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Pelagia auf dem berstenden Stern sollte mit der rhapsodischen Laudatio auf Istrien Ewiges Land. Ein Vorgesang beginnen.784 Der Leser erhält darin einen Überblick über die Vergangenheit und eine Beschreibung der Landschaft der Halbinsel Istrien.

Die „Intensität […], mit der die Landschaft gesehen wird, läßt die starke emotionale Grundlage, das nachhaltige Erlebnis, deutlich werden“.785 Die Geschichte ihrer Hei-matregion dient der Dichterin als Stoff für die Erschaffung einer literarischen Welt.

Zu Beginn der Analyse sei folgender Textabschnitt angeführt:

Mit welchem Namen freilich Gott sie [die Halbinsel – Anm.: M.S.] genannt hat, wer kann es wissen? Hat er sie »die Meerumbrauste« genannt oder »die Möwenüberfl ogene«? Oder

»das Land, das nach Thymian und Salz riecht« oder »die Muschelstrandige mit dem hohen Himmel« oder vielleicht »die rote Erde, auf der die Steinnelken wachsen«? All diese Namen wird er ihr die Jahrhunderttausende entlang immer wieder gegeben haben, wenn er sie unter sich liegen sah, voll Zärtlichkeit wird er sie ihr zugerufen haben und ruft sie ihr zu, solange er seine Erde kreisen lässt […].786

782 Vgl. ebd., S. 42f.

783 Vgl. ebd.

784 Als Rhapsodien bezeichnete man ursprünglich erzählende Dichtungen, die von griechischen Wan-dersängern, den Rhapsoden, vorgetragen wurden. Rhapsodische Texte erfreuten sich in der Zeit des Sturm und Drang großer Popularität und treten auch in der gegenwärtigen Literatur hin und wieder auf. Sie besitzen meistens einen ekstatischen Charakter und sind bildstarke, gefühlsbetonte Dichtungen mit einer freien Form.

Ihre Motive können lose miteinander verknüpft sein und müssen nicht aufeinander aufbauen. Das Rhapsodische der Prosa manifestiert sich in Form von assoziativ wirkenden Umkreisungen eines Themas. (vgl. »Rhapsodie«, in: Eva Beate BODE (Hrsg.), a.a.O., S. 685).

785 Zorka ORLANDIĆ, a.a.O., S. 131.

786 Paula von PRERADOVIĆ: Ewiges Land. Ein Vorgesang, in: Gesammelte Werke. Herausgegeben, eingeleitet sowie mit Vor- und Nachwort versehen von Kurt Eigl, Wien 1967, S. 895.

In jener Passage setzt sich das literarische Subjekt mit der Frage auseinander, wel-che Namen Gott der Halbinsel gegeben haben könnte. Diese Erwägungen wecken biblische Assoziationen. Die Wissenschaft versteht Namen als Bezeichnungen für eine einzelne, als Individuum oder individuelles Kollektiv gedachte Person oder Sache. Sie dienen der eindeutigen Identifi zierung und Benennung.787 Im Judentum und im Christentum sind Namen jedoch mehr als nur Begriffe. Vor allem die mosa-ische Religion schreibt ihnen eine besondere Bedeutung zu. So stellen Namen eine Verbindung zwischen Gott und der Schöpfung her. Sie beeinfl ussen die Zukunft der Menschen und werden – so die Kabbala – nicht zufällig gewählt, denn die Eltern erleben im Augenblick der Namenswahl für ihr Kind eine göttliche Eingebung.

Der Name soll die Entwicklung des Kindes und dessen Charakter positiv prägen.

Jeder Namenswechsel wirkt sich auf das Schicksal des Menschen aus. Schwer kranke Personen erhalten häufi g einen zusätzlichen Namen, weil das angeblich die Genesung fördert. Gott wird am Ende der Zeiten die Menschen bei ihren Namen zu sich rufen und sie auf diese Weise aus dem Exil erlösen. Während des Gebets für einen Menschen denkt der Betende an dessen Namen. Wird jemand zur Tora aufgerufen, spricht man auch seinen Namen aus.

Der angeführte Textabschnitt erinnert den Leser an die biblische Schöpfungsgeschichte.

