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Philosophie und Leben. Jg. 7, H. 10 (1931)

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*l|>l)tiofop^te unb Heben

7. J A H R G A N G + 10. H E F T + O K T O B E R 1951

Ötenfte öer IDolkßetnheit erftrebt uttfert Je ttf^ rtft eine fad)«

33on g r i e ö r t $ 9Jt e jj

Wer einmal an eignem ober frembem <Scf>idfat tief uni» einbrucfsooll Stecht ober Unrecht erlebt f>at, feer hat zugleich ein ©efühl baoon befom*

men, bafe zroifchen bem, toas a l s St e ch t g i l t unb bem, w a s a ls gerecht e mp f u n b e n t oi rb, ein nie ganz überbrücfter 2lbgrunb llafft. Unb bamit hat er an bas Hauptproblem ber 9ted)tsphiIofophie ge=

rührt: eine bem Siecht Don feinen Uranfängen in ber 3Renfchheits=

gefcb'ichte innetoohnenbe Spannung atoifdjen jtoei ©egenfäfcen, bie man mit ben Derfchiebenften Flamen bezeichnen fann, je nachbem, toie man ben Ausgleich ber Spannung oerfud)t. 3Ran fann als ^ole biefes 53er*

hältniffes gegenüberftellen: „Stecht unb ©erechtigfeit" ober „bas Siecht, toas ift, unb bas Stecht, toas fein foll" ober „Wirtliches (pofitiDes) Stecht unb Stecfjtsibeal" ober „Stechtsmacfjt unb Stechtsfuttur" ober: —

als Sonberfall bes Problems — „Staat unb Stecht".

Wenn man mit folchen ©egenüberftellungen bas philofophifdje ©runb=

Problem bes Siebtes fich flarpmachen ober es ju löfen oerfucht, fo tut man gut, [ich zu Dergetoiffern:

1. 3n toeldjer gorm biefer bem Stecht oon Statur innetoohnenbe polare

©egenfafe fich im Saufe ber Stechtsgefchichte gezeigt hat,

2. in toelther Weife bie moberne Stechtsphilofophie bie Spannung ausjugleichen oerfucht.

Sine für alle 3 e*ten unb 53ölfer gültige Söfung bes Problems gibt es nicht. 3ebes Spalter mufe aus feinem ©eift heraus fich mit ihm aus*

einanberfefeen.

3n ber älteren Stechtsgefchichte unterfchieb man jtoifchen göttlichem unb menschlichem Stecht. SDtan empfanb eben, bafe alles menfchliche Stecht mit SÜtängeln behaftet, bafe es einerfeits nicht ftarf genug, anberfeits nicht gerecht genug toar. (Es toar ein SEroft, über bem menfchlichen Stecht noch

'^tyitofopbie unb Seben. V II. 19

e 5er öerfchteöenen toeltanfchaultchen Eichungen.“

Das H eft ist Problemen der ' t W - ' W S S S t R e c h ts - und S ta a tsp h ilo so p h ie gewidmet

(2)

274 Siecbtsph.ilofopbie unb Seben

ein höheres Siecht au toiffen, »el^cs eintreten fonnte, toenn jenes t>er=

fagte, unb welches, aud) toenn es mit ihm übereinftimmfe, ihm noch eine befonbere SBürbe unb fmligfeit oerlieh. 3m 3RitteIaIter toufbe bem oon SJtenfchen gefegten 9te<f)t bas „chriftliche STCaturrecht" gegenübergeftellt, toeIche5 jtoar in profanen naturrechtlichen Sehren ber Stotfer tourjelte, aber in Iber fjauptfache als übereinftimmenb mit bem göttlichen Stecht ber jehn ©ebote betrachtet tourbe. Sie 33ibel tourbe als urfprünglichfte Slechtsquelle für bas fanonifche Siecht angesehen, bas ja.bie ein« f>emi=

fphäre ber mittelalterlichen Stechtsorbnung „beiber Siechte" bilbete.

3m Slufflärungsjeitalter, als man mit geographifchen unb natur=

toiffenfchafilichen Sntbectungen bie Statur ju erforschen unb ihre Kräfte ju fchä^en unb ausjunuften begann, empfanb man nicht mehr fo fehr ben ©egenfafo jtoifchen göttlichem unb menfchlichem Siecht als ben stoi- fchen Staturrecfjt unb fünftlichem riecht. 3i*>ifd>en bem djriftlichen Statur- recht unb bem reinen Staturrecht bes oernunftgläubigen 3eitaIters ke=

fteht ein oor allem burch Calotn oermittelter <£nttoi(flungsjufammen=

hang. Sftan beburfte aus oerfchiebenen ©rünben bes ©laubens an ein jlaturrecht: erftens glaubte man bas bie unabhängigen Staaten unter*

einanber oerbinbenbe unb btnbenbe 33öl!errecht nur als Staturrecht er*

flären ju fönnen. ©estoegen nannte ber berühmtefte Staturrechtslehrer, tber f)ollänber §>ugo ©rotius, fein grojjes 3Berf „Statur* unb 33ölfer=

recht", gerner hielt man eine naturrechtliche 93egrünbung ber Obrigfeit für nötig, Schließlich leitete man bas stecht ?um ^OBiberftanb gegen un=

erträglich brüefenbe ober im Saufe ber Seit aur Unvernunft geworbene Rechtsnormen aus bem Staturrecht her. ®as Staturrecht als Stedjtstitel für bie Steoolution fommt jum 2lusbrud in ben berühmten SBorten Schillers (3Tcü, Siütlifaene):

„Stein, eine ©renje bat $prannenmacf)t.

3Benn bet ©ebrüefte nirgenbs 5Recf)t fann finben, SB enn unerträglich wirb bie Saft — greift er hinauf getroffen SÖtutes in ben §itnn;e[

Unb holt herunter feine eto’gen 9te<f)te,

®ie broben bongen unceräufeerlict) Unb unjerbred)licf), tote bie Sterne felbft — 33er alte Urftanb ber Statur lehrt toieber . . . "

©oethe läfet bas Staturrecht in toieber einer anbern ßigenfehaft erfchei=

nen, nämitch als Schuf? gegen überaltertes finnlos geworbenes Siecht.

Sr leitet aber bamit bas Staturrecht 3U bem fpäter oon Ehering, Stießfche ttnb (Ernft guchs perfünbeten l e b e n d i g e n St e ch t über:

„Vernunft toirb Unfinn, SBob/tat 'Plage.

3Beb bir, baß bu ein (Enfel bift!

Vorn Steckte, bas mit uns geboren, Von bem ift leiber nie bie grage."

(3)

91 c cf) t s p f> i I o f o p M e u n b S e b e n 275

3m 19. Sabrbunbert nahm man 3U bem obenerwähnten ©runbproblem bes 9t echtes eine oöllig anbere Stellung ein, ja, man fdjien es gelöft 3u haben. Es gibt nur ei ne Art Don 9ted)t, jagte man in 6er jefet berr*

febenben „biftorifeben" Jtecbtsfcbule, nämlich bas p o f i t i o e 9tecf)t. Vom 9taturred)t wollte man nichts mebr toiffen, man hielt es für ein §>irn*

gefpinft. ilnb ber ©egenpol bes pofitioen 5Hecbts, ber festen ben 9ted)tS“

pofitioiften bes 19. ftabrbunberts etwas, toas gar nid)t 3um 9ted)t felber gehört, fonbern 3ur SJtoral unb ^olitif.

Sie ©egner bes 9taturred)ts im 19. 3abrbunbert waren übrigens feinesmegs untereinanber einig, fonbern bildeten brei beutlid) oonein=

anber gefebiebene Parteien.

Sie erfte Partei war bie oon S a o i g n p begründete biftorifebe Schule. Sie behauptete, bas Stecht fei eine Schöpfung bes unbewußten Volfsgeiftes. Es entftebe nicht burd) menfehlicbe 3Billfür, fonbern werbe unb waebfe organtfd), oor allem in ©eftalt bes ©ewobnbeitsredjtes. Sas

©efefeesredjt fönne ficb nur bann als wirtliches 9tecf)t behaupten, wenn es in einem entftebe, bas ben 93eruf 3ur ©efeßgebung hob«.

Sie 3weite Partei ift bie oon f> e g e l ausgehenbe 9led)tsfd)ule, bie ben ©taat für bie böcbfte Verwirflidmng bes „objeftioen ©elftes" hält.

