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Die Zukunft, 9. Februar, Bd. 34.

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Academic year: 2022

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Berlin, den 9.Februar x901.

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DurchDick und Dünn.

Wenn

· nerstag,JahrederundGeneralzweiMonatevonCapriviistesimher.Reichstag aufDastand,demanKanzlerplatzeinem Don- amBundesrathstischundsprachanderthalbStunden lang.Ueber der deut- schenMenschheitgroßeGegenständenatürlich.UeberKriegundFrieden, überpolitischeundwirthschaftlicheBündnisseundübernoch Einiges.Er rettetewiedereinmaldieZukunftdesarmen Reiches.Das thatergern.

Und alserdenWegzurRettung gewiesenhatte, erhoberdie Stimme und ließsichalso vernehmen: »Ichhoffe,Siewerdenmit den VerbündetenRe- girungenderAnsichtsein, daßdievorliegendenVerträge geeignet sind,das innere GedeihenDeutschlandsundseineWeltstellungzuerhaltenundzu fördern.«Das erwartete ervondenHandelsverträgen,die dasDeutsche ReichmitOesterreich-Ungarn,Jtalien,BelgienundderSchweizabschließen Und in denen derZoll fürdieTonneBrotgetreidevonfünfzigauf sünsunds dreißigMarkherabgesetztwerdensollte.Dieerste AnregungzudiesenVer- trägenwar vondemKaiser Franz Joseph ausgegangen,derzunächstden KönigvonSachsenunddannWilhelmdenZweiten dafürgewonnenhatte.

OesterreichsSehnsucht nacheinemerleichtertenExportwaralt undbegreif- lich;denUngarn namentlich mußtedaran liegen, ihrGetreide bequem über dieGrenzezubringen.Bismarck aberwar für solcheWünschenichtzu haben gewesen«undhatte,alsHerrvonSzöghenyiihn dafürzustimmen versuchte,jede ErörterungdesThemasmithöflicherEntschiedenheitabge- lehnt.NunwardieZeitderErfüllung gekommen.AchtTagenachderRede

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desKanzlerswurden die vierVerträgeimReichstagmit243 gegen 48 Stimmen angenommen und im teltowerKreishaussprachamselbenTage derDeutscheKaiserdieSätze:»Ichglaube,daßdieThat,diedurchEinleitung undAbschlußderHandelsverträgefüralleMit-undNachweltals eins der bedeutendstengeschichtlichenEreignissedastehenwird, geradezueine rettende zunennen ist. Trotz VerdächtigungenundSchwierigkeiten,die demReichs- kanzlerundmeinenRäthenvondenverschiedenstenSeitengemachtworden sind, istesuns gelungen,dasVaterland indieseneuen Bahnenein- zulenken.Ichbinüberzeugt:nichtnur unserVaterland, sondernMillionen vonUnterthanender anderenLänder,die mit unsbei demgroßenZollver- bandstehen,werdendereinstdiesenTag segnen«.Es dauertenocheinhüb- schesWeilchen,bisauchmitRußlandeinHandelsvertragfertigwar,und derKaiser griff nochmehrfachpersönlichin die Debatteein.Zudenkonser- vativenAbgeordneten,die demVertragsentwurf nicht zustimmenwollten, sagteer: »Sie müssendochklar darüberwerden,wie derKaiservonNuß- landdieseDinge auffaßt.Er würde es garnicht verstehenkönnen,wieLeute, die beiHofein- undausgehen,die meineUniform tragen,in einerSache gegenmichstimmen,dievonsoweittragenderBedeutung is.« An denGrafen Dönhoff-Friedrichstein,derimReichstag fürdenVertrag gestimmthatte,tele- graphirteer: ,,Bravo!Rechtwieein Edelmann gehandelt!« Und denadeligen Agrariern rieferzu:»Wieoft habenmeineVorfahrendenJrregeleiteteneines einzelnenStandeszumWohldesGanzenentgegentreten müssen!«Jedesdieser Worte wurdevontrunkenenCobdenitenchörenbejauchzt.Undschließlichrieth selbstVismarck,derdieerstenVerträgealseinenverhängnißvollenFehlerbe- kämpfthatte,dieRufsen nichtalleinin der Kälte zulassen.AlsderVer- trag endlichangenommen war,gingeinJubeln durchsLand. Ein Kulturwerk vonweltgeschichtlicherBedeutungwargeschaffen,dieJunkerfronde schmählich geschlagen,derindustriellenEntwickelungdiehemmendeSchrankewegge- räumt,demVolke,dessenHerzeleidsolangedenSchlafderKommerzienräthe gestörthatte,billigesBrotgesichert.VergebenserinnertendienüchternGeblie- benenaneinFlugblatt derFreihändler,dasdie in denneuenVerträgenerreichte Zollermäßigungrechtrespektlos»eineLumpekei«genannt hatte.Eine Aera neuer-HerrlichkeitwardenDeutschenbeschieden.NurReaktionäre derschlimm- stenArt,nurlüderlicheLatifundienverwefer,dieausanderer LeuteTaschen ihre Schulden bezahlenmöchten,konntensich solcherEntwickelung nicht freuen.Und derletzteZweifelanderDauerbarkeit desErrungenen schwand ausSanktManchestersHallen,alsderKaiserdenGedanken,dieRegirung

