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In der Königslegende kommt dem entthronten Herrscher Slavatz eine exponierte Stellung zu, doch auch die Rolle der Nebenfi guren darf nicht unterschätzt werden.

Diese machen den Kroatenkönig zu dem, was er am Ende der Handlung ist, nämlich zu einem gottergebenen Menschen. Obwohl die Novelle einen Titel trägt, der sich direkt auf ihren Protagonisten bezieht, und obwohl Slavatz eine überaus deutlich konturierte Gestalt ist, kommt die Königslegende allein mit dieser Figur nicht aus.

Was viel wichtiger als die Funktion der Hauptgestalt erscheint, sind die handlungs-internen Beziehungen, die Wechselwirkung der Personen sowie deren Ähnlichkeiten und Kontraste. In der Novelle haben wir es nicht mit einer dichotomischen Figuren-konstellation zu tun, in der dem Protagonisten ein Antagonist gegenübertritt. Man erkennt keinen eindeutigen Gegenspieler des Helden, stattdessen aber eine Vielzahl mehr oder minder ausgeprägter Gestalten, die verschiedene Funktionen erfüllen.595 Das Fehlen einer zweipoligen Gegenüberstellung und die Präsenz mehrerer Neben-fi guren, die unterschiedlich wichtige Rollen besitzen, wirkt sich aber keineswegs ungünstig auf die Handlungskonstruktion aus. Die auf den Protagonisten einwir-kenden Impulse werden multipliziert und schaffen jene Bedingungen, in denen ein tiefgreifender Sinneswandel des gestürzten Herrschers stattfi nden kann. Der Leser erkennt, dass von den Nebenfi guren Einfl üsse ausgehen, die die psychologische und religiöse Entwicklung des Protagonisten modellieren. Jeder dieser Gestalten kommt in Bezug auf den Handlungsverlauf und die Charakterentfaltung des Protagonisten eine spezifi sche Funktion zu, doch es wäre ein Fehler zu behaupten, dass die Erzäh-linstanz diese Figuren nur deshalb konstruiert und handeln lässt, damit sie Slavatz’

Entwicklungsprozess eine bestimmte Richtung verleihen. Ebenso falsch wäre es zu behaupten, dass alle Gestalten mit Ausnahme des Protagonisten als statische Instanzen konzipiert wurden. Es handelt sich nicht um typisierte Figuren, statische und knapp charakterisierte Handlungsträger, die nicht imstande sind, selbst einen Wandel zu erfahren. Andererseits muss darauf hingewiesen werden, dass die Anzahl an Details, die der Leser über die Nebenfi guren erfährt, stark begrenzt ist, was aber auf die Gattungsspezifi k der Novelle und deren formale Voraussetzungen zurückzuführen ist.

Dies mag wohl der wichtigste Grund sein, weshalb sich diese Personen im Laufe der

594 Ebd., S. 803.

595 Da in der Narration der Hauptfi gur kein eindeutiger Antagonist gegenübersteht, Slavatz aber viele Gegner hat, die sein Schicksal entscheidend beeinfl ussen, gäbe es auch eine alternative Möglichkeit die Hand-lungskonstruktion zu beschreiben. Alle politischen und religiösen Gegenspieler des Kroatenkönigs ließen sich zu einem »kollektiven Antagonisten« zusammenzufassen. Die Konstruktion der Handlung wäre dann zweipolig.

Handlung nicht radikal verändern, keine alternativen Wege einschlagen, ihr Weltbild nicht hinterfragen und nur in manchen Fällen psychologisch vertieft sind. Trotzdem wird so mancher innerer Zwiespalt angedeutet. Als Beispiel dafür kann die viele Jahre zurückliegende Zerrissenheit Stjepans angeführt werden.

Für die Klassifi zierung der Figuren der Königslegende greife ich auf die literatur-wissenschaftlichen Forschungen Edward Morgan Forsters zurück. Dieser britische Romanautor führte in seiner Studie Aspects of the Novel (1927) die Distinktion zwischen

»runden« und »fl achen« Figuren in die Literaturtheorie ein.596 Erstere sind plastisch, variabel und entwicklungsfähig, während letztere Typen sind, die sich erwartungs-konform verhalten und feststehende Merkmale besitzen.597 Überdies können »runde«

Figuren sich in manchen Situationen auch statisch, also »fl ach« zeigen, insofern die Erzählinstanz ihnen dies abverlangt und eine solche Verhaltensweise besser in das Handlungsgefüge eines Textes passt. Trotzdem bereitet die eindeutige Klassifi zierung solcher Charaktere, wie Lucia, Stjepan und Vater Hieronymus gewisse Schwierigkeiten.

Alle drei Gestalten scheinen in dieser Dichotomie keinen Platz zu fi nden und zu keiner der zwei Gruppen zu gehören. Sie repräsentieren eine Art Zwischenstadium.598 Die Zuordnung der anderen Charaktere fällt wesentlich leichter. Während der entthronte Kroatenkönig zweifelsfrei als »runde« Figur klassifi ziert werden kann, sind Petar Junak, Golub und Tomaso »fl ache« Figuren.

Unter den Nebenfi guren der Novelle ist Lucia, neben Stjepan, mit Abstand die wichtigste.

Die Tochter Tomasos, des reichsten Inselbewohners, ist eine Frau einfachen Gemüts.

Lucia hatte wahrscheinlich nie die Möglichkeit das kroatische oder das italienische Festland kennenzulernen. Sie besuchte lediglich einige Eilande in der nächsten Umgebung ihrer Heimatinsel. Obwohl sie behauptet nirgendwo anders wohnen zu wollen, da es keinen besseren Ort auf der Welt gäbe, ist sie eine aufgeschlossene Person. Sie besitzt eine angeborene Klugheit, innere Ruhe und Bescheidenheit, die mit Slavatz’ Ungeduld, Überheblichkeit und falschem Ehrgeiz stark kontrastieren.

Während der entthronte Kroatenherrscher jahrelang von seiner Ichbezogenheit nicht wegkommt, den Kontakt mit der Realität verliert und starken Gefühlsschwankungen unterliegt, steht Lucia stets an seiner Seite und kümmert sich um ihn mit einer großen Hingabebereitschaft, die lange Zeit unerwidert bleibt. Ihre tiefe Hoffnung auf einen inneren Wandel bei Slavatz widerspricht auf den ersten Blick jeglicher Logik und lässt sich nur durch ihre unerschütterliche Liebe zu dem „viel älteren, wortkargen und düsteren Mann“599 erklären. Die Fähigkeit zur bedingungslosen Aufopferung ist wohl die auffälligste Eigenschaft Lucias. Diese Liebe wird nicht schwächer, sogar dann, als Lucia Slavatz’ Vergangenheit kennenlernt und erkennt, dass er Königin Jelena und

596 Vgl. Nicolas PETHES: Helden, Hunde, Eigenschaften. Figurenkonzepte in der literarischen Narration, in: Rainer LESCHKE, Henriette HEIDBRINK (Hrsg.): Formen der Figur. Figurenkonzepte in Künsten und Medien, Konstanz 2010, S. 93.

597 Vgl. ebd.

598 Die Nichtberücksichtigung der vielen Zwischenstadien und Übergänge ist auch einer der Gründe, weshalb Forsters Dichotomie von der israelischen Literaturwissenschaftlerin Shlomith Rimmon-Kenan in Frage gestellt wurde (vgl. ebd.).

599 Paula von PRERADOVIĆ: Königslegende a.a.O., S. 829.

seinen erstgeborenen Sohn Michael „mehr geliebt hatte als sie und ihre Kinder und daß in Slavatz’ Seele vielleicht Ruhe, aber kein Glück mehr eingekehrt war“.600 Statt Slavatz Vorwürfe zu machen und seine Selbstsucht zu bemängeln, „suchte sie dem Glücklosen vom Überschwang ihrer Seligkeit mitzuteilen […]“.601 Lucias Hingabe, die Slavatz’ Los erträglich macht, hängt nicht nur mit ihrer Verliebtheit zusammen. Sie beruht auch auf tiefem Mitleid mit einem verletzten, hilfsbedürftigen Menschen und ist somit gleichermaßen eine tätige Nächstenliebe, die mit der christlichen Tugend der Karitas identifi ziert werden kann.602 Das uneigennützige Wohlwollen der Fischerstochter zeugt einerseits von ihrem ausgeprägten Einfühlungsvermögen, andererseits legt ihre Haltung auch die Vermutung nahe, dass in ihrem Leben christliche Beweggründe eine wichtige Rolle spielen.

Was an Lucia besonders auffällt, ist die große Freude über ihre Mutterschaft. Nach monatelanger Trennung von Slavatz kehrt die junge Frau auf ihre Heimatinsel zurück.

Folgende Passage beschreibt die Wiederbegegnung mit dem Vater ihres Kindes:

[…] einen Augenblick später erkannte er [Slavatz – Anm.: M.S.] Lucia, die blühender und voller, als er sie gekannt hatte, vor ihm stand und einen drallen, dunkelhaarigen Knaben auf dem Arm sitzen hatte. Lucia hielt ihm […] das Kind mit einem so strahlenden glücklichen Ausdruck entgegen, daß er zu dieser Stunde allen tiefen Gram seines Lebens vergaß, das Weib umhalste und liebkoste und den Knaben auf seinem Arm sitzen ließ. Lucia lachte und jubelte wie ein seliges Kind, sie lehnte sich an Slavatz, streichelte seine Hände und ließ es sich nicht genug sein an freudigem Getue. „Siehst du ihn? Siehst du ihn? Da ist er. Er schaut dir gleich!“ Und sie rieb ihre Stirn fast jammernd vor Glück an Slavatz’ Schulter, umarmte ihn aufs neue, jubelte […] drückte das Köpfchen des Kindes in Slavatz’ Bart, so daß es zu weinen anfi ng und sie es wieder zu sich nehmen mußte.603

Lucias Glück wird durch die Tatsache nicht getrübt, dass ihre Schwangerschaft Slavatz anfangs bekümmerte und dass sein Verhalten ihr gegenüber im Grunde unvorhersehbar war. Obwohl sie nicht wissen kann, ob Slavatz seine Pfl ichten als Vater wahrnehmen wird, ist sie vor Freude ganz außer sich. Sie fi ndet in der neuen Rolle Glück und Erfüllung. Paula von Preradović projiziert ihre Vorstellungen von der Mutterschaft in die Gestalt Lucias. Diese entsprechen dem christlichen Bild der Frau, zu dessen

600 Ebd., S. 830.

601 Ebd.

602 Der Kärntner Germanist und Slawist Reginald Vospernik weist auf eine Begebenheit hin, welche die starke Präsenz der Idee der christlichen Nächstenliebe sowie anderer sozialer Ideen in Preradović‘ Texten seit den dreißiger Jahren erklärt. Nach der Lektüre Enrica von Handel-Mazzettis Hochzeit von Quedlinburg zeigte sich Preradović in einem Brief an die Schriftstellerin (1932) von dem Ideengehalt dieses Werkes beeindruckt.

Sie erkannte, dass die Liebe den Sinn des Lebens ausmacht. Diese Botschaft wurde nun auch zu einem Leit-gedanken ihrer eigenen Texte. (vgl. Reginald VOSPERNIK, a.a.O., S. 28f.) In der Königslegende schlägt sich diese z.B. in folgenden Worten des Mönchs Hieronymus nieder, die der Benediktinerpater an Slavatz richtet:

„Lieben sollen wir und nicht hassen […] Lieben und nicht hassen, mein Bruder“ (Paula von PRERADOVIĆ: Königslegende, a.a.O., S. 841).

603 Ebd., S. 827.

wichtigsten Komponenten die physische oder geistige Mutterschaft zählt und das in der Marientheologie wurzelt.

Lucia besitzt ein Feingefühl, das ihr hilft die Neugier zu bezähmen und ihren Mann nicht nach seiner Vergangenheit zu fragen. Sie weiß mehr, als Slavatz denkt, doch strebt sie nie danach von ihm Antworten auf immer noch offene Fragen zu erhalten.

Ihr diskretes Auftreten wird folgendermaßen beschrieben:

Mit der Zeit hatte Lucia aus ihrem Vater einiges über Slavatz’ erlauchte Herkunft und über sein Unglück herausgefragt, doch sprach sie mit einer Zartheit, die für ihren schlichten Stand kaum begreifl ich war, zu ihrem Gatten nie davon, sie stellte ihm keine Fragen und empfand keine Eifersucht auf dessen erste Frau und ersten Sohn […].604

Was aber besonders an Slavatz’ und Lucias Beziehung auffällt, ist die Tatsache, dass nicht der hochgeborene und welterfahrene Mann die einfache Fischerstochter beein-fl usst, sondern dass Lucia auf Slavatz einwirkt, seine Entwicklung fördert und ihm den Übergang zu einem neuen, authentischen Leben ermöglicht. Gleichzeitig gehen von Lucia Impulse aus, die für die Formung Slavatz’ neuen religiösen Weltbildes von Bedeutung sind. Es wäre jedoch falsch zu behaupten, dass der Kroatenherrscher erst auf der entlegenen Adriainsel zu einem tiefgläubigen Christen wird. Dem ist nicht so. Vieles weist darauf hin, dass er bereits vor seiner Verbannung starkes Interesse für religiöse Fragen zeigte. Slavatz sei „in seinen guten Tagen ein frommer Mann gewesen […]“.605 Er habe „mit seinen Hofkaplänen über das Neue Testament disputiert und die Schriften der Kirchenväter, zumal jene des großen Johannes Chrysostomus, mit Eifer gelesen […]“.606 Seine Entscheidung für das östliche Christentum und die slawische Liturgie einzutreten war weniger politischer, sondern mehr religiöser Natur.607 Der Kontakt mit Lucia, der ihn paradoxerweise anfangs Gott entfremdet, da er der Sünde des Ehebruchs verfällt, lässt ihn letzten Endes dem Schöpfer näher kommen.

Er entledigt sich seiner Eitelkeit, gewinnt einen tieferen Glauben und lernt auf Gott zu vertrauen. Lucias Rolle ist für Slavatz’ Entwicklung von unschätzbarem Wert. Sie konstituiert die herausragende Position der Fischerstochter im Handlungsgefüge der Novelle.

Eine andere Gestalt, die eine große Bedeutung für die innere Entwicklung des Prot-agonisten hat, ist Stjepan. Der Neffe König Petar Krešimir IV. aus der Trpimirović-Dynastie wurde, wie es im Text heißt, von seinem Konkurrenten in ein Kloster verbannt. Stjepan war zwar der legitime Thronfolger, doch die kroatischen Stämme sollen Slavatz aus dem Adelsgeschlecht der Kačići zum König gewählt haben. Kurz darauf entledigte sich der neue Herrscher seines Rivalen. Dieser wurde Mönch in einem Benediktinerkloster in Split. Zur Begegnung der beiden kommt es kurz nach

604 Ebd., S. 830.

605 Ebd., S. 819.

606 Ebd.

607 Die Kroaten waren auf die slawische Liturgiesprache stolz, da diese in ihrem Land bereits seit dessen Christianisierung verwendet wurde (vgl. Kurt EIGL: Nachwort zu »Königslegende«, S. 846).

der Ankunft des besiegten »Ketzerkönigs« in der Hauptstadt Dalmatiens. Er wird von Stjepan im Spliter Kloster in seiner Zelle aufgesucht. Folgende Passage beschreibt den ersten Eindruck Slavatz’ von dem Ordensbruder:

Ein jüngerer Mönch stand vor ihm. Er hielt die Hände in den weiten Ärmeln seiner Kutte verborgen und sah Slavatz mit einem seltsam friedlichen und doch willensstarken Blick an.

Ein zuchtvoller Mund lächelte ihm ruhig zu. Der Mönch war mittelgroß und wohlgebaut.

Die schwarze Kutte, die kurze Kaputze, der harte, starke Ledergürtel, alles kleidete ihn wohl. Slavatz konnte sich dem Gefühl nicht verschließen, daß dies ein Mensch war, der seinen Willen zum Opfer gebracht und doch nicht eingebüßt, der auf die Lust verzichtet hatte und dennoch von innerer Freude bewohnt war.608

Slavatz glaubt anfangs, Stjepan sei über den Machtwechsel in Kroatien froh und käme, um seiner Schadenfreude Ausdruck zu verleihen.609 Dem ist aber nicht so. Der Ordensbruder sagt zu seinem ehemaligen Konkurrenten: „Vorzeiten dachte […] ich, du habest mir Böses getan, aber heute weiß ich es anders. Was soll ich tun, um dich zu überzeugen, daß ich mich deiner Schmach nicht freue?“.610 Zudem scheint er sogar Mitleid mit dem „geschlagenen Mann“611 zu empfi nden. Man erkennt, dass Stjepan in den Monaten seiner Verbannung einen inneren Wandel erlebte und dass er nun seine Erfahrung mit Slavatz teilen will. Gott habe die beiden „zu Brüdern im Verzicht gemacht“612, meint der verbannte Trpimirović. Anschließend fügt er Folgendes hinzu:

[…] Slavatz, schreib es in dein Herz: es ist nicht so schlimm, kein König zu sein. Als ich, vom Stamme Kačić gezwungen, hier im Kloster verschwinden mußte, war ich tief verzweifelt und habe mich aufgebäumt. Ich habe die Tage und Nächte durchtobt und durchschrien. Ich habe, Gott verzeihe es mir, Flüche gegen dich und dein Geschlecht geschleudert. Aber ich

608 Paula von PRERADOVIĆ: Königslegende, a a.O., S. 788.

609 Stjepan war, ähnlich wie Krešimir IV., ein Anhänger der römisch-katholischen Kirche und ein Befür-worter der Reformierung der kroatischen Liturgie in Anlehnung an den römischen Ritus. Zugleich wollte er aber „[…] den heiligen Willen und Brauch des Volkes, seine tiefe und wilde Liebe zu den eigenen Wurzeln mit der neuen großen Ordnung […], die im Abendland herrscht […]“ (ebd., S. 792f.), versöhnen. Während der Begegnung mit Slavatz legt Stjepan seine Ansichten offen dar. Folgende markante Aussage des Mönchs verleiht seiner romfreundlichen Haltung Ausdruck: „[…] Wir sind keine Morgenländer. Unsere Berge und unsere Küsten blicken nach Abend. Wir gehören zur abendländischen Christenheit […] dies habe ich mir hervorgedacht […]: Daß unser Volk fest in der eigenen Erde wurzeln, aber nach Westen schauen muß“ (vgl.

ebd., S. 793). Nicht ohne Bedeutung ist die Tatsache, dass Stjepan den Wert der kroatischen Bräuche erkennt und diese nicht verwerfen will. Er wünscht sich vielmehr einen Kompromiss zwischen den Traditionen seines Volkes und der Ordnung der römischen Kirche. Man kann annehmen, dass gerade durch die Figur Stjepans die Erzählerin ihr Verständnis für das Anliegen der Kroaten, ihre Bräuche und die Liturgiesprache zu bewahren, ausdrückt. An dieser Stelle sei deshalb auf das Kapitel über die Broschüre Ein Jugendreich verwiesen, in der von den Ideen der »liturgischen Bewegung« die Rede ist. Diese Bewegung, deren Anhängerin Paula von Preradović war, bereitete den Boden für das 2. Vatikanische Konzil und die Einführung der Nationalsprachen in die römisch-katholische Liturgie.

610 Ebd., S. 789f.

611 Ebd., S. 791.

612 Ebd., S. 790.

habe es überwunden. Glaube mir: Als einer unter vielen gehorsamen Mönchen bin ich jetzt glücklich. Ich habe gelernt, daß wir geborgen sind, wenn wir Gottes Willen annehmen und Gottes Dienst über alle Dinge stellen.613

Obwohl Stjepans Worte bei Slavatz anfangs auf Ablehnung stoßen, wird diesem nach und nach bewusst, dass sein ehemaliger Gegner zu einer wichtigen Erkenntnis gelangt war. Als Stjepans Versuche aus eigener Kraft eine Wende herbeizuführen scheiterten, vertraute dieser sein Schicksal Gott bedingungslos an. Es gelang ihm sich zu einem bewussten Verzicht auf seine Ansprüche durchzuringen und das ihm aufgebürdete Los in Demut zu ertragen. Stjepans Duldsamkeit darf aber keineswegs mit Resignation verwechselt werden. Es handelt sich vielmehr um bewusste Entsagung, die mit einer grundlegenden Veränderung der Wertvorstellungen einher geht. Der Mönch erkannte, dass die Versuche seinen Willen um jeden Preis umzusetzen ihn von Gott entfernten und dass sein Leben von Eitelkeit vergiftet wurde. Langsam begann er zu verstehen, dass er die Möglichkeit Dinge zu tun, die ihm zwar erstrebenswert erschienen, aber Gottes Absichten nicht entsprachen, als Prüfung betrachten sollte. Nur die göttlichen Wege seien für einen Christen die richtigen, alle anderen brächten ihn nicht ans Ziel. Die Aufgabe des Christen sei es Gottes Pläne zu verwirklichen und dessen Willen für das eigene Leben zu erkennen. Das Gebot Gottes Pfade zu suchen wird im Brief des Paulus an die Römer besonders deutlich artikuliert.614 Stjepan nahm sich diese Weisung besonders zu Herzen. Er ist bestrebt seine Erkenntnis an Slavatz weiterzugeben. Obwohl er anfangs auf taube Ohren stößt, bleibt die Begegnung der beiden Männer nicht ohne Folgen für den entthronten Narentaner. Stjepans Worte prägen sich stark in sein Gedächtnis ein und werden mit der Zeit zu einem wichtigen geistigen Wegweiser.

Auch Slavatz’ persönliche Einstellung zu Stjepan verändert sich im Laufe der Jahre.

Noch lange nach ihrer Begegnung betrachtet der verbannte Kačić den Benediktiner als einen Konkurrenten. Langsam weicht jedoch seine Abneigung einem Gefühl der Geistesverwandtschaft. Als Assor den Trpimirović in einem der Lieder erwähnt, denkt Slavatz mit einem gewissen Behagen an Stjepans Erfolg und freut sich fast, „daß sein Nebenbuhler, in dem er einen so starken und so gebändigten Willen gefühlt hatte, nun doch noch eine Weile die Krone getragen hatte“.615 Die Nachricht von dessen Tod betrübt ihn. Er fühlt, „daß es ihn mehr schmerzte als alles übrige, zu wissen, daß Stjepan tot war“616, denn er meint „tief in seinem Herzen zu wissen, daß, was Stjepan in seiner festen und leisen Art für recht erklärt hatte, wahrer und richtiger gewesen war als sein eigener leidenschaftlicher Kampf“.617

613 Ebd., S. 792.

614 „Angesichts des Erbarmens Gottes ermahne ich euch, meine Brüder, euch selbst als lebendiges und heiliges Opfer darzubringen, das Gott gefällt; das ist für euch der wahre und angemessene Gottesdienst. Gleicht euch nicht dieser Welt an, sondern wandelt euch und erneuert euer Denken, damit ihr prüfen und erkennen könnt, was der Wille Gottes ist: was ihm gefällt, was gut und vollkommen ist.“ (Röm 12,1–2)

615 Paula von PRERADOVIĆ: Königslegende, a.a.O., S. 838.

616 Ebd., S. 843.

617 Ebd.

3.6 Die Königslegende im Kontext der späten vierziger und