Sie Vertreter biefer Sehre finb ber Anfidjt, baß nur folcbe formen 9tecbt fein fönnen, bie auf ben Staat surüdgeben. Vei folgerichtiger Suri^fübrung biefer Sehre muß man bie recbtsoerbinblicbe Kraft bes Völferrecbts leugnen unb bas Völferrecbt lebiglicb als äußeres Staats»

recht gelten laffen, wie bies auch ber befannte Staatsrecbtslebrer 3eitweife getan bat.

Sie britte Dichtung gebt auf CS b e r i rt g 3urüd. Ebering fagte: Ser 3wed ift ber Schöpfer bes 9ted)ts. Sas 9ted)t erfüllt aber feinen nur bann, wenn eine Stacht babinterftebt. „Sas Stecht ift bie wobloer»

ftanbene ^olitif ber ©ewalt."

SRan fönnte biefen brei naturred)tsfeinblicben SRecbtsfcbulen bes 19. Sahrbunberts noch als oierte bie materialiftifebe gefeiten, bie nad) ben Sehren oon 2Jt a r j unb E n g e l s bas 9tecf)t für ein Erseugnis ber öfonomifeben Verbältnijfe hält. Aber man fann oon einer eigentlichen materialtftifcben 9ted)tsfcbule nicht fpred>en, ba gerabe ber genialfte fo=

3ialiftifd)e Surift, gerfnnanb Saffalle, nicht auf bem Vofoen ber materia=

liftifchen SBeltanfchauung fteht, fonbern (fo wie 3- 3- Vacbofen) bas 9tedbt in mptbifcfKeligiöfen Vorftellungen wuseln läßt.

f>at nun eine oon ben genannten brei Schulen gefiegt unb wie ftellt ficb bas 20. 3abrbunbert 3u bem ©runbproblem ber 9tecbtspbilofopbie?

Sie biftorifche 5ted>tsfd)ule ift fd>on lange oöllig überwunben, fie bat gar feine Anhänger mehr. 3br Sdndfal war fd)on befiegelt, als ihr güb- rer Saoignp, bamals preußifeber Suftiaminifter, ein bilflofer ©reis oor

19

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276 9 t e < & t s p b i t o f o p f r i e u n b S e b e n

den Jteoolutionären »on 1848 eine tragifomtfc^e 9lolle fpielte. Sie hiftorifd>e ^Rec^tsfcfjutc £>at bie moberne 9ted)tsentwidlung gehemmt, ©ie ift aud) einer unbefangenen unb fritifchen rechtsgefchichtlichen gorfdjung oft meljr hinberlich als förberltch gewefen, inbern fie geneigt war, bas

©ewefene als feienb 3U behanbeln.

Sie |>egelfd)e ©d>ule ber „©taatsnarren" (um einen 2lusbrud »on Slieftfche au gebrauchen) tat unter bem Einfluß bes Söeltfrieges, ber bas Vertrauen ber SKenfdjen ju bem ©öfcen ©taat in jeber fjinfidjt aufs ftärffte erfdjütterte, einen fdjweren Sufammenbruch erlitten. SBortführer im 2lufftanb gegen fie war ber ©öttinger 9lechtsphilofoph 2 e o n a r b 91 e l f o n. Er befdjulbigte am 3ahre 1917 bie £)egel=©dhu'le, bie 9ted)ts- wiffenfehaft oerborben unb entfiftlicf)t, ja, fie gerabeju 3U einer „9techt5=

wiffenfehaft ohne “iHecht" gemacht su haben, wie ber Xitel feiner flam=

menben 2lnflagefd>rift lautete. STtelfon felbft bringt gegenüber ber lange überfchäfcten 5led)ts m a d) t bie 9led)ts m o r a l wieber 3ur ©eltung, er nimmt bie feit hundert fahren »ergeffenen ©ebanfen bes Ph'Mophen gries auf unb führt alles 9ted>t auf bas „Stecfjtsgefefc" 3urüd, eine STafel oon ad)t ©runbregeln bes 9tecf)ts, bie er unmittelbar aus Kants

©ittengefeft ableitet. Siefe ©runbregeln ftellen sum STeil politifd>e unb fo3iale gorberungen bar, bie mit Staturrechtsfätjen, wie man fie im 18. ^jahrhunbert ju oerfünben liebte, große $hnlid)feit haben. Obwohl Stelfon felbft feine Sehre nicht als naturrechtliche benannt wiffen will, ift fie boch ein deutliches Anzeichen bafür, bafe in ben Slnfchauungen ber 5led)tsphilofophen über bas 9taturred)t ein bebeutfamer Söanbel ein*

autreten beginnt. 3wei beachtliche 3eugniffe mögen bies befräftigen: 2lm 12. ©eptember 1927 führte 2anbgerichtsrat Dr. 8. © t e r n in einem Vortrag 3U STofio aus, bas 9led>tsbenfen Ehinas unb Japans fei ge=

Ienn3eichnet burd) bie Überzeugung oon ber 33orherrfd>aft bes 9latur=

rechts über bas gefegte Siecht. Er fagte bamit 3War ben Japanern nichts 9teues, aber er brachte ben Seutfd>en 3um 33ewufetfein, dafe eine hifto=

rifche Erfcheinung wie bas 9taturred)t, bie oon jeher im 2eben ber Kul»

turoölter bie gröfete 9tolle fpielt, auch nicht oon ber einftimmigen M ei­

nung ber beutfehen Stechtslehrer in einer fo furjen 3eitfpanne, wie fie das 19. Jahrhundert innerhalb oon Sahrtaufenben morgen- unb abenb=

länbifcher 9ted)tsfultur barftellt, wegbefretiert werben fann. ähnlich äufeert fid) ber SERarburger 23ölferrechtslehrer ©uf t ao 21 b oXf 3Bo13 (swei ©runbprobleme bes 33ölferrechts, Ärchio für 9tecf)t5= unb 2Birt=

fchaftsphilofophie, Oftober 1928). Sie naturrechtliche Konzeption ber in»

bioibuellen ©rurcbrechte habe bie bebeutungsoollften gefellfchaftlidjen unb politifchen Umfchichtungen bewirft. SWänner wie Seibnij, ftobbes, Pufenborf, 5louffeau unb Kant hätten berechtigte ©rünbe für ihre naturrechtli<teKonftruftionber©runbred)te gehabt. SBafofehrt freilich 3um

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31 c cf) t sp f>i Iof o p f) t c u n b geben 277 Raturrecht im ©inn bes 2lufflärungsgeitalters nicht gurüd, aber er for­

muliert eine 2lrt oon juriftifcher Relatioitätstheorie, inbem er bas ft a a 111 d) e Rechtsfpftem nur für eines unter mehreren mögflichen Rechtsfpftemen erflärt unb bem Recht einen immanenten ihm oon Ratur innewohnenben, nicht erft oom Staate beigelegten SBertgehalt gufchreibt.

©egen biefe unoermeibliche Folgerung wehrt fich ber unentwegtere Hegelianer unter ben Rechtsphilofophen, ^rofeffor J u l i u s 53i n b e r in ©öttingen, mit oergweifelter f>artnädigfeit. Um feinem burch bas SBeltfriegserlebnis ins ffianfen geratenen ©lauben an bie ©öttlichfeit ibes ©taates treubleiben gu fönnen, geriet er auf einen fwchft wunber=

liehen 3rrweg. ©tatt gwifchen bem R e ch t , wie es ift unb tote es fein foll, gu unterfd>eiben, machte er ben Unterfdneb gwifchen bem © t a a t , wie er ift unb tote er fein foll. 2lls ibealen Staat betrautet er ben oon einem Monarchen abfolutiftifch regierten ©tänbeftaat (bas friberigia- nifche ^Preußen oor önfrafttreten bes allgemeinen 2anbred)ts). Sie feit SRenfchenaltern beftehenbe frangöfifche Republif unb erft recht bie junge beutfehe Republif mufe — fo lehrt Binber — in einem ^rogefe, ber nicht nur ein gefchichtsphilofophifcher unb erfenntnistheoretifcher, fonbern ein '’Progeß im Rechtsfmn ift, ihre Rechtmäßigfeit beweifen. 3n folchen ibeologifdjen Verirrungen rächt es fid), bafe bie Suriften Diel gu lange bie oon einem Richtjuriften, bem ^h'Mophen 2B i l h e l m S i l t h e p , fchon oor 50 fahren erfannte Sweigefichtigfeit bes Rechtes »erfannt haben: bafe es nämlich nicht nur ein ©tüd SRachtorganifation fei (oor allem in ©eftalt bes ©taates), fonbern gugleich ein Bereich ber Kultur (toie Religion, Kunft, SBiffenjchaft, ©itte, Sittlid)feit). Söenigftens haben hie Rechtsphilofophen aus biefer Erfenntnis nichts anberes als Mutlofe Theorien gu gewinnen gewußt. Eine folche Theorie ift 91 u b o I f S t a m m l e r s ßehre oom „nötigen Recht", worunter er nid)t etwa ibeale, bas heißt bem Seben unb feinen Bebürfniffen in ber richtigen SBeife gered)twerhenbe Rechtsnormen oerftanb, fonbern allgemeine er=

fenntnistheoretifche gormen jebes mögli<hen Rechts. Stammler wähnte, mit feinem „richtigen Recht" bas „fogiale Obeal" entbedt gu haben, aber feine gormel war in ihrer abftraften unb allgemeinen, nod) bagu fantifd) oerfchnörfelten gaffung gänglich untauglich, bas Kulturelement unb bas Rtaihtelement im Recht ins ©leichgewicht gu fefeen. Safür oerftanb es ber Sßiener Staatsred)tslehrer f> a n s K e i f e n , bas Kolumbusei bes Problems „Staat unb Reiht" mit genialem unb wuchtigen ©riff auf bie