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DurchDick nndDünn- 235 solledenfürdenLandwirth nicht ausreichenden Getreidepreismit denvom

GrafenKanitz angedeutetenMittelnzuhebenversuchen,mit demschroffen Wortabwies: »Sie könnenmirdochnichtzumuthen,Brotwucherzu treiben«. Werdamals rieth, derKaiser und König mögefüreinbestrittenes handels- politischesSystem nicht allzu nachdrücklichseinAnseheneinsetzen,Der wurde beschimpftoderausgelacht.Eswarja sicher:Millionen werdeneinstdenTag segnen,der demdeutschenVolk dasbilligeBrotgebrachthat.

NeunJahreundzweiMonateistesher.Undnun sollendieGetreide- zölleerhöhtwerden.DieHandelsverträge,derentechnischeUnzulänglichkeit seitdeminallenLagernanerkannt wordenist,geltennochbis zum Ende des Jahres1903. Dann aber,GrafBülow hatesimLandtagangekündet, solldasdeutscheGetreide gegen denbilligenMassenimport geschütztwerden.

FüreinenZollvonsechsMarkistimReichstageineMehrheit sicherund auchdemPlan, RußlandeinenVorzugstarifzubewilligen,sollen schonviele Stimmen gewonnensein. Natürlichwerdendie anderen Kontrahenten sich gegen dieZollerhöhungsträuben,unserer ExportindustrieSchwierigkeitenzu machensuchenundnochistkeinUrtheildarübermöglich,wasbeiAlledemher- auskommenwird.Dasmüssenwir inErgebenheitabwartenundgeduldigin- zwischendieRedenhinnehmen,mit denen wirnun schonseitWochenbelästigt werden und dienichtdieSpureinesneuen Gedankenszeigen,nichteinarmes Wörtchenbieten,dasseit1879vonSchutzzöllnernundFreihändlernnicht tausendmal wiederholtwordenwäre. Außerdem GrüppchenderFreunde lauschtkeinMenschdiesenReden,in denZeitungenwerdensieüberschlagen undnurinBezirksvereinenwird mituntereinemannhafte Resolutiongegen dieBrotwuchererangenommen. Das Thema istuninteressant geworden, die alten Litaneienwirkennicht mehr,undnachdem sogarderHandelstag

nurmitMüheundNotheineZufallsmehrheitgegen dieZollerhöhungaufge- brachthat, isteinernsterWiderstand nichtzuhoffen-und nichtzufürchten- NochlebenjaLeutegenug,diesicherinnern,wieberühmteReichstagsredner denWeltuntergang prophezeiten,alsfür WeizeneinZollvoneiner, für RoggenvoneinerhalbenMarkeingeführtwurde,und die erlebthaben, daß diedeutscheIndustriedarannicht gestorben,dasMassenelenddadurch nicht gesteigertwordenist. AufdemJahrmarktderparlamentarischenEitelkeiten aber werdenwir bistiefinszweiteJahrdeszwanzigstenJahrhunderts hineindas matteEchoderRedenhören,dieBismarck undLaster,Tiede- mannund Delbrückeinst gehalten haben,werdenzumabertausendstenMale dieFragenerörtertwerden: obeinbilliger GetreidepreisdasGlück der

