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Die Königslegende im Kontext der späten vierziger und der fünfziger Jahre

Obwohl die Handlung der Novelle in einer weit entfernten Vergangenheit spielt, ist ihr Ideengehalt durchaus aktuell. Sie bietet Antworten auf Fragen, die vor allem den Lesern in den fünfziger Jahren gegenwartsnah erscheinen mussten. Die Germanistin Joan Kristin Bleicher deutet darauf hin, dass historische Prosa häufi g zur Auseinandersetzung mit zeitgenössischen gesellschaftlichen Zuständen genutzt wird, denn erst durch die Verfremdung des Aktuellen in eine andere Zeit, eine andere historische Dimension und gesellschaftliche Realität hinein, eine distanzierte Sicht der gegebenen Umstände und der sie bedingenden Ursachen überhaupt erst möglich zu sein scheint.618

Es wäre falsch anzunehmen, dass Preradović’ Erinnerungen an die Gräuel der beiden Weltkriege und die Not der Nachkriegsjahre die Wahl der Thematik nicht maßgeblich beeinfl ussten. Kurt Eigl vertritt die Auffassung, dass der zeitlose Aspekt von Slavatz’

Schicksal im Kontext dieser Erfahrungen entscheidend war und dass „er durch die notvollen Umstände jener Jahre zum Treibenden der Gestaltung wurde“.619 Neben den zahlreichen Kriegsbildern prägte sich eines in Preradović’ Gedächtnis besonders stark ein: Menschen, die die Kampfhandlungen überlebt hatten, verloren häufi g ihre Heimat.

Ethnische Säuberungen, Grenzverschiebungen, Vertreibungen oder der Verlust von Familienangehörigen und Freunden zwangen die Überlebenden zu einem Neuanfang auf den Trümmern ihrer alten Existenz, oft an einem anderen Ort. Viele waren mit dieser Aufgabe schier überfordert, was die tragischen Menschenschicksale der Nachkriegszeit beweisen. Die Dichterin, die durch den Zerfall der Habsburgermonarchie nach dem Ersten Weltkrieg selbst ihre Heimat verloren hatte und in der Zeit nach 1945 sich im zerstörten Wien durchschlagen musste, kannte die Schrecken des Krieges und dessen Folgen aus eigener Erfahrung.620 Daraus erwuchs das Bewusstsein ihrer Aufgabe, die Ernst Molden folgendermaßen defi nierte:

[…] Unser aller großen Auftrag sah sie zuletzt darin, ins Reine zu kommen mit dem wuchtigen Satz des Pater noster: »Dein Wille geschehe…« Nichts anderes als das wollte die Dichterin nach dem reichen Maß von bitterer Erfahrung, die den Menschen dieser Zeit geworden war, durch die Erzählung vom Schicksal des sagenhaften kroatischen Königs Slavac

klarma-618 Vgl. Joan K. BLEICHER, a.a.O., S. 101.

619 Kurt EIGL: Nachwort zu »Königslegende«, a.a.O, S. 851.

620 Passagen aus zwei Briefen der Dichterin an ihre Freundin, die Zagreber Schriftstellerin Camilla Lu-cerna, geben darüber Aufschluss, wie wichtig die Problematik des Heimatverlusts und des Neuanfangs bei der Entstehung der Königslegende gewesen ist: „[…] es geht mir aber nicht so sehr um musealgetreuen Bericht, sondern einzig darum in seiner Gestalt [der Gestalt des Slavatz – Anm.: M.S.] das Gleichnis eines Menschen hinzustellen, der bodenloses Unglück erlitten hat, aus allem Seinigen vertrieben wurde, sich aber schließlich in Verbannung und ärmliches Leben zu schicken weiß“ (Brief vom 26.02.1948, zit. nach: ebd., S. 851), „Ich wollte […] das Bild eines Menschen hinstellen, der aus seiner angestammten Welt geschleudert wurde, alles verloren, alles eingebüßt hat und sich schließlich in ein neues, demütiges Leben fi ndet, ohne zu zerbrechen.