©pifce gu ftellen, fo baß es ft e h t , freilich mit ber Söirfung, bafe ber gange Snhalt ausläuft. Seine oerblüffenbe „Söfung": ber Staat i ft bas Recht! erinnert mit ihrer ©ewaltfamfeit etwa an Johannes Schlafs geo=

gentrifche f)ppothefe. So wie Schlaf bem gefunben SRenfchenoerftanb mit ben gefuchteften Erflärungen bie fo einleuchtenden 'Planetenumläufe

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278 9 i e $ t s p b U o f o p b i e u n b S e b e n

auspreben unb bie fcheinbaren '’Pianetenrücfläufe als mirflich einaureben

»erfucht, bemüfrt fid) Keifen mit einem ungeheuren 9Rafe t>on fopt>i=

ftifd^em Scharffinn, bie normwibrigen Handlungen des Staates, der

»eil, toas ein ''Profeflor fprichf, nicht gleich 3U allen bringet,

leider nod) nicht aus einem Stüd gefchichtlid)=gefellfchaftlicber 2Birflid)=

feit ju einer Kategorie des reinen Sofiens geworben ift, in die (Ebene ber reinen Rormatioität einjuordnen.

Aber unfer Seitalter erwartet Rettung für fein durch „Realpolitik, Krieg, Reoolution, 3nfIation fchwer erfchüttertes Rechtsgefühl, erwartet eine Söfung der fchweren 3uftijr>ertrauensfrife, in der plage tritt, daß unfer Volf in 3wei Klaffen mit wiberftreitenben Recf)tsanfchauungen gefpalten ift. ®ieje Rettung fonnte nicht r>on wirflichfeitsflüchtigen Ro=

mantifern unb Sheoretifern fommen. Sie fam aud) nicht oon einem pnf=

tigen Rechtsphilofopfren, fonbern »on einem Sftann, der in der unmittel=

baren Rechtspflege ftanb, bem am 10. April 1929 »erftorbenen Red)ts=

anwalt Dr. h. c. E r n f t g u c h s 'in Karlsruhe. £r gab für das ©rund=

Problem des Rechts nicht eine allgültige, aber die dem Sebensgefühl u n f r e s Seitalters entfprechenbe Söfung. (Sr gab fie auch nicht in ©e=

ftalt einer Sauberformel, einer 3TH>eorie, fondern in ©eftalt einer neuen

“■p r a j i s des Utechts.

lieber, der das Recht anwendet, oor allem ber Richter, hat immer aufs neue das ©rundproblem bes Rechts 3U löfen. Rad) (Ernft gud>s handelt es fid) bei bem allem Recht innewohnenben Spannungs»erhält=

nis, das es ausjugleichen gilt, um den ©egenfatj 3Wi|chen dem ftarren fprachlichen Ausdrud bes getriebenen Rechts (©efetj, Vertrag) und dem iebenbigen Recht, beffen fteter glufe fich in gormeln nicht bannen läfet.

guchs wenbet alfo Rieöfches Sehre, dafe der ©eift (die Spftematif ftatifcher ^Begriffe) ein franfhafter Ausnahmejuftanb des Sebens ift, auf das Recht an1), gudjs behauptet ben Vorrang bes Sebens »or ber Ve=

griffswelt, er oertoirft daher die den Rechtsfafe fd)oIaftifch=bedufti» aus*

legenbe alte Qurispruden? unb erfetjt fte durch eine moderne Rechts»

wiffenfchaft, die iojiologifd) unb pfpchologifch das Seben felbft erforfdjt („gröbliche Redjtswiffenfchaft"). gudjs nimmt bie Überlieferung der 3hering=Sdmle auf, welche bereits bie Abhängigfeit des Rechts »on ben Sebensameden betont hatte, aber in Riesches ©eift oertieft er un=

endlich Eherings flache Rüfclichfeitslehre. S^ering hatte fich wie die manchefterlichen Rationalöfonomen ein grobes Schema egoiftifcher Sebensjtoede jurechtgemacht, denen das Recht nad) feiner Meinung 3U

*) Stiefefches (Einfluß auf bie SHecbfswiffenfcfcaff, ber bisher noch nirgenbs im ganjen getoürbigt worben ift, bin ich bemüht, in bem 33ucf) „Sliefefche ber ©efeß- geber" (gelij 9Jteiner. 1931) im einjelnen barjuftellen.

(7)

' P o l i t i f u n b 9B e [ t a n f d) a u u n g 279

dienen hat. 3nfolgebeffen fam er aus 6er SSegtiffsjurisprubenj nicht heraus, gud)5 erfannte, bafe bas Seben unb Dor allem bie menschliche Seele unenblich oielgeftaltiger ift als ber Verftanb ftch »orffellt unb bafe ber Surift, ber bem Seben gerecht »erben »ilt, es nur intuitio, mit f«höpferifcher ^Phantafie »ie ber Künftler, erfaffen fann. Safe burch biefe

„freirechtliche" Art ber Red)ts»iffenfd)aft bie Rechtsficherheit nicht ge=

fährbet, fonbern im ©egenteil Diel beffer ge»ährleiftet »irb als burch bas 3ufallsfpiel begrifflicher Sialeftif, hinter bem fid) oft ein heimliches (frpptofo3iologifches), auf fubjeftioen Vorurteilen beruhenbes Rechts- gefühl Derftedt, hat (Ernft guchs in einer jahrelang burdjgeführten glän- 3enben Kritif ber Rechtjprechung bes Reichsgerichts unb anberer hoher

©erichte nachge»iefen. 3Kit bem (Erfolg, bafe bie „greired>ts"=

S e h r e fiegreich in bie Rechtsprechung eingebrungen ift unb fich in ben berühmten Aufwertungsurteilen bes Reid>sgerid>ts bewährt hat. SBer näheren Auffchlufe barüber »ünfd)t, »ie ber moberne Qurift bas ©runb=

problem bes Redjts in ber bem (Seifte unferes Zeitalters entfprechenben SBeife 3U löfen oerfucht, ber lefe bie fernig unb oolfstümlich gefd>rie=

benen, oon ©eift unb Sßife fprühenben Kampfschriften oon (Ernft gud>s, oor allem „S ie ©emeinfd)äblichfeit ber fonftruftioen Surisprubens"

(1909, Karlsruhe, ©. Vraunfcher Verlag), „^uriftifcher SMturfampf"

(1912, ebenba) unb bas feine ©ebanfen fnapp 3ufammenfaffenbe „Sßas

» ill bie greirechtsfchule?" (Schriftenreihe „Seutfd>e Rechtsnot", ©rei=

fenoerlag, Rubolftabt, 1929). f>ier lernt man bie moberne Recf)ts»iffen=

f<haft am beffen fennen, nämlich in Kampf unb Ve»egung, im Ringen mit ben Sebensnöten. Auch im Streben nach 2Beltanfd>auung unb neuer Vilbungsform, bas fid) mit ben 3ielfeftungen moberner 93ilbungs= unb (Er3iehungsreformer berührt unb beshalb oon befonberem Viert ift, »eil es oon ben Sebensbebürfniffen eines beftimmten praftifdHosialen Verufs

5 ausgeht.

s- unb SBcIfanfc^auung

S* S5on §> a n s g r e p m a t l

Ser nad) letzten politifd>en (Erfenntniffen Ringenbe mufe einen Kampf

« rein geiftiger Art erfehnen, nicht aber einen folgen, ber mit ben oer=

«, gifteten 2Baffen einer Verläfterung bes Anbersbenfenben geführt »irb.

