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3.3 Biblische und religiöse Symbolik, Archetypik

3.4.3 Natur

Ein Motiv, das in den meisten Texten Paula von Preradović’ auftaucht, ist das Mee-resmotiv. Man fi ndet es bereits in den Werken des Großvaters der Dichterin.570 Es ist manchmal mit dem Motiv der Sterne verbunden, was u.a. in einer der Schlussszenen der Königslegende zu erkennen ist, als Slavatz beobachtet, „wie die fortschreitende Nacht die Sternbilder des Abends ins Meer sinken und neue am Himmel heraufziehen läßt“.571 Manchmal tritt es zusammen mit dem Sonnenmotiv auf, welches Kraft und Lebensfreude symbolisiert.572

Preradović projiziert ihr eigenes intensives Erlebnis der Adria in die Figur des ent-thronten Herrschers.573 Die Weite des Meeres löst in Slavatz ein Gefühl der Freiheit aus. Besonders deutlich ist das während der Überquerung des Dinarischen Gebirges zu erkennen, als Slavatz zum ersten Mal in der Ferne die Adria erblickt. Kurz zuvor wünschte er sich „überhaupt nichts mehr zu sehen und hätte am liebsten auch die Augen geschlossen gehalten […]“.574 Als er jedoch die See zu Gesicht bekommt, wird er von einer neuen Kraft erfüllt. Folgende Textstelle beschreibt diesen Augenblick:

[…] der Anblick des endlos daliegenden Meeres ergriff sein schmerzversteinertes Herz wie eine mächtige himmlische Hand, deren Druck zwar gleichfalls schmerzte, jedoch auf reine und hohe Weise, die wieder aus dem Schmerz hinauszugeleiten schien. Trotz seinen Fesseln fühlte er sich angesichts der zauberhaften Weite freier und getroster. Er sah mit Begier in die fl immernde Tiefe und suchte die Landschaft zu enträtseln.575

Zu einer ähnlichen Situation kommt es während der Schiffsreise zur Insel Issa, als Slavatz aus dem Bauch des Seglers an Deck tritt und sich vor ihm die Weite der See öffnet. Für eine Weile vergisst er die Hoffnungslosigkeit seiner Lage.576

Das Meer wird zum Symbol der Freiheit und gewinnt auch dort, wo es gegenständlich und als Impression dargestellt wird, einen Symbolwert.577 Im religiösen Kontext erlangt es noch eine zweite Bedeutung. Wie die Literaturwissenschaftlerin Zorka Orlandić

570 Vgl. Zorka ORLANDIĆ, a.a.O., S. 61f.

571 Paula von PRERADOVIĆ: Königslegende a.a.O., S. 842.

572 Vgl. Zorka ORLANDIĆ: a.a.O., S. 68.

573 Vgl. ebd., S. 134.

574 Paula von PRERADOVIĆ: Königslegende, a.a.O., S. 774.

575 Ebd.

576 Vgl. ebd., S. 796.

577 Vgl. Zorka ORLANDIĆ, a.a.O., S. 134.

bemerkte: „seine Weite und Höhe, sein Glanz und seine Helle sind Symbol für die Freiheit, mit der die Seele, entbunden der irdischen Schwere, Gott entgegenstrebt“.578 In der bereits erwähnten Szene, in der Slavatz das Fenster seiner Schlafkammer aufreißt und in der Dunkelheit der Nacht das Meer, auf das „ein riesiger dunkelblauer Himmel […] mit kalten Herbststernen […]“579 niederblickt, erkennt, wird die See jedoch zum Sinnbild der verlorenen Freiheit.580 Sie liegt im Dunkeln und trotz der geringen Entfernung zum Strand ist sie für Slavatz unerreichbar.

Angesichts der nächtlichen See sinnt Slavatz am Ende der Novelle über seinen Lebens-weg nach.581 Die Veränderungen auf dem Meer und am Himmel, die parallel zu dem Geschehen im Geist des Protagonisten geschildert werden, drücken seine Gedankengänge und Gefühlszustände aus.582 Folgende Passage beschreibt den Übergang von einem Zustand der heftigen Erregung zu einer Stimmung der Ruhe und Geborgenheit, wobei der Wandel in der Natur die inneren Vorgänge illustriert:

In dieser Nacht sah man nicht viele Sterne, denn der Mond, der im Aufnehmen war, stand hoch am Himmel und wurde nur mitunter von ziehenden Wolken bedeckt. Das Meer schlug heftig an den Strand; nach dem Sturm der letzten Tage war es die tote See, die da so lärmte. Slavatz atmete schnell und tief. Seine Brust schien zu seicht und zu schmal für das Übermaß des Schweren und Schicksalsvollen, das er aus dem Mund des Sängers gehört hatte. […] Während der Mond und die Wolken über ihn hinzogen, meinte er jählings die Gestalten der Könige, die das Lied des Sängers […] beschworen hatte, riesig über den Nachthimmel hinwandern zu sehen […] Er atmete tief und selig und hob das Angesicht aus seinen Händen. Da er in den Himmel blickte, sah er die wandernden Riesengestalten nicht mehr. Der Mond war im Niedergehen und schwamm wie ein rötlicher Kahn über dem Meer.583

Das in Dunkelheit gehüllte Meer mit seiner wilden Brandung kann also, im Ge-gengensatz zu der in der Mittagssonne glänzenden, heiteren, azurblauen See, eine sehnsuchtsvolle, schwermütige Grundstimmung oder einen Zustand der Gemütsbe-wegung ausdrücken.