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Völkerverbürgtzob dasimportirendeAuslanddenZoll trägt;ob derhöhere Zoll auchdieGewährunghöherenArbeitlohnes erleichtert;ob derinnere Markt wichtigeristalsderäußere; ob derKornzollnur demGroßgrund- besitzernütztoderauchdenBauern;undsoweiter.Wennman bedenkt,daß derReichstagimnächstenHerbstdieersehntenDiätenerhalten sollunddaß dieglücklichenBesitzervonDoppelmandatendannfür jeden Redetagmin- destensdreißigMarkeinsäckelnwerden, mußman sichausdasSchlimmste gefaßtmachen. Auchdarauf, daßdieMehrheit nicht kluggenugsein wird, ihrepaarGegnerverhallendeMonologe haltenzulassen.

Undankbar aber wärees,bis zurVaterlandlosigkeitundankbar,wenn wirnicht heuteschonsagten: Wahrlich,wir werdenweiseregirt! DieserJubel- rufkönnteZollfreundeundFreihändlervereinen. Jnanderen Ländern entschließtmansichschwerzueiner UmwälzungdesganzenWirthschastlebens, undhatman sich,aufdenRathderSachverständigsten,dochdazu entschlos- sen,dannbleibtman eine Weilewenigstensbei derRichtstangezumneuen Bau. DieVerbündeten Regirungen,denendasSchicksaldesdeutschenVol- kes anvertraut ist, sorgen besser für Abwechselung.Sieverbrennen heute, wassiegestern anbeteten,und werdenmorgendieAschedurchstöbern,um unter denverkohltenRestenwieder einenFetischzufinden. Jm Jahr1891 hattensogardiewüthendstenCobdenitensichmit demGetreidezollabgesan- den,hofften selbstsienicht mehr, ihn noch geschmälertodergarbeseitigtzu sehen.DiebismärckischenGedankenhatten sichinelfJahren sachteingelebt, imWahlkampfwardieZollfragekaumerwähntwordenund derBehaup- tung, namentlichderpreußischeOstenmitseinem unergiebigenBoden brauchegegen dieEinfuhraus Raubbaustaateneinenwirksamen Schutz, wurdenurseltennochwidersprochen.Dakam,wasdieTheaterspracheeine offeneVerwandlungnennt: plötzlichwar,ohne daßderHauptvorhangfiel, einga»nzanderesBild zusehen.DasBischenLandwirthschaft,hießesnun, kann unsnichtzur Weltmacht helfen.Von derExportindustrieallein kommt unsdasHeil.Schiffe müssenwirbauen,Kanäle undSchiffe,umWaaren ausführen,Waarenschützenzu können.Auf nachAsien,nachAfrika,nachSa- moaund denMarianen! Neue Märktebrauchenwir ; und damituns aufdie- senRiesenmärktendie Konkurrenten nichtschlagen,müssenwirunsereIndu- striearbeiter billigernähren.AufdemWasserliegtunsereZukunftund diemo- derneParoleheißt:TheilungderArbeit !MögenAndere,zurhöchstenHändler- kulturnochnichtGereiste,untermilderemHimmelfürunsdasBrotkornbauen;

wir-werdenfortannurdiefeinsteArbeitnochleisten.DasschieneinSystem,

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DurchDiclundDünn. 237 schienderbewußte,wohlüberlegteVersuch,britischenPfadenzu folgen.Kämpfe voneinerHeftigkeit,wie dasReichseit LedochowskisTagen, Preußenseitdem Militärkonfliktsie nicht mehr gekannt hatte,-entbrannten. Ueberdieer- niedrigteZollmauer hinweg stürmtendie Landarbeiter demWestenzu, in dieStädte.JnganzenProvinzen sahendieGrundbesitzersichvordieFrage gestellt,obsie nochein paarJahre ohneErtrag aufderererbten, überschul- detenScholle hausenodersielieberschonjetzteinemVankdirektor,Annoncen- verlegeroderKohlenhändlerverkaufensollten. Manchmalmußteman fürch- ten,einneuer Bauernkrieg stehedemReichbevor. Allmählichsänstigten sichdieGemütherundschicktensichin denGlaubenandendeutschenJn- dustriestaat, dessenGeburtstag späternochbeglückteEnkelsegnenwürden.