,j, Sie politifche Reife eines Volfes »ie bes einjelnen Staatsbürgers seigt (I fid) allein in ber Sulbfamfeit gegenüber ben tfberseugungen anberer.

Rur ber bulbfame SDtenfd» »irft auf feine Volfsgenojfen erjiehertfd). gür alle feiten gilt bas 3Bort bes Staatsminifters grep, bes Mitarbeiters im bes greiherrn Dom Stein: „3utrauen oerebelt ben SRenfchen, e»ige Vor- munbfchaft hemmt fein Reifen." SBie »eit ift ber beutfche SOlenfch noch

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280 P o l i t i t u n b SB c 11 a n f d) a u u n g

heute, ja gerabe ijeute »on biefer politffdjen 9teife entfernt! Hätten mir bie alte 9tegierungsform, bann wäre biefer ©eiftespftanb noch allenfalls erträglich, »eil ftarfe äufeere Klammern bas Bolfsganje aufammenhiel- ten. Sie Semofratie fefct jene Steife »oraus, unb mo fte nicht »orhanben ift, ba läuft ber Staat täglich ©efafyr, auseinanberjuberften. Siefe ©e=

fa^r fiet>t ber Unbulbfame nicht unb will fte nicht fehen. Wie hod) fteht bod) ber fterbenbe Sofrates über biefem 3Renfd)entpp, menn er noch angefichts bes Tobes fpred>en fonnte: „Sas Baterlanb ift ehrmürbiger als Bater unb SKutter; man mufe fid) ifjm millig fügen, aud) »enn es Selben fchidt."

Sie 'Parteifämpfe oon heute mären nicht Kämpfe aller gegen alle, fte böten nid)t folch trauriges Bilb ber .gerfefcung unb Vermorrenheit, menn bie ^arteten unb iljre Angehörigen mirflid) nod) Träger oon Welt»

anfdjauungen unb Ieud)tenben Obealen mären. Tatfäd)Iid) finb fte heute mehr ober meniger au Vertretern »on Stanbes= unb Berufsintereffen herabgefunfen. fHöchft bejeichnenbermeife mar in ber 3®itfd)rift eines Berbanbes freier geiftiger Arbeiter auf eine Wahl neuerbtngs Bejug genommen mit ben munberoollen Berfen:

„9tur bie attergröjjteir Kälber toäfjlen ifjre SKefeger felber."

Sas ift ber Stanbpunft bes Surchfdjnitts »on heute, bes praftifd>en SÖtaterialismus, ber uns meit mehr beherrfd>t, als mir es ahnen. 9Ren=

fdjen »on folcher ©eiftes»erfaffung fämpfen nad) Art brünftiger fnrfche für ihre Sntereffen, nicht aber für Bolf unb Staat, gür fie gilt bas Wort, bas Wilhelm Schäfer in feinen 13 Büchern ber beutfdjen Seele Schreibt: „W er in ber Welt nur feine ©efd)äfte fieht, retd> merben unb geniefeen mill, ber lebt finnlos unb »erächtlid), Stur mer feine Sjifteng fittlich, b. h- nicht nur im Verhältnis jum 9tebenmenfd)en, fonbern im

©runb aller Singe oerantmortlid) fühlt — mag er ihn ©ott ober bie ewige 9totmenbigfeit nennen —, nur ber lebt fid) unb ber Welt mert=

»oll."

Unfer Bemühen mufe baher barauf gerichtet fein, bafe mieber Welt=

anfchauungen unb leuchtenbe 3beale 9Kad)t gemtnnen, bafe hohe Siel®

g^fefct merben, um bie fid) ein Kampf mirflid) lohnt. 3m felben Augen*

blid mürbe bie 3flhl ber Parteien auf ein 9Kimmum jufammen*

fchrumpfen; benn urfprünglid) gibt es nur jmei Parteien: eine, meldje bie beftebenben Berhältniffe erhalten mill, unb eine anbere, melche fie meiterjuentmideln ftrebt. B is »or etma 40 fahren hat man bemjufolge in ßngtanb nur Konfer»ati»e unb Siberale gefannt. £rft ber 3nbuftria=

lismus fd>uf bort als britte Partei ben Sozialismus nationaler gärbung in ©eftalt ber Arbeiterpartei.

(9)

P o U t i f unb SB e lta nfcha uung 281 prüfen » ir hier nur einmal, auf welcher tocltanfcfjaulirfjen ©runb» . läge ber Siberalismus beruht! SBie wir fehen werben, ift foldje Prüfung

■nicht nur Don theoretifchem, fonbern auch Don praftifchem 3nterefje. SBas heißt eigentlich „liberal" fein? Sas SBort fommt befanntlich aus bem Sateintfchen unb bedeutet freiheitlich, oorurteilsfrei, gütig. (Es befagt alfo mehr als nur „bie Reichen ber Seit beachten unb ihre Slnfprücfje bcfric=

bigen", toie bas alte liberale ^Programm befiniert. ©oetfjes „Egrnont"

3eigt es uns: Ser Siberalismus ift bie SBeltanfchauung (Egmonts unb

©oethes. Siberal fein heißt anbere gelten laffen. gür ficb felbft bie grei- heit ju lieben unb ju begehren, ift felbftDerftänblich unb fein Skrbienft.

Erft baburch, baß bu fie anberen gewährft unb ju oerfchaffen bereit bift, erweift bu deine liberale ©efinnung! Siberal fein heißt 3bealift unb Optimift fein, heißt trofe aller üblen Erfahrungen fid) ben ©lauben an ibie SJtenfchheit unb ben Enbfieg bes ©uten nicht nehmen laffen, weil ber ©eift unb nicht bie SRaterie regiert, toeil alles echte Sehen geift=

unb jwecfDoll ift. Siberal fein heißt iojial benfen, fühlen unb hanbeln.

Siberale ©efinnung ift nicht ©abe, fonbern hohe fittliche Aufgabe, bie Don ber Siebe ju aller Kreatur getragen fein muß. Ser wahrhaft liberale SKenfcf» ift ftreng gegen fich felbft, milb gegen anbere. Sticht ber Kon=

feroatismus, fonbern ber Sefpotismus ift, wie SR. ftaoenftein in „Sie Sichtung in ber Schule" aeigt, bas eigentliche SBiberfpiel bes Siberalis*

mus. SBahrhaft liberale SJtenfchen oerfchmeljen in fich ÖnbiDibualismus unb Sozialismus jur Einheit. Keine SBeltanfchauung appelliert mehr an bie SelbftDerantwortlichfeit als ber Siberalismus. Sieben ber grei=

heit als höchfter 3bee fteht biefem geläuterten Siberalismus bie ©erecf>=

tigfeit, bie bie greiheit erträglich macht, bamit fie nicht auf Koften ber Schwachen geht. Siberal fein heißt auch int tiefften f>erjen Ehrift fein:

Ober gab es je ein SRenfcfjenfinb, bas aller Engherjigfeit ferner fianb als Ehriftus? 3ft es aufällig etwa, baß Ehrifti f>auptwiderfacber bie polttifdEjen unb ftrchlichen ganatifer feines SSolfstums waren? Oft es gu=

fällig, baß ein ©amaliel für bas Ehriftentum eine Sange brach, inbent er ben SRut gu jenem liberalen SJefenninis fanb: „3ft ber Slat oder bas SBerf Don ben SRenfchen, fo wirb es untergehen, ift es aber oon ©ott, fo fönnet ihr es nicht bämpfen?"

SBir fehen alfo: Sas S3efenntnis jum Siberalismus erforbert 3Ren=

Jchen gans befonberer SBefensart, SRenfchen oon beftimmter 3BeIt= unb Sebensanfchauung. Slicht nur in ber ^Philofophie, fonbern auch im Seben treten fich feit altersher Stealiften unb Obealiften gegenüber; ihr poli=

tifches ©egenftücf finben fie im Konferoatioen unb im Siberaien. SBenn ber erftere gar oft über feinen ©egner ben Sieg baDontrug, fo nur bes=

halb, weil nicht nur erft in unferer Seit bte einaelnen SRenfchen gar ju fehr hinter bem 3bealbilb liberaler SBeltanfchauung aurüdblieben. Unb

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282 S i e Ä t i f e b e s ^ a T t a m e n t a i i s m u s

»enn aud) unfer ‘’Parteiwefen biefem Sfbealbilb nicht entfpricfjt, fo be- weift bas nur bie Schwere ber Aufgabe, bie in ber 3fetfe&ung liegt, nicht aber, bafe ber Siberalismus nur 3eit- unb nid>t Swigfeitswert befifot. 2>enn ein Segler haftet bem fiiberalismus nottoenbig an: £s fehlt ihm jene 2lrrogana, fich rücfftchtslos burchfefeen au wollen, anbere 9ftei=

nungen als minberwertig ju ftempeln, bie leider oft 3U äufeerem (Erfolge führt. So geht es ihm ähnlich wie bem “^roteftantismus im Verhältnis gum Katbolijismus, ift boch auch erfterer in feinem 2Befen liberal.