Ein Motiv, dass in Preradović’ Werken besonders häufi g vorkommt, ist die Insel.

Sie ist ein wichtiger Bestandteil der dichterischen Vorstellungswelt der Autorin und

578 Ebd., S. 136.

579 Paula von PRERADOVIĆ: Königslegende, a.a.O., S. 799.

580 Vgl. Zorka ORLANDIĆ, a.a.O., S. 135.

581 Vgl. Paula von PRERADOVIĆ: Königslegende, a.a.O., S. 841–844.

582 Die Veränderungen in der Landschaft spiegeln häufi g Slavatz Gemütsverfassung wider, so z.B. auch während und nach der Begegnung mit der Vila. Als der König mit der Fee spricht, befi ndet er sich in einem Zustand der inneren Erregung. Darauf reagiert die Natur: „Noch blauer schien der Himmel, noch heißer die Sonne; schneller sangen die Zikaden, stärker roch der Thymian, und lauter rauschte das Meer aus der Tiefe herauf“ (ebd., S. 778). Als das rätselhafte Wesen den Gefangenen verlässt, scheint auch die Landschaft zusam-men mit ihm zu trauern. Der Himmel wird blässer, das Meer schweigt, sogar der Gesang der Zikaden wirkt freudlos (vgl. ebd., S. 779). Die Natur ist andererseits auch imstande das Gemüt zu beeinfl ussen. Sie hilft Slavatz seinen Schmerz zu überwinden und führt zu religiösem Erleben (vgl. Reginald VOSPERNIK, a.a.O., S. 136f.)

583 Paula von PRERADOVIĆ: Königslegende, a.a.O., S. 842–844.

hat einen festen Platz sowohl in der Prosa als auch in der Lyrik.584 Ihr symbolischer Gehalt unterscheidet sich zwar von Text zu Text, doch sie steht meistens für Ruhe und Geborgenheit. Sogar in der Königslegende, wo sie zu einem Ort der Verbannung wird, behält sie diese sinnbildliche Bedeutung bei. Am Ende der Handlung fühlt sich Slawatz auf Issa nicht mehr eingeengt. Er fi ndet inneren Frieden und Erfüllung. Die Mannigfaltigkeit der Daseinsmöglichkeiten, welche dem Menschen die Welt bietet, nimmt er nicht mehr als beglückend wahr.585 Die Begrenztheit Issas lässt die Insel als einen geordneten Raum erscheinen, in dem die Dinge einen festen Platz haben.586 Es scheint, als ob Gott den ehemaligen Kroatenkönig auf die Insel führt, damit dieser sein Inneres ordnet und aller Eitelkeit entsagt. Die Abgeschlossenheit des Eilands soll ihm dabei eine Hilfe sein.

Das nächste Motiv, welches an dieser Stelle erwähnt werden soll, ist das der Jahreszeiten.

Sie und die mit ihnen zusammenhängenden Naturerscheinungen versinnbildlichen den Zeitablauf. Der Wechsel der Jahreszeiten und deren stetige Wiederkehr symbolisieren die Vergänglichkeit. So heißt es im Text über das Verrinnen der Zeit: „[…] und die Jahre waren es, Slavatz’ Lebensjahre, die in Gleichförmigkeit dahinfl ogen, gestuft und unterteilt nur durch Gottes große, alte Maße: den Sommersonnenbrand, die Tagundnachtgleichen, die Winterstürme und die Milde des Frühlings“.587 Der Mensch unterliegt, ähnlich wie die Natur, dem ewigen Kreislauf des Lebens, der Entwicklung und der Zerstörung, der Geburt und des Todes. Beide wachsen, reifen und sterben.

Dabei sind sie dem uralten Rhythmus der Jahreszeiten und ihrer Begleiterscheinungen unterworfen. Der Text zeigt deutlich, dass das Jahr und seine Phasen untrennbar mit der menschlichen Existenz verbunden sind. Das Jahr ist ein bedeutender strukturierender Faktor, ein Zeitabschnitt, der die Vorstellungswelt determiniert und eine wichtige symbolische Funktion besitzt.588

Die Novelle enthält mehrere Passagen, in denen die Entwicklung der Flora sowie das für bestimmte Jahreszeiten typische Verhalten der Insulaner beschrieben werden.