Ein Schicksal also, das heute nur allzu häufi g ist“ (Brief vom 17.10.1949, zit. nach: ebd., S. 851).

chen. […] Wie viele Schicksale, dem dieses frühmittelalterlichen Herrschers ähnlich, hat die Gegenwart zur Realität werden lassen! Ganze Volksstämme sind wie er auf fremden Inseln, in ein fremdes Leben verschlagen worden! Ganze Klassen haben ihr ererbtes Ahnengut verlorengehen sehen: Slavace sie alle, Menschen verlorener Heimaten, Menschen, die vor die Not gestellt wurden, neu anzufangen, sei es im Kleinsten. Die »Königslegende« ist die Legende des Sichabfi ndens, des Sichbescheidens, die Legende des in seinem Gottesglauben, der erst im Unglück ein rechter Glaube geworden ist, ungebrochen Hoffenden.621

Der Schriftsteller Oskar Maurus Fontana zog eine Parallele zwischen dem Schicksal der Völker im geteilten Nachkriegseuropa und dem der Kroaten im 11. Jahrhundert. Er schrieb: „Zuviel der Länder und Völker haben wir in unserer Zeit erlebt, über die sich die Großen stritten und die darum, der Wunden voll, bluteten und wieder bluteten“.622 Die Leser der Königslegende werden Zeugen eines Streites zwischen den Byzantinern und dem von den Normannen unterstützten Heiligen Stuhl. Der Zankapfel Dalmatien, welchen beide Mächte beherrschen wollen, gelangt schließlich unter die Hoheit von Ungarn. Das Aufeinanderprallen zweier Kulturkreise – des lateinischen und des griechisch-byzantinischen – entscheidet also über das Schicksal des kroatischen Volkes.

Der österreichisch-slowenische Literaturwissenschaftler Reginald Vospernik äußerte die Überzeugung, dass der „vitale Rhythmus“623 in Preradović’ Texten „ihre Dichtung […], sei es nun ihre Lyrik oder seien es ihre epischen Werke, bei scheinbarer Zeitferne doch in unsere Zeit rückt, die Verzicht, Liebe, Selbstbesinnung und Mut zum Leben braucht“.624 Zwar befasst sich die Königslegende nicht mit der Nachkriegsepoche, doch ihre Problematik war besonders in den entbehrungsreichen Jahren des Wiederaufbaus nach dem Kriegsinferno sehr aktuell. In einer Zeit der Wertediffusion und der Suche nach neuen Werten hoben Autoren wie Paula von Preradović die Gültigkeit christli-cher Werte hervor.625 Die Königslegende und ähnliche Texte stießen beim damaligen Lesepublikum auf starke Resonanz. Obwohl die Novelle heute wahrscheinlich weniger Leser anspricht, als vor rund sechzig Jahren, und obwohl ihr Ideengehalt für eine kleinere Zahl von Rezipienten verständlich ist, verlor sie nicht an Aktualität, denn ihre Botschaft bleibt weiterhin gültig: Sie zeigt, „daß es auch dem Edlen ansteht, sich zu unterwerfen, und daß die schlichteste Umwelt, das geringste Amt keinen Menschen hindern können das Kühnste zu wagen: sich Gott zu nähern, Gott zu erkennen zu versuchen, Gott zu lieben“.626 Trotz dem materiellen Wohlstand und den friedlichen Verhältnissen, die heute in den meisten europäischen Ländern herrschen, darf die zentrale Aussage der Novelle nicht ignoriert werden.

621 Ernst MOLDEN: Skizzen, a.a.O., S. 72f.

622 Oskar Maurus FONTANA, a.a.O.

623 Reginald VOSPERNIK: Paula von Preradović. Leben und Werk, a.a.O., S. 43.

624 Ebd.

625 Vgl. Joan K. BLEICHER, a.a.O., S. 102.

626 Erika MITTERER: Ich bin kein toter Ast am Baum der Welt. Paula von Preradovic zum Gedenken, in:

»Die Presse«, 21. Mai 1961, S. 28.