2öer fo in ben ^arteifämpfen Stellung nimmt auf ©runb 'einer feften 3Belt= unb 2ebensanfcf)auung, bem fonnen Sd)Iagworte nicht ben 'Slid trüben, ber fleht feft, ben fonnen SBinb unb Söetter nicht heute nach

„rechts" unb morgen nach „linfs" treiben, ber bringt auch ben SÜRut auf, für feine Überzeugung, wenn es fein mufe, 3U leiben. f>anbelt es fich oder um einen liberalen 3Renfchen, fo wirb er auch anbere Über=

Beugungen achten unb erft in ber 33erteibigung blanf sieben. Unb wenn wir heute fehen, wie bte ganatifer auf ben glügeln 9Jlad)t gewinnen, wie bie 33olfsgemeinfchaft immer mehr broht, 3boI 3u werben, bann fann ber um 33olf unb Staat ehrlid) beforgte beutfehe SÖlenfch nur wünfdjen, bafe fid) um bie gähne bes fiiberalismus mehr 3Renfd>en Jcharen, ift er bod) feinem 3Befen nad) berufen, eine 93rüde 3Wtfchen ben (Bftremen 3U bilben, bie sentripetale Kraft 3Wifd>en ben sentrifugalen Kräften bes 53olfsförpers bar3uftellen.

3n einer Seit, in ber ©rofeinbuftrie, ©rofehanbel, f>ochfinan3, 53erufs=

organifationen, ^arteioligarchien bie |>errfd)aft ber StRaffe mehr als je bte freie ^Perfönlichfeit bebrohen, bürfett wir uns natürlidh über bte Schwere ber 2lufgabe nicht tauften, (Ein ßtberaltsmus, ber nur eine 3iwltfations= ober gar SBirtfchaftspartei 3U bilben »ermag, fann fich nidit mehr burchfefeen. Sener ßtberaltsmus jebod), ber eine geiftige Bewegung, eine SBeltanfchauung ift, hat 3ufunftsaufgaben; benn „Sin ©ebanfe, ber richtig ift, fann auf bie Sauer nicht ntebergelogen werben". (SMsmard).

Parlam entarism us

S5on 9t e i n a r b 6 t r e d e r

$>eutfd)Ianb geht feit bem SBeltfriege eigentlich bauernb burch 9tegie=

rungsfrifen hinburch, bie man nicht gan3 mit Unrecht auf ein 33erfagen bes Parlamentarismus jurüdfübren fann. So ift bas SSÖort non ber

„Krife bes ^Parlamentarismus" 3um Schlagwort geworben, übrigens fiebt es in anberen ßänbern nicht Diel beffer aus. SOtan hat ja ba ftellen=

weife fchon bie praftifchen Konfequensen gesogen unb ben ‘’Parlamenta*

rismus burch fafchiftifche ober bolfchewiftifche ®iftaturen erfefct. 5öie weit bie 33ölfer mit einer folgen ®iftatur beffer fahren, bleibt ab3u=

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S i e S r t f e bes P a r l a m e n t a r i s m u s 283

»arten. 9teftlofe SJegeifterung »erben außer fafdjifttjcf) ober bolfche- wiftifch geftimmten Greifen namentliche SDlenfd)en weber für 3talien nod) für Stußlanb aufjubringen oermögen. SBeltgefchichtlich betrachtet unb Don ben menfchlichen Opfern biefer Siftaturmethoben abgefehen, fönnte man es fchließlid) begrüßen, »enn folche Sjperimente gemalt

»erben. Sie Menfchheit »irb auch aus ihnen lernen. Um aber ein enb- gültiges Urteil über fie au fällen, baau ift minbeftens bie 3 eit ihres 23e- ftehens noch 3U furj unb ihr 23eftanb felbft noch ju unftcher. SBir »erben beshalb auch unfere Unaufriebenheit über bie Krife bes Parlamentaris- mus in Seutfchlanö nicht ohne »eiteres jur grunbfäßlichen Ablehnung bes Parlamentarismus fteigern. SBir »erben Dielmehr lieber aunächft einmal nüchtern prüfen, »eiche Urfachen ber Krife augrunbe liegen, unb ob fie nicht et»a boch noch au beheben wären.

(Es finb b ie g e w a l t i g ft en © c h i d f a l s f r a g e n b e r V ö l = f e r , bie heute in mobernen Kulturftaaten mit fjilfe bes parlamenta- rifchen SBerfjeuges gelöft »erben follen. ^unäcfjft »irb es gut fein, an bte ©röße biefer ©djwierigfeiten au erinnern, um au oerftehen, baß bem Parlament fo oiel augemutet »irb, baß billigerweife eine fpielenbe 2ö=

fung folcher Aufgaben oon Dorhherein nicht au erwarten »ar. Sie 2iqui=

bierung bes oerlorenen 5ßeltfrieges ftanb ja oor einem Qahraehnt noch fo ungeheuerlich oor unferen Augen, baß oiele überhaupt oeraweifeln unb oom Untergang bes beutfchen Volfes reben »ollten. Sie Politif aber, bie uns in ben SBeltfrieg hineinführte, unb awar in jener unglüd- liehen ifolierten Stellung, bei ber »ir auleftt bie ganae SBelt gegen uns hatten, ift nicht auf bem 23oben bes Parlamentarismus gewachfen. Unb ift bte Menfchheit et»a früher, als es noch feine Parlamente gab, mit ähnlichen Problemen beffer fertig geworben? Sas golbene Zeitalter einer Politif, bie nach ben Maßftäben ber Vernunft glatt unb fchmera- los mit jeber Aufgabe fertig »irb, hat es oor unferem Qahrhunbert nicht gegeben unb fann es auch nach menfehlichem (Ermeffen in 3ufunft nicht geben. Serartige chiliaftifche Träumereien fönnen für bie Politif fo wenig wie für bas ganae übrige 2eben als praftifcher Maßftab gelten.

SBenn fdjließltch ber Parlamentarismus auch nur als befcheibener gort­

fehritt gegenüber früheren Sftegierungsmethoben gelten bürfte, würbe es f<hon genugfam gerechtfertigt erfcheinen, ihn au oertdbigen unb fich um feine ©efunbung au bemühen.

SBir bürfen bas Problem {ebenfalls nicht nur unter bem engften ©e=

fichtspunft ber ©egenwart betrachten. SBir haben fo gewaltige weit- gerichtliche ©chidfale erlebt, baß wir nun auch &en Mut aufbringen müjfen, unfere politifchen ©egenwartsaufgaben in weltgef<hi<htlicbem Sufammenhang au fehen. Anbererfeits ift bas ©tüd 3BeItgefd)id)te, bas wir überfefjauen fönnen, im Vergleich au geologifchen Zeiträumen ober

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284 ® i e S l r i f e b e s ' P a r l a m e n t a r i s m u s

im Vergleich gu her unbegrenzten Sufunft, bie no$ oor uns liegt, t>iel 3U Jura, als bafe toir uns einbilben bürften, heute fchon bie lebten enb»

gültigen Urteile über Regierungsfpfteme unb politifch« SKetboben fällen 3u bürfen. Von jenen Seiten an, too bie ijraelitifchen Propheten ihre foaialen gorberungen erhoben, ober Plato unb Ariftoteles bie oerfchie- benen ©taatsfpfteme burchbachten unb ihre Sbealftaaten fonftruierten, bis auf ben heutigen Sag, too toir oon ber Krife bes Parlamentaris­

mus fprechen, haben bie Völfer bie oerfchiebenften praftifrfjcn Verfuche gemacht, haben immer wieber oor neuen Aufgaben geftanben, haben babei auch immer toteber mit ewig gleichbleibenben menfchlichen ©cl)Wä=

chen ober natürlichen fjinberniffen ju fämpfen gehabt, unb mir bürfen es uns nicht bie 9Kül>e oerbriefeen laffen, weiter au Juchen unb weiter ju efperimentieren, gerabe weil aud) uns fein Söunber oom f>immel unb fein ftarfer SRann mit sauberhaften Kräften bie enbgültige unioerfale Söfung fämtlicher nationalen unb internationalen politifchen Probleme 3U bringen oermag. ®as SRenfchenleben wirb immer ein mühfeliges ©e=

fchäft bleiben unb bie Politif mit ihm.

