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Die Zollunion ..................................................................................................18 3

W dokumencie Katowice 2011 (Stron 184-197)

Kapitel V: Die Vorbereitung auf die Erweiterung der Europäischen Union

2. Der Weg der Türkei nach Europa

2.2. Die Zollunion ..................................................................................................18 3

Artikel 5 des Assoziationsvertrags von 1963 sah vor, dass die Türkei und die EWG die Erschaffung einer Zollunion und engen wirtschaftlichen Zusam-menarbeit anstreben werden. Der Assoziationsrat verkündete am 22. Dezember 1995, dass der Assoziationsprozess abgeschlossen sei. Am 1. Januar 1996 trat die Zoll-union kraft eines Beschlusses des Assoziationsrates, wie er im Assoziationsvertrag vorgesehen war, in Kraft.55 Eines ihrer entscheidenden Elemente war die der Türkei auferlegte Pflicht zur Annahme des gemeinschaftlichen Systems der Zollpräferenzen bis 1. Januar 2001. Diese Verpflichtung erfüllte die Türkei am 1. Januar 2002.

Die Bundesrepublik unterstützte aktiv die Idee der Zollunion. Vor allem Au-ßenminister Klaus Kinkel, der sich in die Verhandlungen mit Griechenland engagierte, die Einführung der Zollunion nicht zu blockieren, hatte dabei großen Anteil. Jedoch zusammen mit der Finalisierung und Ratifizierung des Abkommens über die Schaf-fung einer zollfreien EU-Türkei-Zone lässt sich ein sinkendes Engagement Deutsch-lands bei der Bewerbung der türkischen Aspirationen bezüglich der Mitgliedschaft in der EU beobachten. Das Fehlen einer klaren Haltung der Regierung Kohl wurde oft mit einem „klaren Jein“ kommentiert.56 Dem ist hinzuzufügen, dass die Zollunion kraft eines Beschlusses des Assoziationsrates gegründet wurde und keiner Ratifizie-rung bedurfte. Also verlor Griechenland die Möglichkeit, diesen Prozess zu block-ieren. Einzig das Europäische Parlament war verpflichtet, seine Meinung zu äußern.

Es machte sein Einverständnis für die Einführung der Zollunion mit der Türkei ab-hängig von der weiteren Demokratisierung des politischen Lebens in der Türkei.

Die Große Nationalversammlung der Türkei führte zur Anpassung an den Appell des Europäischen Parlaments 17 Verfassungsänderungen ein, die u.a. die Freiheit der Vereinigung sowie der Tätigkeit von Gewerkschaften ermöglichten.57

Im Herbst 1996 fand ein dreitägiger Staatsbesuch des türkischen Präsidenten Süleyman Demirel in der Bundesrepublik statt. Während des feierlichen Abendessens betonte Präsident Roman Herzog die Bedeutung der Zollunion für die gegenseitigen Beziehungen zwischen der Türkei und der Union sowie der Türkei und Deutsch-land. Er würdigte die Bemühungen der türkischen Regierungen um die Annäherung der Türkei an europäische Standards, die Demokratisierung, den wirtschaftlichen Wandel, das Engagement im Rahmen der NATO und die Entwicklung der Beziehun-gen mit den Nachbarstaaten. Er betonte die Unterstützung Deutschlands für weitere Bemühungen der Türkei „auf dem Weg nach Europa“ und betonte dabei: „Europa ist kein exklusiv christlicher Klub.“58

55 Vgl.: B. Aral, op. cit., S. 102-106.

56 A. Szymański, Niemcy wobec rozszerzenia Unii Europejskiej o Turcję /Deutschland ge­

genüber der Erweiterung der Europäischen Union um die Türkei, PISM, Warszawa 2007, S. 11.

57 B. Koszel, Integracja Turcji z Unią Europejską… Die Integration der Türkei mit der Eu­

ropäischen Union…/, op. cit., S. 21-22.