DieältestenManchesterstoffeerhieltenunter derstreichelndenHand hoherundhöchsterHerrschafteneinenneuen Glanz,diederbstenAgi- tatorenmittel desdemagogischenFreihandelswurden durchdenBeifall volksfreundlicherWürdenträgergeweiht.EinKaisernannte dieErmäßi- gung desKornzollseine rettendeThat,nannte denVersuch,denGetreide- preiskünstlichzuheben,inschönerEmpörungBrotwucher. Zwei Kanzler erklärten,nureinkleinesHäufleinreicherGrundherrenhabe anhohenKorn- preiseneinInteresse. SolcheAnsichtenkönnensichnichtvoneinem zuman- dernTag ändern; sie gehörenzurEinheiteinesnachsorgsamer Prüfung gewähltenWirthschastsystems.Und die VerbündetenRegirungen,diesichdes rechten Weges bewußtsind, haben ja versprochen, »dasinnere Gedeihen DeutschlandsundseineWeltstellungzuerhaltenund zufördern«.

DasistneunJahreundzweiMonateher.Undnun fängtdieSache wiedervonvornan. Nunwird derGetreidezollerhöht,über denfrüheren Satz hinaus,unddiegerühmteStetigkeitdesHandelsverkehrsinFragege- stellt.NunwirdRichterwieweilandCaprivi sprechen,derin allen Sätteln gerechteGrafBülowsichalsschlichtenLandmann produzirenundBebel denBundesrathmitVrocken auskaiserlichenAntikornzollredenbewirthen... Am Endewars garkeinSystem? Doch;dasselbe,daswirbewundernd schonim VerkehrmitVurenundBriten, Polen, Welerund anderenReichs- feinden,mitRussenundChinesenangewandt sahen. EintrefflichesSystem, das keineLangeweileaufkommen läßtund den VölkerndieselbständigeBe- stimmungihrerGeschickesichert.Undum dieseshöchsteGlückmündiger Menschenauf freiemBodengenießenzukönnen,hat das deutscheVolk im vorigenJahrhundertvier KriegezusiegreichemEndegeführt.

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238 DieZukunft

Der platonischeStaat.’««)

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NamePlatonsstehtdenberühmtestendesAlterthums nicht nach;

undwenn man absiehtvon denLobeshymnenbewundernder Jünger undimErfolgdenPrüfstein fürdeninneren Werth sucht, sowirdman doch stetsinZweifelbleiben, ob diePolitikundKulturpflegeeinesPerikles,«

diefgewaltigemganzeVölker umwandelnden Thateneines Alexander«und Eaesardenstilleren,aberbisinunsere Tage stetig fortwirkendenEinfluß dessPlatonismus auf unsere gesammteGeisteskultur aufzuwiegenvermögen.

DerAusspruch Nie·tzsches:»Das Ehristenthum ist Platonismus fürsVolk«

istzwarübertriebenDieVerwandtschaftist freilichunverkennbar von den ersten Zeitenan, abersieerklärtsichdaraus,daßdasUrchristenthumauf .dieselbenallgemeinmenschlichenreligiösenJnstinkte zurückgriff,dieauchin derplatonischenTheologieeinentiefernstenAusdruckgefunden hatten.Aber sobalddiechristlichenGemeinden wissenschaftlichesRüstzeugbrauchten,um dieungeheure,aberdemUnterganggeweihteantikeGeisteskulturin der Front anzugreifen,entlehnten siedieWaffenvom Platonismus. Jnderälteren christlichenDogmatik steckt mehr Platonismus, alsmancher Pfarrer ahnt.