Ss gibt bte Krife bes Parlamentarismus fo lange, wie es ihn felber gibt. Als Alejanber ber ©rofee ftarb, war bie Krife feiner SJtonarchie ba. Als Athen au Veginn bes Peloponnefifchen Krieges oon *^3eft unb Unglücf heimgefud)t würbe, war bie Krife ber athenifchen 2>emofratie ba. Rach i*em Sobe Alejanbers fanben fich feine Rachfolger, bie ber Fortführung feines 5Berfes gewachfen gewefen wären. Rach bem ©turae bes Perifies fanb bte athenifche Volfsoerfammlung feine fichere, fefte Sinie mehr, auf ber fte ben Kampf um bie politiföe gührung in ©rie=

chenlanb hätte erfolgreich burchführen fönnen. Als bie römtfdje VoIfs=

oerfammlung bie weitfehauenbe Politif ber beiben ©rächen im ©tich liefe, um einem beaahlten Demagogen gu folgen, war bas bie Krife ber römifchen ®emofratie. Aber auch jahrhunbertelange Kaiferherrfchaft fonnte fpäter bas Reich ni<ht retten. ©chon ber alte Römer fagt: 2ßas bie Könige fünbigen, bafür befommen bie Völfer bie Prügel. SBenn bie 5>emofratie fünbigt, fo ift es fchliefelich bie 2Jlehrf)eit bes Volfes felbft, bie fich bte Prügel auaieht. Sie Sahl ber unfchulbig SRitgeprügelten ift im lefeteren Salle wenigftens geringer als im erfteren, unb man fönnte bas, wenn man wollte, für moralifcher erflären.

a s b l e i b t alfo ber Krife bes Parlamentarismus gegenüber j u t u n ? Es wirb uns nichts anberes übrtgbleiben, als alles baranaufefeen, bie politifche Reife unferes Volles au förbern. 2Btr haben feit bem Kriege — abgefehen oon ber Rationaloerfammlung — noch burch feine SBahl eine wirflich entfehiebene SOtehrheitsbilbung im Parlament be- fommen. ®ie Rationaloerfammlung wahrte unter fchwierigften Verhält“

niffen bte Einheit bes Reiches unb gab uns neuen ftaatsrechtlichen Voben

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® e u t f c f r e S t a a f s t b e e 285

unter die güfee. Sie hat geleiftet, was billigerweife Don ihr gu erwarten war. Sie folgenden Reichstage hätten auch wehr geleiftet unb uns manche fchmeraliche (Erfahrung gefpart, wenn fie eine ebenfo brauchbare SRehrheit aufauweifen gehabt hätten. 2Benn aber bas 93oIf bei den 5ßah=

len, burch i>ie es fein SouDeränitätsred)t ausübt, unenffchieben urteilt, bann fann es fich nicht wunbern, wenn nachher auch fein Parlament unenffcfjieben ift. Sie dauernden Regierungsfrifen finb allerdings eine golge der Urife bes Parlamentarismus. Sie Krife bes Parlamentaris­

mus aber ift ihrerfetts wieber eine golge der frifenhaften politifchen U n « n t f d ) i e b e n h e i t u n f e r e s 33 o I f e s. S a feftt deshalb auch jebe Partei Dom Stanbpunft ihrer Sluffaffung aus ben f>ebel mit ihrer Propaganbatätigfeit an. 9Ran follte aber nicht ben bod) immer mehr' ober weniger einfeifig orientierten Parteien allein biefe politifche (Er- giehungsarbeit überlaffen. ©ie fommt oor allem ber Schule au.

2

)e u f|d )e © f a a f s t ö c e VlaiS) 8 e o p o t b S i e g t e t 1)

(Ein fmuptmerfmal der modernen Semofratie ift btes, bafe fie ben (Einzelnen nicht mehr fraft 3ugehörigfeit p r blutsmäfeigen oder berufs=

ftänbifchen ©ruppe, fonbern als ifoliertes SnbiDibuum bem Staatswefen eingliedert. 3n ben börflichen ober ftäbtifchen Semofratien bes 3Jlittel=

alters war er als ©lieb einer (Sippe oder eines Stanbes Staatsbürger gewefen, in der Reujeit wirb er es gemäfe der „naturrechtlichen Senf=

weife der Slufflärungsgeit als 9Renfd) fchlechtweg", als oernunftbefeeltes (Einjelwefen, als felbftherrliche Perfon unb fid) felbft oerantwortliches OnbtDibuum. Suerft wirb in ber Semofratie ber bereinigten Staaten Don Rorbamerifa als ©runbfaft anerfannt, bafe alle Don Ratur gleich- mäfeig frei unb unabhängig finb und gewiffe SOtenfchenrechte befiften, bie au<h der Staat refpeftieren mufe. Siefe auerft im Staat Virginia 1776 Derfündeten „SUenfdjenredjte" werden 1791 Don bem granfreich ber ReDolution in die Verfaffung aufgenommen. ©leichheit unb greiheit bleiben nicht bie einzigen gorberungen, auf benen bet (Einzelne bem Staate gegenüber befteht; es gefellen fid) baju: greiheit bes ©ewiffens unb bes 93efenntniffes, der Rebe unb der Preffe, Sicherheit des (Eigen- tums, Unoerleftbarfeit ber Perfon, greiaügigfeit, ©ewerbe- unb 33er- fammlungsfreiheit. So erfcheint jeftt bas Verhältnis bes (Einaelnen aum Staat wie ein Vertrag, fofern er feine 3Jlenfd)enrechte beim Staat an- melbet und Don biefem gegen feine ßeiftungen an Steuern ufw. ben Schuft unb bie 35erwirfiid)ung biefer Rechte erwartet. 3n feiner 33er=

‘) „25 6 ä fe e oom $ e u t f cf) e tt S t a a t " , ©armftabt, 9ieicf)[. 1931. 72 S . Kart. 3.— 2Rf.

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286 S e u t f c f c e S t a a t st bcc

nunftwürbe als fittlicEjc Perfon fütjlt er fich als ebenbürtiger Partner bes Staates, greilich ift er als Einzelner bem Staat gegenüber ohn=

mächtig. Hm irgenbtnie roirffam fein 3BahIred)t geltenb zu mailen, fieht er fich auf eine erft zu bilbenbe Snftanz angewiefen, bie ihm aus ber ilnzahl wählbarer SRitbürger bie geeigneten namhaft macht unb bie — falls fie ihn felbft zum Vorfchlag bringt — bei ben Mitbürgern für ihn wirbt. So fommt es zur Vilbung politifcher P a r t e i e n . Sie erfeften bie früheren organi'fch geworfenen ©ebilbe, Sippe unb 23erufsftanb. 3n bem fo entftehenben Parteien-Staat ift Vorbedingung eine Vor=2BahI, welche bie ber Partei genehmen Kanbtbaten aufftellt, bie bann ber SUlaffe

■ber 2öahlbered)tigten in ber SBahlagitation empfohlen werben. Sie SBahl felbft fann höchftens bie Vorwahl beftätigen; es ift feine 9tebe mehr baoon, bafe bas Volf felbfttätig feine gührer wählt. Vielmehr fet?t ber Parteiausfd)ufe hinter oerfdhloffenen STüren feft, was oor bas Volt

<j!s wählbare Perfonlichfeit treten barf; bie VSäljler fönnen zufehen, wie fie fid) bamit abfinben.

Vebenfen mufe auch folgenbes erregen: Sie oon ben Parteien als ihre Vertrauensmänner oorgefchlagenen Kanbibaten gelten, fobalb fie gewählt finb, auf einmal als Vertrauensmänner bes Volfes. Artifel 20/21 unferer Verfaffung lauten: „Ser Reichstag befteht aus 2lbgeorb=

neten bes ganzen Volfes. Sie Abgeordneten finb Vertreter bes ganzen Volfes." Aber ift bas nicht eine biofee giftion?