58 Ansprache des Bundespräsident Roman Herzog bei dem Abendessen zu Ehren des Präsidenten

Im Dezember 1997 gaben auf der Sitzung des Europarats in Luxemburg die Staats-chefs der Mitgliedstaaten das Signal, dass die Mitgliedschaft der Türkei möglich sei, gleichwohl erfülle dieser Staat noch nicht die politischen und wirtschaftlichen Vorausset-zungen. Die Beziehungen zur Türkei sollten intensiviert werden, durch Teilnahme an ver-schiedenen gemeinsamen Konferenzen und Kooperationsforen. Die Reaktion der türki-schen Regierung auf diese Feststellung war negativ. In scharfen Tönen wurde der EU vorgeworfen, den Willen der Türkei zum EU-Beitritt nicht ernst zu nehmen. Der dama-lige türkische Premierminister Yilmaz Mesut erklärte Helmut Kohl dafür verantwortlich, da dieser die Mitgliedschaft der Türkei als irreale Perspektive sehe. Er verglich das deut-sche Engagement bei der EU-Osterweiterung mit der geopolitideut-schen „Lebensraum“-Strategie.59 Die angespannte Situation zwischen der türkischen und der deutschen Regie-rung führte dazu, dass Ankara an die in der Bundesrepublik lebenden Türken appellierte, bei den Wahlen nicht für die CDU, sondern für die SPD zu stimmen.60

Die Regierung Kohl sprach sich gegen die Vollmitgliedschaft der Türkei in der EU aus. Sie begründete dies mit Argumenten politischer, wirtschaftlicher und kultureller Natur. Der Türkei wurden Menschrechtsverletzungen und die Disminierung nationaler Minderheiten, vor allem der kurdischen, vorgeworfen. Sie kri-tisierte auch die Anwendung der Todesstrafe in der Türkei sowie den starken Ein-fluss des Militärs auf die Politik. Als Hindernis sahen die Deutschen auch Probleme wie den Status der Kurden sowie den Konflikt mit Griechenland um Zypern.

Sehr beunruhigend wird weiterhin in der Bundesrepublik (und anderen Staa-ten der EU) der dynamische Anstieg der Einwohnerzahlen in der Türkei gesehen.

Es wird prognostiziert, dass die aktuelle Zahl von 71, 89 Millionen61 bis 2025 auf 91 Millionen steigen wird, was die Rolle dieses Staats in den einzelnen europäischen Institutionen (im Hinblick auf den demografischen Umrechnungsfaktor) vergrößern würde.62 Das große Bevölkerungspotenzial der Türkei steht einer sehr schwachen Wirtschaft gegenüber. Die Aufnahme der Türkei zur EU würde die Garantie enormer finanzieller Hilfe für diese erfordern. Deutschland hat weiterhin Vorbehalte gegen-über dem freien Personenverkehr zwischen der Türkei und der Europäischen Union.

Die Befürchtungen Deutschlands sind zur Gänze begründet: Türken stellen in der Tat schon jetzt die größte Gruppe von Ausländern in Deutschland dar.63

der Republik Türkei, Süleyman Demirel und Frau Nazmiye Demirel im Schloss Bellevue in Berlin am 4.

November 1996, „Bulletin des Presse- und Bundesregierung“ vom 12. November 1996, Nr. 89, S. 970.

59 Erklärung der türkischen Regierung zum Gipfel von Luxemburg am 14. Dezember 1997 in Ankara, „Internationale Politik“ 1998 , Nr. 1, S. 122–123; Semih Vaner, Die Türkei: Die Größe der Einsamkeit, „ Europäische Rundschau“ 1999, Nr. 1, S. 103.

60 D. Lamatsch, D. Lamatsch, Deutsche Europapolitik der Regierung Schröder 1998-2002. Von den strategischen Hügeln zur Mühsal der Ebene, Verlag Dr. Kovač, Hamburg 2004, S. 227-228.

61CIA, The Word Factbook, źródło: https://www.cia.gov/library/publications/ the-world-factbook/geos/tu.html, (Juli 2008).

62 D. Lamatsch, op. cit., S. 228.

63 Vgl. die Monatsstatistiken des Bundesministeriums des Innern, http://www.bmi.bund.de.

Die Aufnahme der Türkei in die Europäische Union ist eine Frage, die sowohl in den Kreisen der politischen Elite diskutiert wird als auch in der öffentlichen Mei-nung. Trotz der herrschenden Übereinstimmung zwischen den größten politischen Kräften bezüglich Richtung und Zielen der europäischen Politik, weckt die EU-Er-weiterung um die Türkei zahlreiche und heftige Kontroversen. Von Bedeutung ist, dass sowohl Gegner als auch Befürworter in allen großen Parteien zu finden sind.