Man könntefast die:paradoxe Behauptungwagen,derHeilige Augustin sei einbesserer PlatonikeralsderletzteNeuplatoniker Kaiser Julian derAb- trünnige. JnderRenaissance fährtdann dieplatonischeBewegungwieder wie einThauwindüber dasEis derScholastik,dassichleiderundsehr widerVerdienstum denletzten Platoniker Aristoteles kristallisirthatte.Und

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bisinunserJahrhundertdauerndieneuplatonischenBewegungen bewußt oderunbewußt beständigfort. Dabeiläßt sichdieinteressante Beobach- tung machen,daß Platon reichgenugist,denverschiedensten·Zeitströmungen angepaßtzu werden. Bisin dieletzten Jahrzehntewar erPatronderchrist- lichen Theologie;dieentschiedeneScheidungvon derbesserenWeltüber den Sternen und demnur vorbereitenden und prüfendenErdenleben galtals seinHauptverdienst Nochvor wenigenJahrzehnten mußteBonitz sich ernst- liche Mühegeben,um zuzeigen, daßdieBeweise fürdieindividuelle Un- sterblichkeitderSeeleimPhaidonnur fürBekennerderplatonischenIdeen- lehrebindendeKraft habenund mit dieserstehenund«fallen. Neuerdings nun istdasSchlagwort »Sozialreform«;undderPlatonismus läßt sich auch hieralsFeldzeichenmißbrauchen,amBestenvon solchenForschern,die SozialreformundSozialismus einfach verwechseln.Dakommen dannPor- traits vonPlaton heraus,die denHerren Professoren SchmollerundWagner

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I·)Der»Zukunft«istausdemNachlaßdesberühmten,leiderzufrüh verstorbenenbasler PhilologenFerdinandDümmlerdasManuskripteines»Akade- mischenVortrages-«über denplatonischenStaat zurVerfügung gestelltworden-

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DerplatonischeStaat. 239 ganzbedenklichähnlichsehen,undPlatonsollwomöglichnoch geschmeichelt lächeln,wenn jene Herren ihn versicheru:»Siewaren dochineinigenHaupt- punkten demRichtigenschon sehr nah gekommen.«Beidieserimpertinenten UnsterblichkeitPlatons isteinehistorischeWürdigungdesMannes außer- ordentlichschwerundinderThatkaumangebahnt. Jchwillversuchen,die historischenVoraussetzungenzu dem Werkzugeben,dasPlatondenunver- dientenRufdesKathederfozialistenverschaffthat,zuseinem »Staat«.Der

»Staat« ist, abgesehenvon dennicht selbst herausgegebenenundgreifenhaft breiten»Gesetzen«,dasumfangreichsteWerkdesPhilosophen; zehn Bücher in 318Druckseiten.Erist nichtetwadaswirksamsteWerkPlatons gewesen, noch auch-das,ausdemseine philosophischeEigenartamDeutlichstenher- vorleuchtete. Schon zweihundert Jahre nachdemErscheinendesWerkes gestehtPolybios, daßdie Lectureauch fürdengebildetenGriechenschwersei.

BisaufseineZeit hattendiephilosophischenStaatstheoretiker sichweitmehr andiearistotelischePolitik angeschlossen,dieinlebhafterAnlehnunganund Oppositiongegen dieplatonischeTheorie entstandenwar. JnderGeneration nachPolybiosfolgtdann wiedereineneuplatonischeStrömung,diezum TheildirektaufdenMeister zurückgreiftunddersichEicero anschließtzdurch ihn sinddanneinzelne platonischeJdeen zuAugustin gelangt.VieleLeser hatdasWerkimAlterthumniemalsgehabt. EinzelneParadoxien,wiedie WeibergemeinschaftoderdievielbesprocheneplatonischeZahl,die inmystischer Zusammensetzungausdrückt,wann aufeineBlütheperiodenaturnothwendig die Decadencefolgen müsse,wurdensehrbaldsprichwörtlich,befördertenaber natürlichdieeingehendeLecturedesWerkesnicht.Unddoch istder»Staat«

dasWerkeineshalben Menschenlebensundvon gewaltigerinnerer Tragik.

ManmußsichdiehistorischenundpolitischenVerhältnisseAthensin der Jugend Platons vergegenwärtigen,umzuverstehen,wasder»Staat«bedeutet.