3iegler wirft bie grage auf: ©ibt es überhaupt einen politifchen Aft, ein rationales Verfahren, bas ben Einzelnen bazu befähigt, bas Volfs=

ganze zu oertreten? Er oerneint bie grage, benn nur infoweit fönne ein Einzelner fein Volf oertreten, als er banf irgendwelcher Vegnabung bes Volfes „unterfchwellig=fd)öpferifchen" Antrieb burch fein eigenes Sun in Tebertbige gormen, in gefdEjaffene ©eftalten umfetje. „3n biefem allein ftatthaften Vegriffe oertritt fein Volf, wer ihm ben ©ott beim rechten 9tamen ruft; wer feine 3unge löft in Sieb, Sage unb ©ebidjt; wer fei»

nem bunflen tfnmafe SRafee fefct unb gibt. 2Ber feine 3Bürbe herrfdjerlich zum Ausbrud bringt unb ihm ©efd)id unb Senbung beutet;

wer feine Arbeit regelt, feinen SBohlftanb mehrt unb feine Einigfeit för=

bert. 2Ber feine Sitten abelt; wer ihm bie Xafel feiner SBerte reicht unb ihm gerechtes Siecht fpricht; wer ihm ben grieben in Ehren fichert unb rechtzeitig feine Siege oorbereitet."

SBerben bie Abgeorbneten in oerhältnismäfeig fleinen Greifen gewählt, fo liegt es befonbers nahe, bafe fie fich nur als Vertrauensleute ihrer f>eimat fühlen unb beren 3nterefjen wahrnehmen. Seshalb liegt es im Vk'fen ber Semofratie, nad) Erweiterung ber 2Baf)lfreife zu ftreben.

So fommt man zur ßiftenwahl, aber bcrmit wirb bas Söahlrecht noch unperfön’licher, mechanifcher, bie 3Baf)l felbft wirb zur Poffe. —

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® e u t f d) e 6 t a a t s i b c c 287 Sem naturred)tlicf)en Senfen ber Aufllärungsjeit, bas feie Semo=

fratie fdjuf, erfcheint feas 93olf als Summe oon 3itbtoifeuen. gür ur>

fprüngltd) beutle Auffaffung ift bas 35oIf etwas wefenhaft Anberes als bie ©efamtheit berer, bk bem Staat als Wollenfee gegenübertreten.

Herber, gierte, ©orres, Sianfe, Wagner erneuern bie uralte Auffaf- fung, bafe feas 33oIf nicht eine mechanifch afefeierte Sumnte, fonbern im Organismus eine einheitliche 2ebensganaheit fei, ja, gerabeau eine ©ottes- fdjöpfung, eine ©ottesoffenbarung, ein „grofees u n w i l l f ü r l i c h e s Safein", wie es ©oethe nennt. 3n feinem Sinne ift bas 33oIf ein beim*

lieh webenbes, ein feunfel trächtiges Ungefähr, im ^Silben unb SSauen, im Wirfen unb Hanbeln bem bewufetlofen Staffen ber Statur nod) gana nahe. Sie situfeerungen bes 33olfes finb triebhaft, ungewollt, freilief) bes=

halb oft aud» wetterwenbifcf), unberechenbar, ja ungeheuerlich. Sas Voll

„w ill" nicht (nämlich bewufet unfe abfidjtlid)). Sie Semofratie aber mife=

beutet bas grofee unwillfürliche Safein bes 33olfes als ©efamtheit ber Wollenfeen, würfeigt es fo aur blofeen „gartet" herab.;—

Sie Semofratie ift foaufagen feer politifche Stil feer bürgerlichen ©e=

fellfdjaft; ber augehörige öfonomifche Stil ift bie fapitaliftifdje ©elb=

wirtfehaft, ber teclmifdje bie allgemeine Anwenbung oon Arbeits- unb Kraftmafdnnen, feer mentale S til bie bemmungslofe 33ermiffenfd)aft=

lidjung (3nteUeftualifierung) fees ©eiftes. Siefe oier Stile befeingen, feurchferingen unb förfeern fich gegenteilig.

So befeingt ber öfonomifche Stil allmählid) einen tiefgehenfeen Wanbel ber politifchen Partei: fie mirfe aur „Klaffe", fe. h- fie bilfeet fich auf

©runb gewiffer gleicher wirtfchaftlicher Sßerhältniffe unfe 9lotftänfee.

Was fo feie gewerblichen ßohnarbeiter als „Klaffenbewufete" aneinanfeer- fchmiefeet, ift feie Tatfache gleicher SBefifclofigfeit; „Parteien" gibt es oiele, Klaffen nur jwei — feie Klaffe ber 33efifcenfeen, feie Klaffe feer Sftichtbefifcenfeen.

Zugleich bewirft bie arbeitsteilig unfe bamit mechanifcb geworfeene Tätigfeit an ber 3Rafd)ine aud) mental eine fortfehreitenfee ©leichförmig- feit an Seele unb ©eift, fdjleift bie perfönlichen Unterfchiebe ab, macht bie (Einzelnen au SKaffenmenfchen. „Sas grofee unwillfürliche Safein fees Volfes oerfällt ber Skrmaffung wie einem tofeferingenfeen Siechtum;

bie SOiaffe, bas ift bas Volf im 3uftanfe feiner Selbftjerfeßung."

Sie SDterfmale fees „53 o l f e s" finfe innere unfe äufeere SDtannigfaltig- feit, Urwüchfigfeit unfe 53obenftänbigfeit, enfelich heilfam=heilige Scheu oor ben „Mächten" bes Weltgeheimniffes: „Sie SD'laffe hingegen ift ge=

fchlag«n mit innerer unb äufeerer ©leichform, mit Umgetriebenfein unib Heimatlofigfeit, mit Neugier, <£hrfurd)tsIofigfeit unfe greiheit." Sie SRaffen aber fchieben ftd) awifcheu 53olf unfe Staat, raffen feie 2Jlad)t fees Staates „mit räuberischer ©ier an fid) unfe aerren beifee oor bas

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288 D c u t f c f c e © t a a t s i b e e

e»ig befted)licbe, rad)füd)ttge und »anfelmüttge gorum der ©affe; fie maßen ftcb am Ende jene SBillensbilbung felber an, toddje fonft den

©taat prn Staate fctjuf". f)eute liegt bei uns das Bürgertum in ben lefeten Sögen, und die bürgerliche ©efellfdjaft febeint fang- unb flanglos non ber proletarifcben abgelöft p »erben.

Slber bas „V o ll" als folcfjes tritt nun in Slbtoe^r gegen biefen ^rojeß, es rührt fid) unb rnelbet fid) jur Stelle. „Sas Voll, bas faum häufiger in Erfcbeinung tritt als ©ott, aber dennod) einmal ums andere SEftal, toie beifptels»eife tn den Kreujpgen, in den erften Sudungen i>cr beutfeben Deformation, im SBiedertäuferfturm, in den Bauernfriegen, im franko*

fifdjen Krieg unb pleßt unb am überwältigenbften p Slusbrucb des SBeltfrieges. Sas Voll — tooEjl triebhaft, too£)I umoillfürlicb unb un- willentlich, aber dod) feinesmegs triebhaft blinb, fonbern im ©egenteil triebhaft $etlfid>tig unb ijcüfütjlig für feine großen Slugenblide, »o bie Entscheidung fällig toirb über Sein unb Stidjtfein."

Sas Ergebnis ber bisherigen Betrachtungen ift für 3'egler, daß die heutige Semofratie als Partei», Klaffen- und SSJtaffenftaat eine dem SBefen unferes Voltes durchaus »iberftreitenbe Staatsform ift. 3um

»irflicben Volfsftaat gelangen » ir alfo nur burd) Umfebr auf bem be=

fd>rittenen SBege, ber oom Staat über Partei, Klaffe, SRaffe aus Ver=

maffung geführt bat. Slnjufnüpfen ift bei der Umfebr an Körperfdjaften, bie nod) als ftänbifdje Steftgebilbe fid) erhalten haben: ländliche und ftöbtifebe Berufsgenoffenfdjaften, »ie 2anb»irtfcbafts= unb f>andelsfam=

mern, Sln»alt= unb Ärjtefammern. Sie finb organifd) ju ergangen und p oermebren burd) die — au reorganifierenben — ©e»erffd)aften, beren neue Verfaffung fie binbern muß, organifierte SSJlaffe mit Klaffen- fampfgielen gu fein unb eine egoiftifdje Sobnpo'litif pgunften der ge*

fd)loffenen ßobnarbeiterfchaft gu treiben. Saneben follen großge»erblicbe Betriebe („Sßerfe"), ferner Unioerfitäten, ftocbfcbulen, Slfabemien Kör»

perfd)aft5red)te erhalten. Sie Körperfcbaft foll für bie Sufunft bas wie­

der »erben, »as für die Vergangenheit das Sbmg, bie Sandsgemeinbe und ©ericbtsoerfammlung im germanifchen Sorfftaat und die 3unft,

©ilde unb Einung für ben mittelalterlichen Stabtftaat »ar. So follen die Einjelnen »ieber bem Staate gegenüber aus ihrer Ofolierung und Sltomifierung herausgenommen und in einen gewaebfenen ©ruppenpfam- menbang eingebettet »erden. On biefem fönnen fie ihr »icbtigftes Bür- gerred)t, bie SBabl, finnooll betätigen; außerhalb der Korporation aber follen alle ftaatsbürgerlichen ©runbredjte »egfallen. Sinnooll toirb hier die SBabl »ieber, »eil fie innerhalb einer für die SDtitglieder noch über- fdjaubaren SBerf-, SIrbeits- ober 2eiftungsgemeinfd)aft ausgeübt »ird.