Im 1. Buch Mose wird das »Sechstagewerk« beschrieben. Am Anfang jedes Tages steht das Wort Gottes. Den Schöpfungsakten folgen die bestätigenden Worte: „So geschah es“.788 Gott schafft durch das Wort. Indem er spricht, lässt er die Welt entstehen und entscheidet über Rolle und Schicksal der Geschöpfe.

Der Schöpfungs- und Benennungsprozess scheint in Preradović’ Skizze noch nicht vollendet zu sein, denn es heißt im Text, dass Gott die hier genannten Namen der Halbinsel „[…] Jahrhunderttausende entlang immer wieder gegeben haben […]“789 wird. Er rufe ihr diese Namen auch weiterhin zu, „[…] solange er seine Erde kreisen lässt […]“.790 Bereits Augustinus von Hippo, der den Begriff »creatio continua« [lat.:

»fortgesetzte Schöpfung«] in die Theologie einführte, behauptete, dass die Schöpfung noch nicht abgeschlossen, sondern immerfort für das Eingreifen Gottes offen sei.

Andererseits müsse jedoch berücksichtigt werden, dass der Schöpfer außerhalb der linearen Zeitlichkeit stehe und für ihn alles gleichzeitig geschehe. Diese metaphysische Prämisse wird in folgender Passage verbalisiert:

[…] damals ebenso wie heute fl og die Möwe schreiend, kreiste der Falke, lag die grüne Eidechse in der Sonne, rosenrot fl immerte die Steinnelke im Junilicht, der Ginster leuchtete grellgolden vor der Bläue der Wasser, die Myrthe blühte still wie ein weißes Licht, und in den dichten Wäldern schatteten Korkeiche und Pinie. Und Gott schaute nieder auf sein liebes Land, für ihn gab es nicht Vorher und nicht Nachher, mit einem großen ewigen Blick übersah er die Jahrhunderte, und er wußte, daß auch das tapferste

787 Vgl. »Name«, in: Brockhaus Enzyklopädie in 30 Bänden, Band 19, Leipzig/Mannheim 2006, S. 283.

788 Z.B. Gen 1,7; Gen 1,9; Gen 1,11; Gen 1,15.

789 Paula von PRERADOVIĆ: Ewiges Land, a.a.O., S. 895.

790 Ebd.

Volk eines Tages versinken wird, denn wo heute für den einen Platz ist, muß morgen Platz für den anderen sein.791

Die »creatio continua« erfüllt eine wichtige Funktion – durch das kontinuierliche Erschaffungswerk wird Neues kreiert bzw. das bereits Bestehende erhalten und fortgesetzt. Im Text ist das deutlich zu erkennen, wenn z.B. davon die Rede ist, dass die Römer die Histrier besiegten, um später selbst von anderen Völkern von der Halbinsel verdrängt zu werden.

Dem erschaffenden Wort, welches am Anfang jedes Schöpfungsaktes steht, kommt eine tiefe theologische Bedeutung zu. Im Prolog des Johannesevangeliums wird der Begriff »Wort« [gr. Logos] auf Christus bezogen.792 Er ist das fl eischgewordene Wort Gottes und spielt die Rolle des Schöpfungsmittlers und des Welterlösers. Gott – als präexistenter Christus – erschafft die Welt, indem er spricht. Alles, was ausgesprochen wird, entsteht. Deshalb trägt Gott die Bezeichnung »Logos Creator«.

Der Text Ewiges Land besitzt eine dualistische Inhaltsstruktur. Auf der einen Seite steht der Mensch, auf der anderen die Landschaft. Während der Mensch und seine Werke vergänglich sind, bleibt die Natur ewig bestehen. Imperien entstanden und zerfi elen, die Halbinsel Istrien wurde von Histriern, Römern, Langobarden, Slawen, Venezianern und Österreichern regiert, doch die wechselnden Herrscher und die von ihnen aufgebauten Machtstrukturen vergingen. Es blieb die von Gott geschaffene Natur, welche sich in den Jahrtausenden bewegter Geschichte kaum veränderte. Die Landschaft symbolisiert das ewige Sein – schon der Titel des Textes weist darauf hin.793 Sie steht für das Feste und Beständige sowie für Ordnung und Geborgenheit, während die menschliche Welt einem ewigen Wandel unterliegt. Bevor sich die ersten Menschen an der Adria niederließen, gab es das Land schon seit geraumer Zeit. Es wird auch dann weiterbestehen, wenn die Spuren ihres Daseins längst von hier verschwunden sind.