Platonwar imJahre 728X7 geboren,alsSohndesAristonund derPeriktione,in einemhochariftokratischenundreichenHause,vonmütter- licherSeitemitdemgroßenSolon unddenHäupternderdreißigTyrannen Kritias undCharmidesverwandt. Wenige schienenwieerberufen, durch AbstammungundBeanlagungeinepolitischleitendeStellunginderVater- stadt einzunehmen.Die entsetzlichenKatastrophen,dieseineLehrjahreab- schlossen,verleideten ihm dieseLaufbahn fürimmer undveranlaßtenihn, nachneuen ZieleneinesmenschenwürdigenDaseins zusuchen,diedie Antikebishernicht gekannt hatte.Etwamitzwanzig Jahren gerieth ervin den Bann desgroßen,scheinbarplebejischenHexenmeistersSokrates,der aber nachdemMaßstabeder antikenDemokratie einerderschlimmstenReaktionäre war,dieje gelebt haben.DiewiedererstarkteDemokratie wußtewohl,wes- halb sie ihnzumGiftbecherverurtheilte,wenn auchdasMittel falschwar,

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feinen EinflußausderWeltzuschaffen. WenigeJahre vorher hatte Platon denZufammenbruchderoligarchischenReaktion unter dendreißigTyrannen erlebt;erhat seineAnverwandten Kritias und Eharmidesniemals preis- gegeben; nochin hohemAlter haterihneninseinenSchriften prächtige Denkmale errichtetund vielleichthaterihre Regirungmaßregelnweitgehend gebilligt.AberihreHerrschafthatteStrömevon BlutverlangtundBlut- vergießenwar Platons Sache nicht;auch saherjedenfallsdieAussichtlosigkeit jedes oligarchifchenReaktionversuchesimviertenJahrhundertvoraus.

JndenDienstderrestauriitenDemokratie konnteersich erst recht nichtstellen;derTodfeinesLehrers hatteihm blitzartigdieAugen geöffnet darüber,was Rede- undGedankenfreiheitineiner extremen Demokratie be- deuten. DienächsteArbeitgiltnun dem Andenken desverehrten Lehrers- wobei aberdieeigenenZieleganzunwillkürlichklar und immerklarerhervor- treten. DerungeheureReizderFigurdesSokrates,dievonPlatonunver- gänglichgeprägtwordenist, bestehtnichtzumgeringstenTheilin demhumo- ristifchenGetümmel derGegensätze,dasinfeiner äußerenErscheinungfast zurKarikatur kristallisirt ist.Aeußerlichsind sorgfältigdie-Zügedesecht athenischenkleinenPhilisters gewahrt,dersichinderperikleischenEpocheder Geistesaristokratiedurch eigenes NachdenkendenZutrittzu derbestenGesell- schaft gebahnt hat,abermiteinerfastpedantischenBescheidenheitsichund denAnderen seineeigentlicheUnbedeutenheitbeständiginsGedächtnißruft.

PhiliströsantikistauchabsichtlichdasVerhältnißdesSokrates zuseiner Vaterstadtgeschildert.Sein tapferesVerhaltenalsLandwehrmannwirdals ganzselbstverständlichbehandelt.DieFeldzügewaren seine einzigenReisen, dafürvermiederaberinAthendieheimischenPenaten sovielwiemöglich, war denganzenTag aufderStraße,undwoZweioderDreikannegießerten, war erplötzlichunter ihnenundwarf ihneneinProblemvor. Soister inseinem äußerenAuftreteneindurchaus nicht bestechenderTypusdesdurch denpeloponnesifchenKrieg großgezüchtetenPlebejers.Echt altväterischothe- nisch ist es"auch,wenn ernochimKritondieAussicht,insAusland zu fliehen,alsvollkommengleichwerthigmitdemTodeerklärt unddeneinhei- mischenGesetzen gehorchenwill, auch wenn-sie ihm Unrecht thäten.

Unddoch bringtNiemanddeutlicherzurEmpfindungalsPlaton, daß mitdiesem disputirsüchtigenSteinmetzenfohneineneue Zeit beginnt. Nicht mitdem Strom schwimmendfuchteretwafür sichmöglichstvielVortheilzu erwerben,sondernallenMenfchen isterimWeg,daerihnendieRichtig- keitihrer Ansprüchenachweist,worausdann diepietätvollenSchülerseinenUnter- gangerklärten. Allessuchtervernunftgemäßzuergründenoderunerbittlich abzutragen;dabeihateraberdoch feine private göttlicheStimme, dieihn beräth,dasDämonium,dasPlatoninpersiderWeiseironischundehrfürchtig