Laut den Christdemokraten würde die Aufnahme der Türkei in die EU an den ideologischen Grundfesten der EU rütteln. Das Konzept der europäischen Integration, das von den westdeutschen Christdemokraten nach dem Zweiten Welt-krieg präsentiert wurde, ist eine Vision des alten Kontinents, der eine Schicksalsge-meinschaft und eine christliche WertegeSchicksalsge-meinschaft darstellt. Die Grundlage des En-gagements der Christdemokraten für die europäische Integration und deren Schutz vor Kommunismus und Nationalismus war das Prinzip des christlichen Personalis-mus, also die Schaffung von Bedingungen für die geistige und materielle Entwicklung der Einheit. Hier stand die deutsche christliche Demokratie unter starkem Einfluss der italienischen christlichen Demokratie, vor allem Alcide de Gasperis. Die ita-lienischen Christdemokraten postulierten die Einheit Europas als Gegengewicht zur kommunistischen Bedrohung. Ihrer Ansicht nach sollte die Solidarität der de-mokratischen Staaten Westeuropas die Tragödie eines Kriegs verhindern. Inspiration für das Konzept des neuen Europa waren – wie bei de Gasperi – für die westdeutsche christliche Demokratie die evangelischen Werte Freiheit, Gerechtigkeit und Solida-rität. Das Christentum stellte im Weltbild der Unionsparteien einen fundamenta-len Faktor bei der Bildung Europas64. In diesem Punkt berief man sich auf die Ge-danken von Robert Schuman, der die Idee eines auf Prozeduren und gemeinsamen Interessen beruhenden Europa mit der geistigen Vision eines vereinten Europa auf der Grundlage der Achtung der Menschenrechten verknüpfte. Infolgedessen konnte sowohl für Schuman als auch für die westdeutschen Christdemokraten der europäi-sche Vereinigungsprozess nicht ohne ein Zurückgreifen auf die christlichen Wurzeln, die „gemeinsamen humanistischen Ideale“ wie Freiheit, Menschenwürde, Demo-kratie und Frieden stattfinden – und kann dies auch weiterhin nicht.65 Insbesondere die bayerische Unionspartei (CSU) betonte in ihren politischen Konzepten der eu-ropäischen Politik die Mitverantwortung für Frieden und Demokratie. Die CSU

64 Vgl.: W. Bokajło, Koncepcja Europy Konrada Adenauera i jej realizacja w praktyce po­

litycznej w latach 1945­1955 /Konrad Adenauers Europa-Konzeption und ihre Umsetzung in der po¬litischen Praxis der Jahre 1945-1955/, Wydawnictwo Uniwersytetu Wrocławskiego, Wrocław 1995, S. 16-17.

65 G. Vanheeswijck, Jak przezwyciężyć politykę przemilczania? /Wie die Politik des Schwei­

gens durchbrechen?/, [in:] J. Sweeney SJ, J. Van Gerwen SJ (Red.), Chrześcijaństwo a integracja europejska, Wydawnictwo /Das Christentum und die europäische Integration/ WAM, Kraków 1997, S. 69-70; Vgl.: F. König, Duchowe podstawy Europy /Die geistigen Grundlagen Europas/, [in] Eu­

ropa i co z tego wynika. Rozmowy w Castel Gandolfo 1985 /Europa und was sich daraus ergibt.

Gespräche in Castel Gandolfo/, Bd..3, Res Publica, Warszawa 1990, S. 10-19.

behandelte den Schutz der westdeutschen Kultur als eine Art Mission; in der Zeit des Kalten Krieges sah sie Bayern geradezu als Bollwerk des Christentums. Wei-terhin erblickt die Christdemokratie in den christlichen Grundwerten eine der Säu-len der Union. Darum müsste der Beitritt der Türkei den ureigentlichen Charakter der Gemeinschaft selbst verändern. Problematisch in der Frage der Erweiterung um die Türkei ist die Frage zu den „Grenzen der Integration“. Edmund Stoiber (CSU) sprach sich entschieden gegen einen Beitritt der Türkei aus, wobei er diesen als Be-drohung für die Union selber sieht. Darum spricht sich die deutsche Christdemokra-tie lediglich für eine „privilegierte Partnerschaft“ der Türkei mit der Europäischen Union aus.66 Sie sieht die Türkei als strategischen Partner und bietet ihr deshalb institutionelle Bindungen an die Union an – aber nichts weiter.

Die deutschen Christdemokraten sahen die Zollunion zwischen der EU und der Türkei als große Chance für die wirtschaftliche Zusammenarbeit, nicht nur für die Union selbst, sondern auch für Deutschland. Die Türkei ist für die Bun-desrepublik ein besonderer Partner, allein im Hinblick auf die zwischenmenschli-chen Beziehungen der mehr als zwei Millionen in Deutschland lebenden Türken und deren Beziehungen zum türkischen Markt. Werner Langen (CDU) schrieb 1997, dass das Ziel der EU-Außenpolitik, vor allem Deutschlands, die Entwicklung ei-ner im weiten Sinne verstandenen Partei-nerschaft zwischen Europa und der Türkei sei.

