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Maurinns Erscheinen auf Iona676 stürzt Columba in die schwerste Selbst- und Glaubens-krise seines Lebens. Er sieht sich von Gott verlassen und beginnt an seiner Berufung zu zweifeln. Diese tiefgreifende Erfahrung, welcher der Heilige hilfl os gegenübersteht, teilt manche Merkmale mit dem Phänomen der »Nacht des Geistes«, welches im 16.

Jahrhundert von dem spanischen Karmeliten, Mystiker und Kirchenlehrer Johannes vom Kreuz beschrieben wurde. Obwohl eine genaue Übereinstimmung bei näherer Betrachtung ausgeschlossen werden muss, sind auf den ersten Blick mehrere Parallelen zu erkennen.677 Der Theologe Günter Benker schilderte die »Nacht des Geistes« als einen Zustand, in dem der Mensch „in die hautnahe Berührung mit dem Nichts d.h.

in völlige Trockenheit und scheinbar totale Gottverlassenheit und Verirrtheit gestoßen

674 Vgl. Reginald VOSPERNIK: Paula von Preradović. Leben und Werk, a.a.O., S. 138.

675 Vgl. »Legende«, in: Eva Beate BODE (Hrsg.): a.a.O., S. 466.

676 Das in der Novelle geschilderte Ereignis ist in das Jahr 563 oder 564 zu setzen. Es handelt sich also um die Zeit kurz nach der Ankunft Columbas mit seinen zwölf Gefährten auf der Insel. Maurinn wäre damals 27 oder 28, Columba 41 oder 42 Jahre alt gewesen. (vgl. Kurt EIGL: Nachwort zu »Die Versuchung des Co-lumba«, a. a. O., S. 887)

677 Es lässt sich heute nicht mehr feststellen, ob Preradović die Schriften des heiligen Johannes vom Kreuz kannte. Man kann jedoch annehmen, dass ihr deren Problematik wenigstens in groben Umrissen bekannt war, da sie sich ständig bemühte ihr religiöses Wissen zu vertiefen. Davon zeugt u. a. die Teilnahme an den Bibel-lesungen im Churhaus am Stephansplatz. Eine andere Wissensquelle stellten für Preradović die Diskussionen in der »Leo-Stube« bzw. die privaten Gespräche mit Bekannten dar. Ernst Molden erwähnte in den Skizzen zu einem Porträt, dass seine Frau häufi g religiöse Literatur las, aber auch zahlreiche Anregungen von ihren Freundinnen, den christlichen Schriftstellerinnen Oda Schneider und Elisabeth Friederike Coudenhove-Kalergi empfi ng (vgl. Ernst MOLDEN: Skizzen, a.a.O., S. 57).

wird“.678 Christen, die sich in einem solchen Zustand befi nden, haben keine Freude am Gebet und an der Meditation, sie empfi nden sogar eine Art Abneigung dagegen und fühlen sich, als ob Gott sie verstoßen hätte. Die Frage, weshalb Gott eine solche Erfahrung zulässt, erklärt Benker folgendermaßen, indem er sich dabei auf die Schriften des heiligen Johannes vom Kreuz beruft: In jedem Menschen seien „einige […] geistige Fixierungen vorhanden, die ihn […] an der Vereinigung mit Gott sowie am Durchbruch zu sich selbst […] hindern“.679 Zu diesen geistigen Unvollkommenheiten zählt Johan-nes u.a. „die »Anmassung«, den »Hochmut« und den »Stolz«, die aus dem Hängen an den bisherigen spirituellen Erfahrungen erwachsen […]“.680 Weiter heißt es bei Benker, dass „nur durch einen […] Eingriff Gottes […] diese letzten, meist schwer zu durchschauenden Verhaftungen des alten Menschen aufgegeben“681 werden könnten.

Erst dann sei die Geburt eines „neuen Menschen des Geistes“682 möglich.

Als Columba seinen ersten »Gebetssturm« beginnt, der Maurinn zur Besinnung bringen soll, fühlt er bereits, dass ihm das Gespräch mit Gott schwerfällt. Mit jeder Stunde wird sein Unvermögen die Gedanken auf Gott zu richten größer, bis er schließlich verschämt den Hügel, auf dem er seine Gebete abzuhalten pfl egte, verlässt. Benker legte die Erfahrung, von der Columba überwältigt wurde, folgendermaßen dar: „Der Mensch in der Nacht des Geistes fühlt sich nicht mehr in der Lage zu beten, was durch die Überzeugung, Gott weise das Gebet ab, noch verstärkt wird“.683 In der Novelle wurde die Szene Columbas letzten Gebets, nach dem er bedrückt vom einsamen Hügel am Meeresstrand fl ieht, so beschrieben:

Wehenden Haares […] stand Columba auf dem Strandfelsen, und indes er die Arme zum Gebet ausbreitete, sah er auf das stürmische Meer hinaus. […] All diese vielfache Bewegung […] sah Columba wohl mit seinem äußeren Auge, doch trachtete er danach, mit dem Auge seiner Seele nach innen zu schauen, wo ihm sonst und auch noch an den beiden verfl ossenen Gebetstagen alsbald Gottes schwer erahnbares Angesicht heranzu-dämmern pfl egte. Heute aber lösten sich seine Gedanken noch stärker als am Tag zuvor in sehnsüchtige Bilder auf; er war nicht imstande, sein inneres Gesicht mit Festigkeit auf Gott zu richten. […] Da aber kam eine große Möwe nahe vorbeigeschossen und stieß einen schrillen Ruf aus; Columba erschrak, raffte sich zusammen und, voll Scham über die Abwege, die seine Gedanken gegangen waren, verließ er seinen Gebetsplatz […].684 Gott nimmt dem Mönch seine übernatürlichen Fähigkeiten. Dieser sieht keine Engel mehr, das Licht, das aus seiner linken Hand während des Abschreibens der Psalmen zu strömen pfl egte, verlischt. Er ist nicht mehr imstande die Verletzung seines

ver-678 Günter BENKER: Die »Dunkle Nacht« der Ganzwerdung. C.G. Jung und der Mystiker Johannes vom Kreuz, in: »Analytische Psychologie«, 30, 1999, S. 12.