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DerplatonischeStaat. 241

zugleichbehandelt.KeineKunstoderWissenschaftbehaupteterzuverstehen, aberallenProfessionistenisierüberlegen,eineallgemeinmenschliche,gewisser- maßen stoffloseGenialitätleuchtct indiesemwunderbaren Manne zumersten Maleempor,dievon einergewaltigen Individualitätgetragengewesensein muß,umeinenMenschenwiePlatonsozufesseln, mochteSokratesauch äußerlichdie Alluren des bravenZunstbruders nicht verleugnen. Diese Macht dersouverainen PersönlichkeitbrichtdenninderplatonischenApologieauch schoninmächtigenAkkordenhervor,um sohinreißender,jetreuer dietrockene SzeneriederGerichtssitzungäußerlichbewahrt ist. Wie Sokrates hieraus- führt,daß sein ganzesWirkenaufeineWeisungdesdelphischenGotteszu- rückgeheunddaßman GottmehrgehorchenmüssealsdenMenschen, auch aufdieGefahr hin,denhohen Geschworenenzumißfallxmmitanderen Worten,daßeseinen inneren Beruf gebe,demman folgen müsse,allen staatlichenVerboten zumTrotz:DasistbereitsdieErkenntniß,zudersich Platon mehralszwanzig Jahre später,als erseinen »Staat« herausgab, nach schwerenKämpfenwiederdurchgerungenhat,und dieRechenschaftdarüber, wieerzudieser Einsichtkam,istderZweckderPublikationdes,,Staates«, keineswegsirgend welche rosige Hoffnungen,dieMenschheitdurch vergossene Tintezubessernundzubekehren.VorallenDingen nichtdieDemokratie dereigenenVaterstadt. Hier rechnetePlaton,derbaldin der ganzengriechisch fprechendenWeltalsHauptruhm und ZierdeAthens galt,in denmaßgebenden Kreisenkaumauf Leser.Esläßt sichkaumetwasVerkehrteresdenkenals die moderne Sucht,denSozialreformator PlatonalszürnendenRichterder zuseinerZeitzuindividualiftischundkapitalistischausgeprägtenDemokratie entgegenzustellen.Vondiesererwartete erüberhauptkeineBesserung.Das hatermehralseinmalmitwünschenswertherKlarheit ausgesprochen.Seine AbrechnungmitderathenischenDemokratie legterschon wenige Jahre nach dem Tode des Sokrates indemDialogGorgiasin einerFormvor,diewenig geeignetist, Mißverständnisseaufkommenzulassen.Wahrscheinlichwar es dieserDialog,derdieAugenvon ganzHellas auf Platon lenkte;einähn- lichesWerkwar noch nichtdagewesen.DerDialog ist gehaltenimgebil- detenKonversationtonderbesienGesellschaft kleineUeberschreitungendieses Tones werdenstets deutlichgerügt—, dieUnterhaltungfindet stattindemvor- nehmenHausedesKallikles,der denberühmtenLehrerderBeredsamkeitGorgias Undseinen SchülerPoloszuGast hatundgewissermaßenalslokaleScheus- würdigkeitauchdenkomischenSokrates miteinigenFreunden eingeladenhat.

Sokrateszeigt sichnun sofortvondergewohntenunliebenswürdigenNeugier, indemerGorgiaszu einerBegriffsbestimmungderRhetorikzuveranlassen sucht;und indemer ihmdasZugeständnißabnöthigt,daßdasZielder RhetorikUeberredungzumWahrscheinlichen,nicht UeberzeugungzurWahr-

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heit sei, zwingterihn, anzuerkennen,daßdieRhetorik nichtdiewünschens- wertheKunstderKünste sei, sonderneinerhöherenDisziplinzuihrerAnwen- dung bedürfe. Durchausnichtbesser gehtesdann demSchülerdesGorgias, Polos,derdieNiederlage seines LehrersmitfalscherSchaminmoralischen Fragenzuentschuldigensuchtundseine erstenThesenwiederaufnimmt,aber vonSokrates baldmitMeisterschaftaufdenselbenSandgesetztwird. Inter- essantwirddann dieDiskussion namentlich durchdasendlicheEingreifen desKallikles,dersich zwarals SchülerderanwesendenRhetorenbekennt, abersich sofort rühmt, sieanKonsequenzundKlarheit weit-zu übertreffen.

