleiche aud) bas ergteifenbe Kriegs*

buch 3lrjtes ©uftao ©on ber mann: Ser Soten 2Bert. günf RooeKen Dom Sob jum Seben. 1930. <£otta[che Vudb&anbtung.

(15)

S u r r e l i g i ö f e n S i n n b e u t u r t g b e s K r i e g e s 195

3a, unfere teuren Toten oollfütjren ihr „ftilles, geifterfjaftes Arbeiten an uns unb in uns". 3Bir fpüren es je länger, je deutlicher, bafe fie uns etwas au fagen haben, 3ßitf)tigftes gu deuten haben, bafe fte uns den Sinn des Sebens und der 3Beltgefd)icbte in ein neues Sicht rüden, bafe ihr dunfles Tobesgefcbid uns transparent wird und uns geigt, wie wir

„im Tode den Sieg ©ottes über uns hereinbrecben laffen" follen. 3hr Sterben ruft Triumph: „Tod, wo ift dein Stachel?" 3hr Sefetes ift die 2Bir!lid)!eit »on Suthers fühnem SBort: „3Benn ©ott uns will lebendig machen, fo tötet er uns: wenn er uns will gum fjimmel aufrüden, fo ftöfet er uns in die f>ölte."

©er Sinfender bat den Auffafc mit folgenden Seiten begleitet:

©eebrter f>err ^rofeffor!

2Jlit greude und innerer Bewegung lefen mein Vater, Vruber und ich Öhre f>efte „Philofophie und Seben". SRöchten diefe doch auch red)t oft »on bochehrwürbigen fjerren Konfiftorialräten gctefen w«rben.

Sieben biefem Sßunfche drängt mich heute die grage, wann Sie das

£eft unter den Seitworten „^fpchifche ©rengguftände" erfd>einen laffen?

t>iergu ftelle ich tarnen anliegendes 3Raterial*) gern gur Verfügung.

Sollte man es für möglich halten, dafe derartiges ben 3Ritmenfd>en an Anfehauung gugemutet wird »on gebildeten, ftudierten und dagu noch chriftlichen, hochbeamteten “’Perfönlicbfeiten? Und eine noch bangere grage: Sind diefe Anfchauungen allgemeingültige in den meiften oben=

begeidmeten, bo<4> einflufereid)en Äreifen? Seider ift diefe grage nicht fo ohne weiteres oon der f>and gu weifen und leider gleichgeitig nicht im weiteren Sufammenbange die ftärfften 3w>eifel an einen w i r ! I i d) e n Sinn des Sebens (im ©egenfafe gu fdamenhaften Theorien), ©ibt es einen folgen überhaupt hinficfjtlid) der riefengrofeen jlot und geiftigen Serfplitterung (jeder beweift, dafe er red)t hat!) oder ift nach ©eorg Vüdmer „die 3öelt bas Chaos und das Nichts der gu gebärende SBelt- gott"? Nihilismus diefer gormulierung gemäfe dürfte der Sinn des Sebens fein, falls anliegende Ausführungen nicht als Srgeugniffe oben­

genannter „©rengguftände" angufpredjen finb. Auf ©rund unferer fogia=

len und Kriegserlebniffe möchten wir das belegen:

SHein Vater ftand drei 3ahre an der SBeftfront und »or Verdun, heute nach 47jäbriger treuer Arbeit in e i n e r gabrif arbeits- und mittellos.

SKein Vruder wurde 1915 mit 20 fahren gufchanden gefchoffen:

*) S . t>. ben Dorftebenb abgebrueften Slrtifet aus ber Sircfienjeitung.

(16)

196 g u t r e 11giöf en @i nn b e u t u n g bes K r i e g e s

fjochfifeenber Oberfchenfelfchuß, fortfchreitenbe Knochenauffplitterung, bas 93ein fann nicht amputiert werben, eitext feit bem Verwunbungs- tage täglich­

st) hode mit meinen Heineren unb größeren ©efchwiftern nur ge­

hungert unb bie Slot einer Proletarierfamilie, bie wir finb, bislang im oollen Umfange mit angefehen unb miterlebt. —

M it freunblichen ©rußen oon uns allen

8. M . Dies meine Antwort:

©eehrter f>err!

©ie wiffen, unfere 3eitfd>rift ftrebt oor allem g e g e n t e i l i g e s 95 e r ft e h e n an. Vielleicht nirgenbs ift bies fchwerer au erreichen als angefichts bes Krieges.

Aus all bem furchtbaren, bas ber Krieg unb bie Kriegsfolgen über

©ie unb 3hre Angehörigen gebracht haben, oerftehe ich burchaus, baß

©ie ben Krieg auf bas Entfchiebenfte ablehnen unb nicht begreifen, wie man fo oiel Sßertootles am Kriege entbeden fann. ©ie glauben fid) bas nur aus „pfpchtfchen ©ren^uftänben" — deutlicher gefagt: aus einer Art-3öahnfinn erflären au fönnen.

