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3.3 Biblische und religiöse Symbolik, Archetypik

3.4.1 Abstrakta

Unter den vielen Motiven in der Königslegende spielt das der Entsagung eine beson-ders wichtige Rolle. Es hat eine zentrale Bedeutung und ist textübergreifend, da es in mehreren Werken Paula von Preradović’ vorkommt. Ähnlich wie in anderen Texten der österreichischen Schriftstellerin ist der Verzicht auch in dieser Novelle nicht als demütigende Einschränkung der menschlichen Freiheit, sondern vielmehr als freie Entscheidung des bewussten Individuums zu verstehen. Zu dieser kommt es aufgrund von Erkenntnis, meistens stellen jedoch schmerzhafte Erfahrungen den Auslöser für

Refl exionen über die eigene Existenz dar. Krisensituationen, wie z.B. Slavatz’ Macht-verlust, Verbannung und die Zerstörung seines Lebenswerkes, schaffen Bedingungen für grundlegende Veränderungen und machen die literarischen Figuren auf ihre Fehler aufmerksam. Andere Menschen wirken auf die Protagonisten ein und eröffnen vor ihnen neue Perspektiven. Dabei werden diese meistens mit christlichem Gedankengut bzw. mit gelebtem Christentum konfrontiert. Es sei hier an Slavatz’ Begegnungen mit Stjepan und Vater Hieronymus erinnert, die als Modellsituationen angeführt werden müssen. Die Entscheidung für die Entsagung kann nur freiwillig getroffen werden.

Sie vollzieht sich auf der Grundlage der Freiheit und wird dem Protagonisten nie aufgezwungen. Dies zeigt, dass das Menschenbild in der Königslegende, sowie in anderen Werken der österreichischen Schriftstellerin, ein christlich-humanistisches ist. Slavatz gibt mit der Zeit seine Abwehrhaltung auf, ergreift Initiative, ist bereit zu erkennen, zu entscheiden und den Weg des Verzichts als den in seinen Augen einzig rechten und wahren zu wählen. Darin äußert sich sein Wille das Schicksal in die Hand zu nehmen, selbstverantwortlich zu handeln und die Welt bewusst zu gestalten. Er gewahrt die oberfl ächlichen Befriedigungen, die seine bisherige Existenz erfüllten, und dringt zu den echten Lebensquellen vor. Dieser Prozess, in dem der Verzicht zu einem Werkzeug der tieferen Erkenntnis und der Reinigung wird, könnte auf theologischer Ebene mit der Seelenläuterung der Fastenzeit verglichen werden, wobei eine Parallele zwischen Entsagung und Entbehrung hergestellt werden kann. Gehen wir aber nun ins Detail und betrachten wir, wie sich die Entwicklung des Protagonisten vollzieht.

Als der entthronte König während des Gesprächs mit Stjepan zum ersten Mal mit dem Gedanken des Verzichts konfrontiert wird, lehnt er sich dagegen auf. Er begreift die Ereignisse nicht als Chance, sondern vielmehr als eine empfi ndliche Niederlage, die auf keinen Fall akzeptiert werden darf, zumal das Geltenlassen einer Erniedrigung unehrenhaft sei. Auch die Fehler der Vergangenheit, die er nun immer deutlicher erkennt, lassen ihn nicht zur Ruhe kommen. Statt darunter einen Strich zu ziehen und zu versuchen in den gegebenen Bedingungen eine neue Existenz aufzubauen, kehrt er in Gedanken immer wieder in die Vergangenheit zurück und weigert sich seinen Blick nach vorne zu richten. Während der langen, einsamen Spaziergänge an den Ufern von Issa vergleicht er sein Schicksal mit dem der gestrandeten Quallen.

In seinen Augen ist es

[…] das gleiche wie das dieser Tiere, die wie Opale schimmerten, solange die Flut sie trug, und von denen auf den feindlich-fremden Ufersteinen nichts blieb als schmachvoller Unrat […] Er verabscheute sich selbst wegen seiner Unfähigkeit, seiner Sündhaftigkeit und Gottesferne und vermochte doch nicht zu beten, zu bereuen und einen tätigen neuen Weg zu betreten.541

Was Slavatz noch mehr schmerzt als der Verlust seiner Familie, ist die Zerstörung seines Lebenswerkes, denn „[…] eines Mannes Werk, das, wonach er zeit seines Lebens

541 Paula von PRERADOVIĆ: Königslegende, a.a.O., S. 819.

getrachtet hat, muß ihm freilich noch mehr wert sein als Liebe und Zärtlichkeit […]“.542 Er glaubt eine wichtige Sache unvollendet gelassen zu haben und fühlt sich, als ob er seine Heimat der Willkür fremder Mächte überlassen hätte.