Der Mensch stört manchmal den Frieden der Landschaft. Anstatt Gottes Werk zu vollenden, bewirkt er Unruhe und Dissonanz, bringt Leid und Verwüstung über das Land, doch er ist nicht imstande den Rhythmus der Natur dauerhaft zu beeinträchtigen.

So z.B. gelang es den Venezianern durch Raubrodung das Landschaftsbild zu verän-dern, doch wie durch ein Wunder blieben in einigen Winkeln des Landes Föhren- und

791 Ebd., S. 896.

792 Joh 1,1–18.

793 Die Literaturwissenschaftlerin Zorka Orlandić schrieb – und berief sich dabei auf Wolfgang Stenzels Werk Die deutschen Romantiker (1958) – dass Paula von Preradović das Motiv des Ewig-Bleibenden Friedrich Rückerts Ballade Chidher entnahm (vgl. Zorka ORLANDIĆ, a.a.O., S. 158). Es sei jedoch darauf hingewiesen, dass die Ballade in Wirklichkeit die Vergänglichkeit und die stark subjektive Wahrnehmung der Ewigkeit durch den Menschen, dessen beschränkte Vorstellungskraft ihm kaum erlaubt, über den Zeitpunkt seines Todes hinaus zu blicken, zeigt. Chidher, der eine Verkörperung des unsterblichen, ewigen Wanderers ist, sieht das Raum- und Zeitkontinuum in einem viel breiteren Kontext. In regelmäßigen Zeitabständen von fünfhundert Jahren besucht er ein und denselben Ort und fi ndet eine Stadt, eine Weide, ein Meer, einen Wald und wieder eine Stadt vor. Was die Menschen, denen er begegnet, für ewig halten, bleibt im Grunde nur wenige Jahrhunderte bestehen und wird durch Neues ersetzt. Das zentrale Motiv der Ballade ist also nicht das Ewig-Bleibende, sondern vielmehr der ewige Wandel, von dem in Preradović’ Skizze Ewiges Land sehr wohl auch die Rede ist.

Pinien- sowie kostbare Kork- und Steineichenwälder erhalten. Folgende Textstelle berichtet von der zerstörerischen Rolle des Menschen:

Einmal freilich ward auch den Pfl anzen und Tieren Krieg angesagt, eine lange Küste voll rauschender Wälder ward ihres Schattens, ihrer Feuchtigkeit und des Schutzes gegen den wütenden Nordwestwind beraubt, damit jenseits des Meeres eine unvergleichlich funkelnde, königinnenhaft stolze Stadt zu langer Macht und Glorie aufgerichtet werden konnte. Die wogenden Wälder von Istrien und Dalmatien wurden ins westliche Lagunenmeer gerammt, auf den starken Stämmen, die unablässig auf großen Trabakeln […] hinweggeführt wur-den, erstand Venedig, die Fürstin der Meere. / Die Ostküste aber des blauen Adriameeres verkarstete. […] An Stelle der immer wieder neu ausgerotteten Wälder gab es nur noch Macchia, das stachelige, graugrüne, würzig riechende Buschwerk […].794

Das literarische Subjekt weiß, dass der Lauf der Geschichte mit seinem Werden und Vergehen in der Natur vorgezeichnet wurde.795 Folgende Passage veranschaulicht diese Erkenntnis: „O Möwe, die den Fisch verschlingt, o Falke, der des Sperlings Herr wird, o Wurm, der an der Eichenwurzel nagt, und Efeu, der den Felsen feucht und brüchig macht! O ewiger Wechsel, ewiges Ab und Zu, ewiges Wachstum, das schon dem Tod benachbart ist!“.796 Der Tod ist also integraler Bestandteil jeder Existenz, doch das Leben behält stets die Oberhand und setzt sich gegen ihn durch. Die ständige Wiederkehr des Lebens – zumeist in einer veränderten Form – nach Zerstörung und Vernichtung, nach den schlimmsten Katastrophen und Niederlagen, scheint davon zu zeugen. So stehen im Text die Möwen, die auf den Inseln am Hafeneingang vor der Stadt nisten, für das Beständige, Wiederkehrende und somit auch für den Triumph des Lebens über den Tod.