Söenn ©ie aber bie grage aufwerfen, ob benn folche Anfchauungen in gebilbeten, chriftlichen, einflußreichen Kreifen wirflich Derbreitet feien, fo glaube id) auf ©runb meiner Erfahrungen biefe grage bejahen au müffen.

Eben biefe 2atfad>e follte ©ie aber oeranlaffen, einmal ernftlich ben Verfuch 8u machen, jene Anfchauungen felbft au o e r ft e h e n.

3<h betone: 8U „oerftehen". ©amit ift natürlich noch gar nicht gefagt, baß ©ie fie b i l l i g e n !

Nichts liegt bem Menfchen näher, als Anfichten, bie ihm frembartig unb unfpmpathifd) finb, als „oerrüdt" ober „irrfinnig" au bezeichnen.

S)arin liegt aber bas Velenntnis, baß man fie nod) gar n i ch t oerfteht.

Erft bann aber, wenn man „oerfteht", wenn man begreift, wie „oer- nünftige" Menfchen folche Anfid)ten haben fönnen, erft bann ift man meines Erachtens berechtigt, über fie au urteilen. Man fann bann immer noch au einem oerneinenben unb oerwerfenben Urteil fommen.

SBebenfen ©ie nun, baß bie in bem Auf faß angeführten Äußerungen aur Verherrlichung bes Krieges oon jungen, begeifterten Menfchen ftammen, baau meift oon 3TheoIogie-©tubierenben.

3ft es nicht oerftänblid), baß ber Krieg ein fo gewaltiges Erleben bieten fann, baß jugenbliche Menfchen baoon hoch über ben Alltag fich erhoben fühlen?! baß gerabe auch die Stahe bes Jobes ben 5leia unb

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3 u r r e l i g i ö f e n © i n n b e u t u n g b e s K r i e g e s 197 bte ©üter bes Sebens aufs ftärffte empfinben läfet; bafe ferner ber Krieg taufenbfad) ©elegenheit bietet, bie ebelften menfd)li($en Jugenben gu bewähren?!

Senfen ©ie enblid) baran, bafe ber rf)rxftlid)e ©laube ja überhaupt

— aucf) außerhalb bes Krieges — an ben 9ftenfd)en bie 3Rat)nung rietet: „unter bem Sobe gu leben", bas Reifet: bas gange Seben auf=

gufaffen unb gu geftalten, als ob fein ©inn fei eine Vorbereitung auf ben 2ob, unb auf bas ihm folgenbe „ewige" Seben! 33on biefem d)rift=

liehen ©laubensftanbpunft aus toirb oieles gang anbers gewertet als oom ©tanbpunft bes „Stichtgläubigen", ber ein SBeiterleben oerneint.

3d> fann es auf ber anberen ©eite fehr gut oerftehen unb nachfühlen, bafe 2Renfcf>en, bie biefen chriftlichen ©lauben nicht teilen, leicht oon einer inneren (Empörung ergriffen werben, wenn fie oon wohlfituierten fjerren Sieben gut 33erteibigung, ja Verherrlichung bes Krieges lefen ober hören, währenb fie felbft aufs bitterfte unter quälenben Kriegs=

folgen leiben. 3öie leicht werben ihnen bann foldje Sieben als leere, ja gefühllofe ^Phrafen erfchetnen!

©ie mögen bas auch im etngelnen Salle fein. Senn ob SBorte — Phrafen finb ober inhaltsoolle ©äfee, bas hängt oon ber feelifch=gei=

fiigen Verfaffung bes ©prechenben ab.

Onbeffen, will man wirflid) — „o e r ft e h e n" — unb bas wollen

©ie, fonft wären ©ie nicht ein fo treuer Sefer oon „^h'lofophie unb Seben"! —, bann müffen ©ie ben Slnberen, ben ©egner, ben oorläufig n i ch t Verftanbenen als innerlich hochftehenb fich benfen, nicht als Phrafenmacher ober gar als Srrfinnigen. 9tur bann fommen ©ie gu einem gerechten Urteil (bas oielleidjt auch ben ©egner übergeugen ober wenigftens (Einbrucf auf ihn machen fann!).

SRögen ©ie ber entfe^iebenfte Kriegsgegner fein, ©ie werben ber griebenstbee nur bann ooll gerecht, wenn ©ie alles, was gu (Ehren bes Krieges gefagt werben fann, ruhig anguhören, tief gu oerftehen unb un=

befangen gu prüfen imftanbe finb.