Die in Deutschland lebenden Türken könnten dabei eine bedeutende Rolle spielen, wenn es gelänge, sie zu integrieren. Andernfalls könnten diese das Erreichen dieses Ziels erschweren. Heute und in nächster Zukunft ist die Entscheidung über die Mit-gliedschaft der Türkei in der EU, trotz der Versprechungen im Rahmen der Abkom-men mit Ankara, nicht möglich und in kurzer Frist nicht notwendig. Aber die euro-päische Politik muss eine Perspektive der Beziehungen zwischen EU und Türkei entwickeln, die mit den praktischen Erwartungen der Türkei übereinstimmen und ih-ren politischen Zielen entsprechen.67

Bundeskanzler Gerhard Schröder vertrat die Auffassung, dass die europäi-sche Identität durch den Beitritt der Türkei zur EU nicht gestört würde. Seiner Mei-nung nach sind die grundlegenden Werte der europäischen Integration die Einhaltung der Menschenrechte, Demokratie und Rechtsstaat. Ein rascher Beitritt der Türkei sei gegenwärtig unmöglich. Er werde erst dann möglich, wenn die Türkei die

Kopen-66 Für ein glaubwürdiges Angebot der EU an die Türkei, Antrag des Abgeordneten Dr. Wolf­

gang Schäuble und der Fraktion CDU/CSU, Deutscher Bundestag 15. Wahlperiode, „Drucksache“, Nr. 126, vom 2.12.2002; Für ein glaubwürdiges Angebot der EU an die Türkei, Antrag des Abgeord­

neten Dr. Wolfgang Schäuble und der Fraktion der CDU/CSU, Deutscher Bundestag 15. Wahlperi-ode, „Drucksache“, Nr. 3949, vom 19.10.2004, Quelle: http://dip.bundestag.de/btd/15/039/1503949.

pdf, (November 2006).

67 W. Langen, Die Türkei – ein wichtiger Partner Europas, [in:] G. Rinsche, I. Friedrich (Hrsg.), Europa als Auftrag. Die Politik deutscher Christdemokraten im Europäischen Parlament 1957­1997. Von den Römischen Vertragen zur Politischen Union, Böhlau Vertrag, Weimar/Köln/

Wien 1997, S. 218.

hagen-Kriterien erfüllt und die notwendigen Reformen im Bereich der Demokra-tisierung des öffentlichen Lebens, der Justiz, der Minderheitenrechte und – mehr noch – der Menschenrechte, durchführt. In diesem Verständnis ist die europäische Union keine religiöse Gemeinschaft wie bei den Christdemokraten, sondern viel-mehr eine Wertegemeinschaft.68 Die Türkei hingegen muss sich entscheiden, ob sie sich in ihrem politischen Leben an diesen Werten ausrichten will.

Die Argumente gegen einen Beitritt der Türkei sind in der deutschen Politde-batte – laut Martin Große-Hüttmann69 – vor allem:

Die Aufnahme der Türkei würde eine Störung der kulturellen Identi-1. tät des sich integrierenden Europa bedeuten und die weitere Vertiefung

der Integration unmöglich machen.

Das wirtschaftliche Ungleichgewicht zwischen der Türkei und der EU 2.

(unter der Berücksichtigung des Lebensstandards im EU-Durchschnitt) ist zu hoch. Sie stellt geradezu eine Kluft dar.

Die Türkei könnte als großer Staat (779.452 km²) mit einem schnellen na-3. türlichen Bevölkerungswachstum (ca. 71,89 Mio. Einwohner) mit der Zeit

die anderen Mitgliedstaaten der EU dominieren.

Die europäischen Staaten werden den wachsenden Bedrohungen und He-4.

rausforderungen bezüglich Sicherheit, die der islamische Fundamentalis-mus, der sich nach dem Beitritt der Türkei in der ganzen Union verbreiten wird, mit sich bringt, noch mehr ausgesetzt sein.

Die „nichtwestliche“ Politikkultur der Türkei könnte einen „Kampf 5. der Kulturen“ provozieren70.

Die geografische Lage der Türkei in der Nähe zu den Krisenregionen im Na-6. hen Osten und Kaukasus könnte die Sicherheit der EU-Staaten bedrohen.