ErwirftBeidenPruderievorundSokrates jubelt ihmmit wundervoller Ironie zu,daßerendlicheinen ganzoffenenMenschengefundenhabe,andemerseine Ansichtenprüfenkönne, wie das Gold amProbirstein. DieganzeFrage sei bisherzu enggestelltworden;eshandle sich nichtalleinum denWerth derRhetorikundderPhilosophie, sonderndarum,- wieüberhauptzu leben sei. UnddaseienMachtundGenußdiehöchstenerstrebenswerthenZiele, TugendundanderehochtrabendeAusdrücke ganzunwesentlichePhrasen.Die größteTugend seiimGrundediestärksteGenußfähigkeit,dieMenschheitzerfalle vonNatur inHerren-und Sklavennaturen,undnur fürdie Sklaven seiDas gerecht,was gewöhnlichalsgerechtgelte:derVortheilderHerrschenden.So- kratessetztauch diesenVertreter desUebermenschenmitseinererbarmunglos pedantischenJnduktionlangsam,abersicher aufden Sand. DieSchrift,die jedenfallsbald nach395 erschienensein muß, istam Geeignetsten,in den GeistPlatonseinzuführen.AlleGrundlinien des,,Staates« sind hier bereitsgelegtiMächtigdurchweht diesenDialogdashohesittlichePathos- dassich PlatonalseineAuszeichnungwegenvielfach bewiesenen Muthes gestatten durfte. Jugendlicherbittert und übertriebenistdieEntrüstung gegen dieRhetorikzsieistaberausdenZeitverhältnissenerklärlich.DieRhetorik war in derThatals eineGiftpflanzevon Sizilien herübergekommennach Athen,aber sie gediehnur alsSymptom, nichtalsUrsachedesVerfalles.

AllerdingskönnenwirPlatonfürseinen Argwohngegendasrhetorifche Gift nichtdankbar genug fein. Sein tieferGriffindielebenskräftige, volksmäßigeattischeUmgangssprachehat auf Jahrhunderte hinausdiegriechische Sprache inihren besserenVertretern vor rhetorischer Verflachung bewahrt. Immerhin istderJnstinkt PlatonsgegendieRhetorik, der sich schonimGorgias deutlich offenbart, also durchaus berechtigt. Nachdem sich dieGriechengenugwirklicheAderlässezugefügthatten, konzentrirtesich ihre Streitkraftmehrundmehr aufdiespitzenZungen; unddemRömerdes erstenJahrhundertsvor Christus ist der GraeculusmitRechtderMann, dernach zwanzigMinuten BedenkzeitimStande ist,Alleslogischzurecht- fertigen. Platon sah dieseGefahrimGorgiasvoraus undhat sieinklassischer

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Diese relative Besserung darf aber doch nicht darüber hinwegtäuschen,daß die Geldverhältnisse erheblich schwieriger sind als in der selben Zeit früherer Jahre und daß die Lage erst

Immerhin gehen auch bei ziemlich kollektivisirter Wirthschaftsührung die Vortheile nicht so weit, wie Frau Braun annimmt. Jch kann mir nicht vorstellen, wie eine Wirthschasterin

»Die ausschlaggebeude Bedeutung, die der Körnerban noch immer fiir den landwirthschaftlichen Betrieb besitzt, bringt es mit sich, daß die Forderung einer für die

Direktoren von ihrer Geschäftsführung erreichenwollen, auch wirklicherreicht wird- Gerade in einem Jahr, wie das letzte eins war, kommt es nicht in erster Reihe darauf an, einen

und als ob er jeden Griff genösse, wie etwas Neues, Angenehmes, zieht er sich- höher, als man gewöhnlich zu klettern pflegt. Er beachtet nicht die Aufregung des ohnehin

305 die einzige Quelle der Erkenntnißhingewiesen; da er aber noch nicht weiß, daß alle Logik in den Gewohnheiten der Sprache steckt und daß selbst der fprachliche Ausdruck für

Der Gegensatzzwischen einer wesentlich repräsentativen und einer mehr sachlich-sozialenRichtung wird sich ohne Zweifel in den nächstenJahren noch verschärfenz wenn er auch für

Der eingeschränktenForderung aber, daß rasch anwachfende städtische Gemein- wesen bei Zeiten Grund und Boden erwerben, um ihn als Bauland zu ver- werthen, kann auch