Erst nach und nach kämpft Slavatz sich zu dem Gedanken durch, dass nur die Haltung der Entsagung und der demütigen Duldung ihn von der Last seiner Vergangenheit befreien könne. Er erkennt nun den wesentlichen Unterschied zwischen dem Verzicht und der Resignation. Ein wichtiger Faktor, der es ihm erlaubt seine Vergangenheit zu bewältigen, ist die Zeit. Je weiter sich sein Leben von der tragischen Niederlage gegen die Normannen entfernt, desto leichter fällt es Slavatz sich von seinem früheren Dasein zu distanzieren und darauf zu verzichten. Folgende Textpassage zeigt das besonders deutlich:

Wie die saftigen Bäume am Festland unaufhaltsam ihre Ringe ansetzen und unmerklich breiter und mächtiger werden, so setzte Slavatz’ Leben des Verzichts und des Vergessens Ring um Ring an. Er wartete nun nicht mehr auf die Ankunft einer Flotte und auf geheime Boten. Wohl brannte sein Herz nach einer Nachricht von seinem Sohn in Byzanz, doch eine verborgene Stimme sagte ihm, eine solche Nachricht werde ihn nie erreichen, und so gab er sich drein, nichts mehr von ihm zu wissen. Im Lauf der Zeit wuchs für sein Gefühl der kleine, auf Issa geborene Michael mit seinem königlichen Sohn zusammen, und wenn er jenem übers Haar strich, meinte er, es sei der ferne Knabe, den er liebkoste.543

Nach Jahren eines erfüllten Lebens auf dem einsamen Eiland wird sich der ehemalige Kroatenkönig der Veränderung, die in seinem Leben stattfand, voll bewusst. Am Ende der Novelle fi ndet der Leser folgende Worte, die davon Zeugnis ablegen: „Wohin führte die trügerische Größe dieser Welt? Er hatte sein verborgenes und geringes Los von Gott hingenommen und wollte es in Demut bis ans Ende tragen“.544

Ein Motiv von großer Bedeutung, das mit dem der Entsagung starke Verfl echtungen aufweist, ist das Heimwehmotiv. Slavatz’ Sehnsucht nach dem kroatischen Vater-land ist zugleich eine Sehnsucht nach seiner Familie und anderen nahestehenden Menschen sowie nach einer vertrauten soziokulturellen Umgebung. Der entthronte König vereinsamt und erlebt eine psychische Krise, die durch die Perspektive einer lebenslangen Verbannung sowie die Ungewissheit über das Schicksal Jelenas und Michaels verschärft wird. Nach und nach schwindet die Hoffnung auf Flucht oder Befreiung, was Slavatz‘ Frustration und Heimweh verstärkt.

In den ersten Monaten seines Aufenthalts auf der Insel wartet der Gefangene auf

„denjenigen, den Golub ihm mit den undeutlichen Worten verheißen hatte: es werde vielleicht ein anderer kommen, den er um Kunde von Jelena und dem Knaben werde fragen können. – er wartete Tag und Nacht auf ihn, und dieses Warten ließ ihm die Zeit vergehen“.545 Slavatz verdrängt die Sehnsucht, indem er seinem Warten einen Sinn

542 Ebd., S. 823.

543 Ebd., S. 828.

544 Ebd., S. 843.

545 Ebd., S. 801.

verleiht. Immer wenn Fremde auf die Insel kommen und das Haus seines Gastgebers und „Kerkermeisters“546 besuchen, „klopfte dem Einsamen das Herz, und er meinte, nun würde Tomaso ihn rufen, und er würde eine gute Botschaft aus der Heimat empfangen“.547 Doch diese Hoffnung wird nicht erfüllt, stattdessen erfährt er lange Zeit später, dass seine Frau verstorben und sein Sohn nach Byzanz gebracht worden sei. Dieser Augenblick verändert auf grundlegende Weise das Denken des Verbannten.

Seine Sehnsucht verschwindet nicht, doch er erkennt, dass eine Rückkehr in die Hei-mat, selbst wenn sie möglich wäre, keinen Sinn mehr hätte. Slavatz wird „mit kaltem Entsetzen […] klar, daß sein altes Leben, an dessen Wiederbeginn er doch immer mit Zähigkeit geglaubt hatte, nun unwiederbringlich versunken war. Mochten sie ihn auch einmal zurückholen, mochten sie ihm huldigen und ihn wiedereinsetzen – war er denn noch derselbe Mann, der er gewesen war, nun, da Jelena tot war?“548.