Zu diesen Argumenten können weiterhin die verschiedenen Fragen, die mit der Erfüllung der Kopenhagen-Kriterien zusammenhängen, hinzugefügt wer-den, vor allem im Hinblick auf das politische System, Demokratisierung und

Rechts-68 Populäre Bezeichnung, die im deutschen Außenministerium der Regierung von Gerhard Schröder verwendet wurde. Ludger Volmer, Staatsminister im Auswärtigen Amt bezeichnete die Zie-le der deutschen Erweiterungspolitik als das Streben nach einer Wertegemeinschaft. Vgl.: L. Volmer, Von einer neuen Türkeipolitik? Die deutsche Außenpolitik vor einer möglichen EU-Mitgliedschaft der Türkei, „Zeitschrift für Türkeistudien“ 2000, Nr. 1, S. 95-102.

69 Vgl.: M. Große Hüttmann, „Die Türkei ist anders als Europa“ Die öffentliche Debatte um einen EU­Beitritt der Türkei in Deutschland, [in:] A. Giannakopolus, K. Maras (Hrsg.), Die Türkei Debatte in Europa. Wiesbaden: VS-Verlag, 2005, S. 36-41. Por. E. Madeker, Türkei und europäische Identität. Eine wissenssoziologische Analyse der Debatte um den EU–Beitritt, VS–Verlag für Sozial-wissenschaften, Wiesbaden 2008, S. 120-123.

70 Den Begriff verwendete S. P. Huntington in seinem Artikel The Clash of Civilizati­

ons? In der Zeitschrift „Foreign Affairs“ Vol. 72, No. 3, Summer 1993, S. 22-49. Später führte er in aus in seinem gleichnamigen Buch Clash of Civilization and the Remaking of Word Order, das 1996 erschien. Deutsche Ausgabe: Kampf der Kulturen. Die Neugestaltung der Weltpolitik im 21. Jahrhun­

dert, Goldmann, München 2000.

staat. Adam Szymański vertritt die Meinung, dass die Schwierigkeiten der Türkei mit der Befolgung der demokratischen Prinzipien und Menschenrechte vor allem am Kemalismus und seinen Grundsätzen – Nationalismus und Laizismus neben Re-publikanismus und Reformismus – liegen.71 Der Kemalismus, zur „Zivilreligion“

geworden, war primär vom europäischen Denken und dem Streben nach dem Errei-chen des Lebensstandards der westliErrei-chen Staaten geprägt. Heute jedoch unterliegt er der Dogmatisierung (Nationalismus, Laizismus), da er Teil des Systems geworden ist, und genau das ist gegenwärtig der Hauptgrund für das Demokratiedefizit in der Tür-kei. Heute zeigt sich der Kemalismus vor allem in: 1) der unkritischen Modernisie-rung, die jede Diskussion hemmt, die zur Bildung einer pluralistischen Gesellschaft beitragen würde; 2) der Intoleranz in Teilen des politischen und kulturellen Systems, die mit der kemalistischen Vision kollidieren; 3) der Behandlung der Politik als ei-nes Bildungsmechanismus, der die politische Realität bildet und eine neue Gesellschaft formt.72 Die grundlegenden Probleme sind weiterhin: die Rolle der türkischen Armee als „Demokratiewächter“ – institutionalisiert in Form des Nationalen Sicherheitsrats.

Auch der Zypernkonflikt, die Frage der Anerkennung des Völkermordes an den Ar-meniern 1915/1916 in der Osmanischen Türkei73, die Verletzung der Rechte nationaler Minderheiten (Kurden) oder auch der Status der Frau, der nicht in Europa gelten-den Standards entspricht. Im Hinblick auf die geringe Unterstützung der deutschen Gesellschaft für die Mitgliedschaft der Türkei in der EU, stellen sich Fragen der de-mokratischen Legitimierung für eine Einbindung der Türkei in das System der Uni-on.74 Deutschland, das einen Widerwillen der im Inland lebenden Türken gegenüber der Integration mit der deutschen Gesellschaft hautnah erleben, befürchtet, dass sich diese Situation mit der Erweiterung der EU um die Türkei vertiefen könnte.75

