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1933 kam es in Deutschland zur »Machtübernahme« durch die Nationalsozialisten.

Paula von Preradović verfolgte die Geschehnisse im Nachbarland und man kann annehmen, dass diese nicht ohne Einfl uss auf ihren Roman blieben. Pave und Pero erschien 1940, also bereits nach dem »Anschluss Österreichs« an das Dritte Reich.

Die Ereignisse der Märztage 1938 beschrieb eindrucksvoll u.a. der Schriftsteller Carl Zuckmayer. Er stellte nicht nur den im Untergang begriffenen Staat, sondern auch den Zusammenbruch eines moralischen Wertesystems dar. Folgende Passage gibt darüber Aufschluss:

An diesem Tag brach die Hölle los. Die Unterwelt hatte ihre Pforten aufgetan und die niedrigsten, scheußlichsten, unreinsten Geister losgelassen. Die Stadt verwandelte sich in ein Alptraumgemälde des Hieronymus Bosch: Lemuren und Halbdämonen schienen aus Schmutzeiern gekrochen und aus versumpften Erdlöchern gestiegen. Die Luft war von einem unablässigen, gellenden, wüsten hysterischen Gekreische erfüllt, aus Männer- und Weiberkehlen, das tage- und nächtelang weiterschrillte […]. Was hier entfesselt wurde,

427 Ebd., S. 738f.

428 Einen deutlichen Wendepunkt in Petar Preradović’ literarischem Schaffen bildet die Ode Smrt (Der Tod, 1856). In dieser Dichtung wird das Todeserleben des lyrischen Subjekts ins Allgemeinmenschliche erhoben.

Nach den unheilvollen Erlebnissen des Jahres 1855 verändert sich die pathetisch-rhetorische Grundhaltung des Dichters. Es entfaltet sich das religiös-metaphysische, refl exive, oft abstrakte Wesen seiner Poesie in einer Gedankenlyrik großen Stils. Mit dieser neuen Lyrik wurden die ewigen Gedanken der Menschheit über Liebe und Tod, Gott und Ewigkeit zum ersten Mal auf so feierliche und erhabene Weise in der kroatischen Sprache ausgesprochen. Die Lyrik aus der zweiten Schaffensphase ist Petar Preradović’ wichtigstes Verdienst für die kroatische Literatur (vgl. Rudolf JAGODITSCH, a.a.O., S. 197f.).

hatte mit der »Machtergreifung« in Deutschland, die nach außen hin scheinbar legal vor sich ging […] nichts mehr zu tun. Was hier entfesselt wurde, war der Aufstand des Neids, der Missgunst, der Verbitterung, der blinden böswilligen Rachsucht – und alle anderen Stimmen waren zum Schweigen verurteilt […]. / Es war ein Hexensabbat des Pöbels und ein Begräbnis aller menschlichen Würde.429

Diese Ereignisse – vor allem aber die brutale Judenverfolgung, des Weiteren auch die Beseitigung der politischen Gegner, insbesondere der Austrofaschisten und Monarchisten – haben mit großer Wahrscheinlichkeit in der Psyche der Schriftstellerin dauerhafte Spuren hinterlassen. Die Erfahrung des Nationalsozialismus war für sie umso schmerzhafter, als die Diktatur versuchte die Vergangenheit Österreichs – eines ehemals multikulturellen und multiethnischen Staates – zu verunstalten oder aus dem Gedächtnis seiner Bewohner zu tilgen. Auch die teils offene Kritik der Nazis an den christlichen Wertevorstellungen war für Paula von Preradović ein Grund zur Unruhe.

Schlagen sich die Beobachtungen und Erfahrungen der Autorin aus den Jahren 1933–1940 in dem Text nieder? Nicht unmittelbar. Man kann jedoch feststellen, dass sie den Versuch unternahm, ein literarisches Gegengewicht zu der in ihren Augen unerträglichen Realität zu schaffen. Die Protagonisten des Romans artikulieren deutlich ihre Überzeugung, dass eine friedliche Koexistenz mehrerer Nationen und Ethnien in einem Staat möglich und sinnvoll ist. Mehr noch, Paves Bruder Toni spricht die nahezu prophetischen Worte, dass die zu jener Zeit nach Unabhängigkeit strebenden Völker sich möglicherweise in Zukunft freiwillig zu einem vereinten Europa zu-sammenschließen werden. An dieser Stelle sei an die Bekanntschaft Preradović’ mit Ida Friederike Görres erinnert, von der die Dichterin wertvolle Anregungen empfi ng und deren Bruder, der Schriftsteller und Politiker Richard Nikolaus Coudenhove-Kalergi 1924 die »Paneuropa-Union« – die älteste europäische Einigungsbewegung gründete. Seine Idee, die bereits in den zwanziger Jahren internationales Aufsehen erregte, inspirierte womöglich die Autorin, als sie dem kaiserlichen Offi zier folgende historiosophisch geprägte Worte in den Mund legte:

[…] Jahrhundertelang hat die österreichische Idee die Völker des mittleren, südlichen und östlichen Europa zusammengefasst und geführt: die Idee nämlich eines Reiches, in dem viele Völker, die sonst in Zwist und Armut und Schutzlosigkeit nebeneinander wohnen würden, gesichert beisammen leben können. Es ist eine heilige, eine ganz und gar glorreiche Idee, eine, für die zu sterben es wohl dafürstünde und für die auch viele gestorben sind. […] / Was wir im Jahre achtundvierzig überall erlebt haben, kam mir vor wie eine gewaltsame eigene Mündigkeitserklärung der Völker […] Sie wollen nun ihre eigenen Sprachen zu herrschenden Sprachen machen, und ihre Länder, die dem Kaiserreich eingegliedert sind, zu souveränen Staaten. Was gleichen Blutes ist, strebt zueinander. […] / […] die Zeit des übernationalen Reichsgedankens ist eben vorbei, und die Zeit des Nationalgefühls ist gekommen. In der Zucht und im Schutz unseres Reiches haben die Völker ihre Kinderstuben gehabt, nun wollen sie ihr Jünglingsalter in der Sonne ihres Freiheitsgefühls verleben. Und ich ahne,

429 Carl ZUCKMAYER: Als wär’s ein Stück von mir. Erinnerungen, Frankfurt am Main 1969, S. 61.

daß ihr Gefühl mit der Zeit so stark werden wird, daß es unser Vielvölkerreich, unseren Kaiserstaat und den Gedanken, den er verkörpert, zertrümmern wird. […] Aber […] ich frage mich oft, ob die Völker sich nicht später, in der Zeit ihrer Mannbarkeit, doch wieder irgendwie zusammenschließen werden? Dann wird dieses unser Österreich, so wie wir es heute kennen, nicht mehr leben, aber ein neues Reich, oder wie die Form dann heißen mag, wird die vielen wieder vereinigen, weil sie es nützlich fi nden werden, beisammen zu sein.

Heute will das neue, warme Gefühl sein Recht, aber, wer weiß, in hundert oder in zweihundert Jahren wird der alte glorreiche Gedanke seine Kraft wiedergewinnen.430

Liebevoll malte Preradović in ihrem Roman ein idealisiertes Bild des alten Österreich samt seiner kulturellen Vielfalt, das den Leser in eine bessere, vermeintlich heile Welt zurückversetzen soll. Wie bereits am Anfang des Kapitels erwähnt, wurde später die Bedeutung des Werkes und dessen oppositionelle Grundhaltung gegenüber dem Nationalsozialismus von Ernst Molden überzeichnet dargestellt, was in seinen Skizzen zu einem Porträt deutlich erkennbar ist. Auf jeden Fall kann aber festgestellt werden, dass der christliche und übernational-universalistische Ideengehalt des Textes in einem deutlichen Gegensatz zur NS-Ideologie steht, von daher auch auf Ablehnung seitens der staatlichen Behörden stoßen musste und von den Gegnern des Regimes mit Wohlwollen empfangen wurde. In einer Zeit der Wertediffusion hob Preradović die Gültigkeit christlicher Werte hervor. Darin besteht auch das wichtigste Verdienst der Autorin und ihres Romans.

Eines der Motive, die sich in Preradović’ Texten ständig wiederholen, ist der Heimat-verlust. In den nächsten Kapiteln soll davon noch die Rede sein. An dieser Stelle sei allerdings schon angedeutet, dass die Dichterin durch den Zerfall der Habsburgermo-narchie nach dem Ersten Weltkrieg selbst ihre Heimat verlor. Sie wusste aus eigener Erfahrung, wie schwer es ist, zu einem Leben in der Fremde gezwungen zu sein. Pave ist im Roman diejenige, die ihre Heimat verliert. Sie verlässt Dalmatien aus Liebe zu ihrem Mann und kehrt nie mehr zurück. Ihr Wunsch, zumindest an einem anderen Ort sesshaft zu werden, geht nie in Erfüllung. „Das Wichtige ist doch, daß man dort leben kann, wo man geboren ist […] Daß man nicht in der Fremde wohnen muß, fremde Sprachen reden, fremde Bräuche mitmachen, fremde Speisen essen. […]“431, sagt Pave zu Toni. Ihre symbolträchtigen Worte drücken das Bedürfnis nach Bodenständigkeit und Geborgenheit aus. Zugleich erinnern sie an die Tatsache, dass auch die Dichterin von dem Problem des Heimatverlustes betroffen war.

430 Paula von PRERADOVIĆ: Pave und Pero, a.a.O., S. 580ff.

431 Ebd., S. 579.