Erst durch das Gebet in der Inselkapelle erfährt er eine Linderung seiner Schmerzen und eine Besänftigung der Sehnsucht. Slavatz, der es bis dahin nicht fertigbrachte, die lateinische Kapelle zu betreten, betet nun um ein günstiges Schicksal für seinen Sohn, der am konstantinopolitanischen Kaiserhof lebt, und um die Seelenruhe seiner verstorbenen Frau. Als er schließlich das Gotteshaus verlässt und nach Hause geht, ist ihm leichter ums Herz.549

Mit dem Motiv der Entsagung hängt auch das Motiv der Demut zusammen, zumal der freiwillige Verzicht eine demütige Lebenseinstellung voraussetzt. Aus christlicher Sicht lässt sich Demut als eine Haltung des Menschen zu seinem Schöpfer beschreiben, die aus der Überzeugung erwächst, dass der Mensch in jeder Hinsicht seinem Erschaffer und Vorbild weit unterlegen ist. Sie entsprießt also einer wirklichkeitsgetreuen und nüchternen Einschätzung der eigenen Position sowie dem Eingeständnis der eigenen Nichtigkeit.550 Trotz der unbeschreiblich großen Divergenz zwischen der menschlichen Geringfügigkeit und der göttlichen Vollkommenheit ist der Mensch in der Lage diese Tatsache zu leugnen. Es bedarf also einer freien Entscheidung des Menschen seine Position vor Gott anzuerkennen.551 Der Schöpfer zwingt den Menschen weder zur Unterwürfi gkeit und zur Anerkennung seiner Allmacht noch zur Liebe. Christliche Demut kann sich also nur auf der Grundlage von Freiheit entwickeln.

In der Bibel ist an vielen Stellen von der Demut die Rede. Im 1. Petrusbrief verspricht Gott den Demütigen, dass sie am Ende der Zeiten erhöht werden. Während er die Stolzen verurteilt, will er den Ergebenen und Bescheidenen gnädig sein.552 Ähnliche

546 Ebd., S. 829.

547 Ebd., S. 801.

548 Ebd., S. 825.

549 Vgl. ebd., S. 826.

550 Die Anerkennung der eigenen Nichtigkeit darf jedoch nicht mit der Leugnung der menschlichen Würde verwechselt werden. Als göttliches Geschöpf und Kind Gottes hat der Mensch in den Augen des Schöpfers einen hohen Wert.

551 Christliche Demut gegenüber Gott äußert sich in dessen Anbetung, Preisung und der Anerkennung, dass alles, was man ist und was man besitzt, auf Gottes Gnade beruht.

552 „[…] Denn Gott tritt den Stolzen entgegen, den Demütigen aber schenkt er seine Gnade. Beugt euch also in Demut unter die mächtige Hand Gottes, damit er euch erhöht, wenn die Zeit gekommen ist“

(1 Petr 5,5–6).

Worte fi ndet man im Alten Testament. Das Buch Zefania ruft alle Menschen auf, die nach dem Recht des Herren leben, Demut zu suchen, um am Tag des Jüngsten Gerichts verschont zu werden.553 Nur die Demütigen werden den Segen Gottes empfangen. Eine für die Interpretation der Königslegende wesentliche Passage enthält das Buch der Sprichwörter. Ihr zufolge ist Demut wichtiger als Ehre.554 Man erkennt in der Novelle, dass es langsam zu einer wesentlichen Veränderung von Slavatz’ Wertehierarchie und zu einer Abstufung der Ehre kommt. Der entthronte König beginnt sein Leben nach dem Wandel im Geiste der christlichen Demut zu gestalten. Das 8. Kapitel des Buches Deuteronomium weist darauf hin, dass JHWH die Israeliten vierzig Jahre lang durch die Wüste führte, um sie gefügig zu machen.555 Gott lässt den Menschen manchmal in schwierige Situationen geraten, um ihn zu sich zurückzubringen und ihm zu zeigen, dass er auf Irrwegen wandelt. Slavatz’ Machtverlust und Verbannung können folglich als eine solche Maßnahme interpretiert werden. Dem gedemütigten König steht Gott jedoch zur Seite und hilft ihm, einen neuen, besseren Weg zu beschreiten. Eine klare Zusage hinsichtlich der göttlichen Unterstützung fi ndet sich im Buch Jesaja.556 Der Verbannte bewahrt sogar nach seiner geistigen Neuorientierung einen gewissen Stolz, der mit Hochmut nicht verwechselt werden darf. Dieser Stolz schließt nämlich die innere Demut nicht aus.