71 Kemalismus ist laut Christian Rumpl die „Sicht auf den Staat der modernen Türkei, Mu- Kemalismus ist laut Christian Rumpl die „Sicht auf den Staat der modernen Türkei, Mu-stafa Kemal Atatürk, die Idee, die versucht mit den historischen Werten des Osmanischen Reichs abzuschließen und die sich auf der Synthese der Werte und der Ordnung des europäisch-westlichen Kulturkreises mit dem neu während der Jahrhundertwende entdeckten Turpismus“. Ch. Rumpf, Das Nationalismusprinzip in der türkischen Verfassung, „Verfassung und Recht in Übersee“ 1992, Nr. 4, S. 410. Por. idem, Das Verfassungssystem der Türkei, „Der Bürger im Staat“2005, Jg.55, Heft 3, S. 94-95. Dies Definition übernimmt auch Adam Szymański, Między islamem a kemalizmem. Pro­

blem demokracji w Turcji /Zwischen Islam und Kemalismus. Das Problem der Demokratie in der Tür­

kei/, PISM, Warszawa 2008, S. 56-57.

72 A. Szymański, Między islamem a kemalizmem… /Zwischen Islam und Kemalismus/, S. 269-298.

73 Vgl. eingehender: Y. Ternon, Ormianie. Historia zapomnianego ludobójstwa /Die Arme-Historia zapomnianego ludobójstwa /Die Arme­

nier. Die Geschichte eines vergessenen Völkermords/, Wydawnictwo Uniwersytetu Jagiellońskiego, Kraków 2005.

74 Institut für Demoskopie Allensbach, Schwerer wiegende Bedenken gegen den EU­Kandidaten Türkei, „Allensbacher Berichte“ 2000, Nr. 2; Vgl.: Eurobarometer 66. Die öffentliche Meinung in der Eu­

ropäischen Union. Herbst 2006. Nationaler Bericht Deutschland, Quelle: http://ec.europa.eu/deutschland/

pdf/information/publication/germany_eb66_national_report_validated_18_12_20061.pdf, (März 2007).

75 Vgl. eingehender: W. Quaisser, A. Reppegather, EU­Beitrittsreife der Türkei und Konse­

quenzen einer EU­Mitgliedschaft. Gutachten im Auftrag des Bundesministerium für Finanzen. Wor-king Paper 252, Osteuropa-Institut, München 2004; M.S. Teitelbaum, Ph.L. Martin, Is Turkey ready

In der deutschen politischen Debatte tauchen auch Argumente für die Auf-nahme der Türkei in die Europäische Union auf:

Die Türkei wird als Mitglied der EU die europäische und die deutsche 1.

Wirtschaft beleben sowie die Position der EU auf dem Weltmarkt stärken.

Dies kann sich als besonders interessant für den deutschen Export erwei-sen. Darüber hinaus wird der Zustrom türkischer Arbeitskräfte die euro-päische Gesellschaft „verjüngen“, was sich positiv auf die alternden Ge-sellschaften der westeuropäischen Staaten auswirken wird, insbesondere auf deren Sozial- und Rentenversicherungssysteme.

Die Türkei kann zu einem Beispiel für die anderen Staaten im Nahen Osten 2.

werden, indem sie zeigt, dass Demokratie, Menschenrechte und Rechts-staat nicht dem Islam widersprechen. Sie kann die Rolle einer Brücke zwischen dem Westen und dem Nahen Osten spielen.

Die Aufnahme der Türkei in die EU wird die Rolle der Union in der Nah-3. ostregion stärken.76 Die Türkei befindet sich auf einer „Schnittstelle“ zahl-reicher ethnischer Gruppen (Türken, Kurden, Südslawen, Perser, Araber) und aller großen Weltreligionen mit Ausnahme des Buddhismus. Im Hin-blick auf diese besondere Lage ist sie für die EU ein außergewöhnlich wich-tiger Partner. In der Türkei wird eine Brücke zwischen Europa und Asien, zwischen Christentum und Islam gesehen.77 Die Anbindung der Türkei an die EU eröffnet letzterer den Weg zu den Energierohstoffen am Kauka-sus und in Nahost und sichert die Treibstoff- und Gasversorgung.

Die Perspektive der Mitgliedschaft beeinflusst den demokratischen Wan-4.

del in der Türkei positiv, ähnlich wie im Fall der mitteleuropäischen Staa-ten, deren Annäherung an die EU die Transformationsprozesse beschleu-nigt hatte.

Es fällt schwer, die tatsächlichen Konsequenzen der Verweigerung 5. des Beitritts der Türkei zur EU vorherzusehen. Dies könnte ernsthafte

Es fällt schwer, die tatsächlichen Konsequenzen der Verweigerung 5. des Beitritts der Türkei zur EU vorherzusehen. Dies könnte ernsthafte

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