Die Hirten sind das Leitmotiv der Skizze. Man fi ndet sie immer wieder in der Gesamtheit des Textes. Dabei werden sie folgendermaßen beschrieben:

Im übrigen gab es auch Hirten, und zwar sehr viele […]. Diese Hirten trugen braune und weiße schafwollene Gewänder, die ihre Frauen, mit denen sie außerhalb der Stadtburgen wohnten, ihnen […] selbst gesponnen und gewoben hatten. Sie stützten sich auf hohe Krummstäbe, und während sie mit ihren Herden über die Hügel wanderten, sahen sie […] über die Gefi lde ihrer Heimat hin, von der sie es nicht für möglich hielten, daß es außerhalb ihrer auf der Welt noch etwas anderes geben könnte […].797

Das Hirtenmotiv zieht sich wie ein Leitfaden durch die komplette Skizze und dient der Gliederung des Erzählten. Historische Ereignisse, wie z.B. der römische Sieg über das Heer des Histrierkönigs Aepulo, werden manchmal aus der Perspektive der istrischen Hirten erzählt, die im Text immer wieder die Rolle von Beobachtern

spie-794 Paula von PRERADOVIĆ: Ewiges Land, a.a.O., S. 908.

795 Vgl. Reginald VOSPERNIK: Paula von Preradović, a.a.O., S. 52.

796 Paula von PRERADOVIĆ: Ewiges Land, a.a.O., S. 905.

797 Ebd., S. 897.

len.798 Einer der Hirten betrachtet die Wettfahrten und Kampfspiele im Amphitheater der römischen Stadt Pietas Iulia (später kroat. Pula) und steht unter den Zaungästen und dem gemeinen Volk an der Arena. Er kam aus dem Inneren des Landes, weil er

„wahrscheinlich ein junges Lamm oder ein Säckchen mit Topfen, das er am Handgelenk hängen hatte, verhandeln wollte. Denn rein zum Gaffen und Sichvergnügen kam er nicht in die Stadt. Er war noch genauso gekleidet wie zu König Aepulos Tagen, von denen er freilich nichts wußte, und stand staunend und etwas kopfschüttelnd unter der städtischen Menge […]“.799 Jahrhunderte später kam ein anderer Hirte aus Inneristrien an den Fuß der Mitterburg (kroat. Pazin):

[der Hirte – Anm.: M.S.] mochte […] staunenden Auges die glänzenden Rüstungen und wehenden Helmbüsche der stolz an ihm vorbeireitenden deutschen Herren bewundern, während er beschämt an seiner schäbigen Kluft hinunterblickte, an diesen ungeschickt gewobenen langen und engen schmutzigweißen Wollhosen und der dunkelbraunen, klobig dicken Jacke; an dieser ewigen Hirtentracht, wie sie fast ohne Unterschied vor vielen, vielen Jahrhunderten, als hier die allerersten Hirten Schafe ins kurze sonnverbrannte Gras trieben, von armen, demütig-wilden Frauen für ihre Männer gesponnen und gewoben war […].800 Ähnlich wie die Landschaft und die Natur, ist die Präsenz des Hirten auch konstant.

Während der Wanderung des Erzählers durch die Zeit bleibt der Hirte – mit seinem Aussehen und seiner Lebensweise – stets unverändert, egal ob Histrier, Römer, Deutsche oder Slawen über das Land herrschen. Er scheint außerhalb des zeitlichen Kontinuums zu existieren und von der Geschichte schlechthin übersehen zu werden.