9tid>t minber finb auch nur folche ©egner bes ^agifismus ernft gu nehmen, bie ihn ni$t mit ©d)tmpf- unb £>ohnworten abwehren, fonbern oerftehen, aus wie fchwerwiegenben ©rünben heute SRenfchen für bie griebensibee fich einfefcen, bie ben Krieg nach feinen erhabenen wie fei=

nen grauenhaften unb oerabfeheuungswürbtgen ©eiten fennen.

2öie unfachlich unb bamit ungere^t felbft oon fogenannten ©ebilbeten heute über ben ^agifismus geurteilt wirb, bafür nur ein 33eifpiel! 3n einem Slrtifel, überfchrieben „Sas Kreug", ben ein Pfarrer Konbert in ber Ofter-SRummer ber „Seutfchen Rettung" (5Rr. 29 o. 3. 4. 31) oer=

öffentli^te, heifet es:

^frilofopbie unb Seben. VII. 14

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198 g u r r e l t g i ß f c n S i n n b e u t u n g bes K r i e g e s

„Allem ©olbatentum tft bas S?reug religiöfe ©elbftverftänblicf)feit unb Unerläfelichfeit gugleicf), für jeben pagififtifdjen (Egoiften unb felbffifchen Ärämer ift es bas benfbar geinbfeligfte unb fjaffenswertefte. ‘ffiahrer

©laube unb Verfrämerung fowohl wie feige ©djeu cor bem Kampfe finb einfach unvereinbar, »eil jeber rechte ©laube Sienft unb Opfer verlangt unb ber SJtaterialift wie ber 'Pajifift Sienft unb Opfer nidjt fennen. Unb weil ein wertvolles Seben ohne ©lauben unb Öbeale, ohne unbebingte Binbung an einen hörten SBillen nicht benfbar ift, müffen wir auch vom religiöfen ©tanbpunft aus ben 2Raterialismus unb

^Pagiftsmus als tobbringenbe Sebensentartung ablehnen unb jebe Bun»

besgenoffenfchaft mit biefen flächten unter djriftlicher glagge als ©ünbe begeichnen. Es ftehen fich hier g»ei SBelten gegenüber, bie fich gegen»

feitig ausfdjltefeen . . hie Äreug, hie 3d>; hie ©elbftaufopferung im höchften Sienft — hie Verfrämerung unb Verfümtnerung im ©ienfte bes Bauches. ©charf unb unerbittlich ift bie ©Reibung unb ber ©egen»

|jier wirb ^agifismus ohne weiteres mit Sdaterialismus gleichgeftellt.

Sanach ift alfo ber Verfechter ber griebensibee ein felbftfüchtiger 2Renfch, ber nur ©inn hat für materielle ©üter, ber „im ©ienfte bes Baumes" fteht. ©o fchreibt ein evangelifcher Pfarrer, bem es boch be=

fannt fein mufe, bafe man mit guten ©rünben auch Sefus als ©egner bes Krieges, als 9Kann bes griebens für ben „^agifismus" in Anfpruch nehmen fann. ©egenüber einer folgen moralifchen Verunglimpfung bes

^agifismus burch einen Pfarrer erfdjetnt es noch relativ harmlos, wenn ein Proletarier bas Eintreten für ben Ärieg auf „pfpdjifche ©renggu»

ftänbe" gurüdführt. „Verftehen" bebeutet bas freilidh aud) nicht.

Erft wenn biefe ©tufe bes gegenfeitigen ©ichverftefjens unb ©ich»

ad)tens gwifd>en ben ©egnern unb Verteibigern bes Krieges erreicht ift, fann mit einiger Ausficht auf Verftänbigung eine fachliche ©isfuffion über ben Ärieg beginnen, ©oweit fie ethifcher Art ift, wirb fie in einer Abwägung ber 3Berte unb Unwerte bes Krieges beftehen müffen.

9teligionsphilofophifch wirb es von ber Art, wie man bas „Abfolute"

religiös auffafet, abhängen, ob man im Kriege etwas ©ottgewolltes ober VMbergöttliches fieht.

Eine theologifche grage enblich ift es, gu entfcheiben, wie fid) ber Ehrift im ©eifte Sefu 3unt Ärieg ju ftellen hat.

3Bir finb bamit erft an bie ©chwelle bes eigentlichen Äriegsproblems angelangt. Aber 3hr Brief, geehrter §err, veranlafete mich, 3unächft bargulegen, welches bie Vorausfefeungen beiberfeits für eine wirflid»

fachliche Erörterung biefes Problems finb. Seicht ift es wahrhaftig nicht, biefe Vorausfefcungen in fich 3« verwirflichen.

SSRit beften ©rüfeen an ©ie alle 21. gft.

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