©e»äbit »erden hier nicht „Volfsoertreter", fonbern Vertrauensleute, aus denen die näcbftoorgefefcte Behörde bert>orgeben foll, und bies

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® e u t f <$ e © t a o t s i & e e 289

»eitet bis aur 2Bahl feer oberften 33ebörben, bie im Vefifc ber eigent*

licken Staatsgewalten finb. 3ebe Söahl foll ju ihrer (Enbgültigfeit ber 33eftätigung Don feiten ber nächftoorgefefeten Vehörde bebürfen. 3n bie*

fer fchon oom 9Rittelalter angeftrebten Surdjbringung bes hierarchifchen unb bemofratifchen ©ebanfens toürbe bie eigentlich» „beutfehe" Staats*

ibee in ber gorm bes Körperfcfjaftsftaates 2Birfli<f)feit toerben. „Sie fremblänbifchen 3Trad)ten bes ,abfo!uten‘ Staates, ber .fonftitutionellen 2Ronarcf>ie', ber .parlamentarifchen Semofratie’, bie uns allefamt fo 'fd>Iec^)t ju ©eficht ftehen, fielen ab t>on uns."

Sie höchfte Äörperfchaft (ber „Reichstag") foll fiel) nur aus folgen aufammenfefeen, bie bie übrigen Äörperfchaftsftufen alle durchlaufen unb eben bamit ihre 33ewährung ertoiejen haben. Sem „Reichstag" follen guftetjen Steuergefefcgebung unb =bemilligung, Red)tsfd)öpfung unb ©e=

fetjgebung, innere unb äußere Politif, 2anbes»erteibigung unb Verfehr.

3Bie fchon im jefcigen Parlament bie toirfliclje 2Irbeit in ben Kommif=

fionen geleiftet toirb, fo foll ber Reichstag ber 3 u^unft oon nornherein in fed>s 2lusfrf)üffe für bie genannten Aufgaben verfallen, benn in ihnen toerben „toeber Verfammlungsrebner noch berufsmäßige Parteihefeer noch Slpoftel ber Straße ober gar ber Unterwelt fiften". Öeber 5Iusfd)uß foll Veoollmächtigte toählen. Sie bilben ben Sräger bes Staatswillens, unb jtoar unter bem Vorftfc eines gewählten Hanalers, ben bas Staats*

Oberhaupt au betätigen hat.

3n einem fo organifierten Äörperfchaftsftaat ift nid)t mehr Raum für ben bösartigen Sport ber (nicht englifdjen) Parlamente, ihre Regierun=

gen friftlos au entlaffen (b. h- fie au „ftüraen"), weil es ber prioaten On- trige ehrgeiaiger Parteihäuptlinge beliebt. „(Es ift fcblechterbings nicht ein*

aufehen, warum bie unwiberruflich gewählten Vertrauensleute bes Vol*

fes ihre eigenen Vertrauensleute bei jeber ©elegenheit follten aurücf*

pfeifen dürfen wie eine Doppel junger fjunbe, die fid) oon ber Seine etwas weiter entfernen, als es ihrem fterrn behagt. 2öer barin ben

©ipfel parlamentarifcher SBeisheit bewundert, lajfe fich fagen, daß biefes Spftem mit unfehlbarer SBtrfung jede echte Staatsfunft überhaupt »er*

nichtet, die mit aäf>em Sßillen, langem 2Item auf fernfte Sicht ihre Siele fteüt, und daß es ftatt beffen bie politifefje Omprooifation, bas politifche f>afarb aur allein möglichen Verfahrungsweife ausbilbet."

Reben dem Reichstag follen drei ebenbürtige Behörden ftehen aur Regelung ber wirtfchaftlichen, ted>ntfd>en unb eraieherifchen Singelegen*

heiten, jede foweit felbftändig unb felbftherrlich als bies mit dem Vor*

rang des Staates, mithin bes Reichstags oerträglid) ift. Sanf ihres berufsftänbifchen 2lufbaus find biefe Äörperfchaften gefiebert gegen fchamlofe slimterpatronage unb den „fchnöben Repotismus bes Partei*

budjs".

'P^ilofop^e unb Seben. VH. 20

(18)

290 9 Ue f e ! c b e ü b e r D e m o t r a t i c

SBie ber Reichstag, fo Jollen aud) bie brei Volfsfammern Beooll=

mädjtigte in bie Regierung aborbnen. Ser Kanaler mufe biefen »irflich übergeorbnet fein. Sie t)ö<hfte Verförperung bes im Staate au feiner Sötllensbilbung gelangten Volles foll ber 5teichst>erwefer barftellen. Sr foll Dom ganzen Volle gewählt »erben, freilich nur aus brei (oon ben oier oberften Körperhaften) Vorgefchlagenen. Sine 2ßieber»ahl foll pläffig fein unb bann — auf ©runb ber Bewährung — lebenslänglich gelten. Ser Söiebergewählte foll Titel unb Sßürbe eines „Vkhlfönigs"

ber Seutfchen fuhren.

SRlßfj;Jcf)e über D em ofrafte

Sie politifthe Mafchinerie, welche bie allgemeine 3Bohlfahrtswirt=

fc^aft ermöglicht unb befchleunigt, ift bie Semolratie. ©ie hat nach Sliefefihe feinen SBert an fich, fie tft fogar, fofern fie ben grofeen Men=

fdjen an ber Sntfaltung feiner fchöpferifchen Statur hinbert, oon aus=

gesprochenem Unwert. Sas allgemeine unb gleiche ©timmrecht, welches bie Semofratie als hauptfächliches Merfmal begleitet, ift ftnnwibrig, in=

bem es ber natürlichen Ungleichheit wiberfpricht. „3ch bin baau ge=

brängt", beginnt Stiefcfche bas oierte Buch fres Söillens aur Macht, „im Zeitalter bes suffrage universel, bas h&ifet, wo jeber über jeben unb jebes au ©ericht fiften barf, bie S t a n g o r b n u n g wieberberauftellen."

Mehrfach glaubt Stiefefche barauf hinweifen au müffen, bafe bas allge=

meine ©timmreiht nur eine oorübergehenbe Maßnahme fei. „Sas Volf hat fich bas allgemeine ©timmreiht nicht gegeben, es hat basfelbe über=

alt, wo -es in ©eltung ift, empfangen unb oorläufig angenommen; jeben=

falls hat es aber bas Stecht, es wieber aurüdaugeben, wo es feinen Hoff“

nungen nicht genug tut" (Ser Söanberer unb fein ©chatten, ©. 276).

„Ss hat wenig ©inn unb Diel ©efahr, bie noch fo furae unb leicht wie*

ber ausaurottenbe ©ewohnheit bes allgemeinen ©timmrechfs tiefer 9Bur=

ael fchlagen au laffen: währenb feine Sinführung boch nur eine Slot* unb 2IugenbIicts=Maferegel war" (SBerfe X III, 864).

Sn gleidher SBeife mifet Stieftjche au<h bem Stepräfentationsfpftem, ber jweiten ©äule ber Semofratie, nur bebingten SBert bei. Sas Paria»

ment ift, wie Bismarcf es benufct, für ben grofeen Staatsmann eine

©tüfee, ein Blijjableiter unb ein fiebel aur Preffton auf bas 2luslanb.

©chliefeliih tft es aber ber Semofratie nicht einmal Schlechthin wefent- Ii<h, b-enn »ir haben an Dolfstümliihen ©taatsftreichen gefehen, bafe bas Vertrauen bes Volfes fo gut »ie auf 500, auf 10 ober auch nur auf ei nem Menfchen ruhen fann.

J) 3Ius griebrief) 9)1 e 6, „9tietifcbe bet ©efefegeber". Scipjig, 9Jteitter. 1931. 408 <S.

©eb- 20.— 3JI., geb. 25 — SR.

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