Während im Winter und Herbst kalte und stürmische Winde wehen, die längere Fahrten Schiffs- und Bootsfahrten unmöglich machen, tummeln sich in den warmen Jahreszeiten die fl eißigen Fischer auf dem Meer. Folgender Abschnitt veranschaulicht den Kontrast zwischen den beiden Halbjahren: „Darüber wurde es Herbst und Winter, die Wolken zogen feucht und fi nster über die Insel, oder es pfi ff die Bora kalt und blau daher, daß es die Menschen bis in die Knochen fror. Hernach kamen wieder der Frühling und der Sommer, und Slavatz fuhr mit den Booten aus und half seinem Wirt Tomaso beim Fischen […]“.589 Viele der Stellen, an denen von Jahreszeiten die Rede

584 Vgl. Zorka ORLANDIĆ, a.a.O., S. 139.

585 Vgl. ebd., S. 140.

586 Vgl. ebd.

587 Paula von PRERADOVIĆ: Königslegende, a.a.O., S. 828.

588 Die Jahreszeiten geben häufi g auch die Abfolge der wesentlichen Momente im Leben des Menschen wieder und sind eng mit den traditionellen astrologischen Vorstellungen von den himmlischen Einfl üssen auf die irdische Welt verknüpft (vgl. »Jahreszeiten«, in: Stefano ZUFFI (Hrsg.): Bildlexikon der Kunst (Band 3:

Matilde BATTISTINI: Symbole und Allegorien), Berlin 2003, S. 32f.).

589 Paula von PRERADOVIĆ: Königslegende, a.a.O., S. 815.

ist, erinnern stark an Landschaftsmalerei bzw. an Genrebilder.590 Folgender Passus zeigt das besonders deutlich:

Unterdessen kam mit großen Stürmen der Frühling heran. Die kärgliche, noch vom Vorjahr braungebrannte Grasnarbe der Hügel und Mulden begann sich grün zu erneuern und mit vielfarbigen Krokussternen und großen wohlriechenden Veilchen zu bedecken, die Mutterschafe auf den Inselweiden warfen kläglich blökende Lämmer, und bei den Fischern der beiden Dörfer war eine eilige und freudige Tätigkeit zu bemerken. Allenthalben war man dabei, Netze und Segel auszubessern, die Boote mit Teer zu streichen, und die Waghalsigsten liefen schon zum Fischfang aus. Lange vor dem Äquinoktium setzte statt der Stürme heiteres blaues Wetter ein […]591

Man erkennt in diesem Textabschnitt eine typisierte Frühlingslandschaft aus dem Mittelmeerraum. Die Menschen verrichten zeitgebundene Tätigkeiten. Es ist ein Bild, das den meisten Lesern, die in nördlicheren Breiten zu Hause sind, wohl unbekannt erscheinen wird, zumal das Frühjahr in weiten Teilen Europas andere Assoziationen hervorruft. Trotzdem erkennt man aber auch einige wohlbekannte Attribute des Frühlings – das junge Grün, die Blumen, die Lämmer und das freudige Treiben der Menschen.592 Der Text enthält beeindruckende, bildhafte Beschreibungen der mediterranen Natur, wobei viele von ihnen stark saisonal geprägt sind und meistens mit dem Anbruch des Frühlings zusammenhängen. Eine beispielhafte Stelle wird unten angeführt:

Der Frühling, der diesem Winter folgte, war ungewöhnlich warm und lieblich, Krokusse und Veilchen und kleine blaue Traubenhyazinthen bildeten einen schönen Teppich, wie man ihn in der reichsten Königspfalz nicht gewebt fi nden würde, und die Myrtenbüsche, die da und dort nahe dem Strand ihr steifes, dunkelgrünes Blattwerk durch die Winterstürme ungekränkt bewahrt hatten, setzten früher als sonst viele winzige kugelrunde Knospen an.593 Jahreszeiten drücken in der Königslegende, ähnlich wie das in der Malerei der Ro-mantik häufi g der Fall war, seelische Zustände des Protagonisten aus. Der Anbruch des Frühlings bleibt nie ohne positiven Einfl uss auf die Stimmung des verbannten Königs. So beginnt Slavatz an warmen Frühjahrstagen auf einen günstigen Wandel seines Geschicks zu hoffen, während er in den langen Winterwochen eine Zeit der

590 Genrebilder sind gemalte Abbildungen von Alltagsszenen aus dem Leben eines Volkes.

591 Paula von PRERADOVIĆ, a.a.O., S. 805.

592 Die Beschreibungen des Frühlings, die in der Novelle zu fi nden sind, rufen Assoziationen zu Ostern hervor. In der christlichen Ikonographie werden Darstellungen, die mit diesem zentralen Fest des Kirchenjahres verbunden sind, häufi g mit denselben Attributen versehen. Die Frühlingsfreude fl ießt mit der Freude über die Auferstehung Jesu zusammen. Da die christliche Religion auf der Nordhalbkugel ihren Ursprung hat, fi ndet man diese Verschmelzung in der christlichen Ikonographie vieler Kulturen, obwohl Millionen von Christen in der südlichen Hemisphäre das Osterfest gar nicht im Frühling und meistens in vollkommen verschiedenen klimatischen Bedingungen feiern.

593 Paula von PRERADOVIĆ, a.a.O., S. 826f.

Hoffnungslosigkeit erlebt. Es vergeht über „Slavatz’ gramvollem Warten auf eine Nachricht […] der Winter mit wochenlangem Regenwetter und später mit schweren Südweststürmen […]“594, heißt es im Text.