Bei näherer Betrachtung erkennt man, dass er der Natur näher als der Zivilisation steht. Folgender Textabschnitt mag davon zeugen:

[…] Der unwissende, verblüfft glotzende Hirte ahnte nicht, daß er der Unvergängliche, der stets Wiederkehrende war, so unvergänglich und durch Gottes Gnade immer wieder sich erneuernd wie die Geschlechter der Möwen und die roten, scharf duftenden Thymian-teppiche, während die Reiche und Mächte dieser Welt verurteilt waren, nach langen oder kurzen Zeiten des Glanzes und der Herrschaft unfehlbar zu stürzen und zu vergehen […].801 Der Hirte lebt fernab von den Küstenstädten, weit im Landesinneren. Die großen Umwälzungen der Geschichte nehmen, im Gegensatz zum Rhythmus der Natur, auf sein Leben keinen Einfl uss. Er lebt fest verwurzelt in einem Land, das sich in einem Zeitraum von vielen Jahrhunderten kaum veränderte, und weiß weder von Eroberungen, Aufständen und Befreiungskriegen noch vom Wandel der Machtver-hältnisse. Sein Leben bleibt, wie es schon immer war, auch wenn für viele seiner Mitmenschen an den Küsten Istriens die Welt zusammenbrach. Ähnlich wie im Falle

798 Vgl. ebd., S. 899.

799 Ebd., S. 904.

800 Ebd., S. 907.

801 Ebd., S. 907f.

der Natur, deren Teil er ist, ändert sich nichts an seinem Dasein, wovon folgende Passage zeugt:

[…] Und obwohl man hätte meinen sollen, daß nun [d.h. nach der Vernichtung der Histrier – Anm.: M.S.] alles anders war und alles zu Ende, brachten in der tiefen Bucht die Fischer ihre Beute ans Land […] und die Hirten bereiteten sich zur Schafschur wie alle Jahre.

Der »Große Berg« [ein hoher Gipfel, der von vielen Stellen der Halbinsel zu sehen ist – Anm.: M.S.] blieb […] an seinem Platz, als ginge ihn […] all dieses nichts an.802 Der Hirte geht, ähnlich wie der Fischer, seinen gewohnten Tätigkeiten nach und hat ganz andere Sorgen als die Stadtbewohner. Nur manchmal kommt er in die Stadt, um Schafskäse feilzubieten, doch die ungewohnte Umgebung hat auf ihn eine befremdende Wirkung. Er betrachtet die Städter mit Interesse, aber keineswegs mit Neid. Schon nach kurzer Zeit zieht es ihn zurück auf die Weiden im Hügelland, wo er sich frei fühlt. In seinen Adern fl ießt illyrisches Blut, denn er gehört zu den Nachfahren der Ureinwohner der Halbinsel, die in ihren entlegensten Winkeln die Wirren der Geschichte überlebten.

Das Leitmotiv des Hirten dient einem wichtigen Zweck: „Das Naturhafte und des-halb Beständige, in der Ordnung Gottes Lebensvolle, wird hier ausgespielt gegen das Vergängliche, weil menschlich bedingte“.803 Der Hirte steht für das Dauerhafte, das von Gott Geschaffene. Das Motiv weist im Laufe des Textes nur geringfügige Veränderungen auf. Seine Abwandlungen deuten auf das bewegte Schicksal Istriens und seiner Bewohner hin.

Ähnlich wie die Fischer gehören die Hirten mehr der Welt der Natur und der Land-schaft, als der Zivilisation an. Die belgische Literaturwissenschaftlerin Dina Maertens bemerkte zu Recht, dass die Erzählerin immer dann von den Bewohnern des Landes berichtet, wenn es sich „reibungslos in die Landschaftsschilderung einfügen läßt“804. Die Landbewohner werden nie zum Selbstzweck einer Darstellung.805

Die istrischen Hirten leben einsam und stehen deshalb dem Schöpfer näher als die Bewohner der großen Küstenstädte. „Einsamkeit ist unmittelbar, göttlich; durch sie wird Gott erst erlebbar“806, denn vor allem an Orten, wo der Mensch von weltlichen Dingen nicht in Anspruch genommen und vom Trubel der Zivilisation nicht gestört wird, wo er den Launen der Natur ausgesetzt und nur auf sich selbst und die Hilfe Gottes angewiesen ist, kann er dem Schöpfer wirklich näher treten und sich ihm voll anvertrauen. Der Literaturwissenschaftler Reginald Vospernik schrieb:

[…] Der Mensch, der sich über seine eigentliche Bestimmung und Stellung in der ihn umgebenden Welt klar werden will, muß auf seine innere Stimme hören, die er seinerseits

802 Ebd., S. 902.

803 Reginald VOSPERNIK: Paula von Preradović, a.a.O., S. 109f.

804 Dina MAERTENS: Paula von Preradović – Eine neuromantische Gestalt. Ein Leben und Schaffen zwischen Kroatien und Österreich, Gent 1955/1956, S. 88.

805 Vgl. Zorka ORLANDIĆ, a.a.O., S. 197.

806 Reginald VOSPERNIK: Paula von Preradović, a.a.O., S. 108.

nur vernehmen kann, wenn er all das Laute und Unwesentliche des modernen Lebens verlassen hat und in der Einsamkeit und Stille sich besinnen kann. […] Allein in der Einsamkeit eröffnet sich ein Zugang zum Göttlichen. Denn in ihr und der Stille wird erst Sammlung möglich […].807

Die Halbinsel sei eines der „Lieblingsländer“808 Gottes – heißt es in dem Text – da sie „[…] so blau zwischen den Meeren liegt, weil sie so herb und bittersüß duftet und weil in ihren Grotten und Dolinen, in ihren Hohlwegen und auf dem sanften Rücken ihrer Hügel eine so unschuldige und vollkommene Einsamkeit waltet […]“.809 Jene Einsamkeit macht Istrien zu einem mystischen Land, in dem man Gott begegnen kann.

Nur an solchen Orten, an denen die Ruhe der Natur nicht gestört wird, ist der Mensch imstande den Schöpfer, seine Größe und Liebe zu erfahren. An dieser Stelle soll angemerkt werden, dass Paula von Preradović in ihrem Leben und ihrem literarischen Schaffen das „Wesentlichwerden in der Einsamkeit“810 anstrebte.

In der Vorstellung der Dichterin wächst der Mensch mit dem Land, in dem er groß geworden ist, zusammen. Seine Kindheit wird von einer bestimmten landschaftlichen Umgebung geprägt. Es ist der Ort, den er meistens sein Leben lang als Heimat bzw.

engere Heimat betrachtet. Die große Sehnsucht der Dichterin ist deshalb nicht nur eine Sehnsucht nach ihrer Jugendzeit, sondern vor allem auch nach der Landschaft, in der sie aufwuchs. Reginald Vospernik schrieb über Preradović’ Wahrnehmung des Heimatverlustes Folgendes: „Verliert jemand dieses Land, so verliert er auch den Teil seines Selbst, der organisch mit der Landschaft verbunden war“.811 Einem Menschen, der seine Heimat aufgeben muss, kommt nicht nur ein Ort abhanden, an dem er sich zu Hause fühlt. Er büßt auch einen wichtigen Bestandteil seiner Identität ein. In einem Zeitalter fast unbeschränkter Mobilität, in dem der Wohnortwechsel zu einem integralen Bestandteil des Lebens geworden ist, mag manchen Lesern der Versuch, der Landschaft der Kindheit eine derart wichtige Bedeutung beizumessen, unverständlich erscheinen.

Man muss jedoch die Tatsache berücksichtigen, dass die plötzliche Trennung von der Heimat, die Kriegserfahrungen, der Verlust des Elternhauses und die Begegnungen mit Menschen, deren Existenz am Zerfall der Monarchie und dessen Folgen gescheitert war, die Vorstellungen der Dichterin maßgeblich prägten. Trotzdem führte bei ihr der Heimatverlust nicht zu einem inneren Zusammenbruch. Das Land der Kindheit ging zwar für immer verloren und blieb nur noch im Reich des Traumes und der Dichtung

Man muss jedoch die Tatsache berücksichtigen, dass die plötzliche Trennung von der Heimat, die Kriegserfahrungen, der Verlust des Elternhauses und die Begegnungen mit Menschen, deren Existenz am Zerfall der Monarchie und dessen Folgen gescheitert war, die Vorstellungen der Dichterin maßgeblich prägten. Trotzdem führte bei ihr der Heimatverlust nicht zu einem inneren Zusammenbruch. Das Land der Kindheit ging zwar für immer verloren und blieb nur noch im Reich des Traumes und der Dichtung