679 Ebd.

680 Ebd.

681 Ebd.

682 Ebd.

683 Ebd., S. 14.

684 Paula von PRERADOVIĆ: Die Versuchung des Columba, a.a.O., S. 871f.

wundeten Mitbruders zu heilen. Vieles von dem, was er bisher als selbstverständlich empfunden hatte, wird ihm genommen. Die direkte und innige Beziehung zu Gott löst sich von einem auf den anderen Augenblick auf. Seine Vorstellungen von Gott, der Welt und sich selbst bekommen einen tiefen Riss. Es geschieht das, was Benker in seinem theologischen Text folgendermaßen darlegt:

So entschwinden in der Nacht des Geistes die bisher als tragfähig erlebten Selbstkonzepte, die geistigen und religiösen Überzeugungen des Menschen und, was sich besonders schmerzhaft auswirkt, seine bislang gemachten Erfahrungen in der Beziehung mit Gott, das Erahnen seiner Gegenwart und seines Wirkens, ins tiefste Dunkel des Zweifels, der Trockenheit und inneren Leere.685

Obwohl Gott in Columbas Leben präsent bleibt, entzieht er ihm seine Erfahrbarkeit, damit dieser „seine bisher gewohnte Art und Weise des Umgangs mit Gott loslässt.

Er soll sowohl von seinem falschen Begehren nach Gotteserfahrungen frei werden als auch von allen […] selbstgemachten Gottesbildern, die immer unzureichend und zu eng sind. Er muss lernen, Gott den sein zu lassen, der er ist, der immer »ganz Andere«, über den der Mensch nicht verfügen kann“.686 Als Gott Columba dieser geistigen Prüfung unterzieht, zweifelt der irische Mönch an dessen Allgegenwart.

Sein Glaube erlahmt, trotzdem bleibt er in Gottes Hand. Eine Grundprämisse der christlichen Theologie besagt, dass der Mensch seit seiner Erschaffung von Gott abhängig bleibt. Ob er damit einverstanden ist, ob er daran zweifelt oder ob er dies ablehnt und bestreitet, ist nicht von Bedeutung, denn Gottes Allmacht und Allge-genwart besteht jederzeit fort.687 So heißt es im Buch der Psalmen: „Du umschließt mich von allen Seiten / und legst deine Hand auf mich. / […] / Wohin könnte ich fl iehen vor deinem Geist, / wohin mich vor deinem Angesicht fl üchten? / Steige ich hinauf in den Himmel, so bist du dort; / bette ich mich in der Unterwelt, bist du zugegen. / […] / auch dort wird deine Hand mich ergreifen / und deine Rechte mich fassen […]“.688

Der Ausklang der Krise, welcher mit Columbas innerem Wandel einhergeht, wird von äußeren Zeichen begleitet. Zuerst sieht der Abt „mit Jubel das milde Licht seiner linken Hand entströmen“.689 Anschließend erfährt er, dass Bruder Fursa nicht gestorben, sondern nur scheintot gewesen sei. Nun wäre aber „[…] seine Starrheit von ihm gewichen“.690. Wenn man berücksichtigt, dass Fursa in die »Starre« fi el, als Columba am Tiefpunkt seiner Krise angelangt war, dann versteht man auch, dass seiner »Auferstehung« in dem neuen Kontext eine wichtige symbolische Bedeutung zukommt. Die Freude des Abtes ist umso größer, als er sich nun der

685 Günter BENKER, a.a.O., S. 13.

686 Ebd.

687 Vgl. Thomas ZIMMERMANN, a.a.O., S. 5.

688 Psalm 139,5–10.

689 Paula von PRERADOVIĆ: Die Versuchung des Columba, a.a.O., S. 880.

690 Ebd., S. 881.

Tatsache bewusst geworden ist, dass Gott ihm seine Sünden vergeben hat. Voller Glückseligkeit verkündet er: „Da mein Sohn Fursa mir wiedergegeben ist, sehe ich, daß mir vieles vergeben wurde“.691

Der Leser erfährt leider wenig über das Seelenleben und die Gedanken Columbas nach der Überwindung der Krise, doch das Bild des Abtes, der sich mit seinen Gefährten auf den Weg ins Piktenland macht, lässt den Rezipienten die Aufbruchstimmung erahnen, die sich auf Iona breitmachte. Die schmerzhafte Erfahrung stärkte Columba, er fasste neues Vertrauen in Gott und entschloss sich seine Mission zu vollenden. Günter Benker schrieb, dass dem Menschen erst nach dem schmerzhaften Reifungsprozess, der durch die Erfahrung der »Nacht des Geistes« eingeleitet wurde und in dem er

„alle unzulänglichen Vorstellungen losgelassen hat und sein Herz weit geworden ist“692, bewusst werde, dass „das qualvolle Dunkel nichts anderes war als Gott selbst in seiner mit nichts vergleichbaren Liebe“.693 Eine solche Schlussfolgerung muss auch